Guten Tag,
Von Biden bis Xi: Klaus Schwab trifft sie alle. Der WEF-Patron über die Zeitenwende – und die Unabhängigkeit von Davos.
REKORDMANN Im Januar bittet Klaus Schwab in Davos zum 53. WEF-Jahrestreffen – und erwartet Maximal-Andrang.
Anoush Abrar / 13 PhotoWerbung
Ein Herbstmorgen am Sitz des World Economic Forum in Cologny vor den Toren Genfs. Der Chairman ist gerade von einer zweiwöchigen Asienreise zurückgekehrt, er war am G-20-Gipfel in Bali dabei und hat dort auch die Präsidenten Biden und Xi getroffen. Sein Informationsfluss ist einzigartig – und das macht seine geopolitische Einschätzung am Ende des Schreckensjahres 2022 umso gewichtiger.
Es ist zum ersten Mal eine Multikrise, bei der wir politische, soziale, wirtschaftliche und technologische Herausforderungen gleichzeitig erleben. Sie beeinflussen sich alle gegenseitig. Aber für mich ist es sogar mehr als eine Megakrise.
Wir befinden uns in einer Transformation, politisch und wirtschaftlich. Sie wird etwa drei bis fünf Jahre dauern. Sie wird schmerzvoll sein, und die Welt wird danach eine andere sein. Es ist keine normale Rezession, nach der wir zum Status quo zurückkehren.
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Es kommen mehrere gravierende Faktoren zusammen. Der erste ist die Notwendigkeit der Energietransformation. Langfristig sehe ich grosse Chancen. Solar- und Windtechnologie sind billiger als die fossilen Brennstoffe. Aber kurzfristig bedeutet die Umstellung Investitionen und Abschreibungen. Dann sehen wir die Umgestaltung der Lieferketten. Unternehmen und Staaten setzen auf Resilienz statt auf Kostenoptimierung. Der dritte Faktor sind weiterhin Covid und die Folgekosten. Laut der Weltgesundheitsorganisation ist die Zahl der mentalen Erkrankungen weltweit um mehr als ein Drittel gestiegen. In den USA etwa sehen wir eine starke Verlangsamung der Produktivität. Das erklärt, warum dort trotz der drohenden Rezession der Arbeitsmarkt noch so gut läuft. Dann gibt es die steigenden Militärausgaben. Wenn etwa ein Land wie Deutschland sein Militärbudget von einem auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochfährt, kostet das 40 Milliarden Euro. Und es kommen die Adaptationskosten hinzu. Um uns gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, könnten die Kosten dieser Umstrukturierungen laut Schätzungen je nach Land zwischen drei und fünf Prozent der Wirtschaftskraft liegen.
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GLOBALER MAHNER «Wir erleben keine normale Rezession, nach der wir zum Status quo zurückkehren.»
Anoush Abrar / 13 PhotoGLOBALER MAHNER «Wir erleben keine normale Rezession, nach der wir zum Status quo zurückkehren.»
Anoush Abrar / 13 PhotoWenn Sie eine Transformation in einem Unternehmen haben, schreiben Sie die Kosten ab, und die Leidtragenden sind die Aktionäre und oft leider auch entlassene Mitarbeiter. Wenn es sich aber um die Transformation einer Volkswirtschaft handelt, dann äussert sich das in einer Reduktion der Kaufkraft. Die Inflation ist die Fieberkurve dieser Transformation.
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Es folgen Verteilungskämpfe und eine Polarisierung im sozialen Bereich. Das sehen wir bereits. Dass die Transformation auch einen politischen Teil hat, verschärft die Lage.
Zweifellos. Wir bewegen uns von einer unipolaren Machtstruktur, der Dominanz der USA, zu einer multipolaren Struktur. Es gibt nicht nur die USA und China und in Zukunft Indien, wir sehen auch die zunehmende Bedeutung von Mittelmächten wie der Türkei oder Saudi-Arabien. Dann gibt es die regionalen Gruppierungen wie die EU, die in den letzten zwei Jahren zusammengewachsen ist. Wir sehen die «schnellen Fische», wie ich sie nenne, die die langsamen grossen attackieren: Israel, Singapur, auch die Schweiz könnte dazugehören. Auch die globalen Tech-Powerplayer wie Google oder Microsoft sind extrem mächtig. Kommt hinzu, dass das Regulierungssystem, das wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, nicht mehr funktioniert. Wenn Russland als Mitglied des UN-Sicherheitsrats die UN-Charta bricht, zerfällt diese auf gemeinsamen Regeln aufgebaute Struktur. Macht wird zudem in dieser neuen Welt nicht mehr nur durch Hard Power ausgeübt, sondern zusätzlich über Sanktionen, Währungen, Handelshemmnisse oder Cyberattacken.
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Vor 52 Jahren gründete Klaus Schwab die European Management Conference, die 1987 in World Economic Forum (WEF) umbenannt wurde – und sich heute unangefochten als wichtigste und grösste globale Plattform für Regierungen und Unternehmen etabliert hat. Mitte Januar begrüsst Schwab wieder die Wirtschaftselite in Davos – und verzeichnet einmal mehr Rekordandrang. Der 84-Jährige lenkt als Executive Chairman das 700-Mitarbeiter-Unternehmen. Die 835 Partnerfirmen zahlen je nach Kategorie eine Jahresgebühr von bis zu 650'000 Franken.
Wir haben einen Wettkampf der Systeme. Der verbindende Wertekanon, auf den wir nach 1989 gesetzt haben, aufbauend auf neoliberalen Prinzipien, ist kollabiert. Das zukünftige System wird so aufgebaut sein, dass Vertrauen der entscheidende Faktor ist. Die Unternehmen suchen für ihre Lieferketten Partner, denen sie vertrauen können, und so wird es auch auf nationaler Basis sein. Ich nenne das «Blockisation statt Globalisation». Es entstehen Blöcke, die zusammenhalten, aufgrund gemeinsamer Werte, aber eben auch aufgrund einer Vertrauensbasis.
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Es ist ein Wettbewerb der Systeme, der uns sicher in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Autokratische Systeme bestechen dadurch, dass sie langfristiger planen und agieren können. Ich ziehe jedoch ein System von «Checks and Balances» vor. Es verhindert, dass falsche Entscheide getroffen oder nicht rechtzeitig korrigiert werden.
Statt Europa näher zu rücken, hat er über die Jahre seine Vorstellungen eines eigenständigen Russlands mit überlegenen Wertvorstellungen ausgebaut.
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Wir spiegeln nur wider, was auch die Schweiz praktiziert. Wir sind eine neutrale Plattform, die langfristig nur vertrauenswürdig ist, wenn sie Spielregeln befolgt. Wenn jemand diese Spielregeln so eklatant mit Füssen tritt, ist der Ausschluss die Konsequenz.
Nein.
Hier sind wir nicht involviert. Die drei Verhandlungsparteien sind Russland, die Ukraine und die NATO. Wenn nicht alle drei engagiert sind, gibt es keine Lösung.
Es muss ein politischer Prozess sein. Wir müssen uns aber schon jetzt um den Wiederaufbau bemühen. Wir waren im Mai in Davos die Ersten, die von einem Marshallplan für die Ukraine gesprochen haben. Das wurde dann von der Lugano-Konferenz aufgenommen.
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Wir haben die Ukrainer selbstverständlich eingeladen.
Wir haben grosse Delegationen aus Japan, Indien und dem südostasiatischen Bereich. Was China betrifft, machen die zurzeit geltenden Covid-19-Regeln eine Teilnahme schwierig. Wir rechnen dennoch mit einer Delegation und einer Regierungsteilnahme, wie es schon im Mai der Fall war.
Ja, aber wir haben eine Verantwortung für die Gesundheit unserer Teilnehmer und der Davoser Bevölkerung. Daher empfehlen wir, dass jeder Teilnehmer geimpft ist, und wir machen einen Test bei Ankunft.
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★ Zermatt oder St. Moritz? Zermatt – viel sportlicher, habe alle Viertausender ausser dem Matterhorn in der Region bestiegen.
★ Franken oder Dollar? Die Heimat liegt immer näher.
★ Genf oder Zürich? Genf – wegen der internationaleren Dimension.
★ Davos oder Singapur? Im Moment Davos – solange Infrastruktur, Hotelbetten zu nicht exorbitanten Preisen und Gastfreundschaft stimmen.
★ Rot- oder Weisswein? Rot – aber die Auswahl überlasse ich meiner Frau.
★ Inflation: Anstieg oder Rückgang 2023? Einpendeln auf tieferem Niveau.
★ Tesla oder Ferrari? Audi Hybrid.
★ Golf oder Wandern? Lieber Wandern.
★ Aktien oder Anleihen? Bei langem Atem: auf jeden Fall Aktien.
Covid ist ansteckender geworden mit Omikron und den jetzigen Varianten. Die dadurch bedingten hohen Ansteckungszahlen haben trotz aller Eindämmungsmassnahmen zu grossen Lieferkettenproblemen geführt.
Das Gespräch in Bali zwischen den Präsidenten Xi und Biden hat gezeigt, dass man dieses Problem nicht mit Waffengewalt lösen will. Das ist ein gutes Zeichen.
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Wenn ich sehe, was in der Wirtschaft passiert, bleibe ich optimistisch. Die grosse Mehrheit der Unternehmen hat wirklich begriffen, dass sie bis 2050 klimaneutral sein müssen. Sie können Top-Talente und grosse Kunden nur gewinnen, wenn sie zeigen, dass sie dem Klima nicht schaden. Dieser Trend ist unumkehrbar.
Wir waren Partner in Sharm el-Sheikh. In Bereichen, in denen die Wirtschaft beitragen kann, wurden Fortschritte erzielt. 150 Mitarbeiter beschäftigen sich bei uns mit dem Klimathema. Unter unseren über 20 verschiedenen Initiativen möchte ich zum Beispiel das «One Trillion Trees»-Projekt erwähnen, bei dem wir mit zahlreichen Regierungen und Unternehmen zusammenarbeiten. Die chinesische Regierung hat sich verpflichtet, 70 Milliarden Bäume zu pflanzen, aber unser Ziel sind 1000 Milliarden. Ich bin dafür, pragmatisch in vielen Punkten Fortschritte zu erzielen, statt grosse programmatische Erklärungen zu verfassen, die vor allem falsche Hoffnungen wecken.
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BALI-TENUE Hilde und Klaus Schwab am G-20-Gipfel – ausgestattet mit lokaler Kleidung, die ihnen der indonesische Präsident zukommen liess.
ZVGBALI-TENUE Hilde und Klaus Schwab am G-20-Gipfel – ausgestattet mit lokaler Kleidung, die ihnen der indonesische Präsident zukommen liess.
ZVGWir haben 21 Plattformen mit über 100 Initiativen und haben uns in der Corona-Zeit als zentrale globale Drehscheibe für Regierungen und unsere Unternehmenspartner voll etabliert. Am 1. Januar 2020 hatten wir 630 Partnerunternehmen, heute liegen wir bei 825, obwohl wir 30 russische Firmen verloren haben. Wir haben die Umwandlung von einer Event-bezogenen zu einer Impact-bezogenen Organisation bewältigt.
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Wir könnten ohne Davos gut überleben. Aber als Jahrestreffen bleibt es unser Flaggschiff. Wir erwarten im Januar wieder eine Rekordteilnahme.
Dann muss ich wohl noch mindestens fünf Jahre bleiben (lacht). Im Ernst: Diese Frage stellt sich derzeit nicht. Ich habe ein tolles Team und bin aktiver denn je. 50 Prozent meiner Zeit widme ich überdies dem Aufbau des Global Collaboration Village – wir wollen das Forum zusätzlich im Metaverse etablieren.
Deswegen benutzen wir ihn auch ganz bewusst nicht. Wir wollen die erste grosse Applikation im virtuellen Raum für einen guten Zweck erschaffen.
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Wir bauen ein globales Dorf mit virtuellem Kongresshaus und virtueller Promenade. Ich hatte diese Idee vor einem Jahr, wir entwickeln sie in enger Kooperation mit unserem Partner Accenture und Microsoft, die die Technologie liefert. Sie heisst Mesh und wird im nächsten Jahr lanciert, wir bringen am WEF schon einen Appetizer. Wir wollen dieses virtuelle Dorf aber nicht für kommerzielle Zwecke nutzen. Für uns geht es vor allem darum, bei unseren mehr als 100 Initiativen schnellere Fortschritte zu erzielen durch die Kombination der personellen und virtuellen Interaktion. Wir können uns noch mehr öffnen und noch mehr Partner integrieren.
Das kann nur das World Economic Forum, als neutrale, unabhängige Organisation.
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