Guten Tag,
Innert Monaten hat der Bundesrat ein halbes Dutzend Topjobs an Frauen vergeben. Das ist kein Zufall, sondern Resultat einer langen Förderpolitik.
Florence Vuichard
Chefinnen in Bern: Sabine D’Amelio-Favez, Patricia Danzi, Livia Leu, Anne Lévy, Doris Bianchi und Katrin Schneeberger (v.l.).
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Gleich und Gleich gesellt sich gern, auch in den Teppichetagen. Und so rekrutieren Männer für Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte fleissig Männer – und zwar mit Vorliebe solche, die ihnen ähnlich sind. Oder anders formuliert: Thomas wählt Thomas. Doch damit ist jetzt Schluss, wenigstens in der Bundesverwaltung. Denn dort wird das sogenannte Thomas-Prinzip derzeit kräftig durcheinandergewirbelt. Hier heissen die neuen Chefs nicht mehr Thomas, sondern Livia, Sabine, Doris, Anne, Katrin oder Patricia. Und sie übernehmen nicht etwa irgendwelche zweitklassigen Nebendirektionen, sondern gewichtige Ämter und Staatssekretariate.
Egal ob Corona-Krise, Schuldenabbau oder EU-Rahmenvertrag: Die Frauen müssen es nun richten. Doch sie haben die Jobs nicht einfach bekommen, weil sie Frauen sind und irgendwelche Quotenerwartungen erfüllen, sondern weil sie sich gegen die Konkurrenz durchgesetzt haben – wie zum Beispiel Sabine D’Amelio-Favez, die im Februar die Nachfolge von Serge Gaillard antritt und den Chefposten bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) übernimmt.
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24 Personen wollten den Job an der Spitze des dank seiner Querschnittsfunktion äusserst einflussreichen Bundesamtes: 5 Bundesverwaltungsinterne und 19 von aussen. 7 Namen standen auf der Longlist, 3 auf der Shortlist, 2 wurden ins Assessment geschickt, und letztlich machte die perfekt zweisprachige Juristin das Rennen, die heute schon in der EFV-Geschäftsleitung sitzt und den Rechtsdienst leitet. Finanzminister Ueli Maurer spricht von einer «hervorragenden Wahl» und räumt ein, dass er gehofft hatte, dass sie sich bewerben würde.
Noch nie gabs in der Bundesverwaltung so viele Chefinnen, noch nie so viele Frauen an wichtigen Positionen: Derzeit werden drei der sieben Generalsekretariate von Frauen geleitet, neu sind 15 der insgesamt gut 50 Ämter und Staatssekretariate in Frauenhand. Anne Lévy leitet neu das derzeit stark geforderte und immer wieder viel kritisierte Bundesamt für Gesundheit, Patricia Danzi hat mitten im Lockdown die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit übernommen, Katrin Schneeberger im September das Bundesamt für Umwelt.
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Von den prestigeträchtigen fünf Staatssekretariaten werden mittlerweile gar vier von Frauen geführt: Livia Leu bestimmt ab 2021 als Nummer zwei hinter Aussenminister Ignazio Cassis neu die Aussenpolitik und übernimmt als Chefunterhändlerin jetzt schon das schwierige EU-Dossier. Seit 2019 kämpft Daniela Stoffel als Staatssekretärin für internationale Finanzfragen für möglichst gute Bedingungen für den Schweizer Finanzplatz, fast gleichzeitig hat Martina Hirayama die Verantwortung für alle Bildungs- und Forschungsfragen übernommen.
Bereits seit 2011 leitet Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Einziger Mann im erlauchten Kreis bleibt Mario Gattiker, der Chef des Staatssekretariats für Migration. Und wer weiss, vielleicht übernimmt auch bald hier eine Frau das Zepter, denn Gattiker wird im nächsten Jahr 65 Jahre alt und pensioniert, sein Posten ist ausgeschrieben.
Hinzu kommen fünf Direktorinnen bei Einheiten, die von der Zentralverwaltung ausgelagert wurden wie etwa das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung, das Institut für Geistiges Eigentum oder die Pensionskasse des Bundes Publica, mit einer Bilanzsumme von 41 Milliarden Franken per Ende 2019 eine der grössten Pensionskassen der Schweiz. Diese wird seit November von der Vorsorgespezialistin Doris Bianchi geleitet, die zuletzt als persönliche Mitarbeiterin von Bundesrat Alain Berset gewirkt hat.
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In der Bundesverwaltung geben immer mehr Frauen den Ton an.
Die Basis für die in Bundesbern in jüngster Zeit zu beobachtende Häufung von Frauen-Nominierungen bildet die seit rund 15 Jahren verfolgte und von oben, also vom Bundesrat, vorgegebene Förderoffensive, wie Barbara Schaerer, die oberste Personalchefin des Bundes, erklärt. Und die harte Arbeit, die unten in der Hierarchie einsetzt, damit oben dann genug valable Kandidatinnen bereitstehen. Denn: ohne Frauen im unteren Kader keine Frauen im oberen Kader und folglich auch keine Frauen in den Geschäftsleitungen, die dann bei einer allfälligen Vakanz den Chefposten übernehmen können.
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Der Aufbau von unten erfolgt beim Bund über familienkompatible Arbeitsbedingungen, etwa indem auch in Kaderpositionen Teilzeit gearbeitet werden kann. So können Bundesangestellte mit einem Beschäftigungsgrad von mindestens 80 Prozent bei Geburt oder Adoption eines Kindes ihr Pensum um bis zu 20 Prozent senken – ein Angebot, von dem auch Männer profitieren.
Entscheidend für die Förderung der Gleichstellung sind aber vor allem die konkreten und ambitionierten Zielvorgaben, die von oben vorgegeben und im Vierjahresturnus hochgeschraubt werden. Zuletzt hat der Bundesrat Ende September die Sollwerte für die verschiedensten Kategorien nach oben angepasst: So soll von 2020 bis 2023 der Anteil der Frauen in der Bundesverwaltung zwischen 46 und 50 Prozent liegen. Für das untere Kader wurde das Zielband von 33 bis 40 Prozent auf 36 bis 43 Prozent erhöht, für das obere Kader von 20 bis 25 Prozent auf 27 bis 32 Prozent.
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Und so sind in den vergangenen Jahren nach und nach auch die Ist-Werte gestiegen, wenn auch nicht in allen Departementen gleich stark: Aussen-, Innen-, Justiz- und Wirtschaftsdepartement haben die alten Zielvorgaben erreicht, das Infrastrukturdepartement nur teilweise, Nachholbedarf gibt es beim Finanzdepartement und vor allem beim Verteidigungsdepartement.
Dennoch: «Es hat sich viel verändert», sagt Schaerer, die zur Generation der wenigen Einzelkämpferinnen gehört, die es ganz nach oben geschafft haben, als Bern noch fest in Männerhand war und eigentlich nur gerade das Mitte der 1990er Jahre in der Ära von Ruth Dreifuss geschaffene Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann von einer Direktorin geleitet wurde. «Heute gibt es kaum mehr Geschäftsleitungen ohne Frauen.»
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Die Personal-Pipeline in der Bundesverwaltung sei deutlich besser gefüllt als in der Privatwirtschaft, sagt auch Guido Schilling, Eigentümer der gleichnamigen Personalberatungsfirma und Verfasser des Schillingreports, der seit 2005 die noch immer sehr dünne Frauenvertretung in den Teppichetagen jährlich neu ausmisst. «Generell hat der öffentliche Sektor beim Thema Gleichstellung der Geschlechter gegenüber dem privaten Sektor zehn Jahre Vorsprung», sagt Schilling. «Oder sogar noch mehr.»
Der Anteil der Frauen in den Geschäftsleitungen beim Bund und den kantonalen Verwaltungen ist doppelt so hoch wie in der Wirtschaft. Und auch bei der Besetzung von Vakanzen macht die öffentliche Hand einen besseren Job: Während die Privatwirtschaft für nur jede fünfte Neubesetzung in der Geschäftsleitung eine Frau wählt, rekrutieren Bund und Kantone für gut jede dritte freie Stelle im obersten operativen Gremium eine Frau.
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Schilling unterscheidet drei Phasen im Prozess der Gleichstellung der Geschlechter, den er als «Generationenprojekt» bezeichnet, das 25 Jahre dauern werde: Zuerst kommt die Sensibilisierungsphase, in der vereinzelte Firmen oder Verwaltungen gezielt Frauenkarrieren fördern und schlagzeilenträchtig erste Frauen in die Geschäftsleitung hieven. Dann folgt die Bewusstseinsphase, bei der diese «Leuchtturmfirmen» oder Verwaltungen beginnen, «die Früchte ihrer Investitionen zu ernten», wie Schilling erklärt. «Denn ihnen stehen nun vermehrt starke weibliche Talente zur Verfügung, die sie selbst aufgebaut haben.» Und zuletzt folgt die Akzeptanzphase, bei der es auf allen Hierarchiestufen bis zu den Geschäftsleitungen so viele Frauen geben wird, dass man sich kaum mehr erinnern will, wie es früher war, als alle Chefs Thomas, Peter oder Daniel hiessen.
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Der Bund dürfte wohl am Ende der Bewusstseinsphase angekommen sein und Richtung Akzeptanzphase gehen. Er habe erkannt, dass gemischte Teams besser und leistungsfähiger seien, sagt Schilling. Und er habe verstanden, dass es intelligenter sei, gut ausgebildete Frauen anzustellen und ihnen attraktive Karrieren zu ermöglichen, statt immer nur über den Fachkräftemangel zu klagen.
Die Privatwirtschaft hingegen steckt gemäss Personalberater Schilling noch im Übergang zwischen der Sensibilisierungs- und Bewusstseinsphase fest. Nur gerade bei drei Firmen gibt es eine Frau an der Spitze: Suzanne Thoma bei der BKW, Philomena Colatrella bei der CSS und Magdalena Martullo-Blocher bei der Ems-Gruppe; nächstes Jahr werden es mit Michèle Rodoni, die den Chefposten bei der Mobiliar übernimmt, vier sein.
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Es bleiben Einzelfälle. Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 118 grössten Schweizer Unternehmen ist im Vorjahresvergleich gerade mal von neun auf zehn Prozent gestiegen. Ein Mikro-Schritt, der sich höchstens mit dem Zusatz «erstmals zweistellig» als Erfolgsmeldung verkaufen lässt.
Noch immer sind knapp die Hälfte dieser Geschäftsleitungen reine Männergremien. Zu diesen 56 uniformen Unternehmen gehört etwa auch die Swisscom – doch nicht mehr lange: Der Telekomkonzern nimmt im Februar, gut acht Jahre nach dem Abgang der Kommunikationschefin, mit einer neuen Personalchefin wieder eine Frau ins oberste Gremium auf. Damit erfüllt die Swisscom fast klischeehaft ein gängiges Muster, kümmern sich doch knapp zwei Drittel der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder in der Firmenwelt um Hilfsfunktionen statt ums Kerngeschäft, also um Personal, Kommunikation oder allenfalls um den Rechtsdienst.
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Schilling erklärt dieses Ungleichgewicht mit der Studienwahl vieler Frauen. Aber es dürfte auch daran liegen, dass Männer diese Fachgebiete als typisch weiblich taxieren.
Doch auch das dürfte sich mit der Zeit ändern, wie der Blick nach Bern zeigt.
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