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Korrektur

Immobilien: Warum der Crash nicht kommt

Die steigenden Zinsen schlugen auf dem Immobilienmarkt ein wie ein Blitz. Das knappe Angebot schützt vor dem Crash – aber nicht vor einer Korrektur.

Erich Gerbl

Illustration Immobilien

BESORGT Mit der Euphorie ist es am Schweizer Immobilienmarkt vorbei. Zinsen und eine drohende Rezession verbreiten Sorgen.

Michael Raaflaub für Bilanz

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Bevor sie in die Ferien geht, wird Daniela Vetsch gerufen. Noch diese Woche soll die Chefin von Exklusiv Immobilien das Haus am Zürichsee begutachten und den Verkauf nach vorne treiben. Die neue Kundschaft will die Immobilie versilbern, und zwar jetzt. «Die Stimmung hat gedreht, die Leute sind besorgter», sagt Vetsch.

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Jetzt, da die Zinsen gestiegen sind, geht die Angst vor einer Korrektur am Schweizer Immobilienmarkt um – einem Markt, der seit Jahrzehnten nur Zuwächse kennt, in dem sich die Preise alleine in den vergangenen zehn Jahren verdoppelten. Ein gewaltiges Erdbeben rüttelte die Besitzer von Betongold am 16. Juni wach, ausgelöst von SNB-Chef Thomas Jordan, der den Leitzins unerwartet früh und mit 50 Basispunkten unerwartet hoch nach oben schraubte. Der Markt preiste weitere Zinsschritte ein. Zehnjährige Hypotheken, die vor Kurzem noch für etwas mehr als ein Prozent zu haben waren, schossen in Richtung der drei Prozent. Die ruhigen und goldenen Zeiten am Schweizer Immobilienmarkt scheinen mit einem Schlag vorbei zu sein.

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«Der Markt realisiert, dass sich einiges fundamental am Ändern ist», sagt Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse der Credit Suisse. Durch die höheren Kosten für die Hypothek ist in der Schweiz Mieten billiger als Kaufen – eigentlich der Standard, aber durch die Negativzinsen seit acht Jahren nicht mehr gültig. «Die Welt verändert sich. Viele sortieren sich neu», sagt Hasenmaile. Die Taschenrechner und Kalkulationsprogramme laufen heiss. Gerade bei den Profis fliesst die neue Realität in die Berechnungen ein.

Die Knappheit bei den Baustoffen kommt zu den höheren Zinsen noch dazu. Um 7,7 Prozent stiegen die Preise auf Jahressicht. Knapp kalkuliert, rechnen sich Renditeimmobilien für Grossanleger wie Pensionskassen oder Versicherungen nun weniger oder gar nicht mehr. «Die Marge ist nicht nur geschmolzen, sondern ins Negative gekippt. Gewinne lassen sich nur realisieren, wenn die Mieten angehoben werden. Das ist aber nur der Fall, wenn die Wirtschaft boomt, und davon gehe ich nicht aus», sagt Immobilienexperte Claudio Saputelli, der für UBS den Immobilienmarkt beobachtet und den Swiss Real Estate Bubble Index für Eigenheime entwickelt hat.

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C. Saputelli

«Durch die Knappheit findet ein möglicher Preisverfall früher einen Boden», sagt Claudio Saputelli, CIO Global Real Estate UBS GWM

Marc Straumann
C. Saputelli

«Durch die Knappheit findet ein möglicher Preisverfall früher einen Boden», sagt Claudio Saputelli, CIO Global Real Estate UBS GWM

Marc Straumann

Saputelli spricht regelmässig mit Managern von Immobilienportfolios, die ihm berichten, dass zurzeit so viele Objekte zum Kauf angeboten würden «wie noch nie». «Zum Teil sind das ganze Portfolios. Der Preisdruck ist extrem», sagt Saputelli. Bei Projekten, die kurz vor dem Abschluss stehen, werde nachverhandelt. «Dann heisst es, man brauche 10 bis 15 Prozent Abschlag.» Denn die künftigen Mieten sind durch die höheren Zinsen heute weniger wert. Anwälte berichten von Käufern, die abklären, ob sie noch von Verträgen zurücktreten können.

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Solche Schieflagen aus dem Markt für Renditeliegenschaften riechen streng nach einer Korrektur am gesamten Schweizer Immobilienmarkt. «Gerade bei Immobilien kommt schnell die Warnung, dass eine Blase platzt», sagt Hasenmaile. Man stehe Gewehr bei Fuss, Panik sei jedoch nicht angebracht. Auch ist noch nichts passiert. Laut dem IAZI Private Real Estate Index kletterten die Preise für Eigenheime in der Schweiz, unbeeindruckt von den Zinsen, im zweiten Quartal um 0,7 Prozent. Aufs Jahr gesehen liegen die Preiszuwächse in der Stadt Zürich und den teuren Seegemeinden laut dem Immobilienbarometer der ZKB bei 12,7 Prozent.

Entwicklungen in Zeitlupe 

Doch anders als an den Aktienbörsen macht sich ein Stimmungswandel an den Immobilienmärkten nur mit einer deutlichen Verzögerung bemerkbar. «Änderungen an den Immobilienmärkten geschehen nicht über Nacht», weiss Hasenmaile. Wechseln Aktien in Sekundenbruchteilen den Besitzer, dauert der Verkauf eines Hauses Wochen, Monate und bei schwierigen Objekten mitunter Jahre. Direkt vergleichbar sind die Deals ohnehin nicht. Ist etwa jede UBS-Aktie austauschbar, gleicht kaum eine Immobilie der anderen.

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Sie unterscheiden sich durch Alter, Grösse, Raumaufteilung, Ausstattung, Mikro- und Makro-Lage und noch vieles mehr. Daher spiegeln Immobilienindizes – auch wenn sie sich realer Transaktionen bedienen und die grössten Ausschläge glätten – die Entwicklung auf dem Markt auch nur verzerrt. «Es ist extrem schwierig, den Puls an den Immobilienmärkten zu spüren», sagt Saputelli. Er verlässt sich dann mehr auf UBS-Experten vor Ort.

Eine einschneidende Erfahrung machte er vor zehn Jahren. Damals befand sich der Genfer Immobilienmarkt schon lange in einem Boom. Während die Indizes weiter kletterten, berichteten Mitarbeitende vor Ort von einem Stillstand bei den Transaktionen. Ein gängiges Muster bei einer Korrektur: Die Verkäufer leben noch im alten System und beharren auf den hohen Preisen, gleichzeitig sind die Interessenten vorsichtiger und nicht mehr bereit, zu den hohen Preisen zu kaufen. Der Stillstand löst sich, da es an einem bestimmten Punkt zu Notverkäufen kommt, etwa wegen einer Scheidung oder eines Umzugs ins Ausland. Das Preisniveau fällt, wie auch damals in Genf.

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Kostspieliges trautes Heim

Zuwachs der Immobilienpreise in der Schweiz im Verhältnis zum Einkommenswachstum (Basis = 100).

Zuwachs der Immobilienpreise in der Schweiz im Verhältnis zum Einkommenswachstum (Basis = 100).
OECD
Zuwachs der Immobilienpreise in der Schweiz im Verhältnis zum Einkommenswachstum (Basis = 100).
OECD

Ein deutlich liquiderer und damit unmittelbarer reagierender Markt sind börsenkotierte Immobilienfonds. Bei diesen Produkten hat sich die Zinswende deutlich bemerkbar gemacht. Der SXI Real Estate Funds Broad Index, der die meisten Schweizer Immobilienfonds abdeckt, verlor seit Anfang Jahr 13 Prozent. So schmolzen die Agios, also die Aufschläge auf den Substanzwert der Portfolios, deutlich dahin, von 50 auf bis zu 20 Prozent. Immobilieneigner müssen hoffen, dass dies kein Blick in die Zukunft der Preisentwicklung bei Wohnimmobilien ist.

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Die Euphorie ist vorbei

In jedem Fall scheint die Phase der zügellosen Ausgelassenheit und der Übertreibungen am Schweizer Markt für Wohnimmobilien vorbei zu sein. Waren Interessenten, die den ausgerufenen Preis für eine halbwegs gefragte Immobilie boten, vor einem Jahr bei den im Boom zunehmend verbreiteten Bieterverfahren chancenlos, ist an den Immobilienmärkten wieder etwas mehr Nüchternheit eingekehrt. «Wenn fünf Millionen veranschlagt sind, sagt man 4,5 und trifft sich dann etwa in der Mitte bei 4,7. So wie es immer üblich war. Der Hype war auch nicht mehr gesund», sagt Maklerin Vetsch. Habe es vor 18 Monaten für eine Immobilie 30 Angebote gegeben, seien es heute noch drei. Die Maklerin ist auf Luxusimmobilien am Zürichsee und in Zug spezialisiert. Zwar werde noch gut verkauft, jedoch seien die Käufer vorsichtiger. Die Verkäufer wiederum haben sich laut Vetsch den neuen Realitäten noch nicht so weit angepasst, «sie hängen noch im alten System».

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«Die ganz grosse Euphorie ist vorbei. Statt 20 oder 30 gibt es für ein Objekt nun 3 oder 4 Angebote. Das bringt eine andere Preisdynamik», sagt Benjamin Stamm. Er leitet bei Walde Immobiliendie Geschäftsstelle Zollikon, das Stammhaus des Maklers. «Die Nachfrage ist noch grösser als das Angebot. Aber wir sind an einem Wendepunkt. Die Nachfrage dürfte sich verkleinern.» Von einem Preisverfall geht der Makler nicht aus, maximal von einer leichten Korrektur. Dafür sei die Anlage Immobilien «viel zu wertvoll».

Er bereitet seine Mitarbeiter nicht auf eine Krise, sondern die Rückkehr zur Normalität vor: «Wir waren verwöhnt. War eine Immobilie nach zwei Monaten nicht verkauft, dachte man schon, es stimme etwas nicht. Dabei sind vier bis sieben Monate normal.» Gebe es weniger Interessenten, kommt es laut Stamm wieder auf die Qualität der Dienstleistung eines Maklers an. Für Pauschalmakler werde es schwieriger.

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Der Elefant im Raum 

Der Grund für den Rückgang der Nachfrage ist schnell ausgemacht: «Die steigenden Zinsen sind der Elefant im Raum», sagt CS-Experte Hasenmaile. Lag der Zins für eine zehnjährige Hypothek Mitte Dezember noch bei 1,2 Prozent, fiel die Drei-Prozent-Marke am 20. Juni. Die jährlichen Zinsen für einen neu aufgenommen Kredit von einer Million wachsen somit von schlanken 12'000 auf schon etwas happigere 30'000 Franken an. Rückzahlungen kommen noch dazu. Zudem schwant vielen, dass die Inflation erst so richtig ins Laufen kommt und das Ende der Fahnenstange bei den Zinsen noch lange nicht erreicht ist. «Es gibt grosse Ängste, dass der Zinsanstieg bei den langfristigen Hypotheken deutlich über drei Prozent hinausgeht», sagt Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.

Knappes Angebot

Noch gibt es in der Schweiz und besonders in Zürich wenig zu kaufen.

Knappes Immobilien-Angebot: Noch gibt es in der Schweiz und besonders in Zürich wenig zu kaufen.
ZKB Immobilienmonitor
Knappes Immobilien-Angebot: Noch gibt es in der Schweiz und besonders in Zürich wenig zu kaufen.
ZKB Immobilienmonitor

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Banken berichten, dass Kreditnehmer in zehnjährige Hypotheken flüchten, obwohl die Zinsen schon stark stiegen und variable Finanzierungen via Saron nach wie vor deutlich günstiger sind (siehe Box unten). Zu den Kreditkosten kommen steigende Fixkosten, die nicht zuletzt durch die höheren Preise für Energie in die Höhe schnellten. «Die Leute sind besorgter», sagt Claudio Saputelli. Obwohl die Hypozinsen noch weit unter den fünf Prozent liegen, die Banken für die Tragbarkeit einkalkulieren, tun die höheren Kosten weh.

«Steigen die Wohnkosten durch Zinsen und Fixkosten von 2500 auf 4000 Franken, ist das für eine Familie doch recht einschneidend, Tragbarkeit hin oder her», weiss Stamm. Wer zur Miete wohnte, konnte mit dem Wechsel ins Eigenheim bei einer Vierzimmerwohnung und einer fünfjährigen Hypothek laut ZKB-Berechnung bis 11'000 Franken im Jahr sparen. Das ist nun vorbei.

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Eine schlechte Kombination 

«Die Immobilienpreise sind nur für wenige erschwinglich. Und dann steigen auch die Zinsen. Das ist eine schlechte Kombination», sagt Fredy Hasenmaile. Da gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Zinsen sinken, oder die Preise fallen. Für den CS-Experten ist beides vorstellbar. So könne es gut sein, dass der grösste Anstieg der Zinssätze bei Fix-Hypotheken bereits vorbei sei. Hasenmaile spricht von einem Zinsbuckel, bei dem die Hypozinsen nach einer gewissen Zeit wieder nach unten kommen. «Aber auch eine Korrektur der Immobilienpreise von 10 bis 20 Prozent können wir nicht ausschliessen.»

Saron – nichts für schwache Nerven

Die Zahl der schlaflosen Nächte war unter Haus- und Wohnungsbesitzern zuletzt wohl besonders gross. Binnen Monaten hat sich der Zinssatz für eine zehnjährige Hypothek verdreifacht. Schuldner sorgen sich, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist und die Hypothek zum Problem wird. Der Drang, in eine zehnjährige Hypothek zu wechseln und sich den Zinssatz zu sichern, ist gross. Wird der Kredit zur nervlichen Belastung, ist das auch sinnvoll.

In anderen Fällen ist der Schuldner mit Geldmarkthypotheken nach wie vor besser beraten. Die CS prognostiziert für eine Saron-Hypothek in zwölf Monaten einen durchschnittlichen Zins von 1,8 Prozent. Das wäre immer noch günstiger als kurz laufende Fix-Hypotheken und deutlich weniger als die 2,8 Prozent, die für zehnjährige Hypotheken verlangt werden. Bei diesen wurden die vom Markt erwarteten Zinserhöhungen bereits eingepreist. «Jetzt noch in Zehnjährige zu wechseln, macht wenig Sinn. Saron bleibt die zu favorisierende Finanzierungsvariante», sagt Raiffeisen-Experte Martin Neff. Nur wenn die Zinsen stärker steigen als derzeit erwartet, klettern die Hypozinsen am langen Ende weiter nach oben. «Wir erwarten für zehnjährige Hypotheken nur noch leichte Zinserhöhungen. Der Markt hat viel vorweggenommen», sagt CS-Experte Fredy Hasenmaile. Er rechnet mit einem Zinsbuckel: «Die Frage ist, wie breit und hoch er wird. Aber die Zinsen werden wieder fallen.» Da komme es auf das Durchhaltevermögen an. «Wie bei allen Investments muss man sicherstellen, dass man nicht zu Notverkäufen gezwungen ist. Bei Hypotheken ist es genau dasselbe», sagt er.

Vor dem Abschluss lohnt sich ein Vergleich. Die Konditionen gehen teils deutlich auseinander. Denn Banken managen das Hypothekenportfolio. Will eine Bank etwa fixe Hypotheken ausbauen, werden Kunden mit besonders günstigen Angeboten gelockt.

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Ein wesentlicher Faktor für die Nachfrage ist neben den Kosten die Konjunktur. Schwächt sich die Wirtschaft ab, steigen Arbeitslosigkeit und Unsicherheit. «Bei einer harten Rezession kann die Nachfrage von heute auf morgen zusammenfallen», sagt Hasenmaile. Eigentümer sehen keine Chance auf Mieterhöhungen, Entwickler bringen Immobilien nicht mehr los: In so einem Umfeld passieren Unfälle.

Nun ist eine Rezession kein völlig aus der Luft gegriffenes Horrorszenario. Da die Zinserhöhungen zu einer Zeit erfolgen, da sich die Wirtschaft abkühlt, nehmen die Rezessionsrisiken weltweit deutlich zu. In Europa gilt eine Kontraktion der Wirtschaft wegen der hohen Energiepreise bereits als ausgemachte Sache. Die Schweiz scheint jedoch in einer vergleichsweise guten Position.

Käufern drückt die wirtschaftliche Unsicherheit bereits aufs Gemüt. «Von Unternehmern höre ich schon jetzt, dass sie ihr schwer verdientes Geld im aktuellen Umfeld besser nicht riskieren», sagt Maklerin Vetsch. Der Luxusbereich hängt im Gegensatz zum erschwinglichen Wohnen am stärksten an der Konjunktur. Käufer sind häufig Unternehmer, und die spüren Veränderungen in der Konjunktur meist recht genau. Auch sind sie stark an den Finanzmärkten positioniert. Im Gleichklang gingen sowohl Obligationen als auch Aktien in die Knie. Die Börse startete so schlecht ins Jahr wie seit 1970 nicht mehr. Sass das Geld vor einigen Wochen noch sehr locker in den Taschen, werde im jetzigen Umfeld laut Vetsch genauer überlegt: «Verkäufer machen keinen Lucky Punch mehr.»

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Der unvergleichbare Crash

Steigen die Risiken, wird mit dem Schweizer Immobiliencrash Anfang der 1990er Jahre rasch der Teufel an die Wand gemalt – eine Katastrophe, die in Relation zur Grösse des Landes mit der Subprime-Krise in den USA verglichen werden kann. Auf den ersten Blick gibt es Parallelen. Auch damals war die Zuwanderung gross, der Boden in der Schweiz galt als knappes Gut und Immobilien als sichere Anlage. Wie in den vergangenen zehn Jahren hatten sich die Immobilienpreise zwischen 1980 und 1990 verdoppelt. Auch zu jener Zeit ging der Korrektur eine Phase lockerer Geldpolitik (damals als Reaktion auf den Börsencrash von 1987) voraus, die zur Inflation führte. Wie heute reagierte die SNB auf die entstehende Teuerung mit steigenden Zinsen. Die kostspieliger werdende Finanzierung brachten die Immobilienpreise zu Fall und eine Lawine ins Rollen.

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Doch Experten beruhigen: «Die Analogie zu den 1990er Jahren ist nicht korrekt», sagt Fredy Hasenmaile. Viele Punkte seien anders. Für den CS-Experten der wesentliche: «Heute gibt es anders als damals absolut kein Überangebot an Wohnungen.» Man solle aufmerksam sein, aber nicht zu schnell in Analogien verfallen. Auch führte die Liberalisierung der Finanzmärkte damals zu einer besonders freizügigen Kreditvergabe. Die Banken hatten keine Credit Officers, die wie heute jede Kreditvergabe überprüfen und bewilligen.

Fredy Hasenmaile

«Der Markt realisiert, dass sich einiges fundamental am ändern ist», sagt Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse CS.

PD
Fredy Hasenmaile

«Der Markt realisiert, dass sich einiges fundamental am ändern ist», sagt Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse CS.

PD

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Anders als in den 1990ern werden die Banken heute durch Tragbarkeitskriterien wie einen rechnerischen Hypozins von fünf Prozent eingebremst. Ein grosser Unterschied ist die Transparenz. Damals gab es weder einen Immobilienpreisindex noch Onlineplattformen, um sich zu informieren. «Der Markt tappte also mehr oder weniger im Dunkeln, deshalb auch die aufgebaute Preisübertreibung», sagt UBS-Blasenexperte Saputelli. Waren in den 1990ern die Zinsen deutlich höher (von 1988 bis 1990 erhöhte die SNB von 3,5 auf 7 Prozent), war die Nachfrage nach Wohnungen anders als in den vergangenen Jahren nicht besonders gross. Trotzdem wurde viel gebaut. Saputelli: «Dieses Gemisch brachte dann das Fass zum Überlaufen.»

Ein gefragtes Gut

Somit ist es das geringe Angebot, das den Markt heute selbst bei steigenden Finanzierungskosten vor einer herben Korrektur bewahrt. «Durch die Knappheit findet ein möglicher Preisverfall früher einen Boden», sagt Saputelli. Die Nachfrage ziehe sofort wieder an. «Es gibt eben viele, die schon sehr lange suchen», weiss Siro Roesch, Leiter Immobilienvermarktung bei der auf Immobilien spezialisierten Bank Lienhardt & Partner.

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Bei dem dünnen Angebot sei es schwer, eine adäquate Immobilie zu finden, vor allem an gefragten, zentralen Lagen. Einfamilienhäuser sind ein rares Gut. «In den letzten Jahren waren Käufer vermehrt zu Kompromissen gezwungen, etwa bei der Lage oder der Grösse», sagt Martin Neff von Raiffeisen. Er rechnet im laufenden Jahr noch mit einem Anstieg der Immobilienpreise, zwar nicht mehr im alten Tempo, aber doch noch mit zwei bis vier Prozent. Der Grund: «Ein unglaublicher Nachfrageüberhang.»

Nicht nur der Nachfrageboom, sondern auch die Knappheit geht auf die Geldpolitik der Notenbanken zurück. Denn im Negativzinsumfeld wurden von Grossinvestoren wie Pensionskassen und Versicherungen unzählige Milliarden statt in negativ rentierende Obligationen in Immobilienprojekte gelenkt. Die Entwickler verlagerten ihre Kapazitäten auf Renditeobjekte und bauten Tausende Mietwohnungen – Eigentum hatte das Nachsehen.

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Beruht die Stabilität der Immobilienpreise auf dem knappen Angebot, ist dessen Ausweitung ein Risiko. Eine Belebung könnte von «Buy to let» kommen. War der Kauf mit Weitervermietung schon in der Vergangenheit mit bescheidenen Renditen von zwei, drei Prozent und Leerstandsrisiken nicht die grosse Cashcow, rechnet sich diese Form der Anlage durch die höheren Zinsen für Privatanleger immer weniger. «Hier gibt es viele Fragezeichen. Bei einer Refinanzierung geht die Rechnung nicht mehr auf. Viele werden versuchen, die Immobilien abzustossen», prognostiziert UBS-Experte Saputelli.

Daniela_Vetsch

«Die Stimmung hat gedreht. Die Leute sind vorsichtiger», Daniela Vetsch, Inhaberin Exklusiv Immobilien.

ZVG
Daniela_Vetsch

«Die Stimmung hat gedreht. Die Leute sind vorsichtiger», Daniela Vetsch, Inhaberin Exklusiv Immobilien.

ZVG

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Da sich die Neuvermietung einer Liegenschaft bei den heutigen Hypothekarzinsen finanziell kaum noch lohne, werde es laut ZKB manchem Eigenheimbesitzer leichter fallen, sich von seiner Immobilie zu trennen. Verkäufer finden durch den Zinsanstieg zudem wieder risikolose Anlagealternativen vor. Die Bank rechnet mit einem Zuwachs bei den zum Verkauf stehenden Objekten, während die Nachfrage sinke. Das werde jedoch nicht reichen, um den Eigenheimmarkt vom heutigen Ungleichgewicht ins Gegenteil zu kippen. Geht es nach Maklerin Daniela Vetsch, gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Käufer beginnen, die Preise an den Märkten zu bestimmen – ein sogenannter Käufermarkt. «Wer seine Immobilie grundsätzlich verkaufen will, sollte nicht warten. Ich bin gespannt, wo wir im September, Oktober mit den Preisen stehen», sagt Benjamin Stamm.

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Durchschnitt hat es schwer 

Kommt eine Korrektur, sind Objekte, die nicht über alle Zweifel erhaben sind, gefährdet. Eine 2½-Zimmer-Wohnung am Waldesrand, weit weg vom ÖV und von jeder Einkaufsmöglichkeit, von der selbst die Bank abrät, hat das Potenzial zum Ladenhüter. «Durchschnittliche Objekte etwas ausserhalb mit mangelnder Infrastruktur werden sich infolge abnehmender Nachfrage schwieriger verkaufen lassen», sagt auch Roesch. Die Zeiten, als selbst Minderwertiges an viel befahrenen Strassen in kurzer Zeit verkauft wurde, sind vorbei. Gefragt bleibt Qualität. «Wenn die Preise sinken, setzt eine Flucht in Qualität ein», weiss Hasenmaile. Neben einer barrierefreien, zeitgemässen, nachhaltigen Bauweise spielen eine gute Mikround Makro-Lage eine Rolle. «Die Nachfrage geht wieder in Richtung Stadt zurück. Je näher an der Stadt, desto höher die Preise», sagt Stamm. Lieferengpässe und Inflation dürften in einem Segment besonders förderlich sein. «Neubau ist noch sehr gesucht. Vielleicht auch wegen der massiv höheren Baukosten», sagt Makler Stamm.

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Weil zunehmend vor einem Immobiliencrash gewarnt wird, bekommt Siro Roesch von Lienhardt & Partner derzeit viele Anfragen von besorgten Kunden. Doch die werden von ihm beruhigt. Ein Crash sei weit und breit nicht in Sicht. «Wir merken im Moment noch nicht, dass die Nachfrage zusammenfällt.» In den vergangenen Wochen registrierte Roesch sogar einen Nachfrageschub – gleich acht neue Wohnungen wurden verkauft. «Der eine oder andere zieht den Kauf vor, mitunter aus Sorge, dass sich die Finanzierungsbedingungen weiter verschlechtern.»

Über die Autoren
Erich Gerbl

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