Abo
Nach über 12 Jahren an der SNB-Spitze

Thomas Jordan hinterlässt grosse Fussstapfen

Seine Amtszeit ist zu Ende. Mit Thomas Jordan geht ein Grosser – wenn da bloss die turmhohe Bilanzsumme nicht wäre.

Dirk Schütz

REgnumder ExtremeMit zwölfeinhalb ­Jahren an der Spitze der Nationalbank ist Thomas Jordan der Rekordmann der Nachkriegszeit.

Regnum der Extreme: Mit zwölfeinhalb Jahren an der Spitze der Nationalbank ist Thomas Jordan der Rekordmann der Nachkriegszeit.

Keystone

Werbung

Das Sitzungszimmer im zweiten Stock des Nationalbank-Hauptsitzes an der Zürcher Börsenstrasse verströmt Gravitas. Zwar locken auf dem Sitzungstisch kleine Schokoladentafeln, die eigens mit Aufdrucken von Schweizer Banknoten bis hin zum 1000-Franken-Schein verziert wurden. Doch die vertäfelte Wand demonstriert die Wirkungsmacht der Institution. 17 sauber gerahmte Porträtfotos ehemaliger Direktoriumsmitglieder blicken in schwarz-weisser Ernsthaftigkeit auf den Besucher herab. Geballte Historie.

Partner-Inhalte

Da ist der Weltmann Fritz Leutwiler, der in den siebziger Jahren das Ende des Bretton-Woods-Systems durchlebte und mit der Fed-Legende Paul Volcker Golf spielte. Der als «Jobkiller der Nation» verfemte Markus Lusser aus den stagnierenden neunziger Jahren. Der genüsslichere Romand Jean-Pierre Roth, an der Spitze bis 2009. Und sein flamboyanter Nachfolger: Kurzzeitpräsident Philipp Hildebrand.

Werbung

Bald kommt ein 18. Porträt dazu. Seinen letzten Arbeitstag als Präsident hat Thomas Jordan am 30. September, und dann wird eine Amtszeit zu Ende gehen, die mit «prägend» noch zurückhaltend beschrieben ist. Mit zwölfeinhalb Jahren an der Spitze ist er der Rekordmann der Nachkriegszeit, nur ein gewisser Gottlieb Bachmann präsidierte von 1925 bis 1939 etwas länger die Behörde. Ein Grosser ist Jordan zweifellos. Aber vielleicht sogar der Grösste in der 117-jährigen Historie?

«Mögest du in interessanten Zeiten leben», lautet die zu oft zitierte chinesische Weisheit, und ebenfalls zu oft geht dabei vergessen, dass sie als Fluch gedacht ist. Wenn es denn einer ist, darf Jordan behaupten: Ihn hat er getroffen. Eurokrise, Mindestkurs-Aufhebung, Negativzinsen, am Schluss das unrühmliche CS-Ende, stets unterlegt mit einem sich ständig aufwertenden Franken: Es war ein Zwölf-Jahres-Regnum der Extreme – Ausnahmezustand als Normalzustand.

Werbung

Und, das würden wohl selbst seine grössten Kritiker nicht bestreiten: Insgesamt hat der mächtigste Mann der Schweizer Wirtschaft das Land erfolgreich durch die Krisen gelotst. Mit dem Begriff Ära sollte man vorsichtig sein, und angesichts der turmhohen Bilanzsumme am Ende von Jordans Amtszeit muss das finale Urteil den Historikern überlassen bleiben. Dennoch: Hier ist der Begriff erlaubt.

Da wird selbst der so mandatsfokussierte Langzeitpräsident emotional. Am ersten September-Wochenende verabschiedeten ihn die Kollegen von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die alle zwei Monate seine Heimstatt gewesen war. Der Brite Montagu Norman, in den dreissiger Jahren der mächtigste Notenbanker der Welt und Gründer dieser Art Zentralbank der Zentralbanken im neutralen Basel, hatte sie einst liebevoll seine Oase genannt. Das war sie all die Jahre auch für Jordan.

Werbung

Emotionen zum Schluss

In dem Turm in Schrittdistanz vom Basler Bahnhof trifft sich alle acht Wochen der mächtigste Club der Welt: Ob Fed-Chef Jerome Powell, EZB-Chefin Christine Lagarde, der Brite Andrew Bailey oder der Japaner Kazue Ueda – alle wichtige Notenbankchefs kommen, niemand schickt einen Stellvertreter. Und es waren bewegende Abschiedsworte, die Jordan da entgegenschlugen aus dem Gremium, das von Leitwolf Powell geleitet wird. Nur der Niederländer Klaas Knot war länger dabei. Diese Kamaraderie, verbunden mit einem in der Weltwirtschaft einmaligen Informationsfluss, wird ihm fehlen.

Junger NotenbankerEin Leben für eine Institution: Thomas Jordan bei seinem Antritt im Jahr 1997.

Ein Leben für eine Institution: Thomas Jordan bei seinem Antritt im Jahr 1997.

Keystone
Junger NotenbankerEin Leben für eine Institution: Thomas Jordan bei seinem Antritt im Jahr 1997.

Ein Leben für eine Institution: Thomas Jordan bei seinem Antritt im Jahr 1997.

Keystone

Werbung

Doch auch in der Institution, der er sein Berufsleben gewidmet hat, wurde es emotional. Die volkswirtschaftliche Abteilung der Nationalbank, in der er als junger Ökonom 1997 begonnen hatte und die mit ihren Inflationsprognosen die Herzkammer der Frankenbastion bildet, schickte ihm ein eigens gedrucktes Buch mit Anekdoten, Anregungen und Danksagungen. Und an seinem letzten Arbeitstag, vier Tage nach seinem letzten grossen öffentlichen Auftritt an der geldpolitischen Lagebeurteilung vom 26. September, war der grosse Abschiedsapéro am Hauptsitz angesetzt. Geplant war ein grosser Anlass mit den Mitarbeitern – wenn sie es dann trotz Rad-WM in die Zentrale schafften.

Er übernahm das Haus in der grössten institutionellen Krise seit dem Start 1907. Sein Vorgänger Philipp Hildebrand musste wegen wenig sensibler Devisengeschäfte und missratener Ausredetaktik Anfang 2012 abtreten, es war der bislang einzige unfreiwillige Abschied in der SNB-Geschichte. Der Vizepräsident Jordan sprang zunächst interimistisch ein. Dass ihn der Bundesrat unter der federführenden Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf fast vier Monate mit der formalen Bestätigung hängen liess, obwohl seine Nominierung alternativlos war, hatte im Nachhinein auch etwas Gutes: Hildebrand pflegte eine grosse Nähe zu der in der SVP verhassten Magistratin und führte die langjährige Bündner Lokalpolitikerin schon mal bei den Grossen der Finanzwelt wie etwa dem damaligen EZB-Chef Mario Draghi ein. Jordan blieb distanziert. Der SVP-Übervater Christoph Blocher adelte ihn später sogar auf seine Art. «Jordan ist eine graue Maus, aber alle guten Notenbanker sind graue Mäuse.»

Werbung

Interventionistischer VorgängerJordan mit Philipp Hildebrand (l.), Nationalbank-Präsident von 2010 bis 2012.

Interventionistischer Vorgänger: Jordan mit Philipp Hildebrand (links), Nationalbank-Präsident von 2010 bis 2012.

Keystone
Interventionistischer VorgängerJordan mit Philipp Hildebrand (l.), Nationalbank-Präsident von 2010 bis 2012.

Interventionistischer Vorgänger: Jordan mit Philipp Hildebrand (links), Nationalbank-Präsident von 2010 bis 2012.

Keystone

Ein Ziel über allem

Auch war der einstige Hedgefonds-Manager Hildebrand nicht wie Jordan oder so viele andere Vertreter der Zentralbanken-Kaste ein hoch dekorierter Ökonom, sondern hatte nur ein Politikstudium vorzuweisen. Doch er war sehr amerikanisch geprägt: interventionistisch, medienaffin, dazu international bestens vernetzt. Die neue Too-big-to-fail-Regelung nach dem UBS-Desaster 2008 etwa orchestrierte de facto er, auch wenn die Umsetzung bei Bundesrat und Parlament lag.

Werbung

Jordan war da der grösstmögliche Gegensatz. Kein grandioser Auftritt, kein Gestaltungswille ausserhalb des vorgegebenen Rahmens, keine übermässige Freude an den grossen Podiumsdiskussionen – das jährliche Jackson-Hole-Treffen im fernen Wyoming, bei dem sich die Technokraten gern in grosskarierten Holzfällerhemden zeigten, war für Hildebrand ein Lust-Termin. Für Jordan war die Reise in die fernen Rocky Mountains maximal Pflicht.

Geradezu symbolisch für das langfristige Notenbankdenken: Der Keim für die drei grössten Herausforderungen seiner Amtszeit wurde bereits in seinem ersten Amtsjahr gelegt. Da war der Aufwertungsdruck auf den Franken, den die Nationalbank vier Monate vor seinem Antritt mit einem Mindestkurs von 1.20 de facto an den Euro gebunden hatte. Da waren die Probleme mit der CS: Im Sommer verdonnerte der neue Präsident via den jährlichen Stabilitätsbericht das Bankhaus, nach überstandener Finanzkrise schon wieder zu hart am Wind, zu einer Kapitalerhöhung. Und das provozierte wiederum den Zwist mit der noch jungen Aufsichtsbehörde in Bern, der bis zum Ende andauern sollte: der Finma. «Das ist eigentlich unsere Aufgabe», beschied der damalige Bankenaufsichts- und spätere Behördenchef Mark Branson verschnupft.

Werbung

Doch für Jordan stand stets ein Ziel über allem – das Mandat der Währungsbastion zu erfüllen, definiert in Artikel 5, Absatz 1 des Nationalbankgesetzes: Die Nationalbank «gewährleistet die Preisstabilität». Unbestritten ist: Das ist ihm über all die Jahre bestens gelungen. Zwar gab es sogar Zeiten, in denen Deflation herrschte, aber langfristig lotste er die Wirtschaft durch die Stürme. In der Eurokrise wurden die Notenbankchefs zu Rettern der Weltwirtschaft. Sie waren die letzten Rockstars, was BILANZ mit einem Cover würdigte, das sich Jordan als Bildschirmschoner erbat. Die Aufhebung des Mindestkurses 2015 war kommunikativ das unvermeidliche Desaster, doch auch das überstand er, genauso wie die heftige Druckwelle 2019 nach vier Jahren Negativzinsen. Die Bankchefs schimpften ihn stur, er hielt sich für prinzipienfest. Am Ende setzte er sich stets durch.

Werbung

Die letzten Rockstars: Die BILANZ-Ausgabe vom März 2014.

Die letzten Rockstars: Die BILANZ-Ausgabe vom März 2014.

Bilanz
Die letzten Rockstars: Die BILANZ-Ausgabe vom März 2014.

Die letzten Rockstars: Die BILANZ-Ausgabe vom März 2014.

Bilanz

Die Behörde lebt im Drei-Monats-Takt: Bei seinem Start 1997 dauerten die geldpolitischen Lagebeurteilungen noch ein bis zwei Stunden, heute sind es drei Tage, bis jeweils am Ende des Quartals der neue Entscheid verkündet wird. Als mit Corona die Inflation, von seiner gesamten Kaste viel zu lange unterschätzt, anzog, wurde er plötzlich zum Pionier und stieg als erster der grossen Zentralbankenchefs im Juni 2022 in den Zinserhöhungs-Modus ein. Bereits damals wollte er gehen, weil sich das Zeitfenster für eine Anschlusskarriere langsam schloss. Doch dann kam das CS-Drama.

Werbung

Vorschläge Abgeblockt

Natürlich hat diese Stabilität eine Schattenseite: Die Bilanzsumme der Nationalbank ist brutal aufgebläht und sogar stärker gestiegen als bei den anderen grossen Notenbanken. Da wirkt es wie ein Symbol seiner über Jahre ausgebauten Machtfülle, dass er selbst in diesem gefährlichsten Punkt seiner Hinterlassenschaft keine Kritik zulässt. Die Bilanzsumme liegt mit 820 Milliarden Franken über dem Schweizer Bruttoinlandsprodukt und damit international auf Rekordniveau. Doch in seinem «NZZ»-Abschiedsinterview Anfang September behauptete er: «Das ist keine Hypothek, sondern das Ergebnis der Geldpolitik der letzten 15 Jahre. Die Ausdehnung der Bilanz hat massgeblich dazu beigetragen, dass die Schweiz gut durch die Krisen gekommen ist.» Es sei zudem interessant, wie unterschiedlich die Bilanzgrösse interpretiert werde: «Die einen sprechen von einer Hypothek. Die anderen von einem riesigen Vermögen, mit dem sich vieles finanzieren lässt.»

Werbung

Da wirkt er nicht ganz so souverän: Die Theorie des «riesigen Vermögens» wird von Vertretern propagiert, die aus den SNB-Anlagen einen Staatsfonds erschaffen wollen. Jordan lehnt diese Idee vehement ab, gerade weil er ja nicht «viel finanzieren» will – das wäre eine Ausweitung des Mandats, die er stets bekämpft hat. Die UBS muss sich von der «NZZ» als «Monsterbank» kritisieren lassen, doch ihre Zentralbank führt selbst eine Monster-Bilanz. Sie flattert wie eine riesige Fahne in den Stürmen der Währungsmärkte und führt zu gigantischen Gewinn- oder Verlustschwankungen, die die Solidität des Hauses schwächen. Der Anlagebedarf ist massiv gestiegen, und das führt zu Angriffsflächen bei der Aktienauswahl, zudem ist die Gewinnauschüttung an die Kantone zu einem Vabanquespiel mutiert. Dass die Bilanzsumme gesenkt werden muss, ist dann auch erklärtes Ziel der Nationalbank. Es ist der heikelste Teil des Jordan-Erbes, das sein handverlesener Nachfolger Martin Schlegel und dessen eher wenig erfahrene Mitstreiter Antoine Martin und Petra Tschudin im Direktorium antreten.

Werbung

Martin Schlegel (o.)Der neue Präsident tritt die Nachfolge von Thomas Jordan an.

Martin Schlegel: Der neue Präsident tritt die Nachfolge von Thomas Jordan an.

Keystone
Martin Schlegel (o.)Der neue Präsident tritt die Nachfolge von Thomas Jordan an.

Martin Schlegel: Der neue Präsident tritt die Nachfolge von Thomas Jordan an.

Keystone

Zuletzt ist die Bilanzsumme sogar wieder leicht gestiegen. Es ist das Dilemma der Nationalbank: Offiziell hat Jordan auch die Devisenkäufe stets als Dienst an der Preisstabilität verkauft – ein zu starker Franken senkt die Importpreise und wirkt deflationär. Aber die Interventionen sind auch Strukturpolitik für die Exportwirtschaft: Wie gefährlich das eiserne Festhalten am Stahlfranken reputativ sein konnte, hat das Beispiel Lusser in den neunziger Jahren gezeigt. So viel Politik war da schon.

Werbung

Da konnte Jordan es sich leisten, bei anderen Begehrlichkeiten hart zu bleiben. Die Ökonomenkaste zählt besonders viele Neider, und seine unangefochtene Stellung bescherte Jordan viele unerbetene Vorschläge aus seiner Zunft, etwa vom selbst gekürten SNB Observatory um den Basler Professor Yvan Lengwiler. Jordan ignorierte sie allesamt breitschultrig: eine Erhöhung der Zahl der Direktoriumsmitglieder, die Offenlegung der Sitzungsprotokolle, weitere Ziele neben der Preisstabilität wie etwa Klimaschutz, eine kompetentere Corporate Governance statt des brav abnickenden Bankrats, Amtszeitbeschränkungen. Auch die Finanzminister Ueli Maurer und Karin Keller-Sutter, formal seine Dienstherren, stiessen sich oft an seiner Unverrückbarkeit. Doch am Ende blieb auch ihnen nur die Kapitulation.

Stets eng beim Mandat

Werbung

Ob es die CS mit einem interventionistischeren Charakter wie Hildebrand noch gäbe, bleibt ein Fall für die kontrafaktische Geschichtsschreibung. Fakt ist: Jordan blieb auch hier ganz eng bei seinem Mandat. Orchestrierte Hildebrand 2008, obwohl nur Vizepräsident, noch die UBS-Lösung teilweise ausserhalb des gesetzlichen SNB-Reglementariurms, so hielt sich Jordan eng an die Vorgaben.

Er setzte auf den Sanierungsplan der CS-Oberen, spurte aber mit Finanzminister Maurer die UBS-Übernahme inklusive Notrechtsszenario vor und informierte auch die UBS-Spitze. Der CS-PUK darf er da zu Recht gelassen entgegensehen: Sie wird nur bestätigen, dass er sich sauber im Rahmen seines Mandats bewegt und sogar eine Notlösung aufgegleist hat. Das Verhältnis zum Juniorpartner Finma hat sich dabei nicht verbessert: Bei der Planung der Notlösung war die Präsidentin Marlene Amstad nicht dabei, und die irreführenden Aussagen zu Liquidität und Kapitalstärke der CS kurz vor dem Ende, in einem gemeinsamen Communiqué von Finma und SNB veröffentlicht, lastet die Nationalbank der Finma an. Ja, der Finanzplatz ist mit nur noch einer Grossbank geschwächt. Aber ob eine staatlich geführte CS wirklich die bessere Lösung gewesen wäre, weiss niemand. Jordan war für die Finanzstabiltät zuständig. Sie hat er gesichert.

Werbung

Rosen züchten wird er nicht. Der 61-Jährige ist offen für VR-Mandate, sogar ein Präsidium will er nicht ausschliessen. Selbstbestimmt abtreten, zweieinhalb Jahre vor Ablauf der Amtszeit, mit einem selbst ausgewählten Nachfolger: Das ist höchste Schule.

Doch einfacher wird es für seinen Nachfolger nicht.

Über die Autoren
Dirk Schütz

Dirk Schütz

Dirk Schütz

Auch interessant

Werbung