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Energie

Sulzer-Präsidentin Suzanne Thoma: «Es entsteht gerade eine Giftmischung»

Sulzer-Präsidentin Suzanne Thoma über die Probleme mit dem sanktionierten Grossaktionär Viktor Vekselberg und das Versagen der Energiepolitik.

Marc Kowalsky

Suzanne Thoma

«Wir müssen uns auf Stromabschaltungen vorbereiten»: Suzanne Thoma vor dem Winterthurer Hauptsitz von Sulzer.

Paolo Dutto

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Suzanne Thoma nimmt das Thema Energiesparen ernst: Der Deckenfluter in ihrem neuen Büro hat mangels Stromkabel noch kein Watt verbraucht. Auch sonst ist das Eckzimmer im 23.  Stock des Sulzer-Hochhauses in Winterthur spartanisch eingerichtet: Das Bild einer lettischen Künstlerin an der Wand, ein Epidot mit versteinerten Grassamen aus dem Grimselgebiet auf der Ablage, mehr Persönliches ist nicht. «Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mich einzurichten», entschuldigt sich die 60-Jährige, die seit 2021 beim Industriekonzern im Verwaltungsrat und seit April Präsidentin ist.

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Suzanne Thoma, wann haben Sie zuletzt mit Sulzer-Grossaktionär Viktor Vekselberg konferiert?
Das war kürzlich. Er kommt ja hin und wieder in die Schweiz.

Er ist gebürtiger Ukrainer mit russischem Pass. Wie sieht er den Ukraine-Krieg?
Es steht mir nicht zu, für Vekselberg zu sprechen. Was ich sagen kann, ist, dass er diese Situation ausserordentlich bedauert. Sie ist für ihn eine grosse Belastung. Er hat Familie in der Ukraine und wäre mit Sicherheit persönlich sehr glücklich, wenn der Konflikt beigelegt werden könnte.

Ist es fair zu sagen, Sie wären heilfroh, wenn er nicht mehr Grossaktionär bei Sulzer wäre?
Nein, es ist nicht fair, das zu sagen. Er ist ein langfristig engagierter Aktionär, er hat das Unternehmen über 15 Jahre begleitet in schwierigen und weniger schwierigen Zeiten. Das muss man anerkennen. Aber es ist unbestritten so, dass die jetzige Situation eine Erschwernis ist.

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Vekselberg ist seit 2018 von den Amerikanern sanktioniert. Die Analysten schätzen, es lägen mindestens zehn Prozent Vekselberg-Discount auf dem Sulzer-Aktienkurs. Es wäre im Interesse aller Stakeholder, die Situation zu lösen.
Sulzer selber ist ja nicht sanktioniert. Aber es wird sicher eine Anpassung brauchen. Dazu gehört, dass er seine persönliche Situation zu regeln versucht​. Auch damit wir von unserer Seite eine Möglichkeit haben, das Unternehmen wirklich weiterzuentwickeln.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Da ist noch nichts konkret. Herr Vekselberg hält seine Beteiligung via Tiwel Holding, die muss ja nicht zwingend sanktioniert bleiben. Das wäre ein möglicher Ausweg, ob der realistisch ist oder nicht, ist eine andere Frage. Andere Möglichkeiten wären Änderungen in der Beteiligungshöhe oder in der Art der Beteiligung. Keine davon kann Sulzer alleine durchsetzen. Alle müssten im Einverständnis mit dem Hauptaktionär geschehen. Das erfordert einen langen Dialog.

Wenn der Krieg weitergeht, ist es eine Frage der Zeit, bis er auch auf der Sanktionsliste der EU landet. Es wäre auch in seinem Interesse, jetzt zu verkaufen, bevor weitere Sanktionen den Wert seiner Beteiligungen noch mehr drücken.
Es wäre von der öffentlichen Wahrnehmung her problematisch. Aber auch dann erwarten wir keinen weiteren Druck auf den Aktienkurs von Sulzer.

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Industrie- und Energiefachfrau

Suzanne Thoma ist seit April VR-Präsidentin von Sulzer. Die doktorierte Chemieingenieurin war zuvor zwölf Jahre lang beim Stromversorger BKW Energie, die letzten neun Jahre davon als sehr erfolgreiche CEO. So setzte sie unter anderem die Stilllegung des eigenen AKW Mühleberg durch. 2019 holte VR-Präsident Michael Süss Thoma ins Board von OC Oerlikon, wo  Viktor Vekselberg ebenfalls Grossaktionär ist. Zwei Jahre später wechselte sie als Vizepräsidentin zu Sulzer. Thoma ist Mutter zweier erwachsener Töchter und wohnt in Pfäffikon SZ.

In Polen ist es auch passiert: Da kam Sulzer wegen Vekselberg auf die Sanktionsliste und musste sich vom Markt zurückziehen.
Unserer Meinung nach ist das widerrechtlich. Wir können belegen, dass Sulzer nicht von Viktor Vekselberg kontrolliert wird. Aber das durchzukämpfen, geht Jahre. Und ich vermute, die Polen erkennen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Deshalb erwarten wir auch nicht, dass andere Länder dem folgen.

Ihr Präsidentenkollege Michael Süss von OC Oerlikon hat politisch alles Mögliche unternommen, um Vekselberg von der Sanktionsliste zu bekommen, erfolglos. Weibeln Sie auch?
Nein, ich weible im Interesse von Sulzer, das ist mein Job. Ich unterstütze derartige Initiativen.

Unter Ihrem Vorgänger hat Sulzer sehr viel Energie darauf verwendet, die Abhängigkeit vom Ölgeschäft zu reduzieren. Jetzt explodiert der Ölpreis wegen der Energiekrise. Im Nachhinein ein Fehler?
Das war kein Fehler, weil man ja nicht direkt etwas abgestossen hat, sondern man hat parallel andere Geschäfte aufgebaut, etwa das Wassergeschäft. Das Pumpengeschäft hat man saniert, andere in Ordnung gebracht. Das Management hat das sehr gut gemacht in den letzten Jahren. Und jetzt ist es unsere Aufgabe, Unternehmen mit einem grossen ökologischen Fussabdruck wie Öl und Gas mit unseren Technologien bei ihrer Transformation zu unterstützen. Weil diese Industrien ja nicht einfach weg sind. Sie müssen umweltfreundlicher werden. Da können wir ein Partner sein.

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Die Sparte Chemtech will in den nächsten sechs bis acht Jahren ihr Volumen verdoppeln. Wie wollen Sie das schaffen?
Chemtech ist stark im Bereich Kreislaufwirtschaft, etwa bei der Trennung von Polymeren – Sie können nichts recyceln, wenn Sie es vorher nicht trennen. Das braucht es immer mehr. Wir bauen jetzt eine Pilotanlage – übrigens hier in Winterthur – für unsere Beteiligung Worn Again, die Textilien recycelt. Vermutlich wird es in dem Bereich auch die eine oder andere Akquisition geben. Der Markt wächst sehr stark. Man muss dabei aber auch Geld verdienen – bei allem berechtigten Stolz auf das Ingenieurwesen von Sulzer.

Sie sind Chemieingenieurin. Reden Sie bei Chemtech konkret mit?
Das ist sicher der Bereich, den ich am schnellsten verstanden habe. Aber meine Rolle ist nicht, operativ mitzureden. Hingegen spielt der VR bei den strategischen Überlegungen selbstverständlich eine Rolle.

Nach Ihrer Nomination zur VR-Präsidentin hat CEO Greg Poux-Guillaume gekündigt, genau aus dem Grund, weil Sie operativ zu viel mitreden würden. Wie gehen Sie damit um?
Damals war ich ja noch nicht Präsidentin, nur Vizepräsidentin ...

... das macht es noch schlimmer!
Ich denke, ich bin sachlich und pragmatisch. Und es gibt bei Sulzer viel zu tun. Da spielt der Verwaltungsrat eine wichtige Rolle, um zusammen mit dem Management die Gruppenstrategie zu entwickeln. Aber für das operative Tagesgeschäft habe ich keine Zeit.

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Suzanne Thoma

«Unserer Meinung nach sind die polnischen Sanktionen widerrechtlich.»

Paolo Dutto
Suzanne Thoma

«Unserer Meinung nach sind die polnischen Sanktionen widerrechtlich.»

Paolo Dutto

Frau Thoma, haben Sie schon Kerzen, Brennholz und Batterien für die Taschenlampe parat?
Werner Luginbühl, der das als Präsident der Elektrizitätskommission gesagt hat, kenne ich natürlich gut. Ich denke, er wollte wachrütteln. Er hat das selber nicht ganz ernst gemeint. Wissen Sie, was man wirklich braucht? Genug Trinkwasser in der Wohnung.

Für wie realistisch halten Sie die Gefahr, dass es im nächsten Winter zu Stromabschaltungen kommt?
Wir müssen uns darauf vorbereiten. Es entsteht gerade eine Giftmischung. Wir haben relativ wenig Wasser in den Stauseen, das kann sich allerdings noch ändern. Die französischen Atomkraftwerke laufen nur zur Hälfte. Und Deutschland kann nicht genug Gas kaufen für die Gaskraftwerke.

Wer würde als Erster vom Netz genommen werden, wenn es so weit käme?
Das ist die grosse Frage. Meine persönliche Meinung: Ich habe lieber ein bisschen kälter in der Wohnung und dafür noch eine funktionierende Wirtschaft. Da geht es um Jobs, um den Ruf der Schweiz als Industrie-, als Dienstleistungs- und Wirtschaftsplatz. Ich würde die Prioritäten dort setzen. Man kann dann bei Saunen und Skiliften diskutieren.

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Das sieht die Tourismusindustrie natürlich komplett anders.
Das verstehe ich auch. Deshalb wird es eine riesiges Seilziehen geben.

Wären Auktionen eine Abhilfe?
Von allen schlechten Lösungen ist das vielleicht die am wenigsten schlechte. Denn sie wäre erstens marktwirtschaftlich. Und zweitens könnten die Unternehmen eine Kosten-Nutzen-Rechnung machen. Es gibt vielleicht Firmen, für die ist es keine Katastrophe, wenn sie mal abgestellt werden. Das sollte man nicht zentral entscheiden.

Wenn wir solche Szenarien auch nur diskutieren müssen: Hat die Schweizer Energiepolitik versagt? Gouverner, c'est prévoir, heisst es.
Man hat sich die Frage nach der Versorgungssicherheit viel zu wenig gestellt. Es gab Lösungen dafür, aber die waren nicht opportun.

An was denken Sie?
Gaskraftwerke. In der Energiestrategie waren die vorgesehen. Aber das Umfeld hat es jedem verunmöglicht, diese Gaskraftwerke zu bauen. Es ist noch nicht so lange her, da hatten wir die Klimajugend mit ihrem Widerstand gegen herkömmliche Technologien. Dabei hätten die Kraftwerke den CO2-Ausstoss kaum erhöht – denn die laufen ja nur, wenn man sie wirklich braucht, und nicht das ganze Jahr. Bei solchen Themen führen ideologische Überlegungen früher oder später in die Sackgasse. Ich hoffe, das haben wir jetzt gelernt.

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Der Bundesrat hat einen zehn Milliarden Franken schweren Rettungsschirm in Aussicht gestellt, damit die Stromversorger nicht pleitegehen. Deutschland hat den Energiekonzern Uniper gerettet. Frankreich will die hoch verschuldete Électricité de France wieder komplett in staatlichen Besitz bringen. Macht es überhaupt Sinn, solche essenziellen Industrien zu privatisieren?
Alle drei Fälle sind sehr unterschiedlich. Aber viele der Probleme, die man im Strommarkt jetzt hat, kommen davon, dass der Staat eingegriffen hat. Etwa beim subventionierten Ausbau von erneuerbaren Energien, die dann auch noch Einspeisevorrang haben. Das hat natürlich die Investitionslust für klassische Energieanlagen reduziert. In der Problemanalyse sollte man zuerst mal fragen: Haben wir nicht zu viel Staat in diesem Markt?

Suzanne Thoma

«Wenn man als Manager mal erlebt hat, was passiert, wenn der Staat seine Meinung ändert, hat man schon Angst.»

Paolo Dutto
Suzanne Thoma

«Wenn man als Manager mal erlebt hat, was passiert, wenn der Staat seine Meinung ändert, hat man schon Angst.»

Paolo Dutto

Sie wären also für eine zu 100 Prozent privatwirtschaftliche Lösung?
Der Staat spielt eine Rolle, wenn es darum geht, Investitionsanreize zu setzen, etwa für Versorgungssicherheit durch Reservekraftwerke. Aber immer dann, wenn der Staat eine politische Agenda hat, verzerrt er mit seinen Eingriffen den Markt. Am wichtigsten aber ist, dass der Staat verlässlich bleibt über den ganzen Investitionszyklus. Da hat die Strombranche Schlimmes erlebt: In den 1960er und 1970er Jahren wurde sie vom Staat fast genötigt, in Atomkraftwerke zu investieren. Und am Ende des Investitionszyklus, in den 2010er Jahren, war plötzlich ganz böse, wer Atomkraftwerke hatte. Wenn man als Manager mal erlebt hat, was passiert, wenn der Staat seine Meinung ändert, dann hat man schon Angst. Weil der am längeren Hebel sitzt. Rechtssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen sind das Wichtigste für Investoren. In der Energie geht es um Milliarden von Franken!

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Wegen der Energieknappheit haben die EU-Staaten beschlossen, den Gasverbrauch bis März um 15 Prozent zu senken. In der Schweiz schafft der Bundesrat gerade mal eine Sensibilisierungskampagne. Was läuft da falsch?
Wenn die EU sagt, dass sie den Verbrauch um 15 Prozent senken will, und nachher sehr viele Ausnahmen zulässt, heisst das nicht, dass dann auch wirklich so viel weniger verbraucht wird. Aber das sehen wir dann. Und dass wir den Schweizer Weg einschlagen und erst mal an die Eigenverantwortung der Leute appellieren, während wir andere Schritte vorbereiten, finde ich okay.

Sie haben in Ihrer Zeit als BKW-Chefin das Atomkraftwerk Mühleberg abgeschaltet. Sehen Sie die Abkehr vom Atomstrom heute als Fehler?
Da müssen wir unterscheiden zwischen der unternehmerischen und der gesellschaftlichen Perspektive. Unternehmerisch wäre der Weiterbetrieb eine gewaltige Belastung gewesen. Das hätte sich nicht gelohnt – betriebswirtschaftlich ein No-Brainer. Und gesellschaftlich hat man gesagt: Alles, was noch aus der Vergangenheit kommt, ist jetzt unerwünscht und ist so schnell wie möglich abzuschalten. In der Schweiz hat man ja wenigstens noch gesagt: auslaufen lassen statt sofort abstellen. Es war trotzdem ein Fehler. Vor allem der Ausstieg aus der Forschung und Entwicklung. Statt dass wir jetzt vielleicht auf moderne, neue Atomkraftwerke setzen könnten, müssen wir die alten mit der alten Technologie möglicherweise noch Jahrzehnte weiterbetreiben.

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Das heisst, sie würden den Bau neuer Atomkraftwerke auf dem neuesten Stand der Technik befürworten?
Ich gebe Ihnen jetzt eine diplomatische Antwort: Ich würde es ernsthaft prüfen. Denn Sie bauen kein Atomkraftwerk gegen den Willen eines grossen Teils der Bevölkerung. Wenn die Schweizer das wirklich nicht wollen, dann hat das keinen Sinn. Nur, dann muss man halt mit den Konsequenzen leben.

Die EU-Kommission hat Gas- und Atomstrom offiziell als ESG-kompatibel beurteilt. Jetzt dürften viele institutionelle Investoren dort Geld hineinpumpen. Wie sehen Sie das?
Das halte ich für absolut wichtig. Der Umbau der Energieversorgung geht über Jahrzehnte, und es hat keinen Sinn, die bestehenden Technologien, von denen wir abhängig sind, zu verteufeln.

Auch auf Kosten der Klimaziele?
Wenn das eine kurzfristige Situation ist, ändert sich an denen nicht viel. Langfristig stehen wir wieder vor der Frage: Kohle und Gas, oder doch lieber Atomstrom?

Und da wären Sie für Atomstrom?
Ja. Als ich mich an der Klimakonferenz in Glasgow ernsthaft damit auseinandergesetzt habe und die Bekenntnisse all dieser Wissenschaftler und hohen Politiker gehört habe, den CO2-Ausstoss stark zu reduzieren, da habe ich mich gefragt: Okay, wenn ihr das wirklich ernst meint, dann bitte wie, wenn nicht mit Atomkraft?

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Wie kann die Schweiz am besten die langfristige Energieversorgung sichern?
Mit einem diversen Mix. Dazu gehören definitiv die Erneuerbaren. Ich bin keine Gegnerin der Erneuerbaren, wir hatten damals bei BKW selber viel investiert vor allem im Bereich des Windes. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Versorgungssicherheit steuerbare Energie ist. Also Atom, Gas und mit Abstrichen Wasserkraft. Die Schweiz muss einen Weg finden zwischen Nutz und Schutz. Nur das eine oder andere geht nicht.

 

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