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Industrie

Sulzer-Chef Poux-Guillaume: «Auch ein CEO hat ein Verfallsdatum»

Sulzer-Chef Greg Poux-Guillaume über das Leben als Dinosaurier, Lippenstiftverkäufe trotz Maskenpflicht, die Zusammenarbeit mit H&M und seinen Lohn.

Marc Kowalsky

Sulzer Ceo Gregoire Poux-Guillaume im Headquarters.Winterthur (ZH)

«Die Herausforderung für jeden CEO ist es, den Punkt zu erkennen, ab dem der eigene Abgang gut wäre»: Sulzer-CEO Greg Poux-Guillaume.

Joseph Khakshouri

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«Welcome back» steht auf dem Schild, das sein Team Grégoire («Greg») Poux-Guillaume auf den Schreibtisch gelegt hat. Es zeigt den Sulzer-CEO entspannt am Computer sitzend, zu seinen Füssen sein riesiger Mischlingshund Cocotte, den er nach Feierabend gerne auf sein Board mitnimmt für eine Runde Stand-up-Paddling auf dem Zürichsee. 460 Angestellte arbeiten im Wintower, jetzt kehren sie nach und nach aus dem Homeoffice zurück.

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Greg Poux-Guillaume, gerade haben die Schweizer Stimmbürger das CO2-Gesetz an der Urne abgelehnt. War das für Sie eine Überraschung?
Sagen wir es so: Das läuft sicher gegen den historischen Trend. Sulzer verkauft Technologien, die mithelfen, Emissionen zu reduzieren. Damit differenzieren wir uns. Und damit sich innovative, aber zunächst teurere Lösungen durchsetzen können, muss der CO2-Ausstoss seinen Preis haben.

25 Prozent Ihres Umsatzes von 3,3 Milliarden Franken kommen noch immer aus dem Öl- und Gasgeschäft. Die Welt nimmt Sie als Dinosaurier wahr.
Ich denke nicht, dass wir als Dinosaurier wahrgenommen werden. 25  Prozent stimmen, aber davon sind die Hälfte Service und Ersatzteile. Das Neugeschäft macht also nur 12  Prozent aus.

Wie lange werden Ihre Kunden dafür noch bezahlen in einer Zeit, in der alles auf erneuerbare Energien hinausläuft?
Viele unserer Kunden stellen Plastik und Fasern her, und das basiert auf Erdöl. Auch in Elektroautos ist eine Menge Plastik verbaut. Alles, was Sie an Kleidern tragen, enthält Petrochemie. Solange die Welt Teslas und iPads und Textilien braucht, wird weiterhin in Öl und Gas investiert werden. Bei der Umstellung der chemischen Ketten auf Naturfasern ist die Welt noch am Anfang. Aber auch dafür bietet Sulzer interessante Lösungen.

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Franzose à l’américaine

Seit Februar 2016 steht Grégoire «Greg» Poux-Guillaume an der Spitze von Sulzer. Er arbeitete zunächst beim französischen Erdölkonzern Total, es folgten Ausflüge zu McKinsey und zu Private-Equity-Firmen.

Industrieexpertise erworben hat er in seinen insgesamt zehn Jahren bei Alstom, wo er bis zum Wechsel nach Winterthur das Stromübertragungsgeschäft verantwortete. Poux-Guillaume stammt aus Paris, doch sagt er von sich selbst: «Ich habe keine französische Mentalität.» In der Tat sind Auftritt und Wirken amerikanisch geprägt. Der 51-Jährige ist mit einer Deutschen verheiratet.

Donald Trump hat Ihren Hauptaktionär Viktor Vekselberg und dessen Entourage 2018 mit Sanktionen belegt. Die Demokraten gelten als noch russlandkritischer als die Republikaner. Wie sehen Sie die Chancen, dass die neue Regierung unter Joe Biden die Sanktionen aufhebt?
Ich habe wirklich keine Ahnung. Das ist eine politische Frage. Ich bin nur ein Beobachter der russisch-amerikanischen Beziehungen, und die sind etwas angespannt. Ich hoffe für Viktor Vekselberg, dass die Sanktionen aufgehoben werden. Aber ich habe keinen Grund zur Annahme, dass sich in nächster Zeit etwas ändern wird.

Tut Sulzer selbst etwas, damit die Sanktionen gegen Vekselberg aufgehoben werden, so wie es Michael Süss, VR-Präsident von OC Oerlikon, tut?
Nein, Sulzer tut nur, was Sulzer hilft. Wir erklären die Wirkungen der Sanktionen auf Sulzer – die sind weniger kommerziell, als eher auf den Aktienkurs bezogen …

... in der Finanzszene spricht man von einem Abschlag von etwa 10 Prozent wegen Ihrer Nähe zu Viktor Vekselberg ...
… das mag sein. Und ein oder zwei Mal pro Monat erleben wir, dass eine Überweisung blockiert wird, weil irgendwo auf der Welt ein Bankangestellter denkt, Sulzer sei ebenfalls noch mit Sanktionen belegt. Dann müssen wir die entsprechenden Dokumente vorlegen, dass das nicht mehr der Fall ist. Das macht unser Leben etwas komplizierter. Aber das ist nichts, was wir nicht lösen können.

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Sulzer Ceo Gregoire Poux-Guillaume im Headquarters.Winterthur (ZH)

«Ich habe einen tollen Job in einer tollen Firma. Das heisst nicht, dass ich mir nicht die Frage stelle, was als Nächstes kommt», sagt Gregoire Poux-Guillaume.

 

Joseph Khakshouri
Sulzer Ceo Gregoire Poux-Guillaume im Headquarters.Winterthur (ZH)

«Ich habe einen tollen Job in einer tollen Firma. Das heisst nicht, dass ich mir nicht die Frage stelle, was als Nächstes kommt», sagt Gregoire Poux-Guillaume.

 

Joseph Khakshouri

Viktor Vekselbergs Dividenden in Milliardenhöhe werden seit Jahren von den US-Behörden einbehalten. Wann verliert er die Lust an Sulzer und verkauft?
Das müssen Sie ihn fragen. Aber die Wertschöpfung bei Sulzer war ziemlich gut. Ich glaube, er sieht die Dividenden nicht als verloren an, nur als blockiert. Dann wäre für ihn die Frage nur, wann er wieder auf die Gelder zugreifen kann.

Sein durchschnittlicher Einstiegspreis bei Sulzer war 125 Franken. Der momentane Kurs ist ganz nah an dieser Schwelle. Erwarten Sie, dass er aussteigt, sobald er das verlustfrei tun kann?
Die Frage müssen Sie ihm stellen. Aber er hat mir nie einen Anhaltspunkt gegeben, dass er seinen Sulzer-Anteil reduzieren will. Er mag, wie die Firma sich entwickelt hat, und er hat uns immer unterstützt.

Sulzer hat zusammen mit dem Kleidergiganten H&M in das Start-up Worn Again Technologies investiert, stellt dort sogar den Chairman. Was erhoffen Sie sich davon?
Heute wird nur 1  Prozent aller Textilien recycelt, 85  Prozent landen auf der Müllhalde. Worn Again hat ein Lösungsmittel entwickelt, das Textilien in ihre Bestandteile auflösen kann: Baumwolle, Polymere, Farbmittel etc. So können sie wiederverwendet werden. Das löst ein wirklich wichtiges Problem.

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Schön, aber was hat das mit Sulzer zu tun?
H&M hat die Firma entdeckt, die kamen ursprünglich zu uns, um ihre chemischen Prozesse auf industrielles Niveau zu skalieren. Und da können wir viel beitragen. Ein wesentlicher Bestandteil von Worn Agains Lösung basiert auf Sulzers Trenntechnologie. Dann haben wir Zeit und Know-how und schliesslich Geld in das Unternehmen investiert. Heute sind wir der grösste Geldgeber und kontrollieren die Firma zusammen mit H&M.

Wann soll Worn Again Geld abwerfen?
Heute ist das eine Entwicklungsfirma ohne Umsatz. In der zweiten Jahreshälfte werden wir eine Demonstrationsanlage projektieren. Bis die Umsätze kommen, wird es noch ein paar Jahre dauern. Aber ich garantiere Ihnen, der Markt wird riesig.

Wie soll das wirtschaftlich aufgehen, wenn ich im gleichen H&M ein neues T-Shirt für 7.95 Fr. bekomme?
Es geht hier um Nachhaltigkeit!

Aber wer bei H&M einkauft, tut das wegen des günstigen Preises. Für diese Leute spielt Nachhaltigkeit keine grosse Rolle.
Mir ist Nachhaltigkeit wichtig, und ich gehöre auch zu den Leuten, die bei H&M einkaufen.

Ihr Outfit gerade sieht aber nicht danach aus!
Sie haben recht, das heute nicht. Aber ich zeige Ihnen gerne mal mein Lieblingshemd von H&M. Was ich sagen will: Die Leute wissen heute, dass die natürlichen Ressourcen knapp sind, dass Nachhaltigkeitslücken geschlossen werden müssen. Wenn eine Firma sagt, ihre Kleider werden recycelt, dann ist das ein Verkaufsargument! Das stärkt die Marke und macht wirtschaftlich viel Sinn.

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Schwarz oder weiss, Herr Poux-Guillaume?

  • Foo Fighters oder Nirvana?

Nirvana sind ein Original. Foo Fighters sind eine Ableitung – alles, was man an Rockmusik liebt, in einer Band. Aber ihre Musik ist ehrlich gesagt nicht sehr originell.

  • Videokonferenz oder eintägige Geschäftsreise?

Es braucht beides. Wir reisen zu viel, das hat uns die Pandemie gezeigt. Aber für manche Sachen muss man einfach im gleichen Raum sein – wenn es um Kreativität geht etwa.

  • Paris oder Zürich?

Meine Familie wird nie mehr mit mir sprechen, aber ich denke zunehmend Zürich. Die Lebensqualität ist grossartig.

  • Friday-for-Future-Demo oder Thank-God-it’s-Friday-Bier?

TGIF-Bier! Es ist wichtig, für seine Anliegen zu kämpfen, aber es ist auch wichtig zu feiern. Und Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen, ist eine der grossen Freuden des Lebens.

  • Biden oder Putin?

Joe Biden, natürlich. Aber ich bin überzeugt, dass man in 20 Jahren Doktorarbeiten über Putin schreiben wird.

  • «Allez les Bleus» oder «Hopp Schwiiz»?

Hoffentlich bereitet mir die Frage eines Tages Kopfzerbrechen, wenn ich den Schweizer Pass besitze. Noch habe ich dieses Privileg aber nicht. Bis dahin: «Allez les Bleus!»

Aber zeigt das jüngste Abstimmungsergebnis nicht gerade, dass bei vielen die Nachhaltigkeit am eigenen Portemonnaie endet?
Wir haben eine Pandemie mehr oder weniger hinter uns, die hat jeden betroffen, auch wirtschaftlich. Man könnte erwarten, die Leute sagen jetzt: Geh mir weg mit Nachhaltigkeit, rede mit mir über Jobs. Aber als Firma sehen wir, dass die Diskussion über Nachhaltigkeit trotz der Krise nie aufgehört hat. Und das lässt mich hoffen, dass die Welt Nachhaltigkeit nicht mehr nur als Thema für wirtschaftlich gute Zeiten sieht. Sondern dass sie begriffen hat, dass man ständig daran arbeiten muss.

Sie wollen die Sparte Medmix an die Börse bringen, die Applikatoren herstellt für Kosmetika, Medikamente oder Bauchemie. Warum? Das ist Ihr margen- und wachstumsstärkstes Geschäft!
Weil es sich sehr unterscheidet vom restlichen Sulzer-Geschäft und mit diesem keine Synergien hat. In den fünfeinhalb Jahren, in denen ich hier bin, haben wir immer gesagt: Wir investieren in dieses Geschäft, wir bauen es auf und schaffen Wert. Und dass es eines Tages in der Lage sein wird, auf eigenen Beinen zu stehen. Dieser Moment ist jetzt gekommen, denn Medmix ist über die Jahre stark gewachsen.

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Nanu, wer kauft denn Applikatoren für Lippenstift, wenn wegen Maskenpflicht keiner Lippenstift trägt?
Lippenstift hat gelitten, das stimmt, aber Mascara, was umsatzmässig viel wichtiger ist, hat sich gut gehalten. Der Hauptmarkt von Medmix ist aber Healthcare.

Wenn die Applikatoren-Sparte weggeht, machen Sie sich noch mehr abhängig vom Öl- und Gas-Geschäft.
Nein, die Zahl 12 Prozent, die ich Ihnen vorher gegeben habe, ist bereits ohne Medmix.

Sulzer Ceo Gregoire Poux-Guillaume im Headquarters.Winterthur (ZH)

«Das Argument, Konzernchefs wie ich seien überbezahlt, ist völlig nachvollziehbar – in guten Zeiten», sagt Gregoire Poux-Guillaume.

Joseph Khakshouri
Sulzer Ceo Gregoire Poux-Guillaume im Headquarters.Winterthur (ZH)

«Das Argument, Konzernchefs wie ich seien überbezahlt, ist völlig nachvollziehbar – in guten Zeiten», sagt Gregoire Poux-Guillaume.

Joseph Khakshouri

Und wo soll Sulzer ohne diesen Hoffnungsträger dann noch wachsen?
Die Sparte Chemtech, die sich mit dem Mischen und Trennen von Chemikalien befasst, wird unsere nächste Erfolgsgeschichte mit ihren Bioplastik- und Recycling-Lösungen. Und wir investieren stark in das Wasserpumpengeschäft, es ist über die letzten Jahre sehr gewachsen. Da geht es hauptsächlich um Abwasser. Die Frage, wie man es wiederverwenden kann, ist entscheidend für die Nachhaltigkeit. Wasser-Recycling wird zunehmend schwieriger, denn im Abwasser hat es immer weniger Wasser und immer mehr andere Stoffe. Der Markt ist kompetitiv, es gibt einen grossen US-Konzern als Marktführer, aber danach kommt schon Sulzer.

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Sie sind seit fünfeinhalb Jahren Sulzer-Chef, das ist oberhalb der durchschnittlichen Verweildauer eines CEO. Sie waren einer der drei Top-Kandidaten für den Chefposten bei der zehn Mal grösseren ABB. Wie lange bleiben Sie noch hier?
Ich habe einen tollen Job in einer tollen Firma. Das heisst nicht, dass ich mir nicht die Frage stelle, was als Nächstes kommt. Auch ein CEO hat ein Verfallsdatum! Am Anfang, wenn man kommt, hat man alle möglichen Ideen, generiert Schwung, verändert etwas. Aber wenn man nicht aufpasst und sich nicht ständig neu erfindet, dann gibt es einen Moment, von dem an einem die Leute nicht mehr zuhören. Die Herausforderung für jeden CEO ist es, den Punkt zu erkennen, ab dem der eigene Abgang gut wäre.

Und diesen Punkt haben Sie für sich nun erkannt?
Ich gehe noch immer gerne jeden Morgen zur Arbeit. Ich glaube sehr, dass ich weiterhin etwas Positives zu Sulzer beitrage, und das Board scheint das auch zu glauben. Aber wir haben inzwischen auch interne Nachfolger für mich aufgebaut. Wenn der Moment kommt, mich zu ersetzen, ist die Firma parat.

««Als Firma sehen wir, dass die Diskussion über Nachhaltigkeit trotz der Krise nie aufgehört hat.»»

Sulzer-CEO Greg Poux-Guillaume

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Vielleicht gehen Sie auch gerne zur Arbeit wegen Ihres Salärs von 5,4 Millionen Franken. Das ist für einen Konzern mit 3 Milliarden Umsatz ausgesprochen üppig.
Ich verstehe, dass es ein sehr heikles Thema ist, wie viel ein CEO wert ist. Ich habe Sulzer nicht gegründet, die Firma existiert seit fast zweihundert Jahren und hat auch ohne mich überlebt. Das Argument, CEOs wie ich seien überbezahlt, ist völlig nachvollziehbar – in guten Zeiten. Wozu muss man jemandem so viel bezahlen, wenn die Märkte brummen und die Dinge gut laufen? Konzernchefs rechtfertigen ihr Salär, wenn es schwierig wird: wenn die Märkte kollabieren, wenn man sich in einer Pandemie neu erfinden muss, wenn man unter Sanktionen gerät, für die man nichts kann. Aber auch, wenn man neue Bereiche entwickelt und dann den Wert realisiert durch ein Spin-off. Ich hoffe, dass die Leute, wenn sie auf die vergangenen fünfeinhalb Jahre zurückblicken, zum Ergebnis kommen, dass ich einen positiven Einfluss auf Sulzer hatte. Aber am Ende des Tages entscheiden das Board und die Investoren über die Höhe des Salärs.

Die Anlagestiftung Ethos hat die Aktionäre dazu aufgerufen, das Compensation Committee im Board von Sulzer abzuwählen. Das ist ein Alarmzeichen.
Und der Stimmrechtsberater ISS, der die Referenz auf dem Markt ist, hat alle Anträge des Boards unterstützt. Jeder hat ein Recht auf seine Meinung.

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Wir haben mit einer politischen Frage begonnen, wir enden mit einer: Der Bundesrat hat die Verhandlungen mit der EU über den Rahmenvertrag abgebrochen. Sulzer produziert auch in der Schweiz. Was bedeutet das für Sie?
Sulzer ist diversifiziert genug, dass wir damit fertig werden. Aber persönlich bin ich fest davon überzeugt, dass die Schweiz Zugang zum europäischen Markt und zu europäischen Talenten braucht und dass unsere Technologien in Europa anerkannt werden müssen. Die Schweiz muss deshalb mit der EU kollaborieren und eine Lösung finden. Es wird Zeit brauchen, aber ich bin überzeugt, dass die Schweiz eine gute Lösung finden wird.

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