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Der Schweizer reanimiert die ermüdete deutsche Bekleidungsikone. Nach einigen Kulturschocks zum Start geht es nun erstaunlich schnell aufwärts.
Dirk Ruschmann
AUF DER KOMMANDOBRÜCKE Daniel Grieder im oberen Stock der Konzernzentrale von Hugo Boss in Metzingen. Sein Büro liegt nur wenige Schritte entfernt.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Es war der 8. Juni 2021, als ein Schweizer dem deutschen Bekleidungskonzern Hugo Boss einen kräftigen Stromstoss verpasste. Daniel Grieder, als CEO erst wenige Tage im Amt, stellte sich am Konzernsitz Metzingen den Mitarbeitern vor: Mehr als 1000 versammelten sich nach dem Lunch, trotz Corona-Abstandsbestuhlung und Maskenpflicht. Die anderen Standorte, Boss beschäftigt weltweit 15'000 Menschen, waren per Livestream zugeschaltet.
Grieder präsentierte in groben Zügen seinen Strategieplan «Claim 5». Dann wandte er sich ans Publikum: «Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wollt ihr mich erst mal genauer kennenlernen, dann sagt ihr irgendwann, okay, so verkehrt ist der ja nicht, und wir legen zusammen los – dann verlieren wir aber ein Jahr. Oder ihr sagt, okay, wir glauben an ihn und seine Ideen, und legen los und schenken uns gegenseitig Vertrauen – dann können wir morgen anfangen».
Und er versprach, im letzteren Fall mache er selber genau das Gleiche: «Ich bringe nicht mein eigenes Team mit, sondern starte dieses Projekt hier zusammen mit euch.»
Die Hugo Boss AG, das war allen Angestellten bewusst, stand an einem Scheideweg. Eine falsche Strategie, die als Ziel den Aufstieg ins Luxussegment verfolgte, war gescheitert und hatte Krater in der Kasse hinterlassen. Und der klassische Herrenanzug, für den Boss steht wie keine zweite Marke, hatte in den Zeiten von Covid und Homeoffice fast so viel Bedeutung verloren wie die Krawatte. Grieders Pläne, der Marke wieder Feuer einzuhauchen, sie ins Zeitalter von Casual Lifestyle überzuführen, sollen die Truppe regelrecht elektrisiert haben: «So offen und direkt hatte noch kein Chef mit uns kommuniziert», erinnert sich eine Mitarbeiterin. «Allen war klar: Da wird etwas Grosses passieren.»
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PRODUKTION AM STANDORT Hochwertige Linien produziert Boss in Metzingen. Grieder betont das Label «Made in Germany» wieder stärker.
Paolo Dutto für BILANZNEUE ANZÜGE In den Anzügen findet sich bereits das neue Logo aus Blockschrift.
Paolo Dutto für BILANZGIGANTISCH Das Stofflager in der Produktionsstätte ist riesig.
Paolo Dutto für BILANZDer nächste Kulturschock für staatlich geprüfte Bekleidungsverwalter, wie ein Modehändler die alte Boss-Truppe gern bespöttelt, folgte auf dem Fuss. Bei Boss war man selbstverständlich per «Sie» mit den Bossen – bisher. «Ich habe gesagt, ich bin der Daniel, ich spreche jeden mit Vornamen an. Ob ihr mich Sie Daniel oder Du Daniel ansprecht, ist egal, aber ich sage jedem: Du.» Raunen in der Menge, «nach einer Woche war das Thema erledigt». Seit Grieder gibt es einen Apéro alle 14 Tage im Foyer oder in der Kantine, und seit Grieder ist Englisch bei Boss Amtssprache.
Ein Jahr lang hatte Daniel Grieder damals schon an «Claim 5» gedrechselt, hatte Modeverkäufern und Grosskunden den Puls gefühlt – er konnte offen agieren, seit Boss am 4. Juni 2020 ad hoc gemeldet hatte, man sei mit Grieder «in laufenden Gesprächen». Am nächsten Morgen schoss die Boss-Aktie um sieben Prozent in die Höhe, doch ein Konkurrenzverbot zwang Grieder in eine zwölfmonatige Warteschlaufe. Er nutzte die Zeit, beriet sich auch mit Wegbegleitern, die neue Strategie erarbeitete er aber allein. Schliesslich kannte er Hugo Boss längst bis in die Tiefen: Immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten hatte er den Konzern durchanalysiert, «Produkt, Sponsoring, Kampagnen, Vertrieb – Hugo Boss war in jeder Hinsicht eine Vorzeigefirma», erinnert sich Grieder.
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Dass er den Konzern jetzt umkrempeln darf, da Markenreputation und Verkäufe an Tiefpunkten angelangt waren, dürfte für ihn auch die Erfüllung eines leisen Lebenstraums bedeuten – wie für einen Profifussballer, den im Spätsommer seiner Karriere endlich ein Anruf von Real Madrid erreicht.
Daniel Grieder (61) wurde in Washington, D.C., geboren, als eines von vier Kindern. Vater Heinrich Grieder, Topmanager bei Konzernen wie Georg Fischer, Rivella oder Kühne+Nagel, war beruflich viel im Ausland. Der Vater brachte ihm bei, «hart zu arbeiten» und «wo ein Wille ist, ist auch ein Weg». So erinnert sich der ältere Bruder Calvin Grieder in einer seiner raren Äusserungen an die gemeinsame Kindheit in Schaffhausen; Calvin, der selbst eine glänzende Karriere vorweisen kann und als Präsident der Industrieikone Bühler Uzwil sowie der SMI-Konzerne SGS und Givaudan das Krönchen als höchstdekorierter Profi-VR der Schweiz verdient. Der junge Daniel bildete sich nach der Schule an der HWV Zürich zum Kaufmann weiter, hatte unterdessen bereits einen Glace-Stand betrieben, Seife und Lederwaren importiert und mit Autos gehandelt. Doch Mode, das hatte ihn schon immer gereizt.
BOSS-BOSS Seit Grieder sagt man «du» beim Boss. Seit Grieder spricht man Englisch – und man feiert Apéro.
Paolo Dutto für BILANZBOSS-BOSS Seit Grieder sagt man «du» beim Boss. Seit Grieder spricht man Englisch – und man feiert Apéro.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
1994 gründete er mit Thomas Rieffel die Agentur Madison Clothing. Die beiden hatten sich bei einem Abendessen kennengelernt, zunächst aber keine Begeisterung füreinander entwickelt – bis sie sich kurz danach an der Zürcher Bahnhofstrasse in die Arme liefen und schlecht ausweichen konnten. Aus dem gemeinsamen Bier wurden noch am selben Abend einige mehr, bis heute sind sie beste Freunde. Madison vertrieb unter anderem die aufstrebende Marke Pepe Jeans, die angesagten Stone Island oder C.P. Company. Pepe gehörte seit 1995 dem Kanadier Lawrence Stroll und dem Hongkong-Chinesen Silas Chou sowie Tommy Hilfiger, an dessen Marke die beiden Milliardäre die Mehrheit übernommen hatten – jene Marke, die Grieder einst mit seinen Eltern bei Bloomingdale’s in New York gesehen hatte und «unbedingt» nach Europa holen wollte. Und wenn er sich auf ein Ziel fokussiert hat, «verfolgt er es unbeirrt, bis er es erreicht hat», sagt Rieffel. Es klappte, 1997 avancierte Madison zum Vertriebspartner im Alpenraum.
«Wir haben gemeinsam viele Nächte durchgearbeitet», erinnert sich Rieffel, «zusammen mit den Mitarbeitern bei Umzügen diverse Keller ausgeräumt.» Grieder sei sich für keine Arbeit zu schade gewesen. Madison wuchs schnell auf sechs Verkaufsstellen und 80 Mitarbeiter, ein veritables KMU. Die beiden ergänzten sich gut. «Ich war Marge», sagt Rieffel mit einem Grinsen, «und er war Umsatz.»
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Als Unternehmer lernt Daniel Grieder, Menschen zu führen, für eine Sache zu begeistern; «er ist ein hervorragender Motivator», urteilt Rieffel. Grieder selbst sagt immer gern, es gehe letztlich um Enthusiasmus für den Job, darum, die Marken zu verstehen – im Lauf der Zeit kämen lediglich ein paar Nullen vor dem Komma hinzu.
GRIEDER ist ein geborener Motivator.
Paolo Dutto für BILANZGRIEDER ist ein geborener Motivator.
Paolo Dutto für BILANZFred Gehring, Europa-Statthalter von Hilfiger, Chou und Stroll, lockte Daniel Grieder 2004 nach Amsterdam zu Tommy Hilfiger ins Management, 2006 stieg er in den Vorstand auf. Madison gehörte ihm weiterhin hälftig. Rieffel führte die Firma allein weiter, bis beide Madison Anfang 2020, rechtzeitig vor der ersten Covid-Welle, an die von ihnen vertriebenen Brands verkauften; Rieffel hat mit seinen anderen Beteiligungen oder Immobilienprojekten auch sonst ausreichend zu tun.
Bei Hilfiger wurde Oliver Timm, den er schon als Vertriebspartner kennengelernt hatte, sein engster Mitstreiter, «wir haben vor 22 Jahren in Europa praktisch mit null Umsatz angefangen», erinnert sich Timm – er ist der Einzige, den Grieder aus seiner Hilfiger-Truppe zu Boss mitgenommen hat. Fred Gehring liess den Machertyp Grieder machen. Hilfiger war damals in Europa kaum existent und im Heimmarkt USA in Siechtum verfallen. Gehring und Getreue holten sich den Beteiligungsinvestor Apax an die Seite und bauten die Firma in Amsterdam neu auf. 2010 wurde sie vom US-Bekleidungsmulti Phillips-Van Heusen (PVH) geschluckt, wo bereits die Marke Calvin Klein residiert.
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Grieder stieg 2014 zum weltweiten Tommy-Hilfiger-Chef auf, kurz davor bereits zum Europa-Statthalter für PVH. Hilfiger befand sich da längst auf der Erfolgsspur. Den Brand hat Grieder in seiner Zeit aufgefrischt und mit Markenbotschaftern wie Formel-1-Star Lewis Hamilton veredelt, in Produktqualität und Lifestyle-Positionierung investiert und mit seiner Version der Digitalisierung die Branche neu erfunden: Handelspartner bestellen neue Ware auf hochaufgelösten Screens, statt für jeden Showroom komplette Musterkollektionen nähen zu müssen. Grieder sparte damit pro Kollektion eine zweistellige Millionensumme.
OLIVER TIMM ist Verkaufschef. Ihm und Grieder schreiben Händler die neuen Erfolge zu.
PDMARCO FALCIONI ist Designer. Ersetzt Kreativchef Ingo Wilts, sitzt aber nicht im Vorstand.
PDNicht alles gelang ihm bei Hilfiger, aber das allermeiste. Ausgerechnet der Angriff im Anzugwesen auf Boss misslang. Mit Inhouse-Produktion sollte die Submarke Hilfiger Tailored die Metzinger in höheren Preissphären das Fürchten lehren. Doch kurz nach Grieders Abgang verkündete Hilfiger, dass Tailored künftig bei Italiens Edelschneider Lardini fertigen lasse. Viel mehr lässt sich nicht an Verunglücktem finden. Grieder hat in seiner Zeit den Markenumsatz von bodennah bis auf nahezu fünf Milliarden Euro getrieben. Diese Marke nimmt er jetzt auch als Ziel für die Lifestyle-Kleidung von Hugo Boss; da müsse doch mindestens dasselbe Potenzial bestehen.
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Einige Rezepte vom neuen Boss-Boss haben Wiedererkennungswert. Als er das Marketing durchleuchtete, blickten ihm eher klassische Werbegesichter entgegen, wie Chris Hemsworth («Thor») und Caro Daur, eine inhaltlich blasse Influencerin. Das war ihm nicht spektakulär genug. Der neue Ansatz bekam den internen Spitznamen «Holy-Shit-Campaign»: Kunden und Konkurrenten sollen denken, «holy shit, wen Boss da für sich werben lässt». Grieder selber formuliert etwas züchtiger: «Was wir wollten, war ein Wow-Effekt – und ich glaube, das haben wir geschafft.»
Und so stehen für die erwachsene Linie «BOSS» nun die Supermodels Hailey Bieber und Kendall Jenner, Rapper Future oder Boxer Anthony Joshua, vermarktet wird vor allem über Instagram. «Hugo» rangiert preislich darunter, steht für Streetwear und «den ersten Anzug nach Abschluss des Studiums». Dafür werben Tänzerin-Model Maddie Ziegler oder Rapper Big Matthew, das Publikum wird auf TikTok gesucht. Zudem lancierte Grieder eine Kooperation mit der US-Sportmarke Russell Athletic. Bei der Lancierung in Mailand vor gut einem Jahr liefen die Supermodels Gigi Hadid (die Grieder schon bei Hilfiger engagiert hatte) und Irina Shayk über den Catwalk, zudem der mit über 150 Millionen Followern zweiterfolgreichste TikToker überhaupt, Khaby Lame.
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KENDALL JENNER Hat auf Instagram 266 Millionen Follower. Eins der gefragtesten Models weltweit.
PDGIGI HADID War für Grieder schon in seiner Hilfiger-Zeit aktiv. Hat gut 76 Millionen Follower auf Instagram.
PDKHABY LAME TikTok-Influencer mit 150 Millionen Followern. Auch Markenbotschafter.
PDFUTURE Der Rapper hat sechs Kinder mit sechs Frauen. Aber auch Nummer-1-Alben.
Getty ImagesDie Zugriffszahlen bei Social Media geben Grieder recht, und das neue «Signature Piece», der schwarze Hoodie mit weissem Logo-Schriftzug, avancierte zum bestverkauften Boss-Kleidungsstück aller Zeiten. Lame, inzwischen Markenbotschafter, führt den Metzingern ganz neue Kundengruppen zu.
Der «Brand Rebrush» bildet den sichtbaren Mittelpunkt von Grieders Erweckungsaktion. «Hugo Boss» fungiert nun als Plattform und Konzernname, «Boss» richtet sich an Millennials, also jene zwischen 25 und 40, «Hugo» an die «Generation Z», die unter 25-Jährigen. Die von seinem Vorgänger Mark Langer eingestellten Untermarken Green und Orange reaktivierte Grieder, sie treten nun wieder gegen Konkurrenten wie Lacoste, Hilfiger, Replay oder Stone Island an.
Ausserdem hat Boss mit dieser Breite im Auftritt, insbesondere mit der nun schärfer von der Hauptlinie abgegrenzten Hugo, die Chance auf mehrere Flächen im Handel. In grossen Häusern stand bisweilen Hugo direkt neben Boss, «und keiner wurde so richtig schlau, worin die sich denn nun unterscheiden», sagt ein Modehändler. Das Selbstverständnis von Hugo Boss insgesamt punkto Positionierung, sagt Grieder, sei heute «ein 24/7-Lifestyle-Brand». Man könne jetzt «von Montag bis Sonntag, im Büro, beim Sport und in der Freizeit, unsere Kleidung tragen», und zwar Mann wie Frau; die Frauenlinie, sie steht für etwa ein Zehntel des Geschäfts, wurde punkto Preisniveau und Modegrad ans Herrensortiment angeglichen. Damit die Produktqualität Schritt halten kann mit dem Marketing, das Grieder mit rund 200 Millionen Euro auf sieben bis acht Prozent der Umsätze hochgefahren hat, investiert er viel in Stoffe und Verarbeitung der Kleidung, auch wenn Analysten lieber höhere Margen sähen. Aber «bei Mode gilt wie bei Autos: Am Ende zählt das Produkt.»
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Und das Produkt gefällt den Kunden. Die Quartalsumsätze ziehen rapide an, «die Kollektionen sind besser geworden, damit können wir höhere Stückzahlen verkaufen», sagt ein Händler. Boss setzt heute neben Formalkleidung auf Chinos und Jacken, Hugo verkauft nicht mehr vorrangig weisse Slim-Fit-Hemden, sondern Sweatshirts, T-Shirts und moderne Hosen, im Markenumfeld zwischen Tiger, Drykorn und Cinque. Grieder und Timm, so der Händler, «hören uns zu, fragen, was wir brauchen und wollen», und richten daran Kollektionen aus. So etwas habe man von Boss nicht gekannt; zuvor durfte man wenig mehr als anreisen und bestellen. Auch in Metzingen hat Grieder den Showroom digitalisiert. Für kleinere Kunden gibt es Sitzungstische, aus denen ein Screen hochfährt, für grosse Kunden und Präsentationen steht mitten im Raum ein Glaskasten mit gigantischer Bildschirmwand. An diesen Screens, die auch Imagefilme und Informationen bereithalten, kann bestellt werden. Die Zahl der Musterteile fährt Grieder auf ein Fünftel herunter. «Waste» will er vermeiden. Auch ein Boss braucht eine Nachhaltigkeitsstrategie.
SHOWROOM DER NEUZEIT Erklärfilme, Strategie, Bestellungen: der Riesenscreen im Sitzungsraum, der wiederum mitten im Showroom steht.
Paolo Dutto für BILANZSHOWROOM DER NEUZEIT Erklärfilme, Strategie, Bestellungen: der Riesenscreen im Sitzungsraum, der wiederum mitten im Showroom steht.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Das gilt auch für die eigentliche Boss-Ikone, den klassischen Anzug. In den Geschäften hängt bereits der «Performance Suit», von dem auch Grieder ein Sondermodell trägt. «Damit kannst du dich in den Regen stellen, das knittert nicht, ist superleicht und trägt sich unheimlich bequem», weil dehnbar. Für die darin verarbeiteten Polyester-Kunststoffe entwickelt Boss bereits eine Alternative auf Naturbasis. Bald soll eine erste Versuchskollektion kommen.
Neue Zeiten, gute Zahlen. 2020 war der Umsatz unter zwei Milliarden Euro gestürzt, 2021 erholte sich das Geschäft besser als erwartet, Boss zählte knapp 2,8 Milliarden. Für 2022 erwarten Investoren etwa 3,6 Milliarden und eine Vorsteuer-Gewinnmarge um die neun Prozent – damit würde sich die Rendite allmählich wieder in Richtung Zweistelligkeit bewegen, wo sie früher ihren festen Platz hatte. Früher, das war die Zeit von CEOs namens Peter Littmann, Werner Baldessarini oder Bruno Sälzer, drei höchst unterschiedliche Typen, aber alle drei Charismatiker mit Faible für die Marke und Spürsinn für den Markt.
Den Niedergang läutete der Einstieg der Private-Equity-Firma Permira ein. Nach wenigen Monaten Umzingelung durch die «Heuschrecken» warf Sälzer hin, und Permira liess den neuen CEO Claus-Dietrich Lahrs, der von Dior kam, die Marke aufplustern und Richtung Luxussegment hochtreiben, auch mehr teure eigene Stores einrichten.
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Boss gab damals «den Premium-Bereich kampflos ab», erinnert sich Grieder, der als Hilfiger-Chef von der Konkurrenzbefreiung profitierte. Permira cashte 2015 lukrativ aus, bevor bei Boss die Gewinnwarnungen aufpoppten. Lahrs warf seinen exquisit bezahlten Job hin, zumal das Salärniveau ohnehin von Private Equity Richtung KMU gewandert wäre. Zum Nachfolger wurde CFO Mark Langer befördert, der die Luxusstrategie bald für gescheitert erklärte und einige Jahre wenig mehr als den Mangel verwaltete.
Langer wurde es nur, weil Grieder abgesagt hatte; schon damals wollten ihn die Schwaben holen. Doch beim zweiten Mal lockten die Grossaktionäre mit einem reizvollen Paket. Vor allem die italienische Marzotto-Familie, eine Textildynastie, die bereits vor Permira bei Boss an Bord war, dürfte die Ziele für Grieders Fünfjahresvertrag definiert haben: Geschäft und Marke polieren und damit den Aktienkurs anheizen, weil die Marzottos ihre nach der Permira-Zeit erlittenen Verluste wettmachen wollen.
Ein Konstrukt aus Fixum, Short- und Long-Term Incentives kann Grieder im Erfolgsfall, der angeblich bei einem Aktienkurs von rund 100 Euro liegt, eine Gesamtsumme von 80 Millionen Euro über fünf Jahre einbringen. Zusätzlich hat er zum Einstieg selber investiert «und auch später weiter Aktien zugekauft – alles, was er an Investitionsmitteln habe, stecke jetzt in Hugo Boss. Denn Teil des Pakets ist auch, dass er seine Pläne ohne Störgeräusche umsetzen kann; seit seine Strategie abgenickt wurde, kann er schalten und walten, fast wie ein Unternehmer.
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Ein perfekter Match, sagt sein langjähriger Freund Thomas Ramseier, Inhaber der Zürcher Markenberatung Brandpulse: Grieder sei «eigentlich der Antipode eines typischen Managers», er habe sich seinen unternehmerischen Drive «nie von der Corporate World abschleifen lassen». Ramseiers Agentur hat geholfen, ein neues Logo für die Kernmarke Boss zu entwickeln, fünf Jahrzehnte lang war es unverändert geblieben, hatte ordentlich Staub angesetzt; es sollte wieder «bold» im Auftritt werden, sagt Ramseier, «Relevanz bei Jüngeren zurückgewinnen». Den Auftrag, darauf legt Ramseier Wert, musste sich Brandpulse im offiziellen Pitch gegen diverse Konkurrenten erkämpfen. Dass die Operation gelungen ist, attestiert der deutsche Designprofessor Paolo Tumminelli. Social Media verlangten heute klare Bildmarken ohne verspielte Serifen; die Anpassungen bei Saint Laurent oder Balenciaga gelten als Vorbilder. Boss sei zwar eher spät dran – doch immerhin auf dem Weg. Die Investmentbank Baader Helvea sekundiert: Boss habe inzwischen eine «strongly improved brand perception», vor allem bei Casual-Kleidung und jüngeren Kunden. Zur Belohnung hat sie Ende November das Kursziel der Aktie von 44 auf 56 Euro hochgestuft.
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Der zweite Grossaktionär, die Fraser Group, ist zugleich als Bekleidungshändler grösster Boss-Kunde auf den Britischen Inseln. Fraser hält nur einige Prozent der Aktien, dafür ein grosses Paket an Optionen und soll den Stake vor allem als Finanzinvestment sehen. Sitze im Aufsichtsrat, wo die Marzottos zwei besetzen, oder gar eine Übernahme, wie bisweilen spekuliert wird, scheint Fraser nicht anzustreben – zumindest nimmt man das in Metzingen so wahr. Auch den Briten dürfte also sehr gefallen, dass die Aktie läuft und Boss unter Grieder schon zwei Mal die eigenen Prognosen erhöht hat.
Irritieren lasse er sich von all den hochfliegenden Erwartungen nicht. «Wir stehen zu dem, was wir sagen, und ziehen das konsequent durch», sagt Grieder. Ein Wegbegleiter sagt schlicht: Der macht sein Ding. Arbeiten wie ein Unternehmer wie seinerzeit bei Madison, «das ist meiner Meinung nach die beste Schule», sagt Grieder. Und Sport: Er fährt Ski, Velo, «und wenn die Knie mitmachen, Tennis oder Padel». Für ihn sind Sportler die besseren Manager, die «gehen die Extra-Meile, sind sehr diszipliniert und haben mehr Energie». Thomas Ramseier hat ihn mehrfach in Metzingen besucht, «dann gehts morgens um halb sieben zum Joggen», seufzt er. Beim Sport zeige sich Grieders «unglaublicher Wille», sagt Thomas Rieffel: «Er lief mehrere Marathons, ist aber eigentlich gar kein Jogger-Typ.» Ein anderer Wegbegleiter beschreibt, wie bei Grieder unablässig die Gedanken ums Business kreisen, «ständig hat er noch eine Idee und noch eine, wie er an dieser oder jener Ecke optimieren könnte».
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GRIEDER MACHT SEIN DING und lässt das Boss-Gebäude mit Werten und Tugenden beschriften.
Paolo Dutto für BILANZGRIEDER MACHT SEIN DING und lässt das Boss-Gebäude mit Werten und Tugenden beschriften.
Paolo Dutto für BILANZTom, Tom und Tommy – Ramseier, Rieffel und Hilfiger, das waren seine drei Trauzeugen bei der Hochzeit mit seiner zweiten Frau Louise Camuto im Spätsommer. Mit der Unternehmerin und früheren Miss Skandinavien hatte ihn Hilfiger, man muss sagen: verkuppelt. Der Modezar hatte ein Blind Date für die beiden in der New Yorker «Polo Bar» arrangiert. Da sie in der Schweiz nichts Passendes für die Trauung mehr finden konnten, wichen sie an den Gardasee aus – und weil Camuto die drei Tage «wunderbar organisiert hat», blieb den beiden auch genügend Zeit, ihre eigene Feier «voll zu geniessen».
Rieffel und Ramseier gehören zu einem engen Freundeskreis, der seit rund 30 Jahren besteht – eine Männertruppe, acht, neun Leute sollen es sein, über deren Zusammensetzung alle Beteiligen schweigen wie ein Grab. Neben Grieder, Ramseier und Rieffel dürften auch Daniel Kaczynski, Chef der Agenturen Forward und Swisscontent, sowie der Vermögensverwalter Peter Silberschmidt dabei sein, weitere Mitglieder unbekannt; Urs Rohner, Ex-Präsident der Credit Suisse, wurde zumindest einmal im Kreis der Gruppe gesichtet.
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Was man weiss: Zu Anfang der Saison treffen sich alle auf der Skipiste, dort «stecken wir meist einen Riesenslalom-Kurs aus und installieren eine Zeitnahme», so Rieffel. Es gehe schon «recht kompetitiv zur Sache», sagt Ramseier – zumal alle «sehr gute und ehrgeizige Skifahrer» seien. Offenbar haben mehrere reelle Chancen, die Rennen zu gewinnen. Ihre WhatsApp-Gruppe haben sie nach Grieders neuem Job in «Boss-Buebe» umgetauft. Seit Boss wieder die spektakulären Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel sponsert, muss die Truppe natürlich vor Ort, auch gastronomisch, nach dem Rechten sehen.
Was alle betonen, die Grieder kennen: seine Bodenständigkeit. Frühere Madison-Mitarbeiter oder Näherinnen in der Boss-Produktion behandle er genauso wie Manager-Kollegen, er stehe zu seinen Freunden aus den Zeiten vor der grossen Karriere, verhalte sich als CEO genauso nahbar und dünkelfrei wie als Privatmann. Und wenn er mal mit einem allzu extrovertierten neuen Auto kokettiert, bremst ihn seine Männertruppe wieder ein.
SHOPPEN AUF DEM CAMPUS Das helle Holz im Showroom steht für die Edellinie «Camel».
Paolo Dutto für BILANZSHOPPEN AUF DEM CAMPUS Das helle Holz im Showroom steht für die Edellinie «Camel».
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In Metzingen ist Grieder auch räumlich angekommen: Er hat sich vor Ort ein Haus gekauft. Morgens um sechs steht er auf, trainiert eine Runde an der Rudermaschine, arbeitet erste Mails ab, kommt dann vielleicht gegen acht im Industriegebiet an, wo die Boss-Glaskuben etwas unwirklich zwischen Gewerbebauten thronen. Aus seinem Büro blickt er immerhin auf die Hügelspitzen der Schwäbischen Alb; diese Aussicht sei gar nicht so anders als in der Schweiz.
Sein schwarzer Mercedes-Sportwagen dürfte aus der vor-bossianischen Zeit stammen, als er mit Hilfiger zum Sponsor des Formel-1-Rennstalls mit Stern avancierte. Damals soll ihm einer bedeutet haben, es wäre ganz schön, wenn er selber Sternträger fahren würde. Das Haus an der Zürcher Silberküste hat er verkauft, baut derzeit neu in Brissago im Tessin. Auch dorthin kann man übers Wochenende von Metzingen mit dem Auto pendeln. Oder eine Dienstreise am Flughafen Mailand-Malpensa enden lassen.
Wenn sein Vertrag nach fünf Jahren ausläuft, wird Daniel Grieder das Pensionsalter erreicht haben. Grundsätzlich könnte er sich vorstellen, länger zu bleiben; das öffentlich ausgerufene Ziel, vier Milliarden Euro Umsatz 2025, könnte Hugo Boss durchaus 2023 schon erreichen – und das Potenzial sei damit «längst nicht ausgereizt», betont Grieder. Eben, allein mit Casual-Kleidung sollten mittelfristig mindestens fünf Milliarden Euro an Verkäufen drinliegen.
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Er könne sich noch viel mehr vorstellen, sagt Grieder, wohlgemerkt «auch ohne M&A-Aktivitäten». Denn Hugo Boss hat sich auf die Suche nach attraktiven Bräuten begeben. Spruchreif sei derzeit nichts, aber: Die Investoren haben eine neue Story. Definitiv haucht der Schweizer Daniel Grieder frische Fantasie in die verstaubten Anzüge von der Schwäbischen Alb.
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