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Unicredit-Chef Andrea Orcel: «Diese Krise ist ­einschneidender als die Finanzkrise»

Ex-UBS-Investmentbanking-Chef Andrea Orcel leitet seit April 2021 die italienische Unicredit. Alles lief perfekt. Doch dann kam der Krieg.

Dirk Schütz

Andrea Orcel, CEO Unicredit Milano

Andrea Orcel in seinem Büro im 38. Stock des Unicredit-Hauptsitzes.

Claudio Bader für BILANZ

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Ein regnerischer Tag in Mailand. Gerade hat Andrea Orcel die Ergebnisse des ersten Quartals verkündet, die voll im Zeichen der Russland-Krise standen. Das Büro im 38. Stock des Unicredit-Turms hat er von seinem Vorgänger Jean Pierre Mustier übernommen, den Grossteil des Mobiliars hat er gelassen.

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Nur die Statue eines Wolfs, die auf dem Dach stand, hat er neben seinen Schreibtisch gestellt. «Die Mitarbeiter sagen jetzt, ich hätte einen Wolf im Büro», lacht der 59-Jährige. Er gilt als bester Kenner der europäischen Finanzszene: Als Investmentbanker beriet er zahlreiche Banken und wäre vor vier Jahren fast CEO der spanischen Grossbank Santander geworden. Auch in der Schweiz gilt er immer wieder als Chefkandidat.

Drei Ihrer ehemaligen Kollegen aus der UBS-Konzernleitung sind bereits zur Credit Suisse gewechselt. Sie werden dort als CEO gehandelt. Haben Sie schon ein Angebot bekommen?
Mein Leben ist jetzt hier in Mailand. Ich habe mich dieser Bank und ihren Mitarbeitern verpflichtet und will sie erfolgreich machen. Das ist alles, was für mich derzeit zählt.

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Sie haben schon sehr viele Krisen hautnah erlebt: die Russland-Krise 1998, die Dotcom-Bubble, die Finanzkrise, Corona. Wie schlimm ist die aktuelle Bedrohung durch den Ukraine-Krieg?
Sie ist einschneidender als all die anderen, denn es handelt sich um einen kompletten geopolitischen Bruch. Wie auch immer sich das Geschehen entwickelt: Es wird eine scharfe Trennlinie geben zwischen Europa und dem Teil Europas, der von Russland und Weissrussland dominiert wird. Europas Wirtschaft funktionierte durch die Rohstoffe aus Russland, jetzt wird eine Abkoppelung stattfinden. Sozial sind die Auswirkungen enorm: Wir haben mehr als sechs Millionen Flüchtlinge, die unterstützt werden müssen in Zeiten, in denen viele Haushalte wirtschaftlich unter grossem Druck stehen. Die Zentralbanken werden wegen der Inflation die Zinsen erhöhen müssen, das ist ihr Auftrag. Aber der Rest der Wirtschaft dürfte schrumpfen. Es droht Stagflation.

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Andrea Orcel; CEO Unicredit Milano

 Unicredit hat nach Société Générale das grösste Russland-Geschäft unter Europas Grossbanken.

Claudio Bader für BILANZ
Andrea Orcel; CEO Unicredit Milano

 Unicredit hat nach Société Générale das grösste Russland-Geschäft unter Europas Grossbanken.

Claudio Bader für BILANZ

Und die Verschuldung steigt, was gerade in Südeuropa ein Problem sein wird.
Die Verschuldung in Italien etwa war schon länger hoch im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt und hat sich durch die Pandemie weiter erhöht. Wir hoffen aber, dass dieser Wert in den nächsten Jahren etwas sinkt. Zum Glück ist die Verschuldung der Haushalte relativ tief. Sie haben zudem im Lockdown relativ viel gespart. Das gibt einen gewissen Schutz gegen eine weitere Verschlechterung der Wirtschaftslage durch den Ukraine-Krieg.

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Sie sind vor gut einem Jahr als CEO angetreten. Der Start war sehr gut, die Unicredit-Aktie stieg so stark wie keine Aktie eines europäischen Bankkonzerns.
Wir haben in diesem ersten Jahr viel erreicht. Die Bank stand vor meinem Antritt vor einigen Herausforderungen. Wir haben wieder mehr Verantwortung und Eigenständigkeit an die Kundenfront verlagert. Vor 15 Jahren war diese Bank ein Vorbild für Innovation, Entrepreneurship und Wachstum. Viele Mitarbeiter in den Fronteinheiten haben diese Tage noch erlebt. Sie wollen diese Euphorie wiederfinden, sie wollen wieder fühlen, dass sie Sieger sind. Wir haben unter dem Motto «Unicredit unlocked» einige Veränderungen im Modell, in der Herangehensweise vorgenommen und 2,8 Milliarden Euro in die Digitalisierung investiert. Das zeigt sich an den Resultaten: Wir haben vier Quartale mit starkem Wachstum hinter uns.

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Dann kam der 24. Februar. Unicredit hatte mit einem Exposure von 7,8 Milliarden Euro nach der französischen Société Générale das grösste Russland-Geschäft unter den europäischen Grossbanken. Der Kurs brach um 40  Prozent ein.
Das war ein schwerer Schlag für uns, und wir dürfen Russland nicht unterschätzen. Aber 95 Prozent unseres Geschäfts liegen ausserhalb Russlands. Wir sind kerngesund. Wir hatten ein Rekordquartal, trotz Russland, unsere Kernkapitalquote liegt bei fast 14 Prozent, die Cost-Income Ratio auf rekordtiefen 47 Prozent, und wir haben mehr als eine Milliarde Euro für einen Konjuktureinbruch zurückgestellt.

Liegt die Börse also falsch?
Vielleicht ist es mir nicht gelungen, die Märkte von diesen Stärken zu überzeugen. Ich frage mich schon: Habe ich etwas übersehen? Was soll ich noch machen? Das Business ohne Russland ist auf Rekordniveau und liegt über dem Plan, den viele Analysten als zu optimistisch angesehen haben, wir können den Russland-Schlag voll absorbieren und haben einen starken Schutz gegen die Rezession. Letztes Jahr waren wir die Bankaktie mit dem stärksten Wachstum, dieses Jahr zählen wir zu den grössten Absteigern. Jetzt müssen wir weiter jedes Quartal unsere Ziele erreichen, dann wird der Aktenkurs folgen.

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Vielleicht ist der trübe Wirtschaftsausblick in Kombination mit der Tatsache, dass Unicredit die europäische Bank mit dem grössten Osteuropa-Engagement ist, der Grund für die Skepsis der Börsen. Sie sind stark präsent in fast allen osteuropäischen Märkten und auch in Deutschland mit der Hypovereinsbank ein grosser Player.
Das mag sein. Wenn man eine Bank im Westen Europas ist, ist der erste Schock sicher weniger stark. Aber es ist kurzsichtig zu glauben, dass nur Polen, Ungarn, oder Österreich betroffen sein werden. Wenn Deutschland an Fahrt verliert, verliert ganz Europa. Und wir haben den Vorteil, dass wir geografisch breit diversifiziert sind und Schwächen in einem Markt durch Stärken in einem anderen ausgleichen können.

Laut Ihren jüngsten Zahlen sind die Zahlen in Osteuropa aber gar nicht so schlecht.
Ja, alle erwarten in Osteuropa einen grossen Einbruch, aber die Volkswirtschaften dort sind widerstandfähig und passen sich schnell an. Die sozialen Folgen sind trotzdem gravierend, selbst hier in unserem Heimmarkt Italien. Benzin- und Lebensmittelpreise werden teurer, dazu kommen die Lieferengpässe. Das bekommt die breite Bevölkerung stark zu spüren.

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Was den Ausstieg aus Russland angeht, haben westliche Firmen bislang zwar viele Ankündigungen gemacht. Aber die Umsetzung ist schwierig. Wie gehen Sie vor?
Mir war es wichtig, bei unserem Russland-Exposure volle Transparenz zu schaffen. Wir haben eine Taskforce eingerichtet, die permanent im Einsatz ist und mit der ich mehrfach am Tag Kontakt halte. Das Problem ist: Die Sanktionen lassen sich nicht vorhersehen, sie ändern ständig. Es gibt starken öffentlichen Druck in dieser Frage auf die grossen Firmen. Aber die Realität ist: Viele Unternehmen haben einen Exit aus Russland angekündigt, aber wenige haben ihn bisher umgesetzt. Und das ist nicht, weil sie es nicht wollen. Sondern weil es schwierig ist – es hängt an Sanktionen und lokalen Vorschriften. Und dann ist da auch eine moralische Frage: Ist es besser, ein Milliardengeschäft der russischen Führung zu überlassen?

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Die französische Bank Société Générale verkaufte ihr Geschäft im Wert von drei Milliarden Euro für einen Rubel an den Putin-Vertrauten Wladimir Potanin. Die Aktie ging um sechs Prozent hoch.
Es ist eben sehr kompliziert für die Unternehmensführungen. Die erste Reaktion lautet, vollkommen verständlich: Geht da raus und zeigt ihnen, dass wir sie nicht brauchen. Doch wer im Krieg eine Schlacht verliert, tut alles, um seine Waffen nicht dem Feind zu überlassen. Entweder versuche ich, zu einem halbwegs angemessenen Preis im Sinne meiner Aktionäre zu verkaufen, oder es ist ein Geschenk. Eine Option könnte sein, dass sich Chinesen oder Inder jetzt für diese Deals zu interessieren beginnen. Das würde die Dynamik wirklich verändern und die Möglichkeiten erhöhen.

Wie gross ist die Gefahr der Nationalisierung Ihres Russland-Geschäfts?
Das lässt sich derzeit nicht abschätzen. Je stärker die Sanktionen wirken, je stärker Russland isoliert wird, je länger und verbissener der Krieg geführt wird, desto höher ist die Gefahr einer Nationalisierung. Der Westen hat zwar die russischen Vermögenswerte im Ausland nicht enteignet, aber eingefroren, was für die Russen aus praktischer Sicht das Gleiche ist. Da sind Gegenmassnahmen immer möglich. Wir haben genügende Rückstellungen gebildet. Wenn wir nationalisiert werden, ist der Zusatzverlust null.

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Was heisst das für Ihre Mitarbeiter?
Wir haben 4000 Mitarbeiter in Russland und analysieren die Situation von Tag zu Tag. Als CEO fühle ich mich für sie verantwortlich. Aber ich bin genauso verantwortlich für die anderen 75 000 Mitarbeiter, die diese Firma voranbringen. Hier kommt es darauf an, ein gutes Gleichgewicht zu finden.

Unicredit ist die grösste paneuropäische Bank und vor allem im Retailgeschäft tätig. Wo liegen Unterschiede zu Ihren früheren Arbeitgebern UBS und Merrill Lynch?
Die Motivation hier ist anders gelagert. Bei UBS oder den Wall-Street-Banken ist neben der persönlichen Ambition des Aufstiegs auch die Bezahlung sehr wichtig. Hier ist die Salärfrage nicht zentral, die Mitarbeiter verdienen nicht so viel. Ihre Motivation ist die Leidenschaft für die Firma. Eine Retail-Bank trägt zudem eine andere Verantwortung. Ich habe immer daran geglaubt, dass eine Bank auch eine soziale Aufgabe erfüllt. Eine Retailbank ist näher bei den Menschen an der Basis als eine Investmentbank. Die Kunden in einer Filiale bauen auf ihre Bank – wir sind in ihre Leben investiert.

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Eine Bank für die normalen Leute.
Genau. Wenn man hierherkommt und das erlebt, ist man sehr beeindruckt: Selbst in schlimmsten Corona-Zeiten kommen die Mitarbeiter in die Filialen, um ein Konto zu eröffnen. Hier leben die Menschen ihre Bank, sie sind stolz und sehen ihre Arbeit als Beitrag für die Gemeinschaft, in der sie leben. Das macht es so speziell.

Auch im Ausland?
Ja, in Kroatien oder Bulgarien etwa, wo wir Marktführer sind, ist es genauso. Wir sind in 13 Ländern tätig und sind damit wie keine andere Gruppe die «Bank für Europa». Wir sind sehr diversifiziert, auch bei den Mitarbeitern.

Hier in Ihrem Büro steht ein Foto des langjährigen Unicredit-Lenkers Alessandro Profumo, der als Erster die Vision einer paneuropäischen Bank vorangetrieben hat. Doch die Bankenkonsolidierung in Europa ist stehen geblieben.
Die Konvergenz Europas, der Traum, auf dem diese Bank aufgebaut wurde, dauert viel länger, als alle geglaubt haben. Wir sind sozusagen mit unseren Zukäufen vorangeprescht, aber die wirkliche europäische Einheit fehlt noch. Und als Folge davon fällt Europa hinter andere Wirtschaftsblöcke zurück: Der Börsenwert der Firmen in der Eurozone wächst viel langsamer als jene in den USA oder China. Ohne eine Bankenunion und integriertere Kapitalmärkte werden wir nicht wettbewerbsfähig sein können. Unsere Bank kann diese Einheit fördern, aber unsere Institutionen müssen sie beschleunigen.

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Wird die Bankenkonsolidierung in Europa endlich kommen?
Sie wird sicher kommen, die Frage ist nur: wann?

Und welche Rolle spielt Ihre Bank? Sie werden immer wieder als Partner der Credit Suisse ins Spiel gebracht.
Das ist derzeit kein Thema für uns.

Die Gerüchte kamen erstmals auf, als Ihre Nähe zum Ex-Credit-Suisse-Präsidenten António Horta-Osório bekannt wurde.
Ich kenne António sehr lange, seit fast 30  Jahren, damals bearbeitete ich den portugiesischen Markt als Investmentbanker. Wir tauschen uns oft aus, aber ein Zusammengehen war nie ein Thema. António wollte die Credit Suisse unabhängig halten. Es würde mich sehr überraschen, wenn mein Ex-Kollege Axel Lehmann das anders sähe.

Wie sähe eine Konsolidierung des Schweizer Markts aus?
Ich arbeite jetzt in Mailand und habe da keine Ratschläge zu erteilen. Aber das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Es gab immer Gerüchte. Einige Kombinationen waren mehr Wunschdenken, andere wären sinnvoll. Die Debatte wird sicher weitergehen.

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Wie gross ist die Gefahr einer Übernahme für die Credit Suisse?
Unfreundliche Übernahmen sind in unserem Geschäft sehr schwierig. Es würde also eine freundliche Lösung benötigen, die für beide Seiten sinnvoll ist. Oder es könnte eine Situation entstehen, wo ein weisser Ritter bei einem ausländischen Bieter auftritt. Aber eben: Das ist alles Spekulation.

««Ein Zusammengehen mit der Credit Suisse ist derzeit kein Thema für uns.»»

Dieser weisse Ritter wäre dann wohl die UBS bei einem Kaufangebot aus dem Ausland für die CS. Sie haben die Bank 2018 verlassen, weil sie ein Angebot als Chef der spanischen Grossbank Santander hatten. Doch die Santander-Präsidentin Ana Botín zog das Angebot nach wenigen Wochen zurück. Sie klagten und bekamen recht – in Madrid, Botíns Hochburg.
Das war für mich eine Prinzipienfrage. Ich hatte eine eindeutige Arbeitsplatzzusage. Die kann man nicht einfach zurückziehen. Eine Abmachung ist eine Abmachung, davon lebt das Bankgeschäft.

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Ihnen wurden 68 Millionen Euro zugesprochen, inklusive zehn Millionen an persönlichen Schadensersatzzahlungen.
Die Schadensersatzzahlungen zeigen, wie eindeutig der Fall war.

Hat Santander Revision eingelegt?
Ja, gegen Jahresende sollte die Verhandlung stattfinden. Schade, dass es so weitergeht, denn was immer auch passiert ist: Santander liegt mir weiter am Herzen.

Bei der UBS sagten Sie einst, dass Sie unbedingt einmal CEO einer Grossbank sein wollten. Jetzt sind Sie es. Zufrieden?
Es ist anders, als ich gedacht habe. Man fühlt eine sehr grosse Verantwortung auf seinen Schultern, nicht nur für das Geschäft, sondern auch für die Tausenden von Mitarbeitern, die diese Institution tragen. Der Druck, den ich selbst mir auferlege, ist hoch. Es ist ein sehr komplexer Job in diesem Umfeld, und ich mag Herausforderungen. Aber es gibt plötzlich niemanden mehr, auf den du schauen kannst – und alle schauen auf dich.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

Dirk Schütz

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