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Im Kampf um die KI-Vorherrschaft liegt Microsoft vorne. CEO Satya Nadellas Plan: Entscheide steuern, die bisher zutiefst menschlich waren.
Theresa Rauffmann
&Matthias Hohensee
Seit Satya Nadella Microsoft-CEO ist, hat der Konzern das Wachstum wiederentdeckt. Mit KI will er nun auch Innovationsführer werden.
Spencer Lowell / Trunk ArchiveWerbung
Anfang 2007 macht auf dem Microsoft-Campus in Redmond ein Gerücht die Runde. Amazon-Gründer Jeff Bezos, so heisst es, buhle um Satya Nadella, eine der damals grössten Zukunftshoffnungen im Reich von Konzernchef Steve Ballmer. Ballmer, damals schwer unter Druck, weil Microsoft alt und schockstarr wirkt, während Google und Amazon sich rasend entwickeln, bestellt Nadella zum Gespräch. Und offeriert ihm den attraktivsten Job und zugleich «die grösste Herausforderung, die Microsoft zu vergeben hat»: Der Umworbene soll die Schmach wettmachen, dass Microsofts Suchmaschine derjenigen von Google gnadenlos unterlegen ist. Ballmer, so erinnert sich Nadella später, habe ihn ausserdem gewarnt: «Wenn du scheiterst, gibt es keinen Fallschirm.» Dennoch willigt Nadella ein. Es ist die wichtigste Entscheidung seiner Karriere. Sie führt ihn bis an die Spitze des Softwarekonzerns. Auch wenn er seine ursprüngliche Mission bis heute nicht erfüllt hat.
Seit 2014 ist Nadella CEO des Technologie-Dinosauriers – und hat den guten alten Desktop-Konzern fit gemacht fürs KI-Zeitalter. Nadella setzte konsequent auf Innovationen, öffnete Microsoft gegenüber anderen Betriebssystemen, ging mutig Partnerschaften ein. Keine Frage: Der Grosskonzern, der vor zehn Jahren einmal mehr ins Hintertreffen zu geraten schien, hat seine grössten Schwächen beseitigt und ist wieder voll konkurrenzfähig. Die Börsenkurse steigen. Die Netzwelt zählt auf Microsoft-Produkte.
So weit, so erfreulich für Nadella, die Aktionäre, die Belegschaft. Und doch soll es erst jetzt so richtig losgehen für Microsoft im 21. Jahrhundert. Es ist, als bräche eine zweite Gründerzeit bei Microsoft an. Oder besser gesagt: eine neue Ära mit ganz viel Moonshot-Fantasie.
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Anfang Februar dieses Jahres macht Satya Nadella klar, dass er Microsoft nicht nur auf Kurs bringen, sondern in eine neue Umlaufbahn katapultieren will: Man zählt bereits zur Champions League der Silicon-Valley-Unternehmen, aber jetzt strebt man an, zum Konzern der Konzerne aufzusteigen, zur Superfirma, die das IT-Spiel der Zukunft dominiert, die die Zusammenarbeit von Mensch und künstlicher Intelligenz organisiert – und damit der globalen Wirtschaftswelt von morgen die Regeln diktiert.
Als Nadella mit seinem Technologiechef Kevin Scott und Sam Altman, dem Chef von OpenAI, vor Journalisten tritt, gerät ihm die Vollendung seiner persönlichen Mission dabei fast schon zu einer Nebensache. Die von Microsoft und OpenAI mit einer durch künstliche Intelligenz (KI) aufgepeppte Bing-Suchmaschine werde «Gorillas zum Tanzen bringen», sagt Nadella. Und bläst quasi en passant zum Generalangriff auf Google: «Das Rennen um die Suche hat heute neu begonnen.»
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Satya Nadella (r.) investiert mit Microsoft rund zehn Milliarden Dollar in Sam Altmans Firma OpenAI, die Schöpferin des KI-Tools ChatGPT.
The New York Times / Redux / LAIFSatya Nadella (r.) investiert mit Microsoft rund zehn Milliarden Dollar in Sam Altmans Firma OpenAI, die Schöpferin des KI-Tools ChatGPT.
The New York Times / Redux / LAIFFür Nadella ist die KI-basierte Optimierung der Internetsuche eine einmalige Lebenslaufchance. Für den Konzern ein möglicher Gamechanger. Und für alle anderen Menschen – Arbeitnehmer, die mit Microsoft-Produkten arbeiten; Jobkandidaten, die sich auf LinkedIn präsentieren; Privatleute, die sich von Bing, Outlook, Office oder anderen Microsoft-Helfern zur Hand gehen lassen – eine Technik, die unwiderruflich ihren Alltag modellieren, ihre Zeitverbringung prägen, ihre Lebenskultur verändern wird. Nadella will mit KI Microsofts nächste grosse Wachstumsphase einläuten – und Nutzer der Produkte noch viel enger an sich binden als bisher, sie tiefer in die Microsoft-Welt hineinziehen – sie noch abhängiger machen.
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Dabei ist es nicht so, dass Nadella einen zwingenden Grund hätte, Revolutionen anzustossen. An allen betriebswirtschaftlichen Kennziffern gemessen, steht Microsoft hervorragend da. Zuletzt trieb vor allem die Corona-Pandemie das Geschäft: Unternehmen brauchten dringend Kollaborationssoftware.
Daneben war die Cloud-Sparte Azure ein Motor für das Wachstum der Amerikaner. Sie legt derzeit etwas langsamer zu, aber im vergangenen Quartal immer noch um 27 Prozent. Doch mit der KI, so das Kalkül, steht die Technologiewelt an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Es verheisst Konzernen die Maximierung ihrer Kapitalerträge. Und bereitet vielen Menschen Angst und Sorgen.
An einem Donnerstag Anfang Mai ist Nadella bei US-Präsident Joe Biden geladen. Auch Sam Altman, Google-Chef Sundar Pichai und Dario Amodei, Gründer des KI-Start-ups Anthropic, sind da. Sie diskutieren mit Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris über KI. Sie habe das Potenzial, das Vertrauen und den Glauben an die Demokratie zu untergraben, lässt sich Harris nach dem Treffen zitieren. Sie habe mit den CEOs «von Unternehmen an der Spitze der amerikanischen KI-Innovation» besprochen, dass der private Sektor «eine ethische, moralische und rechtliche Verantwortung» trage, die Sicherheit seiner Produkte zu gewährleisten. Die Botschaft ist klar: Die Macht der KI-Marktmacher ist gross – und okay, solange ihre KI den Meinungsmarkt nicht zerstört.
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Aber was, wenn ein Konzern seine Verantwortung zwar wahrnimmt, sie aber auch monopolisiert und privatisiert? Wenn er einen Markt bereitstellt, mit seinen Produkten beschickt und zugleich kontrolliert? Einen Markt, auf dem sich fast alle Menschen dieser Welt aufhalten, um sich von einer KI beraten zu lassen? Einen Markt, den ein Konzern beherrschen will: Microsoft.
Während der Pandemie wurde Software zum Zusammenarbeiten – wie das Microsoft-Produkt Teams – für Unternehmen immer wichtiger. Microsoft bot das Tool im Paket an, Office-Kunden bekamen es automatisch. Dagegen reichte der Konkurrent Slack vor drei Jahren Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Der Vorwurf: Microsoft handle «illegal und wettbewerbswidrig».
Die Methode kommt vielen im Markt bekannt vor. Als in den 1990er Jahren Anbieter von Internetbrowsern wie Netscape auf den Markt drängten, bediente sich Microsoft-Gründer Bill Gates ebenfalls der aggressiven Taktik: Ein eigener Browser wurde ab Werk in das Windows-Betriebssystem integriert. Ohne zusätzliche Kosten. Und ohne Anreiz für Nutzer, nach alternativen Anbietern zu suchen. War ja auch praktisch, dass sich bei jedem Klick auf den Link in einer Mail sogleich der Microsoft-Browser öffnete. Offenbar steckt hinter dem Ausbau von Teams nun die gleiche Methode.
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Dabei schien es, als habe Microsoft aus dem gelernt, was damals folgte: Eine zunächst angeordnete Aufspaltung konnte der Konzern erst in der Berufung verhindern, auch weil man sich glaubwürdig geläutert gab. Bill Gates’ Nachfolger Ballmer korrigierte den Kurs: «Wir drohen mit unserem Auftritt im Markt selbst zum grössten Hindernis für künftiges Wachstum zu werden», konstatierte er kurz nach Amtsantritt. Und: Man wolle nun einen Kulturwandel zu mehr Fairness und Offenheit einleiten, um «die Dividende der Besserung einzufahren».
Tatsächlich lockerte Microsoft in den Folgejahren zahlreiche Vertriebsauflagen, integrierte alternative Browser oder Multimediaprogramme. Sicher aus Einsicht. Ganz sicher aber auch, weil sich Ballmer etwa bei der Internetsuche, im Mobilfunkgeschäft oder auch beim Aufbau des Cloud Computing nach Jahren der Marktdominanz plötzlich in der Rolle des Nachzüglers gegenüber Konkurrenten wie Google, Apple oder Amazon wiederfand.
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Die Gründe für ein bisschen Demut sind allerdings heute passé. Der Umsatz des Konzerns wird 2023 vor allem dank des langjährigen Booms in der Cloud-Sparte Azure die Schwelle von 200 Milliarden Dollar überschreiten. 40 Prozent der Umsätze kommen inzwischen aus diesem Bereich. Der jüngste Ausdruck der wiedergewonnenen Microsoft-Macht: Der Nadella-Konzern will den Spieleanbieter Activision kaufen – für 69 Milliarden Dollar. Es wäre die grösste Übernahme in der Firmengeschichte. Sie ist nur aufgrund von Bedenken der Wettbewerbsbehörden noch nicht vollzogen, doch zuletzt stimmte die EU dem Deal zu.
Eine Lehre aus seinen Ballmer-Jahren hat der Konzern unter Nadella aber trotz aller Erfolge nie aufgegeben: Wie gross die Macht von Microsoft auch sein mag, man präsentiert sich auf Augenhöhe mit den Kunden. Als Partner. Nicht als Potentat.
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Auf dem Microsoft-Campus in Redmond bei Seattle ist der KI-Enthusiasmus der Mitarbeiter deutlich zu spüren. «So eine Geschwindigkeit wie in den vergangenen Monaten habe ich noch nie gesehen», schwärmt Eric Boyd, seit 2009 im Konzern und zuständig für die KI-Entwicklung in der Cloud-Sparte. Der Informatiker steht vor einer Leinwand in Microsofts Besucherzentrum in Redmond, hinter sich eine Folie mit der Überschrift «Drei Monate voller explosiver GPT-4-Integrationen». Er präsentiert vor Journalisten aus Australien, Brasilien, Europa. Der Raum ist mit Bedacht gewählt, vollgestellt mit Trophäen aus der Geschichte des Konzerns, einer Kopie von MS-DOS, den Bestsellern Windows und dem Bürosoftwarepaket Office, der Spielkonsole Xbox.
Jede Software des Konzerns wird momentan mit einem «Copilot» ausgestattet. Einem Programmierassistenten, der selbst Software schreibt. Einem Cyberwächter, der durch Firmennetze patrouilliert. Einem Sekretär, der bei einer Besprechung per Teams die Inhalte automatisch zusammenfasst, auf Wunsch eine Präsentation erstellt und an alle Teilnehmer verschickt. Bei Microsoft Viva hilft der Copilot, ein personalisiertes Lernprofil zu erstellen. Und in Outlook gibt die KI Tipps für wohlklingende E-Mails. Und dann ist da noch der Copilot bei der Bing-Suche. Bisher kommt Bing nur auf einen Marktanteil von vier Prozent – weit abgeschlagen hinter Google. Was aber auch bedeutet, dass die Wachstumspotenziale immens sind. Jedes gewonnene Prozent entspreche ungefähr zwei Milliarden Dollar Umsatz, sagt Nadella, und: «Wir wollen aus der Suchmaschine eine Antwortmaschine machen.»
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Eines ist ihm zweifellos schon gelungen: Durch die öffentlichkeitswirksame Partnerschaft und den Hype rund um OpenAIs ChatGPT hat Microsoft sich selbst wieder ins Gespräch gebracht. Bei seinem Amtsantritt war das noch anders, wie Nadella in seiner Biografie schreibt: «Wir verfügten über Technologien, bei der die Silicon-Valley-Presse mit der Zunge schnalzen würde, etwa unsere hochmoderne künstliche Intelligenz, aber wir gingen damit nicht an die Öffentlichkeit.» Google hingegen habe seine KI-Experimente «mit grossem Tamtam zur Schau gestellt und machte Schlagzeilen». Nun haben die Konzerne die Rollen getauscht. Und es gibt derzeit keinen Grund zur Annahme, dass sich das bald wieder ändern sollte.
Der Weg zu künstlicher Intelligenz, die aus einer Idee eine App kreiert, sei nicht mehr weit, prophezeit Microsofts Technologiechef Kevin Scott. Die Sorgen vor Jobverlusten hält er dennoch für unbegründet.
Der Informatiker startete seine Karriere bei Google, bevor er als Chefingenieur zu Linkedln wechselte. Kurz nachdem Microsoft das Businessnetzwerk übernommen hatte, wurde er zum Technologiechef von Microsoft befördert.
PDDer Informatiker startete seine Karriere bei Google, bevor er als Chefingenieur zu Linkedln wechselte. Kurz nachdem Microsoft das Businessnetzwerk übernommen hatte, wurde er zum Technologiechef von Microsoft befördert.
PDAls wir 2019 die Partnerschaft mit OpenAI eingingen, war die Grundidee, ein Unternehmen zu gewinnen, zusätzlich zu unserer eigenen Forschung und Entwicklung für künstliche Intelligenz – einen ehrgeizigen Partner, der uns und unsere Infrastruktur extrem herausfordert. Wir haben seither mehrere Generationen einer Supercomputing-Infrastruktur speziell für OpenAI entwickelt. Wir offerieren sie nun allen Cloud-Computing-Kunden.
Unsinn. Wir sind ein Unternehmen, dessen primäre Mission es ist, Plattformen und Produkte zu bauen, auf die andere aufsetzen können. Und nicht etwas, das nur für uns selbst gut funktioniert. Es wäre sehr schwer, diese Mission zu erfüllen, wenn man nicht schon bei der Entwicklung mit Partnern arbeitet.
Die erste bedeutende Sache war GitHub Copilot, ein Programmierassistent.
Wir haben ihn bewusst «Copilot» genannt und nicht «Autopilot». Wir wollen Menschen bei der Arbeit unterstützen. Es gibt viel zu wenig Entwickler – und es geht darum, ihre Produktivität zu steigern. Fest steht: Künstliche Intelligenz wird grundlegend verändern, wie wir Menschen Software verwenden. Wir werden deren Potenzial endlich voll ausschöpfen können.
Genau. Wir testen derzeit mit Unternehmenskunden Microsoft 365 Copilot. Damit werden sich die vielen Funktionen leichter nutzen lassen, dank KI. Ein Beispiel: Wir veranstalten eine Videokonferenz über Microsoft Teams. Am Ende fasst die Software nicht nur die wichtigsten Punkte zusammen. Sie filtert auch automatisch Aufgaben heraus, die besprochen wurden und nun erledigt werden müssen.
Greg Brockman (der Technologiechef von OpenAI, die Redaktion) hat kürzlich bei der Präsentation von GPT-4 gezeigt, wie das aussehen könnte. Er hat eine Idee auf Papier skizziert, das Modell hat daraus eine Webseite gebaut. Wir sind also auf dem Weg dahin.
Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenz digitale Kopien von uns erschafft, damit wir nicht mehr arbeiten müssen, wird nicht Realität. Es geht darum, die Produktivität der Arbeit zu steigern und Menschen zu entlasten – ihnen Freiräume für andere Aufgaben zu schaffen, damit das Geschäft noch besser prosperieren kann. Es wird eine Menge neuer Jobs geben.
Einer der heissesten Jobs im Silicon Valley ist momentan der sogenannte «Prompt-Ingenieur». Also ein Spezialist, der weiss, wie man aus den KI-Modellen das meiste herausholt.
Wir tragen eine grosse Verantwortung dafür, dass alles, was wir tun, sicher ist und ethischen Normen genügt. Wir haben verantwortungsvolle KI-Standards definiert, nach denen der GitHub Copilot aufgebaut ist, genauso wie der generative Bildschöpfer Dall-E in unserem Produkt Microsoft Designer. Hunderte von Menschen arbeiten bei uns daran, dass solch sensible Anwendungen angemessen und verantwortungsbewusst eingesetzt werden.
Ich habe Verständnis, dass die Forderung erhoben wird. Aber es ist unklar, was sie bezwecken soll. Wie gesagt: Viele Leute bei Microsoft arbeiten seit Jahren daran, KI sicher und verantwortungsvoll zu gestalten, da gibt es keinen Stillstand.
Es gibt bereits etliche Vorschriften von politischen Entscheidungsträgern und Regierungen. Dabei geht es nicht nur darum, welche Beschränkungen nötig sind, um negative Auswirkungen auf die Gesellschaft zu vermeiden. Sondern auch darum, welche Anreize man schafft, damit Technologie sinnvoll eingesetzt und weiterentwickelt werden kann.
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