Guten Tag,
In «Abschiedsfarben» zeigt Bernhard Schlink die Schönheit und Trauer des Abschieds. Seine Geschichten sind kraftvoll, lebensnah und regen zum Nachdenken an.
Rudi Bindella ist Zürcher Gastrounternehmer.
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Ich habe meine Jugendliebe verpasst, und wenn man nicht in der Jugend lieben lernt, lernt man es nie. Du solltest meine Jugendliebe werden.» Einer der Sätze in Bernhard Schlinks «Abschiedsfarben», bei denen der Leser innehält. Die Zeilen kommen scheinbar belanglos daher, sind jedoch poetisch, sinnlich und vielschichtig. Überwältigend schön.
Die neun Kurzgeschichten tragen Überschriften wie «Picknick mit Anna» oder «Altersflecken». Jede ist anders gelagert. Gemeinsam ist den Erzählungen die Spannung, die sie erzeugen. Ich möchte das Buch nicht mehr weglegen. Kaum ist eine Geschichte fertig, fange ich mit der nächsten an. Schlink verführt mich.
Er lässt Figuren und Kulisse lebendig werden. Die regennasse Strasse, ich kann sie riechen. Ich fühle mit dem Mann und seiner Ergriffenheit vor Trauer und Wehmut. Der Autor schafft es, einen Film zum Laufen zu bringen. Ich sitze in einem Kino, in dem ich nicht nur sehe und höre, sondern auch berühre und rieche. Mir gefällt Schlinks Stil. Perfektes Deutsch, kraftvoll, nie reisserisch und schon gar nicht ordinär. Leichtfüssig fliessend.
«Abschiedsfarben», Bernhard Schlink, Diogenes 2022, 240 Seiten.
PR«Abschiedsfarben», Bernhard Schlink, Diogenes 2022, 240 Seiten.
PRDie Geschichten in «Abschiedsfarben» sind aus dem Leben gegriffen, manchmal erinnern sie sogar an das eigene. Vielleicht sind sie auch ein wenig autobiografisch, man kann sich das gut vorstellen. Die Abschiede sind bei Schlink facettenreich, keine Einbahnstrasse. Abschied ist auch Neubeginn, Liebe ist auch Trauer, Traurig zu sein, hat auch etwas Schönes. Und manchmal entsteht daraus eine neue Erkenntnis. Wie in der Geschichte der beiden Brüder, von denen einer in Berlin stirbt, der andere in Übersee lebt. Er hadert mit dem Verlust und mit so vielem, was zwischen ihnen war. Das lange Nachdenken bringt ihm den Bruder posthum näher, als er ihm je gewesen war. «Daniel», das Lied von Elton John, beschreibt so gut, was er fühlt. Er versteht nicht alles, aber es handelt von Tod, Verlust, Wunden und Schmerz. Am Ende ist Erlösung.
Als das Schönste an den Schlink-Büchern empfinde ich, dass sie so menschlich sind. Die Akteure sind weder Supermänner noch Verliererinnen. Sie machen Fehler, schämen sich, machen es gut, sind stark, dann wieder nicht. Susanne, die Frau, die ihre Jugendliebe verpasst hatte, war zu ihm ins Zimmer gekommen, ins Bett geschlüpft und hatte sich neben ihn gelegt. «Er tastete nach ihr, und indem sie seine Hand nahm und hielt, zeigte sie ihm, dass sie Abstand wollte.» Eine feine, liebevolle, warme Sprache.
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