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Neustart bei Glencore: Der frisch bestellte Konzernchef Gary Nagle will den Rohstoffriesen zum grünen Pionier machen.
21 JAHRE BEI GLENCORE: Gary Nagle stammt wie sein Vorgänger aus Südafrika, arbeitete einst sieben Jahre in Zug – und ist jetzt mit grosser Freude zurückgekehrt.
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Es war sein erster Auftritt als neuer Chef, in diesen speziellen Zeiten nur als Telefonkonferenz, und wer der Tonspur lauschte, konnte zunächst meinen, der alte Chef sei noch immer an Bord. Der gleiche südafrikanische Akzent, der die «e» zu einem lang gedehnten Laut formt: «theeeere», «eeeeverywheeere». War da immer noch Langzeit-Dominator Ivan Glasenberg in der Leitung? Doch dann, am Ende der Medienrunde zur Präsentation der Halbjahreszahlen Anfang August, sprach Gary Nagle einen Satz, den man Glasenberg kaum zuschreiben würde: «Die Umwelt ist wichtiger als Profit.»
Ein Übertragungsfehler? Der grösste Rohstoffhändler der Welt als grüner Champion? Die wohl härteste Händlerkultur des Planeten nicht mehr profitbesessen? Natürlich lieferte der 46-jährige Nagle, seit dem 1. Juli CEO von Glencore und wie sein Vorgänger in Johannesburg aufgewachsen, auch gleich die Erklärung: «Nur wenn wir die Umwelt und unsere Mitarbeiter schützen, können wir reibungslos arbeiten. Die Profite folgen dann automatisch.» Klingt einleuchtend. Aber dennoch: Meinen die das ernst – bei der Geschichte?
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Für die mehr als 130 000 Mitarbeiter ist der Wechsel an der Spitze ein Einschnitt. 19 Jahre führte der heute 64-jährige Ivan Glasenberg die Firma mit harter Hand und baute aus dem verschwiegenen Händler einen Rohstoffgiganten, der als Einziger das schnelle Handelsgeschäft mit der stetigen Rohstoffförderung verzahnte und mit dem Börsengang im Jahr 2011 auch der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Schneller, härter, ruchloser: Das war Glasenbergs Image, das die rauen Händler aus Zug über ihren nie müden Leitwolf in die Welt trugen. In der abgeschotteten Rohstoff-Szene mit ihren grossen, geldgetriebenen Egos war der Glencore-Vormann schon lange vor seinem Abtritt in diesem Sommer eine Legende.
LEGENDE IM ROHSTOFFGESCHÄFT: Ivan Glasenberg führte Glencore 19 Jahre mit harter Hand – und baute Gary Nagle zu seinem Nachfolger auf.
Bloomberg«ICH HABE VIEL VON IHM GELERNT»: Gary Nagle über seinen Vorgänger Glasenberg, der zweitgrösster Aktionär bleibt. Doch eine Kopie ist er nicht – trotz identischer Ausbildung.
Christian DanckerNEUER PRÄSIDENT: Der indisch-stämmige Amerikaner Kalidas Madhavpeddi übernahm Ende Juli das Glencore-Präsidium. Schweiz-Bezug: null.
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Doch mit dem Erfolg verschärfte sich der Gegenwind, und der Standort Schweiz machte es Glencore nicht leicht. Die Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative vom letzten November war de facto ein Plebiszit über den Rohstoffhändler, den die Angreifer zum Hort von Ausbeutung und schmutzigen Arbeiten hochstilisierten. Das entsprach zwar kaum der Realität, doch es klang gut, auch weil es hierzulande kaum überprüfbar war.
Die märchenhaften Vermögen von Glasenberg und seinen Mitstreitern trugen da kaum zur Sympathiebildung bei. Allein zwölf Milliardäre brachte der Börsengang hervor, dazu zigfache Multimillionäre, es war die wundersamste Geldvermehrung der Börsengeschichte, die selbst die Wall-Street-Turbo-Banker von Goldman Sachs als Amateure dastehen liess.
Dass der Konzern hierzulande zudem kaum als Vorbild der Integration durchgeht, hat er sich auch selbst zuzuschreiben: Im Verwaltungsrat und in der Konzernleitung sitzt kein einziger Schweizer. Der neue VR-Präsident Kalidas Madhavpeddi ist ein indisch-stämmiger Amerikaner ohne Bezug zur Eidgenossenschaft. Wer den Haupsitz in Baar mit seinen 800 Mitarbeitenden betritt, wähnt sich auf extraterritorialem Gebiet. Selbst die Dame an der Rezeption spricht lieber Englisch.
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Die Aktie ist dann auch nicht in Zürich kotiert, sondern in London, wie die grossen Rivalen BHP, Anglo American oder Rio Tinto. Doch diese werden aus Südafrika und Australien geführt, wo der Bergbau viele Arbeitsplätze schafft und zum Alltag zählt. In der reichen Schweiz nicht – das erhöht den Rechtfertigungsdruck. Natürlich ist da viel Heuchelei im Spiel: Kein Mobiltelefon würde funktionieren ohne Rohstoffe wie Kobalt oder Nickel, die Glencore aus dem Boden holt, und die schönen E-Autos, die gerade in der Schweiz stark nachgefragt werden, benötigen ebenfalls all die Zutaten aus der Glencore-Küche für ihre Grossbatterien. Und im Vergleich zu so vielen lokalen Minenbetreibern darf sich Glencore zu Recht zum Umwelt-Champion ausrufen.
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Die Glencore-Granden fühlen sich dennoch wohl in der Schweiz. Der verschwiegene Rohstoffpate Marc Rich gründete 1974 den Händler in Baar, weil er Diskretion, Steuermilde und Bankgeheimnis schätzte, und Langzeit-Dominator Glasenberg übernahm die Affinität für seine Wahlheimat. Er ist längst eingebürgert, lobt Ruhe, Effizienz und geografische Lage, und statt mit dem Abzug zu drohen, startete er letzten Herbst vor der Abstimmung sogar eine PR-Initiative. Gewiss, die Firma lässt auf Nachfrage schon mal durchschimmern, dass ihr Hauptsitz grundsätzlich mobil sei und andere Länder den guten Steuerzahler sicher gern aufnähmen. Doch ein Abschied aus der Schweiz? Kein Thema. Glencore setzt auf Imageverbesserung und schaltet auch nach der Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative weiter grossflächig Anzeigen, in denen sie sich als umweltbewusste Vorzeigefirma positioniert und ihre «Rohstoffe für den Alltag» anpreist.
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EXTRATERRITORIALES GEBIET: 800 Mitarbeitende zählt die Glencore-Zentrale in Baar ZG – die Hälfte ist wieder im Büro.
KeystoneEXTRATERRITORIALES GEBIET: 800 Mitarbeitende zählt die Glencore-Zentrale in Baar ZG – die Hälfte ist wieder im Büro.
KeystoneDoch das allein reicht nicht. Um den Wandel glaubwürdig zu verkörpern, braucht es eine Kühlerfigur der neuen Generation: Gary Nagle. Genau vier Minuten und fünf Sekunden dauert das Video, mit dem sich der Neue vorstellte, ganz im Sinne der propagierten «driven company»: Schnelle Schnitte, rasche Kamerawechsel, kurze Sätze. Sogar eine homöopathisch sanfte Distanzierung vom Übervater scheint erkennbar, so hat es zumindest manch altgedienter Glencore-Mitarbeiter empfunden. «Mit Ivan zu arbeiten, war unglaublich. Ich lernte von ihm mehr, als man von einer Person lernen kann», flötet Nagle zwar bereits nach 31 Sekunden. Doch dann folgt auch gleich der Satz: «Ich will zuhören, ich will Vorschläge hören.» Nicht unbedingt der Duktus von «Iron Ivan».
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Dass er vom Typus deutlich mehr Teamplayer ist, haben die Mitarbeiter am Hauptsitz schon in den ersten Wochen erlebt: Die Tür zu seinem Büro steht offen, er sucht das Gespräch abseits der Hierarchieebenen. Als er im März von Australien nach Zug kam, waren nur 15 Prozent der Belegschaft im Büro. Doch seit Kurzem liegt die Quote bei 50 Prozent. Das erhöht den direkten Kontakt, der für ihn zentral ist.
Der Vorteil der Corona-Notbesetzung bei seiner Ankunft: Alle wichtigen Spartenchefs waren vor Ort. So konnte er mit ihnen lange Gespräche führen, statt die Zeit vollständig auf Einführungsreisen zu verbringen. Die fanden aber auch statt: Entlang der Quarantäne-Bestimmungen besuchte er zusammen mit Glasenberg ein Dutzend Länder, darunter etwa Kasachstan und Tadschikistan, wo Glencore grosse Minen betreibt und die Präsidenten Zugang gewährten. Ein zentraler Termin: Das Treffen mit den Investoren in Katar, mit 9,17 Prozent grösster Einzelaktionär.
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Speziell dabei: Der zweitgrösste Aktionär war sein Reisepartner – mit 9,10 Prozent liegt Glasenberg nur knapp hinter den Kataris. Zusammen halten die ausgeschiedenen Ex-Glencore-Granden sogar gegen 25 Prozent der Aktien, wobei jedoch die Gefahr eines formellen Zusammenspiels klein ist: Eine Gruppenbildung müsste gemeldet werden. Auch wenn Glasenberg manchen Abgang durchaus persönlich genommen hat, so besteht die Bande zu vielen Ex-Untergebenen mit bedeutenden Aktienpaketen weiter. Die Ausgangslage ist ohnehin klar: Nagle muss Profit und damit Dividenden liefern, allen Bekenntnissen zur Umwelt zum Trotz.
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Denn für seine Ex-Kollegen ist der neue Chef vor allem eines: Eine Absicherung ihres Investments. Der Start war vielversprechend. Weitere 1,2 Milliarden Dollar schüttet Glencore an Dividenden in diesem Jahr aus, wie Nagle an seiner ersten Pressekonferenz verkündete, zusätzlich zu den bereits im Februar gemeldeten 1,6 Milliarden Dollar. Seinem Mentor Glasenberg, dessen Anteil mehr als vier Milliarden Franken wert ist, spült das allein in diesem Jahr mehr als 200 Millionen Franken aufs Konto. Wie gross der Anteil Nagles selbst ist, bleibt noch ein Firmengeheimnis, das erst im neuen Jahresbericht gelüftet wird. Er ist sicher weit von der Milliardärsschwelle entfernt. Doch auch er bezog beim Börsengang bereits Aktien, die einen satten zweistelligen Millionenbetrag wert sein sollten. Sein Salär wurde auf 10,4 Millionen Dollar angehoben. Die gierigen Aktionäre befriedigen und gleichzeitig den Umbau zum grünen Rohstoffriesen bewerkstelligen: Das ist der Spagat, den Nagle meistern muss. Er muss zum Green Gary werden.
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Entscheidend dabei: Die Balance zu finden zwischen Nähe und Distanz zum Übervater. «Er soll so sein wie ich», hatte Glasenberg einst über seinen Nachfolger gesagt, noch bevor Nagle offiziell nominiert wurde. Und in der Tat: Die Parallelen im Werdegang sind frappierend. Jedoch: Auch die Unterschiede im Charakter sind gross.
Das erste Mal trafen sie sich vor 22 Jahren in Johannesburg zum Job-Interview. Das Gespräch dauerte zehn Minuten, von denen Glasenberg sieben Minuten am Telefon verbracht haben soll. Die Herkunft war ähnlich: Glasenbergs Vater war aus Litauen nach Südafrika ausgewandert, um dem Holocaust zu entgehen, bei Nagle stammten die Grosseltern aus Osteuropa. Beide kommen aus bescheidenen Verhältnissen: Glasenbergs Vater betrieb einen Koffer-Hersteller, Nagles Vater war Besitzer einer Apotheke, in der der junge Gary am Wochenende die Regale füllte.
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Sie studierten an der gleichen Universität – Witwatersrand in Johannesburg – das gleiche Fach: Buchhaltung. Zwar hatten sie sich während des Studiums nicht kennengelernt, dazu war der Altersunterschied mit 18 Jahren zu gross. Doch Glasenberg, Ende der neunziger Jahre Leiter des Kohle-Geschäfts, zog ganz bewusst Absolventen aus Südafrika mit der Spezialisierung Accounting nach – der Glencore-Mitarbeiter, der Nagle das Vorstellungsgespräch vermittelt hatte, verfügte über den gleichen Abschluss. Insgesamt fanden so ein Dutzend Nachwuchskräfte aus Südafrika in den Konzern. Eine Woche nach dem Vorstellungsgespräch bekam Nagle einen Anruf. Ob er nicht in drei Tagen anfangen könne – in der Schweiz. «Gern – aber eine Woche brauche ich schon», soll Nagle geantwortet haben. Und so kam er im Alter von 24 Jahren Anfang 2000 mit zwei Koffern im verschneiten Zug an.
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Fast acht Jahre blieb er in Zug, dann ging es um die Welt: Sechs Jahre Kolumbien als Leiter des dortigen Kohle-Geschäfts, sechs Jahre Südafrika als Chef der Eisen-Sparte und zuletzt zwei Jahre als Leiter der Kohle-Sparte, schon direkt in den Fussstapfen Glasenbergs.
...schüttet der Konzern dieses Jahr an Dividenden aus – gegen 700 Millionen davon gehen an Ex-Glencore-Manager.
Die Basis für seinen Aufstieg legte er in den jungen Jahren in Zug. Die Firma war damals noch extrem verschwiegen, der Börsengang war weit weg, und die extrem harte Traderkultur dominierte. Doch Nagle stach durch eine besondere Fähigkeit heraus: Er war der strukturierteste Mitarbeiter im Team. Und übernahm die schwierigen Jobs: Die Verhandlungen beim Kauf von Minen, komplexe Wertberechnungen, das Rechtsgeschäft. Dadurch hatte er mit seiner ruhigen, aber sehr bestimmten Art gleich eine Sonderrolle. Als Glasenberg 2002 den Chefposten bei Glencore übernahm, blieb der Draht eng.
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Auch der Nachfolger Glasenbergs als Kohle-Chef, der Amerikaner Tor Peterson, liess Nagle gewähren – vor allem weil der Südafrikaner exzellente Arbeit leistete, die sonst niemand übernehmen konnte, aber auch weil alle wussten, dass er unter dem Schutz Glasenbergs stand. Schon damals hatte Nagle intern ein hohes Ansehen, weil er sich von den teils brutalen Machtspielen fernhielt und sehr normal im Umgang blieb. Als er jetzt nach 14 Jahren in die Schweiz zurückkehrte, meldeten sich einige seiner damaligen Weggefährten bei ihm. Auch seine südafrikanische Frau, schon beim ersten Schweiz-Aufenthalt dabei, gilt als Schweiz-Fan und freut sich über die Rückkehr – die Familie kommt mit drei Kindern und zwei Hunden freudig in die Schweiz zurück.
GLENCORE-MINEN: Kohle-Abbau in Kolumbien (ganz oben), Kupfer-Förderung im Kongo: Im Vergleich zu lokalen Minen sieht sich Glencore als Umwelt-Champion.
Getty ImagesGLENCORE-MINEN: Kohle-Abbau in Kolumbien (ganz oben), Kupfer-Förderung im Kongo: Im Vergleich zu lokalen Minen sieht sich Glencore als Umwelt-Champion.
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«Gary ist wertegetrieben», betont ein früherer Weggefährte. «Das unterscheidet ihn von so vielen Glencore-Leuten.» Die Firma zog die rausten Händler Welt an, selbst in den Handelsräumen der Wall-Street-Banken liessen sich niemals diese Riesenboni einfahren, und dafür verlangte Glasenberg volle Loyalität. «Was würden Sie machen, wenn Ihr bester Freund heiratet, und Sie bekommen einen Anruf, dass die Firma Sie braucht?», habe Glasenberg zuweilen schon bei Bewerbungsgesprächen gefragt, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter. (Glasenberg bestreitet das).
Zwar schwärmt auch Nagle in seinem Video von der Einzigartigeit der Firma und dem Streben, jeden Tag Höchstleistungen zu zeigen. «Doch eine solche Frage würde Gary nie stellen», betont der Ex-Mitstreiter. Glasenberg fährt auch Rennrad exzessiv, Nagle geht Joggen und macht Yoga. Als «schnell und bissig» beschreibt ihn ein langjähriger Verwaltungsrat. Aber eben: nicht verbissen. Wenn man so will, ist er die nächste Generation Glasenberg. Ähnliches Energielevel, aber ohne die machiavellistische Energie der Aufbaujahre.
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Dass Glasenberg ihn als seinen Nachfolger wollte, war intern ein offenes Geheimnis. Zwar lief im Verwaltungsrat, in dem Glasenberg als CEO und grosser Aktionär die zentrale Figur war, ein geordneter und formal durchaus offener Prozess, bei dem sich allerdings alle Mitglieder schnell einig waren, dass der Nachfolger von innen kommen sollte. Headhunter wurden dann auch gar nicht aktiviert. Der Verwaltungsrat war in einer speziellen Situation: Das Verfahren des US-Justizministeriums wegen Korruptionsverdacht in Nigeria, Kongo und Venezuela, aufgenommen im Jahr 2018, dazu später noch Ermittlungen des britischen Serious Fraud Office und der Bundesanwaltschaft (wegen mutmasslicher Korruption im Kongo) treiben selbst bei den abgebrühtesten Händlern den Puls in die Höhe.
Dass viele Top-Manager in den letzten Jahren gingen, hat auch damit zu tun. In diesem Umfeld einem Externen die Führung der komplexen Firma zu übergeben, war ausgeschlossen. Drei Kandidaten standen zur Auswahl, doch formal bewerben mussten sie sich nicht – jeder hatte mehrere Auftritte aus seinem Geschäftsbereich vor dem Verwaltungsrat.
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Am Ende setzte sich dann aber Glasenberg durch: «Es war klar, dass Gary sein Favorit war – er war sein Ziehsohn», erinnert sich ein damaliges VR-Mitglied. Allerdings brauchte es keine grosse Überzeugungsarbeit. Nagle hatte im Vergleich zu den Handelssparten-Chefs Kenny Ives und Nico Paraskevas entscheidende Vorteile: Lange Firmenzugehörigheit, breitestes Portfolio, am meisten operative Erfahrung. Die Unterlegenen verliessen dann auch die Firma, genauso wie auch Nagles Ex-Chef Peterson. Von der alten Führungsgarde des Börsengangs sind nur noch zwei Australier an Bord: Finanzchef Steve Kalmin und Verwaltungsrat Peter Coates. Auch das Kontrollgremium wurde runderneuert, Nagle gehört ihm als CEO wie früher Glasenberg an. Dort sind neu sogar drei Frauen vertreten. Eine Form der Überkompensation: In der Konzernleitung fehlt die weibliche Note komplett.
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Wie zentral die Rolle Nagles schon vor seinem Antritt als CEO war, zeigt sich bei den beiden derzeit wichtigen Dossiers. Als Chef des Kohle-Geschäfts war er die treibende Kraft bei der Strategiefestlegung für die Problemsparte. Der Druck der globalen Investorengemeinde, angeführt von Leithammel Blackrock, aus dem Kohle-Geschäft auszusteigen, ist gross. Zwar trägt die Sparte noch 14 Prozent zum Bergbau-Umsatz bei, ist aber durch die hohe Nachfrage bei gleichzeitiger Angebotsverknappung hochprofitabel. Interessant ist vor allem, dass die von Glencore gewählte Lösung mittlerweile Vorbildfunktion für die gesamte Branche hat: Man baut die Kohle bis zum Ende ab, investiert aber nicht ins Neugeschäft – anders als ein potenzieller lokaler Käufer, der das Geschäft sicher vorantreiben würde. Schon fordern Aktionärsaktivisten beim Rivalen BHP, Glencore zu imitieren.
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...fördert Glencore – in 150 Minen in 35 Staaten. Das umstrittene Kohle-Geschäft macht noch ein Siebtel des Bergbaugeschäfts aus, ist aber hochprofitabel.
Gleichzeitig setzt sich Glencore an die Spitze des Batteriebooms: Nach Tesla ist jetzt auch der britische Batteriehersteller Britishvolt ein Partner. Glencore liege «in dem Rennen vorn, zum grünsten Rohstoffkonzern der Welt zu werden», schreibt die Baader Bank. Voraussetzung: Die neue Führung müsse bei den Nachhaltigkeitszielen «voll fokussiert» bleiben.
Bei der Aufarbeitung der Rechtsverfahren war Nagle auch bereits persönlich involviert, obwohl das eigentlich gar nicht sein Gebiet war. Es gilt ein Compliance-Katalog, den der Chef eisern kontrolliert. Die klare Botschaft: So etwas darf nie wieder passieren. Doch noch ist die Lösung der Verfahren offen, und vor allem im US-Streit droht eine Milliardenbusse.
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Ein Hundert-Tage-Programm hat der neue Chef nicht, die Rekordzahlen rufen nicht nach radikalen Strategieschwenks. Doch er ist eben 18 Jahre jünger als sein Vorgänger – und das dürfte sich auch bei der Kommunikation zeigen. Glasenberg liess sich lieber einen Weisheitszahn ziehen, als mit den Medien zu reden. Auch hier gilt Nagle als entspannter.
Und auch ein Symbol der alten Glencore-Kultur steht vor dem Aus: Der hausinterne Dresscode schrieb bislang vor, dass alle männlichen Mitarbeiter Krawatte zu tragen haben. Damit soll bald Schluss sein.
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