Guten Tag,
Nicht mehr in vorderster Linie, aber noch immer dabei: Das neue Leben des Sergio Ermotti.
NEO-PRÄSIDENT: Vor einem Jahr trat er als UBSChef ab, seit April leitet er den VR der Swiss Re: Sergio Ermotti.
Fredi LienhardtWerbung
Es war nicht mehr die ganz grosse Bühne. Als Sergio Ermotti am 16. September vor der Vortragsgesellschaft Schaffhausen auftrat, erwarteten ihn gegen 70 Teilnehmer, darunter zwei Klassen der kaufmännischen Berufsschule. Der langjährige UBS-Chef, dessen Wortmeldungen früher stets grossflächig verbreitet wurden, äusserte sich wie üblich mit patriotischer Note: Mehr Selbstbewusstsein, weniger Selbstgefälligkeit forderte er gleich zu Beginn seines Vortrags über die «Zukunftsfähigkeit der Schweiz». Warum er überhaupt noch arbeite, fragte eine junge Frau den 61-Jährigen mit weitgehend abgeschlossener Vermögensbildung anschliessend. Weil er noch immer in einem guten Team etwas bewegen wolle, erwiderte der Tessiner. Da kam verhaltener Applaus.
Ausserhalb des Grenzkantons nahm kaum jemand Notiz von seinem Auftritt. Fast ein Jahrzehnt war er der wohl meistbeobachtete Konzernchef der Schweiz, fast jede Regung des UBS-Chefs wurde grossflächig ausgeleuchtet. Auch heute tritt er noch auf – ob in Schaffhausen, vor den Jungfreisinnigen im Tessin oder der Genfer Haute école de gestion. Schon zu UBS-Zeiten war er ein Firmenlenker, der sich in die politische Debatte einmischte – zuweilen auch mit heftiger Kritik an Nationalbank oder Bundesrat, was die Amtsträger nicht wirklich goutierten und sein Verwaltungsrat leicht zähneknirschend als südländische Emotionaliät abbuchte. Als er einmal eine «Fünf-Pfeiler-Strategie» zur Rettung der Schweiz lancierte, folgte postwendend die geballte Kritik der Politprofis von links bis rechts: Wie bitte kam ein Konzernchef mit stets offensiv verteidigten 14 Millionen Franken Salärpaket dazu, der Regierung Lektionen zu erteilen – zumal von einem Institut, das von eben dieser Regierung vor nicht allzu langer Zeit noch gerettet worden war? Doch ihm machte das Spass.
Jetzt ist alles eine Nummer kleiner und unspektakulärer. Vor genau einem Jahr, Ende Oktober 2020, trat er nach mehr als neun Jahren als UBS-Chef ab – er war damit der dienstälteste Lenker der grössten Schweizer Bank seit der Fusion mit dem Bankverein vor mehr als zwei Jahrzehnten. Jeder kennt die UBS, bei der Swiss Re können viele Schweizer nicht einmal den Unterschied zur Swiss Life benennen.
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Er ging erhobenen Hauptes, wenn auch mit einem Grummeln – gern wäre er noch länger an der Spitze der Grossbank geblieben. Hätte er eine Zusicherung bekommen, nach einem Cooling-off das Präsidium zu übernehmen, hätte er sicher zugesagt.
Doch so kam es nicht: Der Verwaltungsrat um Präsident Axel Weber, gern als regulatorisches Mustergremium unterwegs, wollte ihm diese Garantie nicht geben – und wirkt jetzt etwas ratlos bei der Frage, wer denn Weber beerben solle. Der Deutsche hat seinen Abschied für den nächsten April angekündigt, und der international vernetzte Bankprofi mit Schweizer Duftnote ist nicht in Sicht. Blackrock-Grande Philipp Hildebrand gilt eher als Verlegenheits- denn als Wunschkandidiat. Als Anwärter wird derzeit auch Jens Weidmann gehandelt, wie zuvor Weber Chef der Deutschen Bundesbank und mit bestem internationalem Leumund versehen, jedoch ohne praktische Bankerfahrung und zudem mit einer offiziell zweijährigen Karenzfrist bedacht, die allerdings eine gewisse Flexibilität beinhaltet. Jedoch: ohne Swissness.Ermotti hätte dagegen alles mitgebracht. Doch die Chuzpe, die es heute braucht, entgegen dem Gusto der Grossanleger-Herde um Blackrock-Branchenvormann Larry Fink den Präsidentenposten mit dem bisherigen CEO zu besetzen, kann sich in der Schweiz vielleicht eine Nestlé leisten: Dort wechselte Konzernchef Paul Bulcke 2017 direkt auf den Präsidentenstuhl. Doch Nestlé ist eben Nestlé. Und die Blösse, Ermotti jetzt doch anzufragen, wird sich der Verwaltungsrat nicht geben. Und natürlich steht der Tessiner auch bei der Swiss Re im Wort.
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Dass sein Nachfolger Ralph Hamers die Strategie der UBS bislang kaum verändert hat, ist da eine späte Genugtuung. Mehrfach haben sich die beiden getroffen. Sie kannten sich gut. Beim verschwiegenen Institut International d’Etudes Bancaires, einer Art europäischem Bankenverband, sassen sie in der gleichen Arbeitsgruppe, zusammen mit dem neuen CS-Präsidenten António Horta-Osório, damals noch Chef der britischen Grossbank Lloyds. Dass Hamers die Offenheit besitzt, den Rat des Vorgängers einzubeziehen, darf in der Ego-gesteuerten Bankenwelt durchaus als ungewöhnlich gelten.
Die UBS-Rekordergebnisse zeigen ja auch: Ermottis Strategie funktioniert noch immer, und die Selbstdemontage der CS rückt selbst den 950-Millionen-Verlust bei Archegos in den Schatten. Dass Hamers der Versuchung eines gross proklamierten Neuanfangs widersteht, sieht Ermotti eher als Stärke des Holländers. Dessen grösste Anpassungen waren bislang eine Verlagerung von zentralen Einheiten an die Front und die Beförderung des Technologiechefs Mike Dargan in die Konzernleitung ganz im Sinne der verordneten Agilität.
Das Klischee vom «Google-Banker» war zwar für die Berufung von Hamers hilfreich, doch in der Praxis eher hinderlich: Die UBS ist technologisch nicht schlechter als die ING, hat aber durch einen anderen Business-Mix auch andere Anforderungen. Die grossen Würfe gibt es da nicht. Selbst bei den Kosten, in der Ermotti-Ära ein Dauerthema, schwenkt Hamers auf die Linie des Vorgängers – radikale Schnitte gehen zulasten des Wachstums. Und auch in der leidigen Lohnfrage blieb die Revolution aus: Dass Hamers für die ersten vier Monate, davon gerade zwei als CEO, gleich 4,2 Millionen Franken einstrich, lässt ihn kaum als Robin Hood dastehen – seine Suche nach «Purpose» in der geldgetriebenen Szene wirkt da eher verwegen. Seine grosse Chance ist es jetzt, das überalterte Führungsteam der Bank mit eigenen Gefolgsleuten zu ersetzen.
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Direkt nach seinem Abtritt bei der UBS machte Ermotti einen klaren Schnitt. Drei Wochen verschanzte er sich mit seiner Frau auf den Malediven, die im ersten Corona-Herbst gut anfliegbar waren, und koppelte sich komplett vom Bankerdasein ab: Alles hinter sich lassen, den Zähler wieder auf null stellen. Bei seiner Rückkehr gab es bereits die ersten Treffen mit Noch-Präsident Walter Kielholz, doch die Ausgangslage war klar. Schon bei seinen Gesprächen mit dem Nominierungskomitee um Vizepräsident Renato Fassbind hatte er keine Zweifel gelassen: Er wollte nicht den übermächtigen Walter geben.
Der Zürcher, 21 Jahre im Verwaltungsrat, davon fünf Jahre CEO und zwölf Jahre Präsident, war über all die Jahre die alles beherrschende Figur der Firma. Offiziell lehnte er zwar den Titel des «Executive Chairman» ab, aber de facto war er genau das. Ermotti signalisierte schnell: Er nimmt den Job nur an, wenn die Präsidentenpflichten eingeschränkter sind und er auch noch genügend Zeit für Mandate ausserhalb der Swiss Re bekommt.
Auch seine öffentliche Rolle definiert er anders. Kielholz war der Stammvater des weltoffenen Zürcher Freisinns, Schwergewicht bei den «Freunden der FDP» und beim liberalen Thinktank Avenir Suisse und damit Hassfigur für die inlandsorientierte SVP – für Übervater Blocher war er jahrelang Feindbild Nummer eins der Konzernwelt. «Ja. Er will, dass die Schweiz der EU beitritt. Darum fordern seine Leute einen Unterwerfungsvertrag, gleichgültig, was drinsteht», hatte Blocher vor zwei Jahren noch über Kielholz und dessen Eintreten für das EU-Rahmenabkommen geätzt. Blocher habe die SVP «für seine Zwecke umfunktioniert und in eine rechtsbürgerliche Kampfpartei verwandelt», hiess es bei Kielholz.
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Wie scharf der eigentlich eher geniesserische Swiss-Re-Übervater in der Europa-Frage austeilen konnte, zeigte sich auch an seiner Fehde mit dem Partners-Group-Granden Alfred Gantner kurz vor seinem Ausscheiden bei der Swiss Re im Frühjahr. «Wahnvorstellungen», «krankhafte Fieberschübe» und «Opportunismus» diagnostizierte er via SRF-«Samstagsrundschau» in der Debatte um das Rahmenabkommen. Es mute seltsam an, wenn plötzlich «ein Finanzgenie aus dem Hedge-Fund-Bereich» wisse, was in der Europa-Politik zu tun sei. «Kielholz hat den Vertrag wohl nicht gelesen», schoss Gantner via «SonntagsZeitung» zurück. «Er hat vermutlich gar keinen Vertrag mehr gelesen in den letzten 30 Jahren. Für das hatte er ja seine Leute.»
Ermotti ist da nicht so festgelegt, sympathisiert durchaus auch mit gewissen SVP-Parolen. Gantners Allianz-Europa-Bewegung kontaktierte ihn dann auch, und er zeigte sich offener als Kielholz. Doch beitreten wollte er dann doch nicht. Aber auch nicht Gegenhalten wie Kielholz, der bei der Pro-Rahmenabkommen-Allianz Progressuisse dabei ist. Der 70-Jährige amtet weiterhin als Ehrenpräsident der Swiss Re.Mit dem UBS-Chefposten hat der neue Job, den er am 19. Mai antrat, kaum etwas zu tun. Ermotti bleibt zwar weiterhin seine Routine: Das Wochenende im Tessin, jetzt aber gern auch von Freitag bis Montag, dann während der Woche mit seiner Ehefrau in Zug. Drei bis vier Tage ist er bei der Swiss Re vor Ort. Die VR-Sitzungen finden alle sechs Wochen statt, inklusive Komitee-Sitzungen sind jeweils drei Tage angesetzt. In die Preisverhandlungen mit den grossen Kunden mischt er sich nicht ein. Aber manche von ihnen wollen den Präsidenten sehen, da stehen jetzt im Herbst erste Reisen an. Doch die enge Taktung des CEO-Daseins ist weg – plötzlich hat er viel Zeit. Das Büro hat er auf dem gleichen Stockwerk wie CEO Christian Mumenthaler, mit dem er sich alle zwei Wochen zum Jour fixe trifft. Bei der UBS war das Treffen mit seinem Präsidenten Weber noch wöchentlich.
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Auch für den CEO ist der neue VR-Präsident eine Umstellung: Dass der Zürcher, der einst die Kantonsschule Wiedikon gerade 500 Meter Luftlinie vom Swiss-Re-Hauptsitz besuchte, es an die Spitze schaffte, verdankte er auch seinem Ziehvater Kielholz, der aller Weltoffenheit zum Trotz das Schweizer Element pflegte – auch ein Grund, warum Ermotti den Job bekam.
Der 52-jährige Mumenthaler galt dann auch eher als ein Chef im Schatten von Kielholz, auch wenn der langjährige Leiter der Rückversicherungssparte das Geschäft bestens kennt. Doch die Jahre in der Fremde, für die Leitung eines Weltkonzerns eigentlich unabdingbar, fehlen ihm – er verbrachte praktisch seine ganze Karriere am Hauptsitz. Zudem ist die Swiss Re in einer für ihre Verhältnisse eher ungemütlichen Lage: Die Corona-Schäden reissen grosse Löcher, dazu kommen die Klimaverwüstungen, die den Kurs drücken. Die Swiss Re holt ihre Einnahmen bei den grossen Erstversicherern, die sich bei ihr gegen Hurrikane und andere Naturkatastrophen absichern – ein stark schwankendes Geschäft. «Bei der Entwicklung des Aktienkurses überwiegt weiterhin die Einschätzung des Geschäftsrisikos, das im Branchenvergleich aufgrund der wesentlichen Verankerung im Grossrisikogeschäft erhöht ist», nennt die ZKB als Argument gegen eine Kaufempfehlung. Da geht der Blick schon mal zu einem Rivalen, der von einem Ex-Swiss-Re-Mann geführt wird: Die Hannover Re ist unter Jean-Jacques Henchoz deutlich profitabler. Mit dem traditionellen Rivalen Münchener Rück vergleicht man sich da ohnehin weniger: Er betreibt auch Erstversicherung, was im Krisenjahr zwar hilfreich war, aber dann eben doch ein anderes Modell ist.
Längst sind die Versicherungen für ihre Aktionäre attraktiver als die Banken. Mit der Swiss Re ist Ermotti da, wo er mit der UBS hinwollte: Bei einem langweiligen Dividenden-Titel. Doch auch da ist durch Corona Sand im Getriebe. Die Eigenkapitalrendite war die letzten Jahre einstellig, die Vorgabe Ermottis ist unmissverständlich: Zweistellig soll es schon im nächsten Jahr werden (siehe Grafik auf Seite 77).
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Ermotti erlebt da gerade seinen erwartbaren Kulturschock. Banker langweilen sich schnell in der Versicherungsbranche, und die Swiss Re ist als Rückversicherer ohne Kontakt mit den Erstkunden nochmals besonders entspannt. Der langjährige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann etwa nutzte den Selbstmord des Finanzchefs Pierre Wauthier für einen wenig glorreichen Abschied als Zurich-Präsident.
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Oswald Grübel liess als CS-Chef kaum Zweifel, dass sich die «Winterthur» für einen gestandenen Bankchef aus seiner Sicht nebenbei managen liesse. Wenn sich die Banker bei ihren Branchentreffen begrüssen, ist immer auch Rivalität im Spiel. Bei den Versicherungen dagegen haben sich noch immer alle eher lieb. «Das ist mehr Freundschaftsspiel als K.o.-Runde», sagt ein langjähriger Bankchef. Ob Ermotti da in seiner neuen Rolle als Coach wirklich inneres Feuer entfachen kann, muss sich erst zeigen. Andererseits: Der Job gibt ihm ein angenehmes Grundgerüst, wird mit 3,8 Millionen Franken apart entlöhnt – und lässt ihm Zeit für Hobbies.
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Für den Herrenschneider Zegna etwa. Den Börsengang hat er letzten Winter auf der Piste in St. Moritz eingefädelt. Das Ehepaar Ermotti ist mit Ermenegildo Zegna und seiner Frau, in Lugano wohnhaft, schon länger befreundet. Ein Börsengang war immer mal latent ein Thema. Jetzt spürte Ermotti, dass es ernst würde. Die Weichen dazu hatte er bereits über einen anderen Kontakt gestellt: Mit Andrea Bonomi, dem Lenker der führenden italienischen Private-Equity-Firma Investindustrial, war er auf die grosse Welle der SPACs aufgesprungen und hatte an der New Yorker Börse einen Börsenmantel kreiert – mit ihm als Chairman.
Anfang Januar spurten die drei Männer im Engadin den Deal vor, der im Juli bekannt gegeben wurde. Zegna soll noch in diesem Jahr mit einem Wert von 3,2 Milliarden Dollar in New York kotiert werden. Ermotti hat sich nicht nur einen Anteil gesichert, sondern tritt in herausgehobener Stellung in den Verwaltungrat ein – als wichtigster Berater des Patrons Gildo Zegna. Da lässt man die Grossbanken-Welt gern hinter sich.
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