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Geht jetzt die Post ab? Wie Roberto Cirillo das Ruder herumreissen will

Umbauen, verkaufen und zukaufen: Post-Chef Roberto Cirillo stemmt sich gegen das Schrumpfen. Wie er den Staatskonzern retten will.

Florence Vuichard

Florence Vuichard

Roberto ­Cirillo Post

Die Post ist da: Konzernchef Roberto Cirillo will den Staatskonzern wieder auf den Wachstumspfad zurückbringen.

Lena Schäppi

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Er hat sich viel Zeit genommen, sehr viel Zeit. Mehr als ein Jahr hat Post-Chef Roberto Cirillo gebraucht, um seine lang angekündigte neue Strategie auf den Tisch zu legen. Und als er Mitte Mai endlich so weit war, hatte er letztlich eine Kernbotschaft: «Wir wollen wachsen, nicht kleiner werden.» Eine Botschaft, die seine Mitstreiter bei der Präsentation, Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller und Finanzchef Alex Glanzmann, geflissentlich in ihren eigenen Worten wiederholten – als ob die Post-Oberen durch die ständige Repetition des Immergleichen den Lauf der Dinge zu beeinflussen hofften.

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Die Realität jedenfalls sieht anders aus: In den letzten fünf Jahren ist der Umsatz der Post um über eine Milliarde Franken gesunken, der Betriebsgewinn hat sich im gleichen Zeitraum gar halbiert. Das Briefvolumen nimmt rasant ab, die Poststellen werden immer weniger frequentiert, die einstige Cashcow Postfinance mutiert zum Sanierungsfall. Nun will also Cirillo das Ruder herumreissen, bis 2024 den Umsatz wieder über die 8-Milliarden-Marke heben und gleichzeitig den Gewinn bei 400 Millionen stabilisieren. Es ist eine Wette gegen den Trend. Eine Wette auf Wachstum.

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Verkauf von Swiss Post Solutions

Cirillos Turnaround-Plan, den er mit Hilfe von Beratern von Bain & Company entwickelt hat, steht, vereinfacht gesagt, auf drei Pfeilern: mehr Effizienz im Kerngeschäft durch die Zusammenlegung von Brief- und Paketpost, eine breitere Finanzierung des defizitären Poststellennetzes durch die Öffnung für Drittmieter – und einen forcierten Aufbau neuer, digitaler Geschäftsfelder, an deren Existenz die Post trotz vieler Rückschläge weiterhin glaubt.

Als Fundament dient eine neue Organisation: Aus dem schwerfälligen und unübersichtlichen Post-Konglomerat will Cirillo eine agile Holdingstruktur mit mehreren voneinander unabhängigen Aktiengesellschaften formen, die er bei Bedarf mit anderen Unternehmen zusammenführen oder gar ganz abspalten kann. So können sich Postmarkt-Kenner etwa vorstellen, dass mittelfristig die Logistik-Einheit mit anderen Postkonzernen verwoben und das unrentable Poststellennetz an den Bund zurückgegeben werden könnte.

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Doch das ist Zukunftsmusik: Als Erstes dürfte Cirillo die Sparte fürs digitale Dokumentenmanagement Swiss Post Solutions (SPS) verkaufen, wie aus Post-nahen Kreisen zu erfahren ist. Der Konzern selbst betont zwar, «dass sich SPS auf dem eingeschlagenen Pfad weiterentwickeln kann». Doch das ist auch bei einem neuen Eigner möglich. Ein Dementi jedenfalls hört sich anders an. Der Verkauf könnte rund 300 Millionen Franken einbringen, weitere Millionen verspricht sich die Post aus dem Erlös von nicht mehr betriebsnotwendigen Immobilien. Der Staatskonzern braucht das Geld für Investitionen ins Kerngeschäft.

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Fusion von Brief- und Paketpost

Insgesamt drei Milliarden Franken will die Post in den nächsten vier Jahren investieren: Die Hälfte ist für ohnehin anstehende «Ersatz- oder Weiterentwicklungsinvestitionen» reserviert – also etwa für die Paketverarbeitung oder die Modernisierung der selbst betriebenen Filialen. Die restlichen rund 1,5 Milliarden Franken fliessen in die noch nicht näher definierten «neuen Wachstumsmassnahmen», wobei rund 900  Millionen Franken für die Logistik-Services reserviert sind. Zusammengelegt erwirtschaften Brief- und Paketpost über die Hälfte des Konzernumsatzes und des Betriebsergebnisses, beschäftigen mehr als die Hälfte des Personals und sind die mit Abstand grösste Einheit unter Roberto Cirillos neuem Post-Dach. Leiten wird dieses neue Königreich ein Externer: der 39-jährige Digitec-Manager Johannes Cramer.

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Johannes Cramer

Neuer Logistik-Chef: Der Digitec-Manager Johannes Cramer übernimmt 2021 die Leitung der grössten Post-Tochter.

Thomas Kunz
Johannes Cramer

Neuer Logistik-Chef: Der Digitec-Manager Johannes Cramer übernimmt 2021 die Leitung der grössten Post-Tochter.

Thomas Kunz

Die Fusion wird nicht einfach, denn es stehen sich zwei Organisationen mit ziemlich unterschiedlichen Kulturen gegenüber: Auf der einen Seite ist die Briefpost, aktuell wichtigster, aber monopolverwöhnter Ertragspfeiler im Post-Haus mit trüben Zukunftsaussichten, auf der anderen Seite die dank des Onlinehandels stark wachsende, aber niedrigmargige Paketpost. Die beiden bisherigen, 62-jährigen Chefs der Brief- und Paketpost, Ulrich Hurni und Dieter Bambauer, treten aus der Konzernleitung zurück. Sie haben sich nicht auf die neue Stelle des Logistik-Services-Chefs beworben, wie sie beide betonen.

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Hurni, der in 44  Jahren die Post-Karriereleiter bis ganz nach oben gestiegen ist, hat schon früher immer wieder gesagt, dass er in seinen letzten Berufsjahren vor der Pensionierung im Jahr 2022 etwas kürzertreten möchte. Anders Bambauer: «Doch auch ich musste feststellen, dass ich, zumindest aus professioneller Sicht, nicht unsterblich bin.» Er würde die Altersgrenze erreichen, «noch bevor der erste Meilenstein der neuen Strategie erreicht wäre. Das macht keinen Sinn.»

Schwaller geht spätestens 2022

Ebenfalls kurz vor Ende seiner Post-Zeit steht Verwaltungsratspräsident Schwaller. Spätestens 2022 muss er gehen, da er dann die vom Bund gesetzte Alterslimite von 70  Jahren erreicht. Nicht wenige Beobachter glauben aber, dass er schon 2021 abtritt, denn er hat seine Aufgabe eigentlich erfüllt: Er hat aufgeräumt nach der Postauto-Affäre, einen neuen Konzernchef inthronisiert, den Verwaltungsrat verjüngt und die neue Strategie verabschiedet. Es ist der perfekte Moment für eine Stabübergabe.

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Bambauer und Hurni hingegen wollen die Transformation der Post noch eine Weile von der Seitenlinie aus begleiten und unterstützen. «Ich werde meine Erfahrung in die markante Weiterentwicklung einer zentralen Geschäftseinheit der Post einbringen: der nationalen und internationalen Güterlogistik», sagt Bambauer. Hurni wiederum bleibt Verwaltungsratspräsident von Asendia, eines Joint Venture mit der französischen Post, das im internationalen E-Commerce-Geschäft tätig ist, und kümmert sich insbesondere um die «Zusammenführung der grossen Bereiche Sortierung und Zustellung» von Brief- und Paketpost.

Ulrich Hurni (links), Briefchef, und Dieter Bambauer, Paketchef bei der Post

Briefchef Ulrich Hurni (links) möchte vor seiner Pensionierung 2022 etwas kürzertreten, Paketchef Dieter Bambauer hat sich nicht für den Logistik-Chefposten beworben.

Pressebild
Ulrich Hurni (links), Briefchef, und Dieter Bambauer, Paketchef bei der Post

Briefchef Ulrich Hurni (links) möchte vor seiner Pensionierung 2022 etwas kürzertreten, Paketchef Dieter Bambauer hat sich nicht für den Logistik-Chefposten beworben.

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Und er ist auch Teil einer «breit abgestützten Wahlkonferenz», die vorerst – bis Cramer Anfang 2021 das Zepter übernimmt – den Prozess der Stellenbesetzung der neuen Logistik-Einheit orchestriert, bei der wegen der Fusion für etliche Kaderpositionen jeweils zwei Personen Ansprüche erheben, eine von der Brief- und eine von der Paketpost. «Es herrscht ziemlich grosse Unsicherheit», sagt René Fürst vom Personalverband Transfair. Ein anderer stellt sich auf ein «grösseres Hauen und Stechen» ein. Die Post wiederum verspricht, den Stellenabbau mehrheitlich über natürliche Fluktuationen und Pensionierungen aufzufangen, und rechnet gemäss Transfair-Angaben mit rund 30  Kündigungen.

Maximal 500 Personen sind laut der Post von «arbeitsvertraglichen Anpassungen» betroffen. Weitere 1000 Angestellte müssten mit «minimalen Anpassungen» rechnen, etwa mit einer «neuen Teamzugehörigkeit oder leicht veränderten Aufgaben». Für das Gros der Belegschaft der neuen Logistik-Einheit, für «über 18 500 Mitarbeitende», erwartet die Post «keine Veränderung», sie bleiben gemäss Plan in ihrer angestammten Funktion, erhalten allenfalls einen neuen Chef oder eine neue Chefin.

Das «Konsultationsverfahren» bei den Mitarbeitenden und Sozialpartnern ist abgeschlossen, noch im August soll das Raster der zukünftigen Logistik-Organisation stehen, danach werden die offenen Stellen besetzt. Der Stellenbesetzungsprozess hat bereits begonnen, die Posten werden «gestaffelt intern und extern ausgeschrieben», wie es heisst. Bis Mitte 2021 soll der Prozess abgeschlossen sein.

Der von den Gewerkschaften im Vorfeld der Strategiepräsentation befürchtete «Big Bang» ist ausgeblieben. «Aber wir sind nicht naiv», sagt René Fürst, «wir sind uns durchaus bewusst, dass in einem zweiten oder dritten Schritt weitere Optimierungen drohen.» Auch wenn die Post heute behauptet, dass es «kein Ziel» der neuen Strategie sei, die Gesamtzahl der Stellen zu reduzieren.

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Neue Post Organisation
Bilanz
Neue Post Organisation
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400 Millionen für Digitalträume und Akquisitionen

Personalpolitisch einfacher ist die Konstitution von Roberto Cirillos zweiter «Zukunfts»-Einheit, den sogenannten Kommunikations-Services. Denn hier gibts vorerst, mit Ausnahme der Mehrheit der 105 Personen, die heute in der Innovationsabteilung von Claudia Pletscher arbeiten, kaum Mitarbeitende – und eigentlich auch sonst nicht viel. Wieder werden die alten Phrasen hervorgekramt, wieder einmal will die Post das «Briefgeheimnis ins digitale Zeitalter» überführen. Genannt wird der Verschlüsselungsdienst IncaMail, die Rede ist auch von E-Health, obwohl sich seit der vor rund zehn Jahren eingegangenen, vielversprechenden Partnerschaft mit dem Kanton Genf nicht viel Substanzielles getan hat. Ebenso wenig wie beim Thema E-Government, wo die Post mit ihrem E-Voting-Flop viel Goodwill verspielt hat.

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Will die Post also mit den Kommunikations-Services auf einen Wachstumspfad einbiegen und damit bald einmal einen namhaften Deckungsbeitrag für den Service public erwirtschaften, dann bleibt ihr nur eine Möglichkeit: Sie muss Firmen zusammenkaufen – auch wenn der Konzern selbst lieber von «Ausbau bestehender und Schaffung neuer Leistungen» spricht. 400 Millionen Franken sind für den Aufbau der Einheit vorgesehen, eine stolze Summe für eine Shoppingtour. Skeptiker warnen vor Fehlkäufen, vor zu hohen Kaufpreisen und fragen sich, wer dann die Handbremse ziehen wird, wenn es nicht gut kommt.

Und es stellt sich da auch die alte, ordnungspolitische Frage: Wie viel darf ein Staatskonzern in der Privatwirtschaft herumwildern? Bei potenziellen Konkurrenten jedenfalls sind erste Unmutsbekundungen vernehmbar.

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Unklar ist, wer diese Wundertüten-Einheit führen wird. Noch ist der Chef nicht bestimmt – oder die Chefin, wenn es Roberto Cirillo mit seinem Bekenntnis zu Diversität tatsächlich ernst ist. Denn mit Ausnahme von Personalchefin Valérie Schelker ist die Post-Konzernleitung im Moment ein reines Männergremium. Auch deshalb räumen Beobachter der Innovationsbereichs-Leiterin Claudia Pletscher gute Chancen auf den Posten ein.

Claudia Pletscher  Post

Claudia Pletscher: Die Innovations-Chefin könnte in die Konzernleitung aufsteigen.

Pressebild
Claudia Pletscher  Post

Claudia Pletscher: Die Innovations-Chefin könnte in die Konzernleitung aufsteigen.

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Mit den Erträgen aus der Logistik und den digitalen Geschäften will die Post gemäss Drehbuch dann das auch in Zukunft defizitär bleibende Poststellennetz finanzieren, dessen Rückgrat die 800 selbst betriebenen Filialen sind, angereichert um rund 3900 wie auch immer geartete Zugangspunkte – vom Dorfladen bis zum Paketautomaten. Das Versprechen, rund 800 richtige Postfilialen zu behalten, ist Cirillos Zugeständnis an die Politik, an die Bevölkerung insbesondere in den ländlichen Gebieten und an einen flächendeckenden Service public.

Ein paar zusätzliche Finanzierungsfranken erhofft sich der Post-Chef von Mietpartnern vornehmlich aus der Banken-, Versicherungs- und Krankenkassenwelt. Branchenkenner rechnen nicht mit dem grossen Geschäft, schätzten den möglichen Verdienst auf höchstens 10 bis 20 Millionen Franken. Spruchreif ist jedenfalls noch nichts, im Gegenteil: Die Post fängt mit der Suche erst an. Und fast klingt es so, als warte sie, bis Interessenten auf sie zukommen: «Die Post lädt Unternehmen und Behörden explizit ein, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, um Kooperationsmöglichkeiten zu besprechen.»

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Postfinance-Rückbau

Cirillos Umbauplan ist die letzte Chance für die Post, will sie ein eigenwirtschaftlich aufgestelltes Unternehmen bleiben und mit ihren Gewinnen einen flächendeckenden und ausgebauten Service public finanzieren. Geht er nicht auf, muss der Konzernchef machen, was er partout nicht will: Leistungen abbauen. Oder beim Staat um Subventionen nachfragen. Oder er zerlegt die Post in ihre Einzelteile, was organisatorisch dank der neuen Struktur etwas einfacher ginge.

Die Postfinance jedenfalls wird die Rechnungen in Zukunft nicht mehr begleichen können, leidet doch das Finanzinstitut selbst unter Rentabilitätsproblemen. Hebt die Politik das Kreditverbot nicht auf, muss sich die Postfinance von ihren Bank-Ambitionen verabschieden und zum Zahlungsverkehrsinstitut zurückgebaut werden. Downsizing als kruder Gegenentwurf zu Cirillos Wachstumsträumen. Noch stemmt er sich dagegen. Und betont immer wieder: «Wir wollen wachsen, nicht kleiner werden.» Auch weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

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