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Seine Karriere als CEO schien nach kürzester Zeit schon beendet. Jetzt muss André Krause die grösste Schweizer Fusion seit Jahren durchziehen.
Marc Kowalsky
André Krause kann Liberty Global seine eigenen Sunrise-Aktien für 2,1 Millionen Franken andienen.
Joseph Khakshouri für BILANZWerbung
Auch in Homeoffice-Zeiten fährt André Krause zwei bis drei Mal die Woche von seinem Wohnsitz in Herrliberg ZH zum neuen Sunrise-Hauptsitz in Zürich-Opfikon. Für die rund 40 Minuten lange Fahrt kann er wählen zwischen einem Porsche 911 («ein Kindheitstraum», so Krause), einem Fiat Cinquecento, einem Mini Countryman und der Familienlimousine, einem grossen Mercedes. Zu seinem Fuhrpark gehörten auch ein Ferrari und ein Fiat in der Rennversion Abarth, als Firmenwagen fuhr Krause jahrelang einen Audi RS5 mit 450 PS. «Er war immer der mit dem dicksten Auspuff und dem tiefsten Motorensound in der Firmengarage, schnelle Autos haben es ihm angetan», erinnert sich Markus Naef, einst Businesskundenchef neben Krause und heute CEO von SwissSign Group.
So beschaulich die Fahrt für André Krause dem Zürichsee entlang normalerweise verläuft, so wild war das Auf und Ab in den letzten 14 Monaten für seine Karriere. Letztes Jahr wollte Sunrise, der zweitgrösste Telekomanbieter der Schweiz, die Nummer drei UPC übernehmen. Krause war als Finanzchef des fusionierten Gebildes gesetzt. Im November scheiterte der Deal am Widerstand der Sunrise-Aktionäre, zur Enttäuschung auch von Krause. Im Januar nahm deshalb Sunrise-Chef Olaf Swantee den Hut, plötzlich war Krause CEO. Anfangs allerdings ohne Gehaltserhöhung: Er musste erst zeigen, was er kann als Chef.
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Im August drehte plötzlich UPC den Spiess um und verkündete die Übernahme von Sunrise. Krauses Intermezzo als Chef schien da schon wieder beendet, stellt doch in der Regel der Käufer den CEO. Drei Monate später wurde Krause dennoch als Leiter des neuen 3,5-Milliarden-Konzerns eingesetzt, zur Überraschung vieler. Allerdings nicht unbedingt zu seiner eigenen: «Ich habe meine Chancen nie ganz schlecht gesehen, auch weil UPC in den letzten Jahren nicht über die Massen performt hat», sagt der 50-Jährige. «Insofern ist es jetzt für mich nicht völlig überraschend und auch durchaus sinnvoll.» Tatsächlich gingen bei UPC – anders als bei Sunrise – zuletzt Kundenzahlen und Profitabilität zurück.
Als Finanzchef zu Sunrise geholt hatte ihn 2011 der damalige CEO Oliver Steil, die beiden kannten sich aus gemeinsamen früheren McKinsey-Zeiten. Als Steil zwei Jahre später gehen musste und sein Nachfolger Libor Voncina das gesamte Topmanagement auswechselte, überlebte Krause als Einziger. «Er ist der Anchorman, der über all die Jahre Stabilität zu Sunrise gebracht hat», sagt ein ehemaliger Weggefährte.
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Mit seiner Vergangenheit als Berater und später als Strategiechef beim deutschen Mobilfunkanbieter O2 agierte Krause bei Sunrise auch nicht wie ein typischer Finanzchef. «Ich habe das Zahlenwerk immer als Startpunkt und nicht als Endpunkt meiner Arbeit gesehen», sagt er selbst: «Von daher hatte ich sicher mehr Impact im Geschäft als ein klassischer CFO.» So überzeugte er den damaligen Besitzer, die Private-Equity-Gesellschaft CVC, grosse Summen in die Verbesserung der Netzqualität zu investieren, um es qualitätsmässig mit der übermächtigen Swisscom aufnehmen zu können.
Krause mischte auch bei der Produktentwicklung mit, etwa bei Sunrise Freedom, einem Vertragsangebot ohne Handy, das er von O2 kannte, oder den Bündelangeboten. Er leitete das Grosshandelsgeschäft, als Not am Mann war, und handelte die Roamingverträge mit anderen Carriern aus. «Ich habe selten einen Finanzchef kennengelernt, der das Telekomgeschäft so gut kennt, nicht nur was die Zahlen angeht, sondern auch die Technik und die Abläufe dahinter», sagt Peter Schöpfer, langjähriger Sunrise-VR.
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So aktiv war Krause, dass ihn Voncina in seinem Gestaltungswillen manchmal bremsen musste. Und Krause stabilisierte die Bilanz, die durch die teuren 5G-Auktionen und den auf Rendite erpichten Besitzer CVC in Schieflage geraten war, indem er etwa den Netzbetrieb an die chinesische Huawei auszulagern half oder die Funkmasten mit einem Sale-and-lease-back-Deal zu Geld machte.
Krauses Meisterstück war der Börsengang 2015. Wochenlang war er dafür mit Voncina auf Roadshow, die beiden wechselten sich bei den Präsentationen ab. «Krause wird besser unter Stress», sagt einer, der jahrelang mit ihm arbeitete. Als direkt nach dem IPO die Nationalbank den Frankenkurs freigab und sich Sunrise durch ein stürmisches Quartal kämpfte, war es an Krause, die Investoren zu beruhigen. Wer von ihnen der Firma die Stange hielt, für den hat es sich gelohnt: Dividenden und Kurssteigerung ergeben über die vier Jahre vom Going-public bis zum Going-private eine Rendite von 90 Prozent für die Sunrise-Aktionäre.
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Der gebürtige Deutsche, der sich nächstes Jahr einbürgern lassen will, gilt als bodenständig und bescheiden, als jemand, der sich nicht in den Vordergrund drängt. Hierarchiedenken ist ihm fremd. Einzige Extravaganz neben seinem Faible für schnelle Autos ist die Vorliebe für edle Uhren. «Aber nur wertstabile», wie er – ganz Finanzchef – betont: Rolex, Patek Philippe, Audemars Piguet und gewisse IWC-Modelle sammelt er; auf seinem Bürotisch am Sunrise-Hauptsitz steht eine schlichte Tischuhr von Chopard.
Ungeduld gilt ebenfalls als ein Wesensmerkmal von Krause: «Er ist fordernd und streng, aber lässt seinen Leuten den Freiraum, den sie brauchen», sagt Detlef Steinmetz, ehemals CIO neben Krause. Und er kommt auf den Punkt und macht unverblümt sehr deutlich, was er denkt: «Das muss man mögen», so Steinmetz. Die deutsche Direktheit bekam etwa Bruno Duarte zu spüren: Die Trennung vom Privatkundenchef war Krauses erste Amtshandlung als CEO im Januar. «Wir hatten unterschiedliche Ansichten, wie die Marke Sunrise weiter erfolgreich geführt werden kann», sagt Krause.
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Krause ist ein Familienmensch (auf seiner Ablage im Büro stehen über ein Dutzend Bilder seiner Frau und der vier Kinder, aber nur eines mit Markenbotschafter Roger Federer) und einer, der gute Teams formen kann: «Wenn man bei ihm arbeitet, weiss man: Man hat eine Chance weiterzukommen», sagt Ex-Kollege Naef. «Er setzt sich für seine Leute ein und steht auch hin für ihre Fehler.» In seiner Funktion als CFO übernahm Krause jahrelang die Rolle des Innenministers. Nach aussen trat er nur gegenüber den Investoren in Erscheinung, die Finanz-Community bot das einzige Parkett, auf dem er sich wohlfühlte.
Jetzt kommt er langsam aus sich heraus, ist präsenter in den Medien und geht auch auf Kundenbesuch und zu den Mitarbeitern in den Shops und im Support – so wie es Vorgänger Olaf Swantee ihm exzessiv vorgemacht hatte. Mit diesem verstand sich Krause bestens, obwohl er 2015 selber auf den Chefposten aspiriert hatte. «Danach entwickelte sich ein Powerteam, und André bewies sich als sehr loyaler Teamplayer», erinnert sich Peter Schöpfer, der damals im VR das Nomination and Compensation Committee präsidierte. «Deshalb war er für mich der logische Nachfolger auf dem CEO-Job.»
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Für den Chefposten nach der Elefantenhochzeit hatte UPC auch zwei eigene Kandidaten: Zum einen den bisherigen UPC-Chef Baptiest Coopmans, der in seiner niederländischen Heimat bereits eine Fusion zwischen einem Kabelnetzbetreiber und einem Mobilfunkanbieter aufgegleist hatte. Er nimmt nun im Verwaltungsrat Einsitz. Zum anderen Coopmans’ Vorgängerin Severina Pascu. Die war erst im Februar nach London zu Virgin Media gewechselt, einer anderen Tochter von UPC-Eigner Liberty Global, hatte mit ihrer Familie die Schweiz aber nie verlassen und bald den Wunsch geäussert, wieder hierzulande zu arbeiten. Liberty legte Krause nahe, sie als COO zu verpflichten – ein Vorschlag, den er prüfte und für gut befand.
Krauses erste grosse Aufgabe in der neuen Funktion ist nun, jenen IPO rückgängig zu machen, den er selbst aufgegleist hat. «Wir haben ein Lebensjahr in den Börsengang gesteckt. Ihn jetzt wieder rückabzuwickeln, fühlt sich schon ein bisschen komisch an», sagt er. Versüsst wird ihm das Going-private finanziell: Für rund 2,1 Millionen Franken kann er seine eigenen Sunrise-Aktien UPC andienen. Ein netter Zusatzverdienst zu seinem Salär, das sicher nicht unter den 2,45 Millionen seines Vorgängers Swantee liegen wird.
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Die zweite grosse Herausforderung ist die Integration der beiden Firmen. 275 Millionen Franken an Synergieeffekten pro Jahr sieht VR-Präsident Mike Fries, es wird also eine Weile dauern, bis der Kaufpreis von 6,8 Milliarden Franken refinanziert ist. Ein Drittel der Synergien will Krause heben, indem man weniger Dienstleistungen bei der Swisscom und den Glasfasernetzen der E-Werke einkauft, sondern vermehrt die eigenen Infrastrukturen nutzt.
Ein weiteres Drittel, indem man der vergrösserten Kundenbasis weitere Produkte aus dem Portfolio verkauft. Hier sind Zweifel angebracht, denn sowohl Sunrise wie auch UPC hatten schon vor der Fusion ein annähernd komplettes Produktangebot. Das letzte Drittel sind klassische Kostensynergien: bei der Entwicklung, im Marketing und durch Stellenabbau. Mit einem Kahlschlag rechnet Krause dabei nicht: «Ich erwarte nicht, dass wir 30 Prozent des Personals abbauen. Das wird eine deutlich kleinere Zahl sein.»
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Untypischer CEO: «Ich habe das Zahlenwerk immer als Startpunkt und nicht als Endpunkt meiner Arbeit gesehen. Von daher hatte ich sicher mehr Impact im Geschäft als ein klassischer Finanzchef.»
Joseph Khakshouri für BILANZUntypischer CEO: «Ich habe das Zahlenwerk immer als Startpunkt und nicht als Endpunkt meiner Arbeit gesehen. Von daher hatte ich sicher mehr Impact im Geschäft als ein klassischer Finanzchef.»
Joseph Khakshouri für BILANZAlles andere wäre den 3263 Mitarbeitenden auch kaum zu vermitteln, wenn man sich die neue Konzernleitung anschaut: Hier hat man aufs Sparen weitestgehend verzichtet und einfach mehr oder weniger die beiden Geschäftsleitungen von Sunrise und UPC zusammengepfropft. Entsprechend gross ist das Gremium mit seinen 14 Mitgliedern (acht davon stellt Sunrise). Zum Vergleich: Die dreimal grössere und dazu noch international tätige Swisscom kommt mit sechs Mitgliedern aus. Mit der «massiven Integrationsaufgabe über die nächsten Jahre» begründet Krause die generöse Zusammensetzung.
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Als wichtigste Entscheidung steht jene nach dem zukünftigen Markenauftritt an. Sie soll erst nach dem Squeeze-out der letzten verbleibenden Aktionäre im Frühling gefällt werden. Alles andere als ein Entscheid für Sunrise wäre eine Überraschung: «Sunrise ist besser im Markt verankert und weniger belastet als UPC», sagt Telekomexperte Jörg Halter von der Beratungsfirma Ocha: «Beim Wechsel auf den Namen UPC hätten die Sunrise-Kunden keine Freude.»
Krause will nicht darüber spekulieren: «Aber ich stimme zu, dass die Marke Sunrise beim Marktmomentum durchaus ihre Stärken hat», sagt er. Bereits gefallen ist die Entscheidung über den Hauptsitz: Im Ambassador House in Zürich-Opfikon, dem ehemaligen Renaissance Hotel, wohin Sunrise letztes Jahr gezogen ist, wird das fusionierte Gebilde zu den bisherigen 12'000 Quadratmetern Bürofläche weitere knapp 6000 hinzumieten. Am bisherigen UPC-Sitz in Wallisellen werden nur noch die Teams für IT und Netze zusammengezogen werden, und auch dies nur vorübergehend.
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Wesentlich anspruchsvoller wird es sein, die beiden Unternehmenskulturen zusammenzubringen. Sunrise, eher schweizerisch geprägt, war immer unabhängig, auf sich alleine gestellt und entsprechend agil, es herrscht eine Can-do-Mentalität. UPC ist Teil eines internationalen Telekomkonzerns mit amerikanischer Denkweise, diverse Funktionen sind in der Gruppe zentralisiert.
Dass UPC hierzulande aus dem Zusammenschluss von rund zwei Dutzend Kabelnetzanbietern entstand, spiegelt sich auch in der IT wider: Die Systeme und Datenbanken sind nie sauber bereinigt worden. Die Integration mit der Sunrise-Informatik, die ebenfalls nicht frei von Altlasten ist, dürfte eine gröbere Herausforderung werden.
Und dann ist da noch das Problem der Netze: Sunrise hat Hunderte Millionen in ihr Glasfasernetz gesteckt, das die IP-Technologie verwendet, UPC nutzt das historische, aber modernisierte Fernsehnetz, das auf Coax-Kupferkabeln basiert und eine Technologie-Mischform verwendet. «Die beiden Netze sind inkompatibel, weil der Übergang vom einen auf das andere nicht möglich ist», sagt Telekomexperte Halter.
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Krause muss die UPC-Netze daher auf die von Sunrise verwendete IP-Technologie migrieren. Ein mehrjähriger Kraftakt. «Mit der neuen Grösse können wir die Kosten stemmen», ist Krause optimistisch. Dennoch will er gleichzeitig die Geschwindigkeit im Kabelnetz erhöhen. Und er will weiterhin das 5G-Netz ausbauen, auch als Alternative zum Breitbandanschluss in ländlichen Gebieten. Dies, obwohl in Teilen der Bevölkerung ein rational kaum nachvollziehbarer, aber dennoch massiver Widerstand gegen die Mobilfunktechnologie herrscht.
Krause spricht von einer kleinen, aber lauten Minderheit, die opponiert: «Ich kenne mittlerweile alle Namen von Leuten, die typischerweise Leserbriefe in den Schweizer Zeitungen veröffentlichen», sagt er. «Es sind nicht so viele, und sie haben immer die gleichen Argumente.» Kein Thema ist hingegen die Ablösung der Huawei-Infrastruktur, auch wenn UPC-Eigner Liberty Global ein US-Konzern ist. Sie wäre jetzt, da bereits 90 Prozent der Bevölkerung mit 5G versorgt werden, auch nicht mehr sinnvoll.
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Krause ist ehemaliger Fussballspieler (defensives Mittelfeld) und – wenn nicht gerade Pandemie herrscht – regelmässiger Stadiongänger, als gebürtiger Ostwestfale müsste sein Herz eigentlich für Arminia Bielefeld schlagen. Tatsächlich besitzt er Dauerkarten für den FC Bayern München: «Die Arminia war nie besonders gut, schon als Kind hat mich der Marktführer mehr begeistert», begründet er seine Vorliebe. Von der Marktführerschaft träumt er auch jetzt.
Die nächsten Jahre freilich wird Sunrise-UPC erst mal mit sich selbst beschäftigt sein. Wenn Krause die Fusion sauber durchzieht, verdoppelt sich die Schlagkraft des zweitgrössten Telekomanbieters tatsächlich. Doch auch dann ist Sunrise-UPC noch lange nicht mit der Swisscom auf Augenhöhe, weder was Umsätze noch Marktanteile noch Mitarbeiter angeht.
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Bis auch das erreicht ist, muss Krause noch mal ordentlich Gas geben. Möglichkeiten genug dafür hat er ja.
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