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Social Media als Karrierekiller

Das Smartphone schwächt die Willenskraft

In einer Welt voller digitaler Ablenkungen wird Selbstdisziplin wichtiger. Doch immer mehr Menschen tun sich schwer damit.

Constantin_Gillies

Constantin Gillies

<p>Die Ohren zuhalten: Wer Social-Media-Kanäle konsequent ausblenden kann, hat Erfolg.</p>

Die Ohren zuhalten: Wer Social-Media-Kanäle konsequent ausblenden kann, hat Erfolg.

Tessy Ruppert / Midjourney; Diese Illustration wurde von einem KI-Modell generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

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Haben Sie auch den Eindruck, dass alle nur noch aufs Handy starren, anstatt zu arbeiten? Und dass kaum mehr jemand in der Lage ist, einen Plan fristgerecht umzusetzen? Dann könnten Sie recht haben.

Umfragedaten aus den USA zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit und Disziplin seit zehn Jahren abnehmen. Gleichzeitig sagen immer mehr Menschen, dass sie sich leicht ablenken lassen, und geben zu, dass es ihnen schwerfällt, eine Sache durchzuziehen.

Besonders ausgeprägt ist der Trend unter jungen Menschen: Zwischen 16 und 39 ist der Rückgang von Gewissenhaftigkeit und Disziplin fast viermal so stark wie in der Altersklasse über 60, wie Daten der Studie «Understanding America» zeigen. Aber verlieren wir wirklich unsere Selbstdisziplin? Und wie können wir sie zurückerobern?

Kleine Erfolge stärken den Durchhaltewillen

Caroline Theiss trainiert tagtäglich Mitarbeitende und Führungskräfte in Sachen Selbstmanagement. Auch sie beobachtet die Entwicklung. «Die Fähigkeit zur Selbststeuerung hat brutal abgenommen, gerade bei den Jungen.» Eine Hauptursache sei der Vormarsch digitaler Medien mit ihren ständigen Belohnungen, so Theiss. «Noch nie in der Geschichte der Menschheit war so viel Dopamin so schnell verfügbar.» Dieser Botenstoff wird im Hirn bei jedem erhaltenen Like ausgeschüttet, genau wie beim Konsum von Internetpornografie oder bei Onlinespielen. Immer mehr Menschen seien süchtig nach diesen «Kicks» und würden dafür ihre Karriere aufs Spiel setzen, so Theiss.

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Tatsache ist, dass Selbstkontrolle und persönlicher Erfolg massgeblich zusammenhängen. Das hat die sogenannte Dunedin-Studie schon vor Jahren nachgewiesen. In der gleichnamigen neuseeländischen Stadt wurden in den 70er-Jahren tausend Neugeborene ausgewählt, die man im Lauf ihres Lebens dann regelmässig psychologisch untersuchte. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass Kinder, die viel Geduld haben und sich weniger schnell ablenken lassen, als Erwachsene erfolgreicher sind. Sie verdienen mehr, sind gesünder und glücklicher als Altersgenossen, die schon als Kinder undiszipliniert waren. Dieser Effekt ist unabhängig von Herkunft und Intelligenz.

Doch Selbstdisziplin ist nur teilweise angeboren, sie lässt sich auch trainieren. «Wichtig ist zunächst, sich bewusst zu machen, dass man ein Verlangen hat, das zur schlechten Angewohnheit geworden ist», erklärt Coach Theiss. Eine gute erste Gegenmassnahme könne sein, sich Alternativhandlungen zu suchen. Beispiel: Sobald das Verlangen nach Internetvideos da ist, macht man bewusst etwas, das man sich vorgenommen hat: beispielsweise am Fenster tief einatmen oder ein paar Seiten lesen. Mit «Wenn-dann-Plänen» lässt sich das einfach umsetzen: Wenn ich zum Handy greifen will, dann mache ich …

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Das Handy buchstäblich auf Distanz halten

Der Griff zum Handy ist bei den Schweizern einstudiert: 84 Prozent der Angestellten nutzen ihr Smartphone während der Arbeitszeit für private Zwecke – etwa 53-mal pro Tag wird das Gerät aktiviert, was zu einer Unterbrechung alle 18 Minuten führt. Die Kosten für die Wirtschaft gehen in die Milliarden.

Eine Hilfe ist, das Handy buchstäblich auf Distanz zu halten. Wer es nicht auf den Schreibtisch legt, sondern ins Nebenzimmer, verfällt seltener in endloses Scrollen. «Ausserdem sollten Sie klein anfangen», ergänzt Theiss. Sprich: Nicht sofort sechs Wochen lang komplett aufs Handy verzichten, sondern zunächst nur wenige Stunden am Tag. Das sorgt für kleine Erfolge, die das Durchhalten erleichtern. Hilfreich kann auch sein, die Arbeit mit Spasselementen anzureichern, Fachleute sprechen von Task-Enrichment. Wer zum Beispiel beim Sport Musik hört, muss sich dazu weniger überwinden.

All diese Strategien sind bewährt, funktionieren aber nur bei relativ kleinen Aufgaben. Wer zum Beispiel eine Sprache lernen oder ein MBA-Studium absolvieren will, wird mit Sich-Zusammenreissen allein keinen Erfolg haben. Im Gegenteil: «Chronische Selbstkontrolle bedeutet für den Körper Stress», betont Maja Storch, Mitbegründerin und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich.

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Das hat biologische Gründe: Jeder Mensch wird einerseits vom Verstand gesteuert und anderseits vom Unbewussten, vom Bauchgefühl. Und dieses sagt «Mag ich» oder «Mag ich nicht», ohne lange nachzudenken. Wer sich zusammenreisst, «überstimmt» dieses Bauchgefühl; das kostet Kraft und funktioniert nur eine Zeit lang. Storchs einfache Faustregel: Wer mehr als ein Drittel seiner Zeit gegen das Bauchgefühl kämpft, sollte sich einen neuen Job suchen.

Die Einstellung zur Arbeit ändern

Um eine schwierige Aufgabe langfristig zu stemmen, muss man das Bauchgefühl dazu bringen, «Mag ich» zu sagen. «Und das geht nur mit einer neuen inneren Haltung», erklärt Storch. Dafür hat sie das sogenannte Zürcher Ressourcen Modell entwickelt. Diese Technik beruht darauf, zu einer Aufgabe eine positive Einstellung zu entwickeln (siehe Kasten).

Das Zürcher Ressourcen Modell

Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) hilft Menschen dabei, schwierige Aufgaben zu bewältigen, ohne sich ständig überwinden zu müssen. Die Technik beruht darauf, eine neue, positive Haltung gegenüber der Aufgabe zu entwickeln.

Ein Beispiel: «Ich will mich von meinen Kollegen nicht mehr stressen lassen», nimmt sich ein Angestellter vor. Doch allein schon beim Gedanken ans Büro kommen bei ihm negative Gefühle auf. Der ZRM-Coach fragt: «Welche Fantasiefigur hat Eigenschaften, die Sie bei der Umsetzung dieser Absicht gut gebrauchen könnten?» Der Angestellte antwortet nach kurzem Überlegen: «Meister Yoda aus ‹Star Wars›!»

Gemeinsam mit dem Coach formuliert der Angestellte jetzt sein sogenanntes Mottoziel: «Ich möchte gelassen wie Yoda sein, unbeirrt meinen Weg gehen und mich von nichts aus der Ruhe bringen lassen.»

Immer wenn es im Büro hektisch wird, besinnt sich der Angestellte auf dieses Motto. Ausserdem kauft er sich eine Yoda-Tasse, die ihn auf seinem Schreibtisch immer wieder an sein Ziel erinnert.

Katharina Bernecker, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Bern, hält ebenfalls nichts von übertriebenem Zähnezusammenbeissen. Sie forscht seit über zehn Jahren zum Thema Disziplin und sieht es mittlerweile kritisch. «Wir konzentrieren uns oft zu sehr auf Selbstkontrolle und verschliessen uns vor anderen Ideen.» Der beste Motivator sei, etwas Sinnstiftendes zu machen, das zugleich Freude macht, so Psychologin Bernecker. «Spass und Bedeutsamkeit sind die beiden Motivatoren, die zu Persistenz und gleichzeitig zum Wohlbefinden beitragen.»

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Eine tröstliche Nachricht hat Bernecker übrigens für alle Menschen, die neidisch auf superdisziplinierte Kollegen schauen. Die Psychologin hat solche Personen, die scheinbar immun gegen Ablenkungen sind und nur Sinnvolles tun, untersucht und festgestellt, dass sie sich keineswegs ständig am Riemen reissen müssen. Vielen macht es einfach Spass, sinnvolle Dinge zu tun. Wenn sie am Feierabend also bewusst auf Sofa und Netflix verzichten, um einen Sprachkurs zu machen, kostet sie das keine Überwindung. «Was andere als Versuchung ansehen, macht sie einfach nicht so an», sagt Bernecker lachend.

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