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USM Haller: Chefmöbel aus der Provinz

Alexander Schärer führt das Familienunternehmen USM in vierter Generation. Die Pandemie verändert den Büromöbelmarkt.

Bastian Heiniger

Alexander Schär USM

GRÜNDER-NACHKOMME Alexander Schärers Vater hat zusammen mit dem Architekten Fritz Haller die heute berühmten Möbel entworfen. Schärer besitzt das Unternehmen zusammen mit seiner Schwester und führt es als CEO und Verwaltungsratspräsident.

PD

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Alexander Schärer stapelt nicht unbedingt tief, wenn er behauptet, seine Firma sei ein kleines Unternehmen. Der Umsatz, den er nicht konkret beziffern will, dürfte sich irgendwo zwischen 200 und 250 Millionen Franken bewegen. Damit käme man in der Liste der 500 grössten Schweizer Firmen bloss auf einen Schlussrang. Sicher aber ist auch: Im Gegensatz zu vielen der anderen ist USM Haller eine Weltmarke. Was Lindt für Schokolade und Rolex für Uhren sind, das ist USM für Büromöbel. Ein Schweizer Exportschlager.

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Die modularen und minimalistischen Konsolen, Sideboards und Regale stehen in schicken Kanzleien, Lofts und Praxen zwischen Sydney, Berlin und San Francisco. Sie stehen im Roche Tower, im Bundeshaus, in der französischen Nationalbibliothek und im New Yorker Museum of Modern Art. Und zwar nicht nur in den dortigen Büroräumen, das Museum nahm die in der Schweiz produzierten Möbel vor 20 Jahren gleich auch in die permanente Sammlung auf – die endgültige Krönung zum Designklassiker. «Wir sind sehr international für unsere Kleinheit», ergänzt Schärer, der das Unternehmen in vierter Generation führt.

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Doch die Bürowelt von heute, sie ist entvölkert. Nur 14 Prozent der Arbeitsplätze sind aktuell belegt, wie Zahlen des Zürcher Unternehmens Locatee besagen. In anderen Ländern sieht es nicht viel anders aus. Man würde daher einen eher betrübten USM-Chef erwarten. Denn wer kauft momentan schon Büromöbel im grossen Stil? Und wer tut es künftig? Selbst Schärer hat aufgrund der jüngsten viralen Zuspitzung die Policy verschärft und setzt für externe Treffen wieder auf die Videokonferenz.

Der 56-jährige Berner wirkt jedoch beileibe nicht niedergeschlagen. Sicher, die Pandemie habe das Geschäft stark beeinflusst, sagt er. So beantragte er zu Beginn noch Kurzarbeit und reiste mit dem Wohnmobil zu Standorten in den Nachbarländern; das sei unkomplizierter gewesen, als in Hotels zu übernachten.

Büromöbelbedarf Pandemie
Credit Suisse, BfS
Büromöbelbedarf Pandemie
Credit Suisse, BfS

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Seine Sorge gilt aber nicht etwa ausgedünnten Auftragsbüchern, wie Schärer in einem tiefenentspannten Duktus erzählt, hinter ihm ein rappelvolles USM-Regal mit Krimis, Reiseführern und Büchern über Kunst und Design, schwieriger sei es, sagt er, überhaupt genügend Blech zu bekommen. «Schon drei Monate nach dem Pandemiebeginn liefen wir an der Kapazitätsgrenze.» Der Laden brummt.

Ungewöhnliches Wachstum

Pandemie und Homeoffice haben nicht geschadet, im Gegenteil. Der Umsatz hob dieses Jahr ab um ungewöhnliche 35 Prozent. Zwar rechnet Schärer für nächstes Jahr mit einer Stagnation – Ende 2022 dürfte das Wachstum für die letzten drei Jahre im Schnitt dennoch 15 Prozent per annum betragen. Beachtlich für einen etablierten Möbelhersteller, der sonst kaum als Wachstumsunternehmen durchgeht und für Investitionen eisern auf die eigene Kasse und nicht auf Bankkredite setzt. Doch USM ist so wandelbar wie die Möbel, die es produziert. Es liegt in der DNA.

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Die Geschichte geht zurück auf einen Metall- und Schlosserbetrieb. Gegründet wurde er vom Namensgeber Ulrich Schärer 1885 in Münsingen BE. Dessen Söhne und Enkel bauten das Geschäft aus zu einer rasant wachsenden Firma für Fensterbeschläge. Dass sie heute Möbel produziert, ist mehr oder minder einem Zufall geschuldet und Gründer-Enkel Paul Schärer (Alexander Schärers Vater) zu verdanken. Der Ingenieur mit ETH-Abschluss wollte die Firma damals modernisieren und brauchte dringend einen grösseren Sitz.

So beauftragte er 1961 den renommierten und zukunftsgerichteten Solothurner Architekten Fritz Haller, der ein flexibles Bausystem aus metallenen Stützen, Trägern und Fassadenelementen entwarf. Ein Gebäude, das sich je nach Wunsch problemlos erweitern lässt und doch wie aus einem Guss daherkommt. Zwar hatte Alexander Schärers Vater, der vor zehn Jahren gestorben ist, bald einen spektakulären Neubau, allerdings kein dazu passendes Mobiliar. Also baute er es zusammen mit Haller selbst.

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USM Fabrik September 2012

DAS VORBILD Zuerst kam das modular aufgebaute Firmengebäude. Passend dazu entwarf USM zusammen mit dem Architekten Fritz Haller das Mobiliar.

PD
USM Fabrik September 2012

DAS VORBILD Zuerst kam das modular aufgebaute Firmengebäude. Passend dazu entwarf USM zusammen mit dem Architekten Fritz Haller das Mobiliar.

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Der Architekt übersetzte sein Fabriksystem auf Möbel, und Paul Schärer entwickelte die metallenen Verbindungselemente – eine Kooperation zwischen Designer und Ingenieur. Es entstand das ikonische USM-Haller-System, bestehend aus Kugeln, Verbindungsrohren und Blechelementen, die sich beliebig zusammenstellen lassen. Ein Regal, das trotz seiner Funktionalität die Eleganz für eine gehobene Büroatmosphäre mitbringt.

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Es brauchte aber etwas Glück, dass die für den Eigenbedarf geplanten Möbel heute nicht bloss in Münsingen stehen. In einer Architekturzeitschrift entdeckten französische Inneneinrichter, die an der Neuausstattung der Pariser Bank Rothschild arbeiteten, die USM-Möbel. Baronesse de Rothschild selbst soll davon begeistert gewesen sein. 600 Arbeitsplätze durfte USM ausstatten und zog dafür 1969 eine Produktionslinie hoch. Auch in der Preisgestaltung bewies Paul Schärer Kreativität: Den Preis für ein Kilogramm Möbel veranschlagte er anhand des Kilopreises für den damals beliebten VW Käfer.

Dank der ersten Serienproduktion wurden die Möbel aus der Berner Provinz international bekannt. USM baute sich nun ein Händlernetz auf und im deutschen Bühl eine erste Tochtergesellschaft im Ausland. Alexander Schärer, der sich an der EPFL ebenfalls zum Ingenieur hatte ausbilden lassen, übernahm 1995 den väterlichen Betrieb und besitzt ihn heute zusammen mit seiner Schwester, die als Ärztin arbeitet und mit ihm ebenfalls im Verwaltungsrat sitzt. Als frischgebackener Patron trieb er die Auslandsexpansion voran, eröffnete Niederlassungen in Charnay-lès-Mâcon (nördlich von Lyon), New York, Tokio und London. USM-Showrooms stehen heute etwa auch in Bern, Berlin, Düsseldorf, München oder Stuttgart. In mehr als 40 Länder wird geliefert.

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Deutschland ist noch immer der grösste Markt. Fahrt aufgenommen hat jüngst das Geschäft in Fernost, wo USM-Möbel überwiegend bei Privatkunden auf Anklang stossen. Früher war weltweit das Verhältnis klar: 80 Prozent waren Firmenkunden. Vor einem Jahr betrug der Absatz für Privatkunden bereits gegen 40 Prozent. «Nun hat sich das Verhältnis gedreht», sagt Schärer. «Home ist jetzt mit mehr als 50 Prozent der grössere Absatzkanal.»

Büro der Zukunft

Ein autorisierter Händler der ersten Stunde ist das Möbelhaus Wohnbedarf mit Filialen in Zürich, Basel und Frauenfeld. Für Inhaber und CEO Felix Messmer ist USM neben Vitra, Cassina und Knoll International eine der wichtigsten Marken: «USM-Regale sind die einzigen Büromöbel, die sich Privatkunden gerne in die Wohnung stellen.» Oder anders gesagt: Es gebe kein anderes Büromöbel, das gleich aussehe wie in den 80er Jahren und noch immer modern wirke. «Visuell wird es einfach nicht alt.» Simpler lässt sich die Erfolgsformel wohl nicht erklären.

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Die Frage ist aber auch, inwiefern im papierlosen Büro noch Regale gebraucht werden. Früher hat laut Messmer ein Geschäftskunde pro Arbeitsplatz sieben Laufmeter Regal gekauft, heute vielleicht noch einen. «Dafür aber lassen sich immer mehr Privatkunden ein Fernsehmöbel, ein Büchergestell oder einen Nachttisch von USM auf ihre Wünsche hin zusammenstellen.» Verloren sei aber auch der klassische Firmenkunde nicht, sagt Messmer. Und das sieht auch Schärer so.

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Die meisten Unternehmen schmieden derzeit Pläne fürs postpandemische Büro. Das reine Homeoffice wird sich in vielen Branchen kaum durchsetzen. Also braucht es neu konzipierte Räume. USM arbeitet derzeit mit dem Thinktank Institute of the Future aus dem Silicon Valley an einem Buchprojekt über das Büro der Zukunft. Schärer erhofft sich dadurch auch da und dort Aufträge von US-Tech-Firmen. Traditionell wird in den USA weniger Geld ausgegeben fürs Büromobiliar, spätestens wenn es nach fünf Jahren abgeschrieben ist, wird es ersetzt. Das steht jedoch kaum noch im Einklang mit dem Nachhaltigkeitsgedanken. Und so könnten die praktisch für die Ewigkeit gebauten Möbel in Nordamerika neuen Auftrieb erhalten.

USM selbst hat schon kurz vor der Pandemie die eigenen Büros in Münsingen umgebaut – weg von klassischen Arbeitsplätzen, hin zu unterschiedlichen Begegnungszonen. Das gemeine Grossraumbüro dürfte an Bedeutung verlieren. Gefragt sein werden Ruhezonen für konzentriertes Arbeiten, Zonen für Teamarbeit und Begegnung, kleine Kabinen für Videomeetings und Sitzungszimmer, die so gebaut sind, dass man Teilnehmende auf einer grossen Leinwand auch per Video zuschalten kann. Wichtiger wird auch die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Zonen. Kurz vor der Pandemie lancierte USM dafür neue Regale mit Aussparungen für Topfpflanzen.

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Büros USM-Haller

BÜRO DER ZUKUNFT Noch vor der Pandemie liess Alexander Schärer am Sitz in Münsingen die Bürolandschaften neu zusammenstellen. Statt eines Grossraumbüros gibt es nun diverse Zonen.

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Büros USM-Haller

BÜRO DER ZUKUNFT Noch vor der Pandemie liess Alexander Schärer am Sitz in Münsingen die Bürolandschaften neu zusammenstellen. Statt eines Grossraumbüros gibt es nun diverse Zonen.

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Eine andere Innovation ist das elektronische Schloss, das sich via App steuern lässt. USM stattet damit aktuell einen Grosskonzern als Pilotkunden aus. Die Firmenzentrale kann dann etwa einstellen, welche Mitarbeiter zu welchen der 3000 Schliessfächer Zugang erhalten, und eine Kaderperson kann beispielsweise ihr Fach auch von zu Hause aus ihrer Assistenz für einen gewissen Zeitraum freischalten. Laut Schärer sollen die elektroni-schen Schlösser nächsten Frühling in allen Märkten ausgerollt werden.

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Wenngleich die Möbel äusserlich ähnlich daherkommen wie eh und je, so haben sie sich über die Jahre innerlich stark verändert: An der Mechanik wurde gefeilt, und die Experten tüfteln stets an neuen technischen Lösungen wie etwa Beleuchtungssystemen, die sich dereinst über den Sprachassistenten bedienen lassen sollen.

E-Commerce-Offensive

Optimiert wurde auch die Produktion. 2013 investierte Schärer rund 20 Millionen Franken in die Gebäudeerweiterung und eine neue Pulverbeschichtungsanlage, die unterirdisch ein Areal der Fläche von 14 Tennisplätzen einnimmt. In vier vollautomatischen Farbstrassen wird gezielt elektrostatisch geladenes Pulver in diversen Farben auf die frisch gestanzten Rohlinge geschossen. Täglich werden rund 6000 Quadratmeter Metallelemente verarbeitet.

Für Stahl und Chrom setzt USM auf möglichst nahe gelegene Hersteller. Auch in der Beschaffung will man nachhaltig sein, was die Möbel freilich teuer macht. Über Margen und konkrete Zahlen spricht Alexander Schärer ungern. Man sei jedoch langfristig profitabel. Aktuell will Schärer vor allem digital vorankommen. Im Sommer hat USM zusammen mit dem US-Unternehmen Pure Storage die gesamten Datencenter modernisiert und in ein hybrides Cloudsystem gehievt.

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Früher seien noch viele Aufträge in Papierform verarbeitet worden, sagt Thomas Flügge von der IT-Abteilung bei USM. «Nun können wir von der Bestellung bis zur Auslieferung alles in einem Guss abwickeln.» Verbessert wurde besonders der Onlineshop, der weltweit noch keine zehn Prozent der Umsätze generiert. Das soll sich ändern. Im Sommer hat USM nun auf der Website einen neuen Konfigurator eingeführt. Kun-Somden können damit ihr Möbel nach Belieben selbst zusammenbauen und es dank Augmented-Reality-Funktion auf dem Smartphone in ihren Raum projizieren. Davor musste ein Kunde individuelle Wünsche bei einem Vertriebspartner anmelden, dieser zeichnete dann im Programm das Möbel und übermittelte den Auftrag.

Einblicke in die USM-Fabrik in Münsingen

USM Fabrik September 2012
USM Fabrik September 2012
USM Fabrik September 2012
USM-Möbel
USM-Möbel
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HEIMISCHE PRODUKTION Die USM-Möbel werden am Standort in Münsingen produziert. Angeliefert werden bis zu zwei Kilometer lange Blechrollen, die dann gestanzt und eingefärbt werden. Mitarbeiter montieren die vorgefertigten Module von Hand zusammen.

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«Der neue Onlinestore öffnet uns neue Märkte», sagt Schärer. Zum Teil kamen nun Bestellungen aus der amerikanischen Prärie. In Südkorea laufen schon 50 Prozent der Verkäufe über den Onlinestore. Während die typischen Käufer in Europa gut verdienende Mittvierziger sind, fühlen sich gerade in Südkorea und China besonders jüngere Kunden angesprochen. «Wenn dort ein K-Pop-Star vor einem USM Möbel performt, schnellen die Bestellungen rapide hoch.»

Dass Schärers Herzblut in der Firma steckt, wird im Gespräch rasch klar. Leute, die mit ihm zu tun haben, beschreiben ihn als einen extrem langfristig denkenden Unternehmer. Trotz aller Liebe zu USM möchte Schärer, der gerne segelt und in Zermatt das Hotel Omnia besitzt, nicht bis ins hohe Alter arbeiten. Die Firma soll aber in Familienhand bleiben und in eine fünfte Generation übergehen. Schärer selbst hat keine Kinder. Würde dereinst sein Neffe übernehmen, müsste er bis 80 arbeiten – zu lange.

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Es wird eine Zwischenlösung brauchen. Wann die wie aussehen soll? «Jemand Aussenstehender oder jemand aus der Familie wird einspringen müssen.» Mehr verrät er nicht. Schärer will zudem die verschiedenen Tochtergesellschaften stärker aufstellen, damit sie als eigenständige Zellen operieren und wachsen können. Damit appliziert er nun das Möbelkonzept auf die Firma selbst.

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