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Dieter Vranckx erlebt den härtesten Start, den ein Airline-Chef haben kann. Kann er die einstige Ertragsperle wieder auf Erfolgskurs bringen?
Dirk Ruschmann
Schweizer und Belgier: Dieter Vranckx hat beide Pässe und lebt am Zürichsee. Umziehen musste er für den Job bei der Swiss nicht.
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Noch ist er der grosse Unbekannte: Dieter Vranckx, so frisch im Geschirr als CEO der Swiss und so abgeschottet in seinem Corona-konformen Homeoffice, dass nicht einmal sein Arbeitgeber weiss, was hinter den Mittel-Initialen R.F. steckt, die Vranckx im Namen führt.
Zum Ausgleich lieferte Vranckx einen Amtsantritt mit Wow-Effekt. Nach gerade mal vier Chef-Wochen kündigte er den Swiss-Piloten ihren GAV – nach aussen hin umso überraschender, als mit den Piloten der Schwesterfluglinie Edelweiss und dem Kabinenpersonal Krisenvereinbarungen gefunden wurden. Doch mit den (vor allem) Herren im Cockpit sucht der Neue die Kraftprobe, will ihre Arbeitsbedingungen dauerhaft schleifen; «das Ende klassisch schweizerischer Sozialpartnerschaft», klagt Thomas Steffen, Pilot und Vorstand der Gewerkschaft Aeropers. Er vermutet, Swiss wolle die Krise nutzen, den GAV von «schon lange störenden Elementen» zu säubern, die aber «für die Bewältigung der Krise gar nicht relevant sind».
Und mit dieser Einschätzung steht Steffen nicht allein: «Es sieht so aus, als habe der Sonderweg der Swiss im Konzern ein Ende», sagt Thomas Jaeger, Chef der Beratungsfirma CH-Aviation. Denn Konzernmutter Lufthansa «geht mit ihren Piloten in Deutschland schon länger recht hart um». Tatsächlich liegt die Lufthansa mit der notorisch renitenten Pilotenvereinigung Cockpit (VC) im Dauerclinch.
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Ist Dieter Vranckx also, wie nicht wenige Beobachter vermuten, die nach Kloten entsandte Faust der Zentrale? Zumal Vranckx dem als Favoriten gehandelten Stadtzürcher Markus Binkert, Finanzchef der Swiss und als umgänglicher Typ bekannt, als CEO vorgezogen wurde? Dabei hatte Binkert die Verhandlungen mit Bundesbern über staatliche Unterstützung mit Erfolg geführt, und die Kündigung des GAV hatte unweigerlich Debatten ausgelöst, ob Staatshilfe und Druck auf Mitarbeiter zusammenpassen. Dieter, der Drahtbesen?
Erstes Gastspiel bei Swiss: Vranckx (l.) 2008 beim Launch des Flugs nach Shanghai: daneben VRP Rolf Jetzer, Kommerzchef Harry Hohmeister und Urs Eberhard, Vize-Präsident von Schweiz Tourismus.
KeystoneThomas Klühr führte die Swiss von 2016 bis Ende 2020.
KeystoneCarsten Spohr leitet die Lufthansa seit Mai 2014.
Oliver RöslerGanz so einfach ist die Sache nicht. Dass ein neuer CEO, der kaum Zeit hatte, seinen Schreibtisch einzuräumen, schlagartig Gespräche abbricht, an denen er kaum teilgenommen hatte – höchst unwahrscheinlich. Einer, der Vranckx lange kennt, sagt, ein so drastischer Schnellschuss «würde nicht zu Dieter passen», der sei ein integrer Charakter, suche den Kontakt zu den Mitarbeitern, auch an der Basis. Und ein Swiss-Insider sekundiert, die Kündigung des GAV habe seit Monaten im Raum gestanden, weil man auch für die Nach-Corona-Zeit zu einem neuen «New Normal» kommen wolle, sprich: tiefere Kosten, flexiblere Zeitmodelle. Zwar sieht man intern «den Dieter», bei der Swiss duzt man sich, derzeit selten, aber immerhin meldet er sich regelmässig via «CEO-Video» und tauscht sich mit den Teams per Webcasts aus – an die Piloten allerdings soll er sich bislang nicht direkt gewandt haben.
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Unter Vranckx dämmert in der Swiss eine Ära der Weltläufigkeit herauf. Während Vorgänger Thomas Klühr den klassischen Deutschen gab und meist nur in Anwesenheit von Muttersprachlern ins Englische wechselte, parliert Vranckx Deutsch, Englisch und Französisch, und von seinen Leuten möchte er aus Trainingsgründen auf Schweizerdeutsch angesprochen werden, das er bereits gut versteht. Doch wenn es hart auf hart komme, sagt ein Swiss-Mann, greife Vranckx gern aufs Englische zurück – das sich vermutlich als Verkehrssprache im Unternehmen etablieren werde.
Auch Klühr galt als offener Typ und guter Zuhörer, «vielleicht sogar noch ein My besser als Vranckx», zudem als Lieblingschef der Mitarbeiter. Klühr hatte es allerdings auch nicht so schwer: Er ritt auf der Erfolgswelle, Strategie und Flottenplanung waren eingespurt, und so fuhr er in seinen knapp fünf Jahren bekömmliche Gute-Laune-Jahresergebnisse ein.
Dazu passt, dass in der Belegschaft der Swiss Gerüchte kursieren, Klühr habe sich eigentlich mit den Piloten auf eine Krisenvereinbarung verständigt und den GAV nicht antasten wollen; hier widersprechen andere Insider jedoch. Einen beschlich der Eindruck, Klühr habe auch deshalb seinen Abschied bei der Swiss forciert, weil er keine Lust hatte, den sich anbahnenden Konflikt mit den Piloten auszutragen – denn der Druck auf den Schweizer GAV kommt von oben, aus der Frankfurter Zentrale. Schon CEO Carsten Spohr, obwohl selbst gelernter Pilot, gilt als Verfechter einer harten Linie, noch mehr aber Klührs Vorgänger Harry Hohmeister, exzellenter Luftfahrt-Stratege und robuster Manager, der die Swiss zur erfolgreichsten Lufthansa-Airline gemacht hat. Aber auch zum Lieblingsfeind der Piloten aufstieg.
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Vranckx allerdings hatte vor seinem Wechsel zur Swiss keine goldgeränderten Jahresbilanzen verantwortet. Als er im Mai 2018 als Finanzchef bei Brussels Airlines startete, streikten die Piloten. Ihre Wünsche übersetzte Vranckx als Kostensteigerungen von 25 Prozent, «absolut inakzeptabel», liess er sich zitieren; den Forderungen nachzukommen sei «gleichbedeutend damit, unser Todesurteil zu unterschreiben».
Dafür legte er ein Sparprogramm namens Reboot auf, das jeden vierten Arbeitsplatz kosten und die berühmten acht Prozent Betriebsgewinnmarge erreichen (die nie zuvor erreicht wurde und damals bei 0,5 Prozent lag) sollte. Und dennoch hagelte es Lobpreisungen von den in Belgien starken Gewerkschaftern à la «Er ist kompetent, ein guter Analytiker und hört gut zu».
Etienne Davignon, langjähriger Präsident und bis heute Verwaltungsrat der Brussels-Muttergesellschaft SN Airholding, bezeichnete ihn als «hervorragenden People-Manager». Und schliesslich freuten sich Kapital und Arbeitnehmer gleichermassen, dass man «den ranghöchsten Belgier bei der Lufthansa» bei sich hatte – das musste doch für etwas gut sein! Folgerichtig wurde auch Vranckx zugeschrieben, dass die Lufthansa Mitte 2019 in einer abrupten Kehrtwende den Plan aufgab, die Brussels in der Billigfluglinie Eurowings aufgehen zu lassen, ein mittlerer Affront für die Belgier – stattdessen bleibt die kleine Brussels eine klassische Netzwerkfluglinie und gesellt sich in Hohmeisters Premium-Konzernressort zu den Schwestern Swiss, Austrian und «Kranich»-Lufthansa Passage.
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Doch Vranckx’ Begabungen als Gewerkschaftsflüsterer, die er in Zürich erst nachweisen muss, dürften kaum den Ausschlag gegeben haben für seine Berufung. Eher schon die Kombination mit seiner direkten, zahlengetriebenen Art, sagt ein Insider. Und natürlich die viel gepriesene internationale Karriere. Nach Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Uni Brüssel und einem MBA an der dortigen Solvay Business School stieg er am 25. Juli 1998, 25 Jahre alt, als Operations Manager bei der damaligen Sabena ein, obwohl er auch zu Peugeot oder Citroën hätte gehen können.
Aber Sabena übertrug dem Führungsnachwuchs schnell Projekte in verschiedenen Ressorts, das reizte mehr. 2000 kam er zur Swissair in die Netzwerkplanung für Europa, machte für die neue Swiss-Karriere im Frachtgeschäft und ging dafür nach Hongkong, führte ab 2010 für Lufthansa Cargo die Märkte USA Midwest und Canada von Chicago aus, kam 2013 zurück zur Swiss als Leiter «Home Markets», also die DACH-Region, wurde 2016 für Lufthansa Verkaufschef Asien-Pazifik mit Sitz in Singapur.
2018 dann die Rückkehr in die Schweiz: Die Familie, Ehefrau Mirjam, ein Sohn, der im Zenit der Pubertät stehen dürfte, sowie eine drei Jahre jüngere Tochter, siedelte sich an der Zürcher Goldküste an, er selber pendelte nach Brüssel, wo er ab Mai 2018 Finanzchef und Deputy CEO bei Brussels war. Und als seine Chefin Christina Foerster in den Konzernvorstand der Lufthansa berufen wurde, folgte er ihr zum Januar 2020 als CEO nach. Zeit für Management-Schnellbleichen 2007 an der London Business School und 2016 am IMD Lausanne blieb zwischenzeitlich auch. Neben dem belgischen hält er den Schweizer Pass.
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Markus Binkert war Mitfavorit für den CEO-Job, blieb aber CFO. Er muss nun auf die nächste Chance warten.
ZVGChristina Foerster: Chefin von Vranckx in Brüssel und neu als VR der Swiss. Spohr fördert sie.
Oliver RöslerBernd Bauer leitet die Schwesterfirma Edelweiss. Sie wird schneller als Swiss wieder wachsen.
KeystonePiloten-Gewerkschafter Thomas Steffen: Dieser Konflikt wird zu Vranckx’ erstem Prüfstein.
ZVGUm als Airline-Chef zu reüssieren, muss man nicht den Globus erobert haben; für Harry Hohmeister war Zürich seine einzige Auslandsstation, Carsten Spohr hatte nie eine. Doch auf dieser Flughöhe wird geografische Flexibilität erwartet, so wie Swiss-Altmeister Christoph Franz mit fünf Kindern in die Schweiz zügelte oder Austrian-Chef Alexis von Hoensbroech mit ebenso vielen nach Wien. Dieses Commitment zu Job und Konzern sprach offenbar für Vranckx – und gegen Markus Binkert, dem einige Lufthanseaten angekreidet haben, dass er seinen letzten Job in München als Wochenaufenthalter erledigte, statt den Lebensmittelpunkt nach Bayern zu verschieben, und stets hoffnungsvoll Richtung Zürich geschielt haben soll. Wobei es Thomas Klühr, in umgekehrter Richtung, nicht viel anders handhabte.
Währenddessen warten auf die Swiss-Bosse diverse Baustellen. Corona hat insbesondere das Business mit Geschäftsreisenden zum Erliegen gebracht; dieses Segment wird «sich langfristig mit einem veränderten Kundenverhalten auseinandersetzen müssen», prognostiziert Matthias Hanke, Aviatik-Experte der Beratungsfirma Roland Berger, der «mehr Videokonferenzen statt physischer Reisen» erwartet. Schon jetzt sei «Business-Klasse auf der Kurzstrecke in Europa für viele Firmenkunden Vergangenheit». Touristik-Schwester Edelweiss wird früher als die Swiss von einer Erholung profitieren.
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Ausserdem chauffieren die Langstreckenflieger der Swiss sämtlich eine First Class durch die Luft, die viel einträgt, wenn die Sitze besetzt sind, sonst aber viel kostet. Zwar gilt Zürich als Hochwertmarkt, «auf dem die First eine Berechtigung hat», sagt Thomas Jaeger, aber international ist die First auf dem Rückzug «und wird von hochwertigen Business-Class-Angeboten verdrängt», seit Corona auch von Privatjets.
Doch ein Rückbau wäre richtig teuer. Und letztlich hat Corona zwar viele Flugzeuge auf den Boden gezwungen, aber die wenigsten sind verschrottet, sondern werden bei neuen Mietern zu günstigeren Leasingraten wieder fliegen – und den ruinösen Preiskampf aus Vor-Corona-Zeiten neu lostreten.
Elf Monate nur war er CEO in Brüssel, als sein Wechsel zur Swiss annonciert wurde; daran kann man die Chefqualitäten von Dieter Vranckx also nicht messen. Seine Bewährungsprobe steht erst noch bevor.
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