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Assessment für Soft Skills

Warum soziale Fähigkeiten für den modernen Arbeitsplatz entscheidend sind

Die Arbeitswelt fordert nicht nur fachliche, sondern auch soziale Kompetenzen. Doch wie lassen sich diese überprüfen?

pamela beltrame

Pamela Beltrame

Für Belastbarkeit, Kommunikation oder Durchsetzungsvermögen gibt es kein Diplom. Für so manchen Job sind diese Skills aber ein Muss.

Für Belastbarkeit, Kommunikation oder Durchsetzungsvermögen gibt es kein Diplom. Für so manchen Job sind diese Skills aber ein Muss.

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Die Regeln? «Nicht für mich», dachte sich António Horta-Osório, als er mitten in seiner Omikron-Quarantäne den Privatjet Richtung Iberien bestieg. Eine Haltung, so tief verwurzelt, dass sie immer wieder zum Vorschein kam und Sir António schliesslich den Job kostete. Welche Ernüchterung für die Credit Suisse, denn auf dem Papier galt Horta-Osório als absolute Wunschbesetzung: mehrjährige Erfahrung bei globalen Finanzplayern, ein Diplom der renommierten Harvard Business School in Advanced Management sowie ein MBA vom Nobelinstitut Insead – hier hatte Horta-Osório gar als Jahrgangsbester den Henry-Ford-Preis gewonnen.

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Doch all die Errungenschaften attestierten dem neuen Compliance-Papst lediglich wirtschaftliches Geschick, nicht aber Ehrlichkeit und Respekt. Ohne diese Eigenschaften ist es schwierig, die marode Risikokultur einer Bank glaubwürdig zu sanieren. Mit anderen Worten: Ein gut ausgebildeter Kandidat ist nicht unbedingt ein guter Kandidat. Zum Savoir-faire gehört auch das Savoir-être – im HR-Jargon «Soft Skills» genannt: persönliche Werte, Talente und soziale Fähigkeiten, für die es kein Zertifikat gibt. Obschon «weich», sind diese Kompetenzen in der Arbeitswelt kein flauschiger Bonus, sondern unverzichtbar. Man weiss es eigentlich, und die Stelleninserate verraten es auch: Sie alle zieren die Schlagwörter «teamfähig» oder «selbstständig». Im aktuellen Arbeitsmarkt – das SECO nennt ihn «Arbeitnehmermarkt» – rücken die Soft Skills noch mehr ins Zentrum. Sitzen nämlich die Bewerber am längeren Hebel, entscheiden sie sich für die attraktiven Firmen – und das sind nicht jene, denen auf Plattformen wie Kununu eine «Angstkultur» nachgesagt wird.

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Wege nach Rom

Um Fauxpas wie die Causa Horta-Osório/CS zu vermeiden, rüsten immer mehr Firmen ihre Personalabteilung mit Psychologen auf und setzen auf Intelligenztests, Potenzialanalysen und Persönlichkeitsfragebögen. Gerade Headhunter treiben es zum Exzess: Egon Zehnder prüft Kandidierende in bis zu 55 Sitzungen auf Herz und Nieren. Zu viel? Das sei dahingestellt. Die Ansage ist aber deutlich: Mit 08/15-Bewerbungsprozessen lassen sich keine Fähigkeiten prüfen – schon gar keine sozialen: In den Unterlagen können Bewerber übertreiben und beschönigen. Zeugnisse sind ausnahmslos positiv formuliert, die angegebenen Referenzen wohlwollend. Das Vorstellungsgespräch – angeblich das probate Mittel zur Beurteilung einer Person – ist eine künstliche Situation: Von den Bewerbern wird erwartet, dass sie reden, nicht zuhören; dass sie beeindrucken, nicht einfühlsam sind.

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Auch das «Ablesen» von Kompetenzen aus Ausbildung und Berufserfahrung ist riskant und grenzt eher an Esoterik: Wer kennt etwa nicht den Chef, der nicht führen kann – auch wenn er bereits mehrere Teams unter sich hatte? Seine «Führungserfahrung» im Lebenslauf ist daher wenig aussagekräftig. Und: Auf solche Floskeln zu vertrauen, kann Firmen teuer zu stehen kommen. Auf Mitarbeiterebene kostet ein Fehlentscheid ein Jahressalär, bei Fehlbesetzungen im Management spricht man von Kosten bis zum Dreifachen eines Jahresgehalts. Dieser Hintergrund plausibilisiert die enormen Summen, die teilweise in Eignungsverfahren einfliessen.

Bei der Managersuche ist etwa das Assessment Center (AC) zum beliebten Instrument avanciert. Laut der Cranfield-Studie zur organisatorischen Resilienz setzen 44 Prozent aller hiesigen Firmen darauf. Anders, als der Name vermuten lässt, verbirgt sich dahinter kein Ort, sondern eine Beurteilungsmethode: Sie basiert auf Rollenspielen und Szenarien, in denen Experten das Verhalten der Kandidierenden beobachten beziehungsweise «assessieren». Die Handarbeit erklärt den stolzen Preis – oft ein vierstelliger Betrag. Doch Anbieter bewerben die Methode wie folgt: Während standardisierte Fragebögen zeigten, wie ein Kandidat theoretisch handeln würde – sein Potenzial –, offenbare das Assessment Center, wie er tatsächlich handelt – seine Performance.

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«Die Bewertung ist differenzierter», sagt Jochen Menges über das Assessment Center. Der Professor für HR-Management und Leadership an der Universität Zürich forscht seit Jahren zu den Erfolgsfaktoren von Organisationen. Sein Fazit: Dass soziale und emotionale Kompetenzen jenseits der Führungsebene matchentscheidend sind, ist unbestritten. Doch an den Bewertungsmethoden scheiden sich die Geister. Wissenschaftlich fundierte Testverfahren wie der Geneva Emotional Competence Test (GECO) seien sehr gut, so der Experte. Sie sind vergleichsweise günstig und beinhalten aufgrund der Standardisierung einen Fairness-Faktor. Assessment Center hingegen sind kosten- und zeitintensiv und daher nur selektiv einsetzbar. Aber: «Wichtig ist, dass Unternehmen überhaupt anfangen, etwas in diese Richtung zu tun.»

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Müssiggang

Was auf Unternehmensseite folgt, ist die Qual der Wahl einer passenden Methode – und intensive Recherche. Denn überteuerte Angebote ohne Mehrwert fluten den Markt, Feld-Wald-und-Wiesen-Berater mischen mit leeren Versprechen mit. Überzeugt die Wirksamkeit von Rollenspielen, ist der Verband Swiss Assessment eine Anlaufstelle, denn er zertifiziert die Methode. Aber auch innerhalb der Zertifizierung gebe es «Spielraum», sagt Martin Rusterholz, Geschäftsführer des AC-Anbieters Convidis. Für Rusterholz ist ein diplomierter Psychologe im Assessorenteam ein Muss – das sei nicht bei jedem zertifizierten Anbieter der Fall. Einen Vertriebsleiter für die Eignungsüberprüfung in die Rolle eines Hotelmanagers schlüpfen zu lassen, «macht wenig Sinn», sagt Rusterholz und verweist auf massgeschneiderte Assessments als weitere Maxime.

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Stelle frei – was nun?

Einige Fragen zum Nachdenken.

  • Was fehlt? Suchen Sie keine Kopie des Vorgängers, sondern identifizieren Sie die Kompetenzen, die das Team voranbringen.
  • Was zählt wirklich? Beschreiben Sie in der Stellenanzeige keine eierlegende Wollmilchsau: Drei oder vier Must-haves reichen. So erhöhen Sie die eingehenden Bewerbungen und können mehrere Kandidaten gegeneinander abwägen.
  • Passt es? Das CV zeigt die fachlichen Fähigkeiten. Prüfen Sie auch die Persönlichkeit und ob Kandidaten in die Firmenkultur passen.
  • Was sagen andere? Entscheiden Sie nicht allein. Beziehen Sie die Perspektive von Teamkollegen und Human Resources in den Rekrutierungsprozess mit ein. Ein Schnuppertag kann beispielsweise wichtige Hinweise auf eine gute Zusammenarbeit geben.

Davon profitieren auch die Kandidierenden: Im Rahmen des Tests werden sie mit den unangenehmen Seiten des Jobs konfrontiert. Das Ergebnis heisst auf Neudeutsch «Realistic Job Preview» – keine falschen Vorstellungen. Das führt zur Selbstselektion: Wenn es nicht passt, scheiden die Bewerber von selbst aus. Dass gewiefte Personen bestimmte Kompetenzen vorgaukeln, sei durchaus möglich, «aber schwierig». Ein Assessment dauert mehrere Stunden, bei Führungskräften in der Regel einen ganzen Tag. «Die Fassade bröckelt meist mit der Zeit», sagt Rusterholz schmunzelnd. Zudem gibt es bei Rollenspielen – um den Charakter und das Wesen von Kandidaten herauszufiltern – kein Richtig oder Falsch. Bei Postkorb-Analysen etwa müssen die Kandidaten mehrere E-Mails nach Priorität sortieren: «Da zeigt sich schnell, ob Empathie vorhanden ist.» Etwa dann, wenn Max Mustermann ausschliesslich auf geschäftsrelevante Mails reagiert, während Mitarbeiteranliegen wie die Abwesenheit aufgrund des kränkelnden Kindes auf den hinteren Rängen landen.

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Besonders aussagekräftig sei auch eine Übung, in der man über die allgemeine Stärken-Schwächen-Nennung hinaus von sich berichtet. Die Experten beäugen dabei nicht nur den Output: «Wir wollen eher sehen, ob jemand in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren», sagt Rusterholz. Denn dies weist darauf hin, ob man aus Fehlern lernt – eine wesentliche Fertigkeit im zeitgeistigen Führungsstil. Denn der stiere Manager, dessen «Führung» darin besteht, einer schweigenden Gefolgschaft Befehle zu erteilen, hat ausgedient. Neu wollen Firmen «Leader»: delegierfreudige Branchenprofis, die fast schon als Coaches fungieren. Auf der Checkliste für Leader sind die sozialen Aspekte und Werte nach oben gerückt: Sie sehen die Stärken anderer und fördern sie, begreifen ihre eigene Position als Dienstleistung, nicht als Status.

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Leadership ist längst keine akademische Theorie mehr, sondern gängige Praxis bei Grosskonzernen. Denn nebst Magdalena Martullo-Blocher, die pedantisch über dem Ems-Chemie-Kader kreist, gibt es auch den «Unbossing»-Prediger Vas Narasimhan, der es sich zum Ziel gemacht hat, beim Pharmariesen Novartis die Hierarchien aufzubrechen. Auch beim Betonmischer Holcim delegiert die Zentrale laufend mehr Verantwortung an Personen in einzelnen Geschäftsbereichen und Ländermärkten. Und Firmenchef Björn Rosengren ist dafür bekannt, dass er bei ABB «die Leute machen lässt».

Von Elon lernen

Wer erfolgreiche autokratische Ein-Mann-Firmen als Argument dafür nimmt, dass ganz oben «ein bisschen Gift» sogar helfe und Soft Skills überholt seien, «hat diese Kompetenzen nicht richtig verstanden», sagt Rusterholz. Denn selbst von einem zur Selbstüberschätzung neigenden Einzelgänger wie Elon Musk kann man sagen, dass er die sozialen Fähigkeiten mitbringt, die seine Branche verlangt: «Er begeistert Menschen und Mitarbeiter für seine Visionen. Er kommuniziert effektiv und lässt sich auch von Widerstand nicht aus der Ruhe bringen.» Milliardenimperien können von Persönlichkeiten à la Musk geführt werden, die alle paar Tage mit markigen Sprüchen den Aktienkurs rauf- und runtertreiben. Es geht aber auch anders, siehe Apple: Tim Cook führt den Big-Tech-Konzern demokratisch, bescheiden und ohne Aufreger – der Aktienkurs dankt es mit einem aktuellen Allzeithoch.

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Vas Narasimhan, Tim Cook, Magdalena Martullo-Blocher und Elon Musk (von links nach rechts): Ganz unterschiedliche Charaktere zieren die Firmenlandschaft. Einige Führungsstile kommen aber aus der Mode.

Vas Narasimhan, Tim Cook, Magdalena Martullo-Blocher und Elon Musk (von links nach rechts): Ganz unterschiedliche Charaktere zieren die Firmenlandschaft. Einige Führungsstile kommen aber aus der Mode.

Keystone / Bloomberg / Getty Images
Vas Narasimhan, Tim Cook, Magdalena Martullo-Blocher und Elon Musk (von links nach rechts): Ganz unterschiedliche Charaktere zieren die Firmenlandschaft. Einige Führungsstile kommen aber aus der Mode.

Vas Narasimhan, Tim Cook, Magdalena Martullo-Blocher und Elon Musk (von links nach rechts): Ganz unterschiedliche Charaktere zieren die Firmenlandschaft. Einige Führungsstile kommen aber aus der Mode.

Keystone / Bloomberg / Getty Images

Obwohl die Kehrtwende im Denken die Nachfrage nach Managerassessments ankurbelt, evaluiert Convidis Personen aller Hierarchiestufen: «Es geht um Schlüsselpositionen.» Etwa um den C-Level, Stabsfunktionen oder um Ämter in Kantonen und Gemeinden. Sogar für eine Pfarrstelle sei Convidis einmal im Rennen gewesen. Das intensive Verfahren habe nur wenige Bewerbende abgeschreckt, eher das Gegenteil sei der Fall: «Wenn Kandidaten sehen, dass so viel Zeit und Ressourcen in sie investiert werden, bindet sie das an das Unternehmen.» Die Kosten bei Convidis liegen je nach Assessment zwischen 5000 und 13'000 Franken. Für ihre Schweissperlen erhalten die Kandidierenden ein Feedback und den vollständigen Bericht mit Stärken und Entwicklungsbereichen. Im Bericht für die Firma vermerkt Convidis, ob sie den Kandidaten weiterempfehlen. Rusterholz stellt klar: «Wir entscheiden nicht.» Mehrere Bewerber können ein «Daumen hoch» erhalten. Die Firma darf selber weitergrübeln, für Convidis ist der Zweck erfüllt: Die Auswahl basiert auf handfesten Informationen, nicht auf einem vagen Bauchgefühl.

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Mann- und Frau-Talent

Diesen Trend hin zu fundierten Bewertungen nennt Astrid Ottiger, Partnerin bei Level Consulting, «einen Schritt in Richtung Chancengleichheit». Die Executive-Search-Firma setzt bei jedem Mandat das digitale Tool Assessment Gate ein – eine von Psychologen und Mathematikern entwickelte Software zur Eignungsprognose. Mittlerweile liegen die Daten von über 18'000 Personen vor – und damit auch einige Erkenntnisse: «In der Gesamtauswertung sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht signifikant», sagt Alain Zanardi, Psychologe und CEO von Assessment Gate. Heisst eigentlich, dass beide Geschlechter gleichermassen für Führungsfunktionen geeignet sind. Bricht man die Ergebnisse auf einzelne Kompetenzen herunter, wird es noch spannender: Frauen schneiden im Schnitt besser ab bei Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Kommunikation und Einfühlungsvermögen – jenen Kompetenzen, die laut Ottiger im neuen Führungsstil besonders gefragt sind.

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Da drängt sich aber die Frage auf, wo denn der weibliche Run auf Top-Positionen bleibe. Alain Zanardi erklärt: «Im Networking und im Selbstmarketing haben Männer die etwas besseren Karten» – ebenfalls unverzichtbar für moderne Führungskräfte. Um diese Lücken zu schliessen, bietet Women-Up, die Schwesterorganisation von Level Consulting, geschlechtsspezifische Coachings und Massnahmen an. Denn wenn es um die Karriereleiter geht, denken viele «nur an die fachliche Eignung», sagt Zanardi. Für ihn ist nach Jahren in der Branche klar, dass es Fähigkeiten wie Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen sind, die den Weg nach oben ebnen. «Statt noch einen EMBA fürs CV lieber ein gezieltes Coaching machen», sagt Zanardi.

Ein Türöffner – jedoch ohne Erfolgsgarantie. Denn es gibt auch Chefs, einst gute Vorbilder mit offenem Ohr, die durch hierarchische Strukturen, permanenten Leistungsdruck und hohe Sparvorgaben zum gefürchteten Mikromanager mit kurzer Zündschnur mutiert sind. Soll heissen: Das Umfeld entscheidet, ob das Gute im Menschen zum Vorschein kommt. Folgenreich ist das etwa bei der Frauenförderung. Sinn und Zweck von Diversity ist die kompetenzbasierte Vielfalt, doch oft wir das gehypte Schlagwort «ausschliesslich auf Frauen reduziert», erklärt Sibylle Olbert-Bock, Professorin für Leadership & HR an der Ostschweizer Fachhochschule und Co-Geschäftsführerin von Women-Up. Was folgt, ist eine «Diversity», die primär auf dem Papier existiert: Frauen kommen in Gremien, in denen sie nur teilweise erwünscht sind, von ihnen wird erwartet, dass sie sich verhalten wie die etablierten Mitglieder – also wie die Männer. Olbert-Bock nennt die Überlebensstrategie, die Frauen in solchen Situationen entwickeln: «Mitmachen oder untergehen.»

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«Soft Skills zu messen, reicht nicht, sie müssen abgerufen, belohnt und gefördert werden», sagt Jochen Menges. Die «Firmenkultur», in der alle in dieselbe Richtung arbeiten, sieht er als dringendste Stellschraube. Dass es mancherorts nicht bei einzelnen Personen, sondern in der ganzen Organisationsstruktur harzt, haben auch Branchenkenner wie Level Consulting und Convidis erkannt und bieten Firmenassessments an. Der prüfende Blick durch die ganze, verästelte Organisation ist mühsam, die nachfolgenden Massnahmen sind es auch. Doch die Intensität, mit der Forschung und Experten darauf drängen, ähnelt der Digitalisierungsdiskussion der vergangenen Jahre. Und auch hier stellt sich weniger die Frage, ob, als vielmehr, wann dieser Mentalitätswandel kommt.

«Viele sind erschöpft»

Statt den Chef an den Pranger zu stellen, lohnt es sich, weiter oben anzusetzen. Schlechtes Benehmen gedeiht in überhitzten Firmen.

Heike Bruch ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen.

Heike Bruch ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen.

ZVG
Heike Bruch ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen.

Heike Bruch ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen.

ZVG

Frau Bruch, Sie erforschen die Energie in Unternehmen. Gemäss Ihrer 2001 gestarteten Längsschnittstudie ist die Stimmung in Schweizer Firmen so schlecht wie noch nie. Wieso – endlich können wir doch bequem von zu Hause aus arbeiten?

Homeoffice reicht nicht. Im Gegenteil: Für viele ist Homeoffice nicht eingespielt und sorgt für negative Energie. Damit «New Work» funktioniert, braucht es das, was wir «New Culture» nennen – also soziale Kompetenzen wie Selbstorganisation und moderne Führung, die viel mehr emotionale Arbeit leisten muss: Führungskräfte müssen heute inspirieren, den Zusammenhalt stärken und in Grenzsituationen für Mitarbeitende da sein. Mit anderen Worten: Zu den Freiheiten müssen auch neue Kultur-Spielregeln kommen. Das klappt in vielen Firmen nicht.

Warum nicht?

Rund 75 Prozent der Unternehmen stecken derzeit in der Beschleunigungsfalle: Das Unternehmen ist überhitzt, es herrscht das Gefühl vor, zu viel oder zu viele verschiedene Dinge erledigen zu müssen. Es bleibt keine Zeit zum Auftanken. Das ist ein Grund, wieso Führungskräfte heute nicht gut führen: Viele sind auch selbst erschöpft.

Gibt es Hoffnung für diese geschlauchten Bosse?

Auf jeden Fall: Statt den Druck zu erhöhen, müssen Unternehmen ihre Führungskräfte stärken und in sie investieren. Zum Beispiel durch Coachings oder Peer-Austausch.

Was lernt man in einem Coaching? Was sind die Todsünden von Chefs?

Es gibt drei Führungsstile, die schlecht für Wohlbefinden und Leistung sind: Command-Control oder übertrieben autoritäre Führung. Zweitens: Laisser-faire – kein Feedback und sich nicht um die Leute kümmern. Besonders Junge mögen das nicht. Drittens und am schlimmsten: destruktive Führung. Die Führungskraft bestraft willkürlich und lässt ihre Aggressionen an den Mitarbeitenden aus.

Interessant. Also einfach diese Punkte vermeiden, und gut ist?

Es hilft, aber man muss weiter gehen. Moderne Führung inspiriert: Führungskräfte erklären den Sinn und begeistern das Team für gemeinsame Ziele. Und sie führen in zwei Modi: Bei Aufgaben, die Effizienz, hohe Qualität und Disziplin erfordern, steuern sie aufs Ergebnis hin, und bei Innovationsaufgaben geben sie Raum und fördern kreatives Denken sowie eine Fehler- und Experimentierkultur. Das nennt sich beidhändige Führung. Und drittens: Caring. Modern zu führen, heisst nicht nur, Leistung zu fördern, sondern auch zu schauen, dass es den Menschen gut geht.

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