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Absturzgefahr

Vom einstigen Kurswunder Vontobel ist wenig geblieben

Braindrain, Kurssturz und ein Präsident mit spezieller Vergangenheit: Vontobel schlingert.

Dirk Schütz

Vontobel

Ein Präsident, zwei Co-Chefs: Vontobel-Präsident Andreas Utermann (o.) mit seinen neuen Co-CEOs Georg Schubiger und Christel Rendu de Lint.

kornel.ch für BILANZ

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Es war ein spezielles Angebot für eine spezielle Bewerbung. Dass der langjährige Vontobel-Chef Zeno Staub für den Nationalrat antrat, hatte in der geschwätzigen Zürcher Banken-Community bereits für Erstaunen gesorgt.

Doch jetzt griff der 54-Jährige zu einem Werbemittel besonderer Art. Nach dem Motto «Rent a Zeno» konnten ihn private Haushalte bei einer Zusammenkunft ab 15 Personen für eine Stunde zur Hausparty («Grillieren, Raclette oder einfach so») begrüssen. Der Bankchef, bislang als eher verkopft bekannt, soll durchaus Wärmepunkte gesammelt haben.

Genützt hat es nichts. Der Angriff auf einen Parlamentssitz endete unspektakulär: Staub wurde nicht gewählt. Zwar legte seine Partei Die Mitte auch im Kanton Zürich ordentlich zu.

Doch der Vontobel-Chef holte gerade 4867 Stimmen. Es war ohnehin eine wilde Wette: Die von Staub angeführte Mitte-Unterliste «Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft» war bislang höchstens Polit-Feinschmeckern bekannt. Seine Wahlchancen im Vorfeld: kaum existent.

Da fragen sich viele Mitarbeiter: Warum hat sich der strategisch so beschlagene Bankchef auf dieses Wagnis eingelassen? Maggie Thatcher, so die Fama, zog nur in Schlachten, die sie sicher gewinnen sollte.

Dieses Motto galt bislang auch für erfolgsverwöhnte Wirtschaftsführer wie Staub. Gewiss, der promovierte HSG-Absolvent pflegt seine eigene Motivation: Er stammt aus einfachen Verhältnissen – sein Vater arbeitete als Schulabwart – und war immer politisch interessierter und intellektuell breiter als die vielen Bonus-Banker um ihn herum.

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Frisch Gekürt: Der Präsident setzte die Doppelspitze durch: Georg Schubiger (l.), Andreas Utermann, Christel Rendu de Lint.

PD
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Frisch Gekürt: Der Präsident setzte die Doppelspitze durch: Georg Schubiger (l.), Andreas Utermann, Christel Rendu de Lint.

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Es darf sogar als wahrscheinlich gelten, dass die überstrapazierte Wendung vom «Zurückgeben an die Gesellschaft» bei ihm stimmt. Aber dennoch: Niemand verliert gern.

Und so liegt der Verdacht nahe: Auch die neue Konstellation bei Vontobel spielt eine Rolle. Lange bildete Staub mit dem früheren CEO und dann langjährigen Präsidenten Herbert Scheidt ein eingespieltes Tandem an der Spitze des Zürcher Traditionshauses.

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Im letzten Jahr begann eine neue Zeitrechnung. Mit dem deutsch-britischen Doppelbürger Andreas Utermann folgte ein neuer Präsident auf Scheidt, der die Altersgrenze von 70  Jahren erreicht hatte. Und der das Amt deutlich aktiver auslegt als sein Vorgänger.

Scheidt kam von der Deutschen Bank in Genf und war dort Schweiz-Chef, ein breit gefächerter Banken-Generalist mit jovialer Note, der aber bei Bedarf durchaus akribisch werden konnte. Utermann war dagegen 18 Jahre bei der deutschen Versicherungsikone Allianz tätig und leitete von London aus die Anlagetochter Allianz Global Investors (Agi).

Dort war er lange auch Chief Investment Officer und versteht sich deshalb als Anlagekoryphäe. Das spürt die Bank, die ja nur noch Investmenthaus genannt werden will.

 

Heftige Turbulenzen

Die Turbulenzen sind derzeit heftig. Mit Staub wird auch Chief Operating Officer Felix Lenhard die Bank verlassen, Staubs engster Mitstreiter – die beiden Ökonomen hatten einst nach der HSG eine eigene Investmentfirma betrieben.

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Und vor Kurzem, mit der Kür der bisherigen Spartenchefs Christel Rendu de Lint und Georg Schubiger zur neuen Doppelspitze, verkündete auch der verdiente Asset-Management-Chef Marko Röder seinen Rücktritt. Staub, Lenhard, Röder: Da geht viel Expertise und Herzblut von Bord in einer Bank, die stets auf Firmentreue, familiäre Atmosphäre und kurze Dienstwege setzte.

Jeder Abgänger mag eine persönliche Begründung nennen. Doch die Häufung fällt auf. So viel Braindrain an der Spitze war selten.

Auch von dem einstigen Kurswunder Vontobel ist wenig geblieben: In den letzten zwei Jahren ist die Aktie um mehr als 40 Prozent gefallen. Allein in diesem Jahr verlor Vontobel gegen 15 Prozent, deutlich mehr als die Bank Bär. Der Rivale ist fast überall dreimal so gross.

Nur beim Salär bezieht Utermann mit durchaus opulenten 2,5 Millionen Franken für ein 80-Prozent-Pensum das Zweieinhalbfache seines Pendants Romeo Lacher – notabene als formal nicht operativer Vormann einer Bank mit gerade 2200 Mitarbeitenden. Zwar läuft das Private Banking weiter gut. Doch die Zinswende hat das Asset Management heftig leiden lassen. Utermanns Domäne, ausgerechnet.

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Und dann schwebt noch eine unappetitliche US-Affäre über dem Präsidenten. In seiner Zeit als CEO war Allianz Global Investors in den USA in betrügerische Aktivitäten verwickelt. Die Firma bekannte sich nach seinem Abgang schuldig. Nächstes Jahr soll es in New York zum Prozess kommen. Neue unliebsame Details drohen.

Veteranen fühlen sich schon an die Dotcom-Mania der Jahrtausendwende erinnert, als die Bank wilde Geschäfte tätigte und es das Machtwort des Patriarchen Hans Vontobel brauchte, um sie wieder in ruhigere Gewässer zu führen.

Doch der Senior ist 2016 gestorben. Die neuen Familienvertreter im Verwaltungsrat, die Anwältin Maja Baumann und der Investor Björn Wettergren, vertreten zwar noch immer 50,9 Prozent von Stimmen und Kapital. Doch die Statur des Patrons haben sie nicht. Es herrscht ein Machtvakuum – und das füllt Utermann.

Ein Oktobermorgen in London. Utermann hat in der Finanzmetropole seinen Lebensmittelpunkt. Er wohnt im noblen Stadtteil Hampstead, seine Frau betreibt hier eine Beratungsfirma für Inneneinrichtungen, die drei Töchter sind hier aufgewachsen. Der 57-Jährige ist ein international verwurzelter Europäer: Seine Eltern waren Eurokraten in Brüssel, Utermann studierte an der London School of Economics und verbrachte fast sein gesamtes Berufsleben in der britischen Hauptstadt.

Das kleine Büro von Vontobel Asset Management liegt an bester Lage, in Schrittdistanz zur noblen Bond Street. Zwar bewohnt er auch eine geräumige und durchaus familienkompatible Wohnung im Zentrum Zürichs. Doch ein Vollumzug in die Schweiz ist nicht geplant. Dafür hat seine Frau zu viel Freude an ihrer Firma.

Geteilte Macht

Der Auftritt: casual – schwarz gebleichte Jeans, braunes Lederarmband, schwarzer Lederring. Ein eigenes Büro hat er nicht, er sitzt neben den wenigen Mitarbeitern am Desk. «Die freuen sich, wenn der Chairman da ist», flötet der Pressechef. Der Ton: direkt, umgänglich – aber durchaus spitz, wenn die Fragen nicht munden.

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Vontobel

Erfolgstandem: Der langjährige VR-Präsident Herbert Scheidt (l.) und CEO Zeno Staub.

Gian Marco Castelberg / 13 Photo
Vontobel

Erfolgstandem: Der langjährige VR-Präsident Herbert Scheidt (l.) und CEO Zeno Staub.

Gian Marco Castelberg / 13 Photo

Für die Nachfolge von Staub wählte der Präsident eine überraschende Lösung. Vontobel ist international ein Miniplayer. Dennoch leistet sich die Bank fortan gleich zwei CEOs – die Investmentchefin Rendu de Lint und den Wealth-Management-Chef Schubiger. Uterman lieferte eine Erklärung, die bei vielen Bankern eher für Erheiterung sorgte: Die Finanzwelt sei so komplex geworden, dass ihr «stark auf einen CEO ausgerichtete Unternehmen nicht mehr gerecht werden können».

Nun ja – selbst deutlich komplexere Finanzkonzerne wie UBS, Zurich oder der US-Monolith J.P. Morgan kennen keine Doppelspitze, weil sie in der Vergangenheit fast immer zu Machtkämpfen und Verantwortungswirrwarr führte. Doch Utermann setzte das Modell durch, das er schon bei der Allianz gelebt hatte. Jedoch: Da ging es um Spartenleitungen. An der Spitze hatte auch die Allianz nie eine Doppelführung. Für den CEO-Posten gilt eben: Geteilte Macht ist halbe Macht. Doch jetzt thront darüber der Präsident – ganz allein. «Diese Lösung stärkt vor allem die Macht eines Mannes: Andreas Utermann», betont ein langjähriger Verwaltungsrat.

Im Gespräch lässt sich Utermann nicht beirren. Die Doppelspitze? Die Bank wolle die Silos aufbrechen und als «One Vontobel» arbeiten, da sei ein Tandem die beste Lösung. Warum kein neuer Chef von aussen? Zu viel Reibungsverluste. Die vielen Abgänge auf Top-Ebene? Normaler Generationenwechsel. Fazit zur neuen Führungsstruktur: «Wir werden in drei, vier Jahren alle sagen: Es ist ein voller Erfolg.»

Viel Gravitas

Wie stark sich die Macht verlagert hat, zeigt auch der Umbau des Verwaltungsrats. Bei seiner Ankunft gab es zwei Komitees: Das Nominations- und das Audit Committee. Utermann installierte ein drittes: das Investment Oversight Committee. «Wenn wir ein Investmenthaus sein wollen, müssen wir diese Expertise für strategische Fragen auch im Verwaltungsrat abbilden», begründet er den ungewöhnlichen Schritt.

Der Vorsitz liegt bei ihm, mit dabei sind die Verwaltungsräte Wettergren und Elisabeth Bourqui, dazu die bisherige operative Geschäftsführung mit Staub, Rendu de Lint, Schubiger und Röder. Man trifft sich mindestens alle zwei Monate, um die grossen Linien festzulegen, von Risikoappetit bis zu Personalfragen. Die Agenda bereitet der Präsident vor. Die Spielräume der Geschäftsleitung werden da enger. Staub und Röder sind dann bald mal weg.

Schon sehen Bankkenner Parallelen zu CS-Kurzzeit-Präsident António Horta-Osório, der ebenfalls mit Londoner Sozialisierung in die Schweiz wechselte und den Fehler so vieler Präsidenten von aussen beging: Er interpretierte das Schweizer Aktienrecht, das ihm die strategische Oberleitung zusprach, als Freifahrtschein zum Durchgreifen und installierte sich als eine Art Über-CEO.

Horta-Osório legte anfangs sogar Wert darauf, in Pressemitteilungen den gerade von der Queen verliehenen Titel «Sir» zu verwenden. Da werten es manche Bankmitarbeiter als böses Omen, dass Utermann in den Pressemitteilungen gleich das doppelte Mittelinitial beansprucht: «Andreas E.F. Utermann» (für «Ernst Ferdinand»). So viel Gravitas verströmte er bei der Allianz noch nicht.

Die Saga des professionellen Finanzprofis leidet jedoch unter einem Betrugsfall bei seinem Ex-Arbeitgeber Allianz. Das Haus mit dem Sitz an der Königinnenstrasse in München ist, wenn es denn so etwas gibt, die erste Adresse deutschen Finanzadels.

Und da war es eine Demütigung besonderer Güte, dass es nach einer aufwendigen Untersuchung der Us-Börsenaufsicht Sec und des Justizministeriums im letzten Jahr sechs Milliarden Dollar Strafe für Verfehlungen bei der Konzerntochter Agi zahlen musste, zusätzlich verschärft durch ein Schuldgeständnis («guilty plea») und ein Geschäftsverbot im lukrativen US-Asset-Management-Markt für zehn Jahre.

Utermann stieg 2012 zum Chief Investment Officer und Co-Chef von Allanz Global Investors auf. Dort arbeitete auch ein gewisser Greg Tournant, ein amerikanisch-französischer Doppelbürger, der in Miami mit einem Dutzend Mitarbeitern eine Art eigenen Shop betrieb. Er bot sogenannte «Structured Alpha Funds» an, mit denen er den heiligen Gral der Finanzalchemie gefunden haben wollte: erhöhte Returns bei abgesichertem Risiko.

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Björn Wettergren Maja Baumann VR Bank Vontobel

Mehrheit von 50,9 Prozent: Die Familien-Verwaltungsräte Björn Wettergren und Maja Baumann.

Joseph Khakshouri
Björn Wettergren Maja Baumann VR Bank Vontobel

Mehrheit von 50,9 Prozent: Die Familien-Verwaltungsräte Björn Wettergren und Maja Baumann.

Joseph Khakshouri

Er investierte in Hochrisikoanlagen, versprach den Kunden aber Absicherungen bei Marktschwächen. Mindestens in einem Jahr, 2014, war er Utermann direkt unterstellt. Und genau in diesem Jahr, so beschreiben es die US-Behörden, begann Tournant mit den betrügerischen Aktivitäten, die später in einer Anklage auf «Betrug, Wertpapierbetrug, Verschwörung und Behinderung» münden sollten.

Tournant agierte losgelöst von der Zentrale und schickte seinen Kunden Berichte, die die Performance seiner Fonds schönten. Er liess sich ausschliesslich über die Performance Fee bezahlen, was den Risikoappetit steigerte.

Der Chef Utermann liess es zu, einheitliche Standards gab es nicht. Dass Tournant dann von seiner versprochenen Absicherungsstrategie abrückte, blieb offenbar unbemerkt. Die Kosten der Hedging-Produkte drückten auf den Ertrag, also griff Tournant laut Anklage zu billigeren Produkten mit geringer Absicherung, entgegen den Versprechungen an seine Kunden.

Keine Kontrolle

Als Utermann 2016 alleiniger Agi-Chef wurde, war der Mann in Miami der Star der Firma. Er erzielte bis zu einem Viertel des US-Gewinns. Seine Ausnahmestellung zeigte sich auch an dem entscheidenden Gütesiegel der Finanzindustrie: dem Salär.

Tournant verdiente in guten Jahren als Top-Verdiener der Firma gegen 15 Millionen im Jahr – mehr als das Doppelte seines Chefs. Die Hälfte der Gewinne landete bei Tournants Team, die andere Hälfte in der Firmenkasse – und liess damit auch die Boni von Utermanns Geschäftsleitung anschwellen.

Die Warnungen blieben nicht aus. Tournant brüstete sich gegenüber seinen Kunden damit, dass er eine solide deutsche Versicherung als «Master Cop» im Rücken habe. Doch genau das war das Problem: Der Master Cop schaute nicht genau hin – weder Utermann als Chef noch die Kontrolleure bei der Konzernmutter in München.

Der interne Audit signalisierte 2017 falsche Darstellungen in der Kundenkommunikation und forderte «eine tiefgreifende Überprüfung der Marketing-Unterlagen, um sicherzustellen, dass die Darstellungen den Investmentprozess genau abbilden».

Doch die Kontrolleure reichten das Begehren einfach an Tournants Team weiter, und dort versandete es. Weder aus der Allianz-Zentrale noch aus der Agi-Geschäftsleitung um Utermann hakte jemand nach. «Wäre es zu einer unabhängigen Untersuchung gekommen, hätte die Kontrollfunktion von Agi Us die Falschdarstellungen zu den Hedging-Positionen entdecken können», folgern die US-Behörden.

Als die Marktturbulenzen 2018 zunahmen und die Hedging-Kosten anstiegen, lockerte Tournants Team die Bremsen weiter und kaufte Hedges, die erst bei einem Markteinbruch von gegen 50 Prozent innerhalb von fünf Tagen statt der versprochenen 10 bis 15 Prozent griffen. Und weil die Kontrollen fehlten, schritt auch niemand ein.

Ein Jahr später gab Utermann seinen Abschied von AGI bekannt. Er wolle sich um seine Töchter kümmern, so seine Version: «Man wird mich dreieinhalb Jahre nicht in einer Firma sehen.» In der Zentrale in München raunte man dagegen über eine Trennung von Utermann, der sich laut «Manager Magazin» für Risiken «eher peripher» interessierte und «einen Sanierungsfall» hinterliess.

Der Crash kam mit dem Corona-Einbruch im März 2020. Durch die fehlenden Absicherungen verloren die Fonds sieben Milliarden Dollar. Zu den Verlustkunden gehörten mehr als 100 institutionelle US-Anleger mit Tränenpotenzial: die Pensionskassen von «Lehrern, Busfahrern und Wohlfahrtsorganisationen», wie das Justizdepartment rituell dramatisch festhielt. Im Juli 2020 informierte die SEC die Allianz. Utermann war da gerade weg, sein Beratermandat war Ende Juni abgelaufen.

Doch es war schon ein neuer Job aufgetaucht. Vontobel hatte im Frühjahr 2019 den Nachfolgeprozess für den langjährigen Präsidenten Scheidt eingeleitet, und die Fahnder von Egon Zehnder hatten eine Longlist erstellt. Im März 2020, genau zu dem Zeitpunkt, als die Fonds explodierten, erreichte die Anfrage Utermann. Er war sofort interessiert: die grossen Gestaltungsmöglichkeiten eines Schweizer VR-Präsidenten, dazu noch ein üppiges Salär in eiserner Währung.

Für Zehnder wurde er schnell zum Top-Kandidaten: internationaler Background, Asset-Management-Kenner, umgänglich, führungsstark. Er traf sich auch mit den Familienvertretern Baumann und Wettergren, die offensichtlich beeindruckt waren von dem Kosmopoliten.

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CS-Kurzzeit-Präsident António Horta-Osório gab sich als Über-CEO.

Keystone
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CS-Kurzzeit-Präsident António Horta-Osório gab sich als Über-CEO.

Keystone

Die Verhandlungen liefen ein gutes halbes Jahr, dann bekam Utermann den Zuschlag. Doch er wollte wegen der Verpflichtung gegenüber seiner Familie nicht sofort einsteigen. So einigte man sich, auch in Absprache mit der Finma, die Utermann gern ein Jahr Einarbeitungszeit verschrieb: Eintritt in den Verwaltungsrat im April 2021 mit der Ankündigung, ein Jahr später das Präsidium zu übernehmen.

Allianz kippt um

Der US-Skandal spielte während des gesamten Rekrutierungsprozesses keine Rolle. Weder der Vontobel-Verwaltungsrat noch Egon Zehnder oder die Finma wussten davon. Hinter den Kulissen lief jedoch viel: Im September 2020 leiteten SEC und Justizministerium ein Verfahren gegen die Allianz ein, der Versicherer begann seine eigene Untersuchung. Als Utermann im April 2021 in den Verwaltungsrat gewählt wurde, fuhr die Allianz gegenüber den US-Behörden noch immer die übliche Tour angeklagter Finanzkonzerne: abschotten und abstreiten.

Die Kehrtwende kam erst, als Stephen Bond-Nelson, der wichtigste Mitarbeiter Tournants, im Mai 2021 in einem Verhör angesichts der grossen Beweislast kippte und Tournant belastete. Das Justizdepartement informierte die Allianz über den neuen Stand der Untersuchung. Jetzt brach der Schutzwall. Am 1. August 2021, drei Monate nach der Wahl Utermanns in den Verwaltungsrat, erfuhr erstmals die Öffentlichkeit von den Verfahren: Die Allianz veröffentlichte eine Pressemitteilung und warnte vor «erheblichen Auswirkungen auf künftige Finanzergebisse». Der Kurs brach ein.

Der Name Utermann tauchte jedoch nirgends auf, und so war die Angelegenheit auch im Vontobel-Verwaltungsrat kein Thema. Erst als Ende 2021 im «Manager Magazin» der Name Utermann im Zusammenhang mit dem Fall erwähnt wurde, soll der Verwaltungsrat, damals noch von Scheidt geführt, bei Utermann nachgefragt haben.

Er soll die Antwort gegeben haben, die auch heute noch gilt (er äussert sich zu dem Thema nicht): Er sei nie befragt worden, weder von amerikanischen noch von deutschen Behörden (auch die Finanzaufsicht BaFin hatte eine Untersuchung gestartet). Von dem Fehlverhalten habe er nichts gewusst. Die Verluste seien erst nach seinem Ausscheiden angefallen. Das genügte dem Verwaltungsrat offenbar. Am 6. April 2022 wählte er Utermann wie vereinbart zum Präsidenten. In der Öffentlichkeit war kaum etwas über den Fall bekannt.

Das änderte sich am 17. Mai, fünf Wochen nach Utermanns Wahl. Die New Yorker Staatsanwaltschaft veröffentlichte ihre 49-seitige Anklageschrift gegen Tournant mit vielen Details über das Risikoversagen von Utermanns einstiger Firma.

Der Allianz blieb nur das Schuldbekenntnis mit Rekordbusse. Das finale Verdikt des Justizministeriums kam am 12. Juli 2022: «Den Anlegern die Wahrheit zu sagen, ist die zentrale Pflicht eines Anlageberaters. AGI hat gegen diesen zentralen Grundsatz verstossen und die Anleger getäuscht, indem sie das Risiko, dem ihre Vermögenswerte ausgesetzt waren, erheblich untertrieben hat.»

«Projekt Tango»

Es war die staatliche Bestätigung: Unter Utermanns Führung hat die Firma über Jahre hinweg Anlegertäuschung betrieben. Wohlgemerkt: Niemand behauptet, dass Utermann von den Verfehlungen etwas gewusst hat. Es ist in der Tat nirgends ein Verfahren gegen ihn bekannt, genauso wenig wie gegen seine Mitstreiter im damaligen Führungsteam. Dass die Allianz fast ein Jahr gegenüber den US-Behörden mauerte, hat die Strafe zudem in die Höhe getrieben.

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Im September 2021, kurz nach der Bekanntgabe der Gewinnwarnung, trennte sich der Versicherer von Jacqueline Hunt, die als Asset-Management-Chefin Utermanns Bereich in der Konzernleitung vertrat. Von den Betrügereien hat sie wohl genauso wenig gewusst wie Utermann.

Aber die US-Behörden wollen bei derartigem Fehlverhalten Köpfe ganz oben rollen sehen. Dass Utermann, wäre er denn noch CEO von Allianz Global Investors, weiterhin im Amt wäre, darf als unwahrscheinlich gelten. Da ist es schon eine aparte Wendung, dass Vontobel ausgerechnet den Ausbau des US-Geschäfts zur Priorität erklärt hat. Utermanns alter Arbeitgeber wurde aus den USA verbannt.

Bislang schwächt die Affäre Utermann intern nicht. Die Idee mit der Doppelspitze konnte er ohne grosse Widerstände durchsetzen. «Wir waren überrascht – der Anstoss kam vom Verwaltungsrat», sagt die designierte Co-Chefin Rendu de Lint.

Die Genferin mit HSG-Abschluss und viel Asset-Management-Erfahrung – Morgan Stanley, Pictet, UBP – wäre gern alleinige CEO geworden, wie auch ihr neuer Mit-Chef Schubiger. Doch Utermann informierte beide früh über das Gemeinschaftsprojekt, und so fanden sie zwangsläufig unter dem «Projekt Tango» zusammen. Ihre bisherigen Geschäftsbereiche führen sie weiter, was zu starken Gestaltungswillen als Gegenpol zum Präsidenten weiter bändigt. «Die Chemie stimmt», betont Schubiger zwar. Doch der Praxistest steht noch aus.

Ausgestanden ist der US-Fall noch nicht. Der Prozess gegen Tournant, der auf seine Unschuld pocht, sollte ursprünglich am 5. Februar 2024 beginnen. Jetzt wurde er auf den 24. September verschoben. Das Medieninteresse wird gross sein, die Unzulänglichkeiten unter Utermanns Ägide dürften hell ausgeleuchtet werden.

Sollte es der Familie zu viel werden, gäbe es einen Ersatzkandidaten. Nach seiner gescheiterten Wahl hat Zeno Staub viel Zeit. Dass er 2025 in den Verwaltungsrat eintritt, wurde bereits verkündet. Präsident wollte er bislang nicht werden.

Doch wenn die Pflicht ruft, hat er sich noch selten gesperrt.

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Dirk Schütz

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