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Hintergründe

Wie Chinas Regierung ein Börsenfeuerwerk entfacht

Mit einem Stimulus-Cocktail wird die zweitgrösste Volkswirtschaft reanimiert. ­Investoren setzen auf ein Happy End. Zu Recht?

Erich Gerbl

über­alterung400 Millionen Chinesen werden 2035 älter als 60-jährig sein. ­Experten warnen vor einem Kollaps des Rentensystems. Die Demografie ist nur eines von vielen Problemen.

Überalterung: 400 Millionen Chinesen werden 2035 älter als 60-jährig sein. Experten warnen vor einem Kollaps des Rentensystems. Die Demografie ist nur eines von vielen Problemen.

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Die Ruhe war bei Guotai Junan Securities mit einem Schlag vorbei. Hatte sich jahrelang kaum jemand für chinesische Aktien interessiert, wurde Chinas grösster Aktienbroker in der letzten Septemberwoche überrannt. Weil die Website unter den vielen Anfragen zusammenbrach, wichen selbst junge Chinesen erstmals auf physische Filialen aus. Um möglichst viele Tradingkonten zu eröffnen, beorderte Guotai Junan Mitarbeitende aus den Ferien zurück, führte Sonderschichten ein und besetzte die Schalter sogar in der arbeitsfreien «Goldenen Woche».

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Nach drei Jahren Kursverfall eben noch in einer lähmenden Depression, brach unter chinesischen Anlegern Gier aus. Fear of missing out, die Angst, die grosse Erholung an der chinesischen Börse zu verpassen, verbreitete sich mit jedem Prozent, um das die Kurse in Hongkong und an den Festlandbörsen Shenzhen und Shanghai in die Höhe schossen – und es waren viele.

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HeissebörseBinnen weniger Tage wechselte die chinesische Börse vom Bären- in den Bullenmarkt. Internationale Investoren haben sich schon oft die Finger verbrannt und bleiben skeptisch.

Heisse Börse: Binnen weniger Tage wechselte die chinesische Börse vom Bären- in den Bullenmarkt. Internationale Investoren haben sich schon oft die Finger verbrannt und bleiben skeptisch.

Imaginechina via AFP
HeissebörseBinnen weniger Tage wechselte die chinesische Börse vom Bären- in den Bullenmarkt. Internationale Investoren haben sich schon oft die Finger verbrannt und bleiben skeptisch.

Heisse Börse: Binnen weniger Tage wechselte die chinesische Börse vom Bären- in den Bullenmarkt. Internationale Investoren haben sich schon oft die Finger verbrannt und bleiben skeptisch.

Imaginechina via AFP

Den Sturm auf das chinesische Börsenparkett hatte die chinesische Regierung mit einem Stakkato an Stimulus-Massnahmen ausgelöst. Der Chef von Chinas Zentralbank (PBOC), Pan Gongsheng, drehte den Geldhahn mit beiden Händen auf. Die Massnahmen gehen weit über eine einfache Zinssenkung hinaus. Mindestanforderungen für Banken wurden reduziert, die Vergaberegeln für Hypotheken angepasst und zwei neue Instrumente zur Ankurbelung des Kapitalmarktes via Aktienrückkäufe und Direktinvestitionen aufgelegt. Versprechen, bei Bedarf noch nachzulegen, wurden ausgesprochen.

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«Es hatte etwas von einem ‹Whatever it takes›», sagt Xavier Hovasse, Head of Emerging Equities beim Geldverwalter Carmignac. Staatspräsident Xi Jinping persönlich leitete ein Treffen des Politbüros, das sich mit der mauen Wirtschaftslage und der Immobilienkrise beschäftigte.

immobiliencrashDie Krise auf dem Immobilienmarkt ist Chinas zentrales Problem. Der Grossteil der Vermögen ist in Wohnungen investiert. Findet der Markt wieder ein Gleichgewicht, ist Hoffnung angebracht.

Immobiliencrash: Die Krise auf dem Immobilienmarkt ist Chinas zentrales Problem. Der Grossteil der Vermögen ist in Wohnungen investiert. Findet der Markt wieder ein Gleichgewicht, ist Hoffnung angebracht.

Keystone
immobiliencrashDie Krise auf dem Immobilienmarkt ist Chinas zentrales Problem. Der Grossteil der Vermögen ist in Wohnungen investiert. Findet der Markt wieder ein Gleichgewicht, ist Hoffnung angebracht.

Immobiliencrash: Die Krise auf dem Immobilienmarkt ist Chinas zentrales Problem. Der Grossteil der Vermögen ist in Wohnungen investiert. Findet der Markt wieder ein Gleichgewicht, ist Hoffnung angebracht.

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«Ich weiss, es ist eine gefährliche Aussage, aber dieses Mal ist es anders. Die Körpersprache ist neu», sagt Nicholas Yeo, Head of China / Hong Kong Equities Team des Vermögensverwalters Abrdn. Seit 2022 gab es immer wieder Versuche, die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt mit einzelnen Stimulus-Massnahmen aus der Lethargie zu befreien. Doch dieser Rettungseinsatz war anders – genau geplant und bestens koordiniert.

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Die Stimulus-Massnahmen wurden schrittweise über mehrere Tage kommuniziert. Wie bei einer Rakete hat man so immer neue Stufen gezündet. Der Schub, den Hongkongs Hang Seng Index erhielt, geht als einer der grössten in die Börsengeschichte ein.

Startschuss aus den USA

Der Startschuss kam wenige Tage zuvor aus den USA. Am 18. September senkte US-Notenbank-Chef Jerome Powell erstmals seit mehr als vier Jahren die Zinsen. «In China hat sich dadurch ein Fenster für eine aggressivere geldpolitische Lockerung geöffnet. China ist nicht bereit, den Yuan abzuschwächen, das hat oberste Priorität», sagt Nicholas Yeo.

Im Normalfall wird die Bazooka von Notenbanken bei bedrohlichen Schieflagen gezückt. Aus allen Rohren feuerten die Notenbanken etwa in der Pandemie oder 2009, als das Finanzsystem am Abgrund stand. Chinas offizielles Problem klingt weniger dramatisch: Das fünfprozentige Wachstumsziel wackle. Doch in Wahrheit sind Chinas Probleme wohl grösser.

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«Ich glaube den chinesischen Zahlen keine Sekunde», sagt Hovasse. Er kauft die Zahlen von Beratungsfirmen ein, die selber kalkulieren. Die Anbieter kommen nicht einmal in die Nähe von fünf Prozent. Das BIP liege wohl irgendwo zwischen einem und zwei Prozent. Gleichzeitig stehe die Inflation an der Nulllinie oder sogar darunter. «Bei so tiefem Wachstum ist Deflation ein Killer. Das fehlende Vertrauen der Konsumenten ist das Hauptproblem», sagt Xavier Hovasse.

Um die Wirtschaft weiterzupushen, wird wohl bald fiskal stimuliert. Über ein Paket im Umfang von zwei bis drei Billionen Yuan wird spekuliert.

Die Handlungen der Zentralregierung gehen meist auf die Erhaltung des sozialen Friedens zurück. Friedlich bleibt es in China, solange der Wohlstand wächst. Die eigene Regierung nicht wählen zu können, wird unter dieser Prämisse akzeptiert. Durch den Verfall der Immobilienpreise ging der Wohlstand deutlich zurück. Mangels Alternativen sind 70 Prozent der Ersparnisse in Wohnungen investiert. Die Unsicherheit wird von den Problemen am Arbeitsmarkt noch verstärkt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei den 16- bis 24-Jährigen bei fast 19 Prozent. Weil Staatsbetriebe Löhne kürzten, müssen auch beschäftigte Chinesen den Gürtel enger schnallen. Kein Wunder, fiel das Vertrauen der Konsumenten im August auf den tiefsten Stand seit November 2022. Damit steigt selbst für eine allmächtige Zentralregieung der Druck. «Chinesen gehen schneller auf die Strasse, als man denkt. Das Bild des unterwürfigen Chinesen ist falsch», sagt Claus Born von Franklin Templeton. Die Ausschreitungen im Zuge der harten Covid-Politik liegen nur zwei Jahre zurück. «Die Sorge, dass die Menschen wieder auf die Strasse gehen, war nicht unbegründet. Mit dem Stimulus-Paket hat die Regierung einen Schlussstrich unter den Niedergang der Wirtschaft und des Staates gezogen», sagt Yeo.

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arbeits­losigkeit19  Prozent der jungen Chinesen sind ohne Job. Das fördert die Unzufriedenheit. Das Bild des ­unterwürfigen Chinesen ist falsch. Die Zentralregierung sorgt sich zu Recht vor Unruhen.

Arbeitslosigkeit: 19 Prozent der jungen Chinesen sind ohne Job. Das fördert die Unzufriedenheit. Das Bild des unterwürfigen Chinesen ist falsch. Die Zentralregierung sorgt sich zu Recht vor Unruhen.

AP
arbeits­losigkeit19  Prozent der jungen Chinesen sind ohne Job. Das fördert die Unzufriedenheit. Das Bild des ­unterwürfigen Chinesen ist falsch. Die Zentralregierung sorgt sich zu Recht vor Unruhen.

Arbeitslosigkeit: 19 Prozent der jungen Chinesen sind ohne Job. Das fördert die Unzufriedenheit. Das Bild des unterwürfigen Chinesen ist falsch. Die Zentralregierung sorgt sich zu Recht vor Unruhen.

AP

Investoren sind skeptisch

Die Kehrtwende am Aktienmarkt war mit einem Zuwachs von mehr als 30 Prozent in sechs Tagen extrem. Von jetzt auf gleich wechselte Chinas Börse in den Bullenmarkt. Nachdem die erste Euphorie verflogen ist und die Kurse auch wieder gefallen sind, fragen sich Anleger, wie lange die Hausse anhält.

«Der chinesische Markt ist am schwersten zu prognostizieren», weiss Xavier Hovasse. In spekulativeren Phasen koppelt sich der Markt mitunter von der Realwirtschaft ab. Unter den westlichen Investoren hat China ohnehin einen schweren Stand. «Die Investoren sind nach wie vor sehr skeptisch. Die Reopening-Pleite hat bei ihnen eine Narbe hinterlassen», sagt Yeo. Nachdem die Volksrepublik die rigorosen Massnahmen zur Covid-Bekämpfung gelockert hatte, legte der MSCI China Ende 2022 in wenigen Wochen 50 Prozent zu. Weil die in Freiheit entlassenen Chinesen anders als erhofft doch nicht mit Geld um sich warfen, brachen die Kurse aber wieder ein.

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Die aktuelle Erholung ging so schnell, dass sie die meisten Investoren verpasst haben. «Das leichte Geld ist gemacht», sagt Abrdn-Experte Yeo. Die Reparatur der Bewertung habe stattgefunden. War ein Privatanleger bei der Erholungsrally nicht investiert, ist das ärgerlich – für den Profi ist es ein Problem. Denn die Leistung eines Fondsmanagers orientiert sich an einem Index, und der war ständig investiert. China ist in Indizes prominent vertreten. Im MSCI EM Asia hat das Land mit 34 Prozent das grösste Gewicht. So wird vielen Fondsmanagern nichts anderes übrig bleiben, als ihre China-Wetten wieder zu erhöhen.

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Paul Jackson, Invescos Global Head of Asset Allocation Research, kann dem Treiben gelassen zusehen. Auf seiner Liste der zehn potenziellen Überraschungen für 2024 hatte der Brite eine Outperformance des chinesischen Aktienmarktes im Vergleich zum US-amerikanischen stehen. «Wir sind seit dem Frühjahr maximal allokiert». Besonders anziehend fand Jackson die Bewertung. Vor den Zuwächsen seien chinesische Aktien so günstig gewesen wie US-amerikanische Anfang 2009, als die gesamte Finanzindustrie am Abgrund stand. Der US-Leitindex S&P 500 lag damals bei 666 Punkten, heute sind es 5700. «Der chinesische Markt kann noch lange steigen, bevor er teuer wird», sagt Jackson.

An den Börsen bestimmen Narrative das Geschehen. Fallen die Kurse, werden die passenden negativen Geschichten dazu gesucht. Umgekehrt wird die Erzählung in steigenden Märkten zunehmend positiv. «Jetzt beginnt sich in China die Positivspirale zu drehen. Investoren bekommen Argumente, um wieder zurückzukehren», so Jackson.

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Richtig positiv würde die China-Story bei einem politischen Wandel. Unter Xi wurde China autoritärer, der individuelle Freiraum eingeschränkt. Wendet sich das Land wieder mehr dem Westen zu, wäre das für die Börsen ein Grund zum Feiern. «Verzichtet Xi auf die vierte Amtszeit, würde der Aktienmarkt wohl binnen weniger Tage um 50 Prozent zulegen», sagt Hovasse. Ähnlich positiv würde der Markt auch auf eine Kürzung des Militärbudgets und eine positive Wendung im Taiwan-Konflikt reagieren.

Vorsichtig optimistisch

Vorsichtige Anleger werden beobachten, inwieweit der Stimulus Chinas wirtschaftliche Probleme löst. «Verbessern sich die Fundamentaldaten, folgt neues Investorengeld. So bleibt die Rally am Laufen», sagt Hyomi Jie. Die Koreanerin managt von Singapur aus den mit 2,9 Milliarden Euro gefüllten Fidelity China Fund. Als die Stimulus-Massnahmen verkündet wurden, war sie auf einem Roadtrip in Qingdao, um Hersteller von Konsumgütern zu besuchen. Die Manager, die sie dort traf, blieben trotz des Stimulus auf dem Boden. «Der Tenor war eher: gut, aber sehen wir mal, wie sich die Dinge entwickeln.» Wie die Führungskräfte weiss auch Jie, dass sich die Massnahmen erst mit Verzögerung in den Unternehmenszahlen wiederfinden. In vergangenen Krisen dauerte es rund ein halbes Jahr. Einen Teil dieser Zuwächse nehmen die Börsen schon vorweg. Werden die Gewinnprognosen jetzt Schritt für Schritt nach oben gesetzt, könne das die Hausse verlängern.

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StrafzölleDie massiven Überkapazitäten werden zu ­unschlagbaren Preisen exportiert. Der Westen ­reagiert mit ­Strafzöllen. Um die Wachstumsziele dennoch zu erreichen, wird stimuliert.

Strafzölle: Die massiven Überkapazitäten werden zu unschlagbaren Preisen exportiert. Der Westen reagiert mit Strafzöllen. Um die Wachstumsziele dennoch zu erreichen, wird stimuliert.

Keystone
StrafzölleDie massiven Überkapazitäten werden zu ­unschlagbaren Preisen exportiert. Der Westen ­reagiert mit ­Strafzöllen. Um die Wachstumsziele dennoch zu erreichen, wird stimuliert.

Strafzölle: Die massiven Überkapazitäten werden zu unschlagbaren Preisen exportiert. Der Westen reagiert mit Strafzöllen. Um die Wachstumsziele dennoch zu erreichen, wird stimuliert.

Keystone

Einfach wird es trotz Stimulus nicht. «Chinas Wirtschaftsmotor kann man nicht mehr so einfach anwerfen», sagt Raiffeisen-CIO Matthias Geissbühler. Die Infrastruktur befindet sich auf hohem Niveau. Die Exportindustrie versucht, Überkapazitäten im Westen abzusetzen, und trifft dort auf immer mehr Widerstand. Ein Sieg von Donald Trump würde die Lage für Chinas Exporteure nicht vereinfachen. «Um potenzielle Rückgänge im Export auszugleichen, versucht China, den Konsum im Inland mit dem Stimulus anzutreiben», sagt Fidelity-Expertin Vanessa Chan. Das passt ins Konzept. Beruhte Chinas Wachstumsmodell früher auf massiven Investitionen und billigen Exporten, wird seit Jahren auf Konsum gesetzt.

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Der Export macht nur 10 bis 15 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, der Konsum 40 bis 45 Prozent. «Wächst der Konsum etwas, hilft das, Einbussen im Export auszugleichen und die Wachstumsraten auch bei Strafzöllen zu erreichen», sagt Vanessa Chan. Laut der Fondsmanagerin hat der Stimulus kurzfristig gewirkt. «Die Leute haben wieder mehr gelacht, die Restaurants waren wieder besser gebucht. Es wird sich zeigen, wie lange die gute Stimmung anhält.» Geld für den Konsum wäre genug vorhanden. Die Sparquote ist mit 45  Prozent des BIP grösser als in jeder anderen grossen Volkswirtschaft der Welt. Ende 2023 bunkerten Haushalte umgerechnet 19,13 Billionen Dollar. Bei jungen Chinesen ist Sparen ein neuer Trend. Statt Bildern der neusten Sneakers posten Teenager ihre Sammlung von Goldnuggets und Tipps, wie man sich für 20 Yuan am Tag ernährt.

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KäuferstreikChinesen bunkern die grössten ­Ersparnisse der Welt. Ausgegeben wird jedoch wenig. Sparen entwickelt sich zum Social-Media-Trend. Der Stimulus soll Kauflaune und Zuversicht verbreiten.

Käuferstreik: Chinesen bunkern die grössten Ersparnisse der Welt. Ausgegeben wird jedoch wenig. Sparen entwickelt sich zum Social-Media-Trend. Der Stimulus soll Kauflaune und Zuversicht verbreiten.

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KäuferstreikChinesen bunkern die grössten ­Ersparnisse der Welt. Ausgegeben wird jedoch wenig. Sparen entwickelt sich zum Social-Media-Trend. Der Stimulus soll Kauflaune und Zuversicht verbreiten.

Käuferstreik: Chinesen bunkern die grössten Ersparnisse der Welt. Ausgegeben wird jedoch wenig. Sparen entwickelt sich zum Social-Media-Trend. Der Stimulus soll Kauflaune und Zuversicht verbreiten.

Keystone

Verunsichert junge Chinesen die Arbeitslosigkeit, sind ältere wegen des unterfinanzierten Rentensystems besorgt. Bis 2035 werden 400 Millionen Chinesen älter als 60 Jahre sein. Die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften warnt, dass China im Laufe des nächsten Jahrzehnts das Geld für die Renten fehlen werde.

Schlechtes Vorbild Japan

«Demografisch steht China vor grossen Herausforderungen», sagt Matthias Geissbühler. Laut dem Raiffeisen-CIO befinde sich das Land derzeit zudem in einer «Bilanzrezession» nach japanischem Vorbild. In Japan platzte die Immoblase in den 1980er Jahren. Die Geschäftsbanken waren damit beschäftigt, ihre Bilanzen zu reparieren, und verliehen weniger Geld. Weil die Grundstückspreise einbrachen, waren die Verbindlichkeiten von Firmen plötzlich höher als ihre Vermögenswerte. Kein Umfeld, um gross zu investieren. Vom Immokollaps geschockt, schränken auch die Privathaushalte ihre Ausgaben ein. «So eine Phase kann sehr lange dauern. Ich bin deshalb für China skeptisch», so Geissbühler.

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Will das Land wieder auf die Beine kommen, hat die Stabilisierung des Immobilienmarktes oberste Priorität. «Der Immomarkt ist der Elefant im Raum», sagt Invesco-Experte Jackson. Wie das Problem gelöst werden muss, ist klar: Das Angebot wird eingeschränkt, die Nachfrage belebt. Doch die Exzesse waren gross, diese abzubauen, braucht Zeit. «Es wird dauern. Aber der Markt wird sein Gleichgewicht wieder finden. Es ist ein Geduldsspiel», sagt Vanessa Chan.

Dass selbst massive Krisen auf den Immobilienmärkten bewältigt werden können, hat sich im Westen schon mehrfach gezeigt. «In Irland gab es ganze Blocks für wenig Geld. Nach ein paar Jahren hat sich der Markt wieder erholt. Auch in China können sich die Dinge schneller zum Besseren wenden, als man denkt», sagt Jackson. Optimismus verbreiten Immoplattformen. Zumindest in den Tier-1-Städten wie Shanghai scheint sich der etwas weniger riskante Markt für bereits existierende Wohnimmobilien zu erholen. «Wie am Aktienmarkt glauben manche Investoren, der Boden sei erreicht, und kaufen ein», sagt der in Singapur stationierte UBS-Experte Hartmut Issel.

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Der westliche Investor setzt auf Aktien, Carmignac auf Small und Mid Caps wie etwa Vipshop. Laut Hovasse fiel dieses Unternehmen nicht zuletzt wegen seiner tiefen Bewertung auf. Bis vor Kurzem wurde die Aktie noch für den dreifachen Cashflow gehandelt. Konsumaktienexpertin Hyomi Jie gefällt Proya Cosmetics. Chinas führender Kosmetikhersteller nimmt Playern wie L’Oréal oder Estée Lauder Marktanteile ab. Laut Jie findet in China eine Polarisierung statt. So seien entweder besonders teure Luxus- oder aber Billigprodukte gefragt. PDD Holdings ist als E-Commerce-Plattform für Gruppenkäufe im Billigsegment aktiv und findet sich unter den grössten Übergewichten in ihrem Fonds.

Wenn auch alte Hochstände wohl über Jahre nicht erreichbar sind, schlummert in chinesischen Internetaktien Potenzial. «Dort erntet man jetzt die Früchte der Kostensenkungsmassnahmen», sagt Hartmut Issel. Die vergangenen Quartale überraschten positiv. «Kommen jetzt Umsatzzuwächse, werden Internetaktien für Investoren interessant», so Issel.

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Weil Richemont ein Drittel der Umsätze mit chinesischen Konsumenten macht, hat Jie die Aktie in ihren China-Fonds gelegt. Auch LVMH, Kering, Richemont, Burberry oder Hermès sind stark auf die Verkäufe an Chinesen angewiesen.

Noch ausgeprägter ist das China-Exposure in der Rohstoffindustrie. Rio Tinto, BHP und Vale machen mehr als 60 Prozent ihrer Umsätze in der Volksrepublik. Die Rohstoffe werden nicht zuletzt für die Energiewende verbraucht. Von direkten Wetten in Kupfer oder Eisenerz halten Profis aus Transparenzgründen wenig.

Die China-Story über westliche Aktien wie diejenigen von Luxusherstellern abzudecken, hält Raiffeisen-CIO Matthias Geissbühler «für einen pragmatischen Weg». Raiffeisen selbst ist nicht direkt in China investiert. Ob das ein Vor- oder ein Nachteil ist, wird sich zeigen.

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