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Zur Rose: Walter Oberhänslis langer Kampf gegen das Apothekenwesen

Mit einer neuen Plattform will Zur-Rose-Chef Walter Oberhänsli die Branche revolutionieren. Nun aber muss er auf der Anklagebank Platz nehmen.

Bastian Heiniger

Walter Oberhänsli Zur Rose

Pionier im Gesundheitsmarkt: Walter Oberhänsli gründete 1993 in Steckborn TG die Apotheke Zur Rose und begann Ärzte in der Region mit Medikamenten zu beliefern.

Gabi Vogt / 13 Photo

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Eigentlich wollte er bloss wieder eine Apotheke im Dorf. Nun hat Walter Oberhänsli die grösste Versandapotheke Europas und ist drauf und dran, einen Marktplatz im Stil von Amazon aufzubauen. Die Vision: Patienten sollen mit dem Smartphone ihre gesamte Gesundheit managen. Der Anspruch: die Revolution im noch kaum digitalisierten Gesundheitswesen. Selbst als der Thurgauer vor dreieinhalb Jahren symbolisch die Glocke zum Börsengang seiner Zur Rose Group läutete, hatte er kaum geahnt, welche Chancen sich nun auftun. Besonders in Deutschland.

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Dort dürfen Ärzte von 2022 an nur noch elektronische Rezepte ausstellen – eine potenziell hoch dosierte Wachstumsspritze für die Schweizer Online-Apotheke. Allerdings stösst Oberhänsli mit seinem Expansionskurs auf heftige Widerstände.

Seit Jahrhunderten ist das Apothekenwesen stark reguliert. Seit der Firmengründung im Jahr 1993 kämpft er dagegen an. Einmal mehr steht der ehemalige Anwalt im Visier der Justiz. Im Frühjahr flatterte ihm eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Thurgau ins Haus. Nicht gegen das Unternehmen. Sondern gegen ihn persönlich, Walter Oberhänsli. Eine neue Eskalationsstufe. Im Dezember beginnt vor dem Bezirksgericht Frauenfeld der Prozess.

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Büros im Coworking-Stil bei Zur Rose

Ein eigenes Büro besitzt Oberhänsli nicht. Zumindest nicht mehr, seit die Zur Rose Group Anfang 2020 in Frauenfeld das alte Gebäude der Sigg-Pfannenfabrik bezogen hat, Industriechic mit Büros im Coworking-Stil. Trotzdem: Nach Hightech und wildem Start-up-Groove sieht es im Steuerraum der international tätigen Gruppe nicht aus.

In den minimalistisch eingerichteten Räumen mit Parkettböden und modernem Interieur arbeiten rund 15 Personen aus den Bereichen Finanzen, Compliance, Kommunikation, Investor Relations und Business Development. Auch CEO Oberhänsli sitzt hier meist mit seinem Laptop an einem Tisch, an dem mehrere Mitarbeiter Platz haben. Ebenfalls im Gebäude einquartiert ist ein Teil der Crew von Zur Rose Schweiz. Und einen Steinwurf weiter den Fluss hinab steht die Logistikzentrale für das Schweiz-Geschäft. Medikamente für 3500 Arztpraxen und 190 000 Privatkunden werden hier kommissioniert, abgepackt und verschickt.

Sein nach hinten gekämmtes Haar, die elegante Brille und das Sakko mit seidenem Poschettli verleiht Walter Oberhänsli das Aussehen eines klassischen Patrons. Nicht gerade die typische Erscheinung eines digitalen Pioniers mit Disruptions-Fantasie. Sich den Codes aus dem Silicon Valley anzubiedern, hat Oberhänsli mit gestandenen 62 Jahren nicht mehr nötig. Er wirkt entspannt, so schnell bringt ihn nichts mehr aus der Ruhe.

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Selbst die Anklage der Thurgauer Staatsanwaltschaft nicht? Schlaflose Nächte bereite sie ihm zwar keine. «Es wäre aber übertrieben zu sagen, es würde mich kaltlassen, dass ich mich nun auf die Anklagebank setzen muss», sagt er im Gespräch am Konferenztisch. «Und das als ehemaliger Rechtsanwalt.»

Oberhänsli, der Apotheken-Schreck

Nach der Eröffnung einer Apotheke in Steckborn, von wo aus Oberhänsli die Ärzte in der Region zu beliefern begann, arbeitete er bis 2004 nebenher als Anwalt in Kreuzlingen, Schwerpunkt Wirtschaftsrecht. Sein juristisches Geschick war hilfreich, um sich im stark fragmentierten und regulierten europäischen Gesundheitsmarkt zu etablieren; als Apotheken-Schreck, wie ihn die Feinde sehen.

Personen, die auf Oberhänslis Seite sind, bezeichnen ihn liebevoll als «Gmüetsmoore», als einen umgänglichen Macher mit Visionen. Und als jemanden, der nicht mehr loslasse, wenn er sich an etwas festgebissen habe. Anders hätte er kaum aus dem Nichts ein Unternehmen aufgebaut, das mit einem Umsatz von zuletzt knapp 1,6  Milliarden Franken an der Börse bereits 2,6  Milliarden Franken schwer ist. Obwohl es unter dem Strich noch nicht einmal Gewinn erzielt.

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In Steckborn startete Zur Rose.

Der Startschuss: In Steckborn startete Zur Rose. Heute betreibt sie in Kooperation mit Migros sechs weitere Filialen

Grund/ PD
In Steckborn startete Zur Rose.

Der Startschuss: In Steckborn startete Zur Rose. Heute betreibt sie in Kooperation mit Migros sechs weitere Filialen

Grund/ PD

Die jüngste Anzeige, die zur Anklage führte, dürfte so gesehen eine gangbare Hürde sein auf dem steilen Wachstumspfad. Und sie stammt aus der Schmiede eines altbekannten Widersachers: des Apothekerverbands Pharmasuisse, der die rund 1800 stationären Apotheken vertritt. Es ist ein bereits 20  Jahre andauernder Clinch. Hier die Apotheker, die bewahren wollen. Dort die stürmische Online-Konkurrenz.

Die Sache ist verzwickt: Im Grunde will die Apothekerlobby den kleineren Markt mit rezeptfreien Medikamenten verteidigen. In der Schweiz ist dieser gemäss dem Marktforscher IQVIA aktuell rund 737  Millionen Franken gross. Zum Vergleich: Mit einem Anteil von 5,4  Milliarden Franken generieren dagegen rezeptpflichtige Medikamente 88  Prozent des Gesamtumsatzes.

Was in vielen europäischen Ländern Usus ist, das Verschicken von rezeptfreien Medikamenten wie Echinacea, Dul-X oder einer Voltaren-Salbe, ist seit einem Bundesgerichtsentscheid von 2015 ohne ein ärztliches Rezept nicht mehr möglich. Auch nicht mit dem Kniff, den Zur Rose bis dahin angewendet hatte: Die Online-Apotheke liess Kunden einen kurzen Fragebogen ausfüllen, worauf Ärzte eines Telemedizinanbieters ein Rezept ausstellten. Eine Praxis, die der Kantonsapotheker abgesegnet hatte. «Als dann das Verbot kam, rief ich direkt vom Gericht in Lausanne aus an, man solle sofort alles stoppen! Keine Bestellungen mehr annehmen und keine mehr ausliefern», sagt Oberhänsli.

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Seither liegt das Geschäft mit sogenannten Over-the-Counter-Medikamenten (OTC) in der Schweiz brach. Das Absurde dabei: Ein Konsument darf Medikamente für den Eigenbedarf aus dem Ausland zum Beispiel bei Amazon oder der niederländischen Shop Apotheke bestellen.

Zweite Niederlage für Zur Rose

Juristisches Hickhack ist Walter Oberhänsli gewohnt. Zur Rose unterlag am Bundesgericht schon 2014 in einem anderen Verfahren: Die Online-Apotheke hatte bis dahin wegen des geringeren administrativen Aufwands Ärzte entschädigt, die elektronische Rezepte ausstellen. Pharmasuisse passte dies nicht, da die Ärzte bereits von den Kassen entlohnt werden.

Die beiden Verwaltungsverfahren waren Pharmasuisse aber nicht genug. 2011 hatte der Verband überdies eine Strafanzeige gegen den Zur-Rose-Chef persönlich eingereicht. Doch nach den beiden Bundesgerichtsentscheiden wollte die Staatsanwaltschaft den Fall 2017 ad acta legen. Pharmasuisse hielt dagegen. Und reichte eine Beschwerde ein, womit sie die Staatsanwaltschaft zwang, weiter gegen Oberhänsli zu ermitteln. Heraus kam nun die Anklage. In einem ersten Schritt wird das Gericht entscheiden, ob überhaupt ein rechtswidriges Verhalten vorlag.

Pharmasuisse-Präsident Fabian Vaucher wirft Oberhänsli vor, dieser würde mit seiner Praxis keinen Beitrag zur medizinischen Grundversorgung leisten. «Zur Rose umging mit ihrem Geschäftsmodell bewusst das geltende Recht. Ihr Modell, ohne Fachberatung oder individuelle Betreuung, war und ist an Umsatz und Gewinn orientiert und gefährdet die Patientensicherheit.» So sei der Gesetzgeber unverändert der Auffassung, dass der Versand von rezeptfreien Medikamenten ein Gesundheitsrisiko darstelle. «Medikamente sind keine harmlosen Konsumgüter wie Hausschuhe oder Küchentücher», sagt Vaucher.

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Tatsächlich jedoch hat die Attacke gegen Oberhänsli keinen Effekt aufs Geschäftsmodell. Der OTC-Versand und die Ärztevergütung sind längst eingestellt. Was Oberhänsli droht, ist eine Geldbusse. Das Urteil wird für Mitte März erwartet. Doch auch dieses Verfahren dürfte erst vor Bundesgericht enden.

Zur Rose wächst und wächst – trotz Gegenwind

Es scheint, dass dem ehemaligen Anwalt solche Kämpfe eine diebische Freude bereiten, ja ihn geradezu anstacheln, die verkrusteten Strukturen im Gesundheitswesen erst recht aufbrechen zu wollen. Dafür erhält er Anerkennung: Oberhänsli könne noch so viel Prügel einstecken, er stehe immer wieder auf, sagt ein Wegbegleiter.

Ausgeknockt wurde er bisher nicht, ganz im Gegenteil. Das Hauptgeschäft macht Zur Rose in der Schweiz mit der Belieferung von selbstdispensierenden Ärzten und dem Versand von rezeptpflichtigen Medikamenten. Trotz der regulatorischen Hürden stieg der Umsatz von rund 470  Millionen Franken im Jahr 2016 auf jüngst mehr als 550  Millionen.

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Ähnlich das Bild in Deutschland, wo Oberhänsli ebenfalls eisiger Wind entgegenweht und wo Zur Rose noch schneller wächst. Vergangenes Jahr schoss der Umsatz um 45 Prozent hoch auf fast eine Milliarde Franken – allerdings besonders dank dem Zukauf der deutschen Versandapotheke Medpex.

DocMorris als Totengräber der deutschen Apotheken?

Aktiv ist Zur Rose in Deutschland unter dem Namen DocMorris. Die niederländische Online-Apotheke wurde 2012 von Zur Rose geschluckt. Aus regulatorischen Gründen bedient sie den deutschen Markt von den Niederlanden aus, direkt an der Grenze zu Deutschland. In Deutschland ist es, wie etwa in Frankreich, Spanien und Italien verboten, eine Apotheke als Kapitalgesellschaft zu betreiben.

Derzeit macht der Apothekendienstleister Noventi Stimmung gegen DocMorris. In einer Kampagne wurde das grüne Kreuz im Logo der Online-Apotheke zu einem Totenkreuz verfremdet. Noventi schreibt: «Im Gegensatz zu anderen Playern im Gesundheitsmarkt sind wir als apothekeneigene Unternehmensgruppe seit dem Jahr 1900 – und auch in Zukunft – der verlässliche Partner für die Apotheken vor Ort.» Die Zur-Rose-Tochter DocMorris als Totengräber der deutschen Apotheken?

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««Das Apotheken schottet sich gegen alle Entwicklungen ab.»»

Walter Oberhänsli

Solche Anfeindungen sind für Oberhänsli nichts Neues. «Das Apothekenwesen hat es über Jahrhunderte geschafft, sich gegen jegliche Entwicklungen abzuschotten», sagt er. Nun sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Markt liberalisiere. Und weil in Deutschland das E-Rezept bald zur Pflicht wird, erwartet er einen Wachstumsschub.

Verständlich, dass die Apotheken nervös sind. Denn in Deutschland wird erst ein Prozent der rezeptpflichtigen Arzneimittel online vertrieben. «Das Potenzial ist gigantisch», sagt Oberhänsli. In Schweden, wo alle Rezepte elektronisch sein müssen, ist der Anteil des Onlineversands innert vier Jahren auf zwölf Prozent gestiegen. «Wenn in Deutschland der Rezeptmarkt mittelfristig auf fünf Prozent im Onlinebereich ansteigt, wären wir hochgerechnet bei einem Umsatz von drei Milliarden Franken.»

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Laut Oberhänsli, der ein Aktienpaket im Wert von rund 29  Millionen Franken hält, habe weniger die Pandemie, sondern vor allem diese Aussicht im ersten Halbjahr für einen Kurssprung von mehr als 150 Prozent gesorgt. Hochgeschossen ist auch der Kurs der umsatztechnisch halb so grossen, aber bereits ähnlich kapitalisierten Shop Apotheke.

Marktplatzmodell mit angebundener Gesundheits-Plattform

Um den Marktanteil weiter auszubauen, führt DocMorris in Deutschland im Dezember ein Marktplatzmodell mit angebundener Gesundheits-Plattform ein. Gemäss dem Expertenpanel Aposcope sei nur jeder zehnte Apotheker bereit, sich anzuschliessen. Bei insgesamt 19 300 stationären Apotheken ist das jedoch eine Menge. «Manche Schätzungen in der Branche gehen davon aus, dass man für eine flächendeckende Versorgung mit rezeptpflichtigen Medikamenten gerade einmal 1120  Apotheken braucht», sagte DocMorris-Chef Olaf Heinrich zum «Handelsblatt».

Die angeschlossenen Apotheken werden an Zur Rose einen pauschalen Monatsbeitrag zahlen. Wie hoch der sein wird, kommuniziert das Unternehmen nicht. In Spanien zahlen die Apotheken auf ihre Verkäufe eine Take Rate von 20 Prozent – allerdings handelt es sich dort um rezeptfreie Artikel. Neben Apotheken will Oberhänsli vor allem auch digitale Gesundheitsdienstleister dazugewinnen. «Wir sind im Gespräch mit 20 möglichen Partnern.»

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«Die App soll Patienten helfen, ihre Gesundheit zu managen.»

Als Nutzer hat er primär chronisch kranke Personen im Blick. Gemäss Oberhänsli sind das 20 Prozent der Bevölkerung. Sie sollen künftig die App als Ausgangslage nehmen, um ihre Gesundheit zu managen. Diabetiker etwa erhielten dann Informationen, Erinnerungen und Coaching, was den Umgang mit der Krankheit erleichtert. «Unsere App wird die Anlaufstelle, mit der für alle Gesundheitsprobleme der richtige Weg gefunden werden kann», sagt er und zeigt auf seinem Smartphone die Beta-Version: In der Mitte steht das elektronische Rezept, um dieses herum lassen sich individuell passende Services anordnen. Eingebunden werden soll auch ein Apothekenfinder. Der Nutzer soll selbst entscheiden, ob er die Medikamente via Versandapotheke bezieht oder in einer Apotheke abholt.

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Digitaler Aufbruch

In der Schweiz startet die Plattform im ersten Halbjahr 2021. Ebenfalls an den Start gehen wird eine andere Plattform von Allianz Care, CSS und Visana, für die Zur Rose als Partner ihre Technologie bereitstellt. Patrick Kessler, Geschäftsführer des Handelsverbands, sieht grosse Chancen: «Wenn das elektronische Patientendossier eingeführt und E-Health etabliert sein wird, ist Zur Rose prädestiniert, einen schönen Teil der Versorgungsleistung zu übernehmen.»

Die Unternehmensberatung Roland Berger hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der sie den Umsatz des digitalen Gesundheitsmarkts schweizweit bis 2025 auf 10  Milliarden Franken schätzt, auf ganz Europa betrachtet sollen es gar bis 232  Milliarden Euro sein. In der Schweiz hätten besonders Anbieter von Plattformen gute Aussichten, heisst es.

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Roland-Berger-Partner Matthias Bünte betont im Gespräch, dass es anfangs wohl mehrere Einzelplattformen geben wird, die sich erst nach und nach konsolidieren. «Wer sich letztlich durchsetzen wird, lässt sich noch kaum voraussagen», sagt Bünte. «Im Gesundheitsmarkt sind wir etwa auf der Stufe, als Myspace und StudiVZ noch gefragte Social-Media-Plattformen waren.»

Dass sich etwas tut, merkt auch der Apothekerverband. Allerdings glaubt Präsident Vaucher weiterhin an die stationären Filialen: «Die zukünftige medizinische Versorgung wird auf Nutzen stiftenden Services aufgebaut sein, und dies werden hybride Angebote sein», sagt er. Auch hätten die lokalen Apotheken ihren bestehenden Hauslieferdienst und den Nachversand hochgefahren. «Das aktuelle Versorgungssystem mit Medikamenten hat sich gerade während der Corona-Pandemie besonders bewährt.»

Zur-Rose-Schweiz-Chef Walter Hess sagte jüngst an der Digitalkonferenz «Connect», er sei überzeugt, dass sich einige Apotheker ihrem Marktplatz öffnen würden. «Die Digitalisierung macht auch vor dem Apothekenmarkt nicht halt.» Und das sei ja angesichts der Gesundheitskosten nicht das Dümmste. Mit Technologie will Zur Rose die Effizienz steigern und die Kosten senken.

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Für Oberhänsli ist klar, dass gerade chronisch kranke Medikamentenbezüger künftig noch stärker Telemedizin, digitale Services und den Medikamentenversand nutzen werden. «Dieser Trend kehrt sich nicht mehr um.» Daran werde auch eine Anklage nichts ändern.

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