Abo
Der Börsen-Run

Was die Hausse im ersten Halbjahr antrieb – und warum das zweite spannend wird

Aktienindizes jagen von Rekord zu Rekord. Optimisten sagen eine Verbreiterung der Rally voraus. Doch die Gefahr von Rückschlägen ist gross.

Erich Gerbl

Angefeuert von der Rally der KI-Aktien und den hohen Wachstumsraten, preschten die ­US-Börsen voran. Doch nun lässt die Dynamik in den USA nach. Europa und China konnten zuletzt positiv überraschen. Ihnen werden für die Aufholjagd gute Chancen zugetraut.

Angefeuert von der Rally der KI-Aktien und den hohen Wachstumsraten, preschten die US-Börsen voran. Doch nun lässt die Dynamik in den USA nach. Europa und China konnten zuletzt positiv überraschen. Ihnen werden für die Aufholjagd gute Chancen zugetraut.

kornel.ch für BILANZ

Werbung

Permabären sind die grossen Pessimisten an den Börsen. Sie sehen Schwarze Schwäne im Anflug, sagen über Jahre Turbulenzen und heftige Abstürze an den Börsen voraus. Weil ihre Geschichten spannend sind, sorgen sie für Schlagzeilen. Doch in letzter Zeit ist die Zahl der Permabären kräftig geschrumpft. Inzwischen zählen sie zu einer seltenen Spezies. Zuletzt wechselte Mike Wilson, Morgan Stanleys Chefstratege für US-Aktien, ins Lager der Bullen. Für den US-Leitindex S&P 500 schraubte er seine Jahresprognose von 4500 auf 5400 Punkte hoch. Mit erstaunlicher Ausdauer klettern die Kurse und ziehen die letzten Zweifler in den Markt. Der S&P 500 legte per 23. Mai auf Jahressicht rund 27 Prozent zu und markierte genauso wie die Technologiebörse Nasdaq im Vorübergehen ein neues Allzeithöchst. Der Dow Jones stand am 16. Mai das erste Mal in seiner bewegten Geschichte bei mehr als 40'000 Punkten.

17. Mai auf dem Börsenparkett der NYSE: Am Vortag war der Dow Jones Index erstmals über die 40 000-Punkte-Marke gestiegen. ­Bisher erreichte er sie nicht wieder.

New York

17. Mai auf dem Börsenparkett der NYSE: Am Vortag war der Dow Jones Index erstmals über die 40'000-Punkte-Marke gestiegen. Bisher erreichte er sie nicht wieder.

Getty Images
17. Mai auf dem Börsenparkett der NYSE: Am Vortag war der Dow Jones Index erstmals über die 40 000-Punkte-Marke gestiegen. ­Bisher erreichte er sie nicht wieder.

New York

17. Mai auf dem Börsenparkett der NYSE: Am Vortag war der Dow Jones Index erstmals über die 40'000-Punkte-Marke gestiegen. Bisher erreichte er sie nicht wieder.

Getty Images

Im deutschen DAX purzelten die Rekorde im Mai im Wochentakt. Selbst die 20'000-Punkte-Hürde scheint inzwischen erreichbar. Weil die Aktien von Roche und Nestlé lahmen, kommt der Schweizer Markt bei der Rekordjagd zwar nicht mit, doch auch hierzulande wurde mit den 12'000 Punkten im SMI Mitte Mai eine wichtige Hürde übersprungen.

Partner-Inhalte

Im Zuge dieser Kletterpartie steckten die Aktienmärkte einiges weg. Die geopolitischen Unsicherheiten haben sich durch die direkte Konfrontation zwischen Israel und dem Iran noch einmal verschärft. China und die USA deckten sich gegenseitig mit Strafzöllen ein. Und für die Börsen besonders relevant, lösten sich die Hoffnungen auf sechs bis sieben Zinsschritte in den USA nach und nach in Luft auf. Doch die Märkte bleiben überraschend cool. Der Angstbarometer VIX schlägt kaum aus, die Investoren sind wieder bereit, Risiken einzugehen – «Risk on» ist offenbar angesagt.

frankfurt am MainDie Broker an der Frankfurter Börse konnten an ihren Bildschirmen zahlreiche neue Rekorde des DAX verfolgen. Nun soll sich die Hausse auf Small und Mid Caps ausdehnen: Im MDAX sind die Höchststände noch weit entfernt.

Frankfurt am Main

Die Broker an der Frankfurter Börse konnten an ihren Bildschirmen zahlreiche neue Rekorde des DAX verfolgen. Nun soll sich die Hausse auf Small und Mid Caps ausdehnen: Im MDAX sind die Höchststände noch weit entfernt.

Alamy Stock Photo
frankfurt am MainDie Broker an der Frankfurter Börse konnten an ihren Bildschirmen zahlreiche neue Rekorde des DAX verfolgen. Nun soll sich die Hausse auf Small und Mid Caps ausdehnen: Im MDAX sind die Höchststände noch weit entfernt.

Frankfurt am Main

Die Broker an der Frankfurter Börse konnten an ihren Bildschirmen zahlreiche neue Rekorde des DAX verfolgen. Nun soll sich die Hausse auf Small und Mid Caps ausdehnen: Im MDAX sind die Höchststände noch weit entfernt.

Alamy Stock Photo

Europa holt auf

Die Börse schaut zwei, drei Quartale voraus. Nimmt man die Kursstände zum Nenner, wird der Realwirtschaft offenbar eine recht rosige Zukunft zugetraut. «Wir sind zwar nicht in einem Boom, aber in einer recht gesunden Umgebung», weiss Samy Chaar, Chefökonom und CIO Schweiz bei Lombard Odier. Treffen seine Prognosen ein, schwächt sich die US-Wirtschaft 2024 zwar etwas ab, rutscht aber nicht in die Rezession. Gleichzeitig gewinne die im Vorjahr enttäuschend schwache europäische Wirtschaft etwas an Fahrt. Auch in Asien wurden die insgesamt recht pessimistischen Prognosen etwas nach oben geschraubt. «Hinzu kommt ein Rebound bei der Produktivität. Insgesamt sind die Dinge besser als vor 18 Monaten, das bringt an den Börsen Rückenwind», sagt Chaar.

Werbung

Für die Börsen entscheidend ist, wie sich in diesem Umfeld der Zins bewegt – und das vor allem in den USA. Jerome Powell steht als Chef der US-Notenbank Fed einmal mehr im Rampenlicht. Fallende Zinsen würden der Rally weiteren Schub verleihen. Zwar hat der mächtigste Notenbanker der Welt die Hoffnungen auf einen Zinssenkungsreigen enttäuscht, im späteren Jahresverlauf soll er die Zinsschraube zumindest ein wenig lockern. Christian Nolting, CIO der Deutschen Bank, erwartet zwei Zinsschritte, einen im dritten und einen im vierten Quartal. Samy Chaar prognostiziert sogar einen mehr: «Kaum jemand glaubt an drei Zinsschritte, ich halte sie nach wie vor für möglich.» Allerdings bewege sich die Notenbank noch immer auf einem sehr schmalen Pfad und bleibe datenabhängig.

«Alles hängt gänzlich davon ab, was mit der Inflation passiert», sagt Nick Chatters, Mitglied des globalen Zinsteams bei Aegon Asset Management. Bei den Preisen macht sich das Problem der letzten Meile bemerkbar. Ging der Rückgang von neun auf drei Prozent schnell, erweist sich der Schritt von drei auf die anvisierten zwei Prozent als ausgesprochen zäh. Die ersten drei Monate verharrte die Teuerung auf hohem Niveau. Der April machte mit einem leichten Rückgang wieder etwas Hoffnung.

Werbung

In der Eurozone scheint die Inflation ein leichter lösbares Problem zu sein – wenn auch zum Teil «dank» tieferer Wachstumsraten. Eine erste Zinssenkung der EZB im Juni ist eingepreist. In jedem Quartal sollen laut den meisten Experten dann weitere folgen. Laut Vincent McEntegart von Aegon ist bei den Prognosen jedoch Vorsicht angebracht. Zinssenkungen führen zu einer Abwertung der Währungen. Diese wiederum verteuert den Einkauf von Gütern im Ausland und importiert so Inflation. McEntegart: «So bizarr es scheint, könnten die Eurozone und Grossbritannien wegen der Inflation in den USA an ein höheres Zinsniveau gebunden sein.»

Favoritenwechsel

Stachen die USA 2023 sowohl beim Wachstum als auch bei den Börsenkursen heraus, sagen Experten wie Christoph Bruns von Loys für das zweite Halbjahr sowohl eine Verbreiterung der Rally als auch einen Favoritenwechsel voraus. Waren es im Vorjahr in den USA vor allem die KI-Gewinner, die die Rally anfeuerten, so sollen es nun breitere Schichten der Unternehmenslandschaft und auch andere Regionen sein. Insgesamt dürfte sich der Markt stärker auf die Value-Seite fokussieren. Und für Value ist Europa bekannt.

Europa hinkt den USA seit Langem hinterher. Vor allem in Phasen, da Wachstumsaktien im Fokus stehen, gerät der europäische Markt mit den vielen Zyklikern ins Hintertreffen. Doch nun scheint sich die Wachstumsdynamik von den USA nach Europa und Asien zu verlagern. Hat die US-Wirtschaft die Erwartungen der Ökonomen 2023 immer wieder übertroffen, hinterlässt das hohe Zinsniveau nun doch Bremsspuren. «In den USA kommen wir in die Phase der Abschwächung, hingegen haben Europa und China in diesem Jahr konsistent positiv überrascht», sagt UBS-Schweiz-Chefökonom Daniel Kalt.

Werbung

Ein Treiber ist der Konsum. Sind die in der Pandemie angehäuften Überschussersparnisse in den USA wohl mit Jahresende aufgebraucht, waren die europäischen Verbraucher durch Ukraine-Krieg und Energiekrise verunsichert und bei den Ausgaben zurückhaltender. «Die Sparquoten in Europa sind im Krisenmodus», sagt Tilmann Galler, globaler Aktienstratege bei J.P. Morgan. Die überschüssigen Ersparnisse hätten sich teilweise sogar noch vergrössert. Verbessert sich nun die Stimmung, wird das Sicherheitspolster abgebaut. «Der private Konsum könnte die Wirtschaft positiv überraschen», so Galler.

Ein weiteres Argument für Europa sind die hohen Bewertungen in den USA. Rund 14'000 Milliarden Dollar sind die sechs grössten US-Technologiekonzerne an der Börse inzwischen wert. Nach der KI-Hausse ist das Shiller-KGV für den US-Markt mit 34 doppelt so hoch wie im historischen Durchschnitt. Im Rekordjahr 2021 wurden 39 erreicht, bevor 2022 der Absturz folgte. Laut Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research bei Invesco, fuhr ein Investor, der bei einem Shiller-KGV von mehr als 30 einstieg, auf Zehn-Jahres-Sicht Verluste ein. Wegen der hohen Preise hat Jackson die Anlageklasse Aktien mit «underweight» versehen. Die Einschätzung gilt jedoch vor allem für die USA und Japan. Europäische und chinesische Aktien werden übergewichtet. «China ist so günstig bewertet, niemand interessiert sich für das Thema. Die Wirtschaft läuft besser, als viele denken», so Jackson. Bei China ist der Grossteil der Experten zurückhaltend. Mit seiner Vorliebe für Europa ist er nicht allein.

Werbung

ShenzhenVom Bullen, der die Kurse in die Höhe wirft, war vor der chinesischen Börse in den vergangenen Monaten kaum etwas zu sehen. Trotz der günstigen Bewertungen sind Experten noch vorsichtig. Bisher steigen nur wenige Schnäppchenjäger ein.

Shenzhen

Vom Bullen, der die Kurse in die Höhe wirft, war vor der chinesischen Börse in den vergangenen Monaten kaum etwas zu sehen. Trotz der günstigen Bewertungen sind Experten noch vorsichtig. Bisher steigen nur wenige Schnäppchenjäger ein.

Bloomberg
ShenzhenVom Bullen, der die Kurse in die Höhe wirft, war vor der chinesischen Börse in den vergangenen Monaten kaum etwas zu sehen. Trotz der günstigen Bewertungen sind Experten noch vorsichtig. Bisher steigen nur wenige Schnäppchenjäger ein.

Shenzhen

Vom Bullen, der die Kurse in die Höhe wirft, war vor der chinesischen Börse in den vergangenen Monaten kaum etwas zu sehen. Trotz der günstigen Bewertungen sind Experten noch vorsichtig. Bisher steigen nur wenige Schnäppchenjäger ein.

Bloomberg

Historischer Abschlag

«Europäische Aktien handeln im Vergleich zu US-Aktien mit einem erheblichen Abschlag. Der Discount ist so gross wie seit Jahrzehnten nicht mehr», sagt Tilmann Galler. Im Falle von kontinentaleuropäischen Aktien liege der Abschlag bei 30, bei britischen sogar bei mehr als 40 Prozent. Vor allem kleine und mittelgrosse europäische Firmen stechen heraus. Üblicherweise sind diese wegen der höheren Wachstumsraten im Vergleich zu den Large Caps mit einer Prämie von 20 Prozent ausgestattet. Derzeit gibt es sie mit einem Discount. «Bei Small und Mid Caps müsste man eine Aufholbewegung sehen», sagt Deutsche-Bank-CIO Christian Nolting. Laut Nolting interessieren sich Kunden der Deutschen Bank aus den USA und Asien zunehmend für europäische Aktien: «Das ist eine interessante Entwicklung, die sich im zweiten Halbjahr fortsetzen könnte. Ich rechne nicht mit jahrelanger Outperformance von Europa, aber einem Aufholprozess auf die USA.»

US-Investoren sind auf den Heimatmarkt fokussiert. Dort kennen sie sich besonders gut aus, dort gehen sie keine Währungsrisiken ein. Für die Amerikaner war das zuletzt eine gewinnbringende Strategie. Dies nicht nur, weil die Tech-Aktien an der US-Börse boomten, sondern auch, weil der US-Dollar dank höherem Zinsniveau die internationale Aufmerksamkeit auf sich zog. «Jeder US-Investor, der ins Ausland ging, hat über die Währung viel verloren», sagt Galler. Nun ist der US-Dollar-Index auf einem sehr hohen Niveau, ausländische Währungen vergleichsweise günstig. Es könnten wieder mehr Gelder über den Atlantik schwappen.

Werbung

Ein unbeliebter Markt

Der Deutsche Christoph Bruns lebt seit Jahren in den USA. In seinem Fonds «Loys Philosophie Bruns» investiert er in Qualitätsunternehmen, die weniger kosten, als sie wert sind. Die findet er derzeit ausserhalb der USA. «In den USA sind die Risiken grösser als die Chancen», sagt Bruns. Er bevorzugt Asien und Europa und dort vor allem «Small Caps, die nicht überbeliebt sind». Verbreitet sind diese in Grossbritannien. «Das UK wird seit 100 Jahren durchgereicht. Das Land ist bei Investoren so unbeliebt, die Stimmung so schlecht, dass die Aktien besonders günstig sind.» Asset Manager wie Jupiter gefallen ihm.

Schweizer Anleger konnten der Rekordjagd an den internationalen Börsen bisher nur neidisch zusehen. «Der Schweizer Markt hat in den vergangenen zwölf Monaten massiv underperformt», weiss Raiffeisen-CIO Matthias Geissbühler. Während der MSCI World inklusive Dividenden per 22. Mai einen Gewinn von 25 Prozent auswies, liegt der SMI in dieser Zeit mit einem Zuwachs von 4 Prozent (7 Prozent inklusive Dividenden) meilenweit zurück. «Der Schweizer Markt hat einen defensiven Charakter, den derzeit niemand will», weiss Geissbühler. So sei ein Teil der Investoren auf die KI- und Tech-Storys aus, während der andere Teil seit dem Herbst durch das Konjunkturtief hindurchblicke und auf einen Aufschwung setze. Diese taktische Wette läuft über europäische und asiatische Value-Werte und Zykliker. «Für den Schweizer Markt gibt es keinen Platz, er befindet sich zwischen Stuhl und Bank», so Geissbühler. Das würde sich ändern, wenn die Stimmung an den Börsen wieder schlechter würde. Der CIO sagt für das zweite Halbjahr auch grössere Schwankungen und Rückschläge voraus. Relativ gut schlüge sich der SMI wohl auch im Stagflationsszenario. «Bleibt die Inflation hartnäckiger und enttäuscht das Wachstum, könnte das Geld wieder von Zyklikern zu defensiven Titeln fliessen», sagt Geissbühler.

Werbung

Optimismus in den Kursen

Zahlreiche Indizes befinden sich auf ihrem Allzeithoch. So ist mittlerweile viel Optimismus in den Kursen enthalten. «Die Luft wird dünner», heisst es bei Flossbach von Storch. Die Gefahr für Rückschläge steigt. «Je höher wir gehen, desto geringer die Fehlertoleranz. Auf dem Niveau darf nicht viel schiefgehen», sagt J.P.-Morgan-Stratege Galler. So wurden zuletzt Firmen abgestraft, nur weil sie die Erwartungen nicht deutlich übertrafen. Die meisten Berichte für das erste Quartal wussten zu überzeugen, die Prognosen blieben intakt. Galler: «Solange das so bleibt, sind wir für den Aktienmarkt optimistisch.»

Auf dem gegenwärtigen Niveau wird die Rally genau beobachtet. «Wir schauen intensiv auf die Realrendite», verrät Christian Nolting. Erreiche sie ein Niveau von 2,25 Prozent, ziehen Investoren gerade bei Technologieaktien im grossen Stil Geld ab. Zu beobachten war dies im vergangenen Herbst. Als die Realrendite im Oktober wieder fiel, folgte der Rebound.

Die geopolitischen Risiken sind in den vergangenen Jahren deutlich angewachsen. Die Krise in Nahost bleibt ein Pulverfass, Putin eine unberechenbare Bedrohung, Taiwan ein ungelöstes Problem. Der Handelsstreit zwischen China und den USA hat sich durch die Strafzölle verschärft. Langfristig gesehen ist das Sammelsurium an Risiken keine Ausnahme, sondern die Regel. «Hatten wir jahrzehntelang eine Friedensdividende, sind wir geopolitisch wieder zurück im Normalzustand mit jeder Menge Risiken», so Nolting. Das bedeute nicht, die Märkte zu meiden. Jedoch empfehle es sich, zu prüfen, ob das Portfolio zur Risikotoleranz passe.

Werbung

Für Unsicherheit sorgt im zweiten Halbjahr die Präsidentschaftswahl in den USA. US-Experte Bruns glaubt an einen Wahlsieg Bidens. Für die Börsen sei der Wahlausgang mittelfristig nicht relevant. «Das Wahlkampfgeschrei hat mit der praktischen Politik wenig zu tun. In den USA dreht sich alles darum, dass die Wirtschaft läuft, das zieht sich wie ein roter Faden durch das Land, und das wissen beide Kandidaten», sagt Bruns. Im Jahr 2016 schickte Donald Trumps unerwarteter Erfolg die Börsen nur kurz auf Talfahrt. Es folgte die gewinnbringendste Börsenwoche seit 2011 – der Dow Jones erreichte sogar ein neues Allzeithöchst.

Damoklesschwert schulden

Ob Biden oder Trump, beide erhöhen den Schuldenstand. Und genau der wird zunehmend zum Damoklesschwert. «Ich bekomme oft die Frage, wann die US-Schuldenobergrenze zum Problem werde. Es betrifft nicht nur die Regierung, es ist das ganze Land: Haushalte, Unternehmen», sagt Invesco-Experte Paul Jackson. 2023 lag das Budgetdefizit in der Spitze bei 8,5 Prozent – und das in einer Phase der Vollbeschäftigung.

Nun hat selbst J.P.-Morgan-Chase-Chef Jamie Dimon kritisiert, dass die US-Regierung die Schulden in der Wachstumsphase derart in die Höhe steigen lässt. Bremse die Politik die ausufernde Staatsverschuldung nicht ein, habe dies Konsequenzen. Da der Dollar die Weltreservewährung ist, wird länger zugeschaut. «Die USA können tun, was sie wollen. Andere Länder bekämen schon längst Probleme», sagt Bruns.

Werbung

In einigen Ländern läuft die Abkehr vom Dollar jedoch bereits. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs und den Sanktionen versucht sich Russland vom Dollar-basierten Finanzsystem zu lösen. So wurden im grossen Stil Dollar gegen Gold getauscht. 2023 verlagerten sich die Käufe nach China und in eine Reihe anderer Schwellenländer. Laut Paul Jackson könnten Bedenken bezüglich der US-Staatsverschuldung ein Grund für die Goldhausse sein. Sonst sind die neuen Höchststände beim Edelmetall schwer zu erklären. Die Opportunitätskosten sind mit rund fünf Prozent Zins auf US-Treasuries nach wie vor sehr gross. Auch der hohe Dollarkurs spricht gegen den Kauf. ETFs, in die vor allem institutionelle Anleger investieren, weisen seit über drei Jahren Abflüsse aus. «Der Goldpreis kann nicht für immer steigen», sagt Jackson. Durch das höhere Preisniveau wird der Abbau lukrativer, das Angebot steigt. Gleichzeitig sinkt auf diesem Preisniveau die Nachfrage, etwa aus der Industrie.

Eindeutige Empfehlung

Der langfristige Anleger bleibt auch in unsicheren Zeiten in den Märkten investiert. Timing gilt als Kunst, die niemand beherrscht. «It’s time in market, not timing the market. Die Arbeit erledigt der Zinseszins», weiss Tom Hanson von Aegon. Je höher die Rendite, desto stärker wirkt der Zinseszins. Langfristig macht also die Wahl der Anlageklasse den Unterschied. In der sehr langfristigen Rückschau lieferten Aktien trotz der höheren Schwankungen mit jährlich rund sieben Prozent besonders hohe Renditen. In diesem Zusammenhang nicht gerade im Fokus steht High Yield. Laut dem Experten Hanson zu Unrecht. Annualisiert komme Global High Yield auf 20-Jahres-Sicht auf eine jährliche Rendite von sieben Prozent, und das mit geringeren Schwankungen als bei Aktien: «Ich frage mich, warum nicht stärker in Global High Yield investiert wird, die Statistik spricht hier eine eindeutige Empfehlung aus.»

Werbung

Über die Autoren
Erich Gerbl

Erich Gerbl

Erich Gerbl

Auch interessant

Werbung