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Novartis-CEO Vas Narasimhan: Ist sein «Unbossing» gescheitert?

Vom «Unboss»-Hoffnungsträger zum Sorgenkind der Aktionäre: CEO Vas Narasimhan ist gefangen zwischen Kursfrust und Pipeline-Stau.

Dirk Schütz

sdf

VIER JAHRE CEO: Vas Narasimhan übernahm den Novartis-Chefposten im Februar 2018. Der 45-jährige Amerikaner indischer Abstammung baut den Konzern zu einem reinen Pharmaanbieter um.

Bloomberg

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Es ist gerade zwei Jahre her, da schien der junge Chef alle Versprechen gehalten zu haben. Die Firmenkultur, lange von angstbestimmtem Hierarchiedenken beherrscht, aufgebrochen unter dem griffigen Motto «Unboss». Die Augensparte Alcon erfolgreich an die Börse gebracht. Fünf mittelgrosse Zukäufe mit solider Perspektive getätigt.

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Und all das führte zu einem Punkt, der für die so lange leidgeprüften Aktionäre des Pharmakonzerns Novartis spezielle Symbolkraft versprühte: ein Aktienkurs auf Höchststand – 95 Franken am 21. Februar 2020.

Doch dann trafen den Himmelsstürmer Vas Narasimhan Schläge wie in einer griechischen Tragödie. Das Augenmittel Beovu, das fünf Milliarden Umsatz bringen sollte, floppte. Das Gentherapie-Mittel Zolgensma, als teuerstes Medikament der Welt – 2,1 Millionen für eine Einzelbehandlung – medial ohnehin wenig reputationsfördernd unterwegs, bekam keine Zulassung für ältere Kinder.

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Und dann, am Ende des Horrormonats: Corona. Novartis war sechs Jahre zuvor aus dem wenig rentablen Impfgeschäft ausgestiegen – und hatte nichts für die grösste Gesundheitskrise einer Generation: kein Vakzin, kein Medikament, keine Diagnostik. Der Kurs fiel wie ein Stein: um fast 30 Prozent.

Klar hinter Roche

Und besser wurde es nicht. Während Erzrivale Roche im Bonanza-Jahr 2021 um 25 Prozent zulegte, mussten die Novartis-Aktionäre sogar ein Minus von 3 Prozent hinnehmen. Noch unschöner nimmt sich der Vergleich seit Narasimhans Antritt im Februar 2018 aus: gerade 8 Prozent plus bei Novartis, 54 Prozent dagegen bei Roche (siehe Grafik).

Die Leitblätter aus der Finanzstadt Zürich schicken da eher giftige Noten in die gefühlt weit entfernte Pharma-Hochburg Basel. «Vas-Fatigue» hatte die «NZZ am Sonntag» schon zu Jahresende diagnostiziert, der Novartis-Chef gelte «als angezählt», titelte der «Tages-Anzeiger». Und die «NZZ» bemühte nach Bekanntwerden der wenig inspirierenden Jahreszahlen Anfang Februar ungewohnt krawallig die Lieferantensprache: «Wenn Narasimhan nicht bald liefert, wird sich der Verwaltungsrat nach einer neuen Leitfigur umsehen müssen.»

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Satte Portion Aktionismus

Der Novartis-Chef sitzt im neuen Besucherzentrum ausserhalb des Campus. Bauarbeiter verlegen Kabel, im Innenhof steht noch ein Bagger, der Fussboden ist mit Schutzfolien abgeklebt. «Welcome to the Wonders of Medicine», steht als Motto in dem Rundbau, der der Öffentlichkeit die Welt von Novartis nahebringen soll. Ein Begegnungszentrum für Schüler und Erwachsene – die Eröffnung ist Mitte März geplant.

Wenig Druck vom Verwaltungsrat

dsf
Patrice Bula, Nestle Executive Vice President and Head of Strategic Business Units, Marketing, Sales and Nespresso, addresses a news conference to announce that Nestle will sell Starbucks-branded coffee at grocery stores in Europe, Asia and Latin America at the company's headquarters in Vevey, Switzerland February 13, 2019. REUTERS/Arnd Wiegmann - RC1A542B74B0
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VR-Präsident Jörg Reinhardt (Bild) machte seinen Schützling Vas Narasimhan zum Chef und steht zu ihm.

Kenneth Nars / CH Media

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«Ich freue mich, wenn wir wieder Menschen sehen» sagt Narasimhan. Er selbst hat den Grossteil der Corona-Zeit im Zimmer seines jüngsten Sohns in seinem gemieteten Stadthaus am Rheinufer verbracht – als Konzernchef wollte er auch bei der Homeoffice-Politik Vorbild sein. Gerade drei Reisen hat der einstige Vielflieger zuletzt unternommen – für ihn viel zu wenig. «Mit unseren Mitarbeitern direkt zu sprechen, ist durch nichts zu ersetzen.»Die Aufbruchstimmung ist verflogen nach vier Jahren im Amt, und das liegt nicht nur an der Corona-Zermürbung. «Natürlich können wir mit dem Aktienkurs nicht zufrieden sein. Aber wir haben die Pipeline und die Umsetzungskraft, um solche Stürme zu bestehen und stärker zurückkommen», sagt der 45-Jährige mit tiefer Stimme in bestem Business-Englisch.

Wie stark der Druck gestiegen ist, zeigen die Aktionen im letzten Jahr: der plötzliche Verkauf der Roche-Beteiligung, die Abspaltungsankündigung der Generika-Tochter Sandoz. Für beides mag es gute Gründe gegeben haben, doch der Zeitpunkt verrät auch eine satte Portion Aktivismus: Seht her, wir machen doch etwas. Dass die Roche-Einnahmen zum grossen Teil in ein Aktienrückkaufprogramm fliessen, signalisiert dann aber doch eher wenig Elan. Bei ihm, dem grossen Idealisten, ist eben auch die Fallhöhe grösser. «Ich will grosse, kühne Innovationsprojekte realisieren», hatte der Harvard-Mediziner mit dem fotografischen Gedächtnis bei seinem Antritt verkündet.

«Die Gesellschaft erwartet von uns Durchbrüche in der Medikamentenforschung. Kleine Verbesserungen reichen nicht mehr.» Auch die Zielvorgabe an die Mitarbeiter war kaum unbescheiden: «Reimagine Medicine.» Schon sehen Ex-Novartis-Manager Parallelen zum einstigen Patriarchen Daniel Vasella, wie Narasimhan Mediziner mit eher dürftiger Erfahrung an der Businessfront und verantwortlich für mehr als ein Jahrzehnt Kursflaute. Jung an die Spitze gekommen, euphorischer Start – und dann: Vertrösten auf morgen. Novartis: Das ewige Versprechen.

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«Schon unter Vasella hatte der Konzern ein Jahrzehnt ­Kursflaute. Bleibt Novartis ein ewiges Versprechen?»

Da wird der Konzern auch Opfer der speziellen Gemengelage von Big Pharma: Die Finanzmärkte sind extrem kurzfristig getaktet, die Pharmahersteller benötigen jedoch noch immer bis zu zehn Jahre bis zur Marktreife eines neuen Medikaments.

Vor vier Jahren war Roche das Sorgenkind, der Patentablauf von drei Topsellern machte die Aktie zum Underperformer, und Langzeit-Lenker Severin Schwan wirkte plötzlich sehr gemütlich neben dem mit so viel Elan gestarteten Jung-CEO von Novartis. Dann reüssierten einige Medikamente, und im Corona-Nebel zählte Roche mit ihrer Diagnostiksparte zu den wenigen Siegern unter den Grosskonzernen – wie sonst nur noch Pfizer und AstraZeneca.

Doch das Blatt kann sich eben schnell wenden. Die Corona-Sonderkonjunktur flaut ab, Roche und Pfizer geben sich in ihren Jahresausblicken extrem vorsichtig, und seit Dezember hat Novartis die beiden Konzerne an der Börse bereits überholt.

Das Problem bleibt jedoch, dass der Ausblick nicht gerade aufregend ist. In seiner Präsentation an der wichtigen J.P.  Morgan Healthcare Conference, für die Branche immer der Startschuss ins Jahr, kündigte der Novartis-Chef für die nächsten vier Jahre nur ein Wachstum im Branchenschnitt von gegen vier Prozent an, erst ab 2026 verspricht er dann mit 20 potenziellen Medikamenten mit mehr als einer Milliarde Umsatz das grosse Outperformance-Feuerwerk.

«Unspektakulär» nennt die UBS-Analystin Laura Sutcliffe den Ausblick in ihrer Studie von Anfang Januar und diagnostiziert für Novartis das «geringste Wachstum der Branche» bis 2023 und eine «unterdurchschnittliche Gewinnsteigerung». Die Pipeline der meisten marktnahen Medikamente sei «unaufregend», oder die Produkte stünden «wahrscheinlich vor dem Scheitern». Bei Novartis sehe es «dieses Jahr an News sehr dünn» aus, befand auch der langjährige ZKB-Pharmaexperte und heutige Berater Michael Nawrath unlängst auf SRF.

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dsf

STEIGENDER DRUCK: John Tsai (links) ist Entwicklungschef und muss die Produkte auf den Markt bringen – doch da hakt es derzeit. Marie-France Tschudin (mitte) ist die Pharmachefin und muss nach drei Jahren Erfolge vorweisen. Jay Bradner (rechts) muss als Forschungschef und Ex-Harvard-Medizinprofessor die Pipeline füllen – die Durststrecke ist zu lang.

PD
dsf

STEIGENDER DRUCK: John Tsai (links) ist Entwicklungschef und muss die Produkte auf den Markt bringen – doch da hakt es derzeit. Marie-France Tschudin (mitte) ist die Pharmachefin und muss nach drei Jahren Erfolge vorweisen. Jay Bradner (rechts) muss als Forschungschef und Ex-Harvard-Medizinprofessor die Pipeline füllen – die Durststrecke ist zu lang.

PD

Doch Narasimhan sieht in diesen tiefen Erwartungen eher eine Chance. «Der Analysten-Konsensus prognostiziert uns derzeit ein Wachstum von zwei Prozent bis 2026. Wenn wir nur unser Ziel von vier Prozent erreichen, ist das Upside-Potenzial für den Aktienkurs gross», betont der Novartis-Lenker. Er setzt vor allem auf seine sechs aktuellen Topseller, mit dem Hautmedikament Cosentyx und dem Herzmittel Entresto, die zusammen in diesem Jahr über zehn Milliarden Dollar einspielen sollen, dazu sieht er auch bei dem Cholesterinsenker Leqvio grosses Potenzial.

Zusätzlich soll auch die Sandoz-Abspaltung Schub verleihen: Der Generika-Hersteller hat vor allem durch das schwache US-Geschäft das Wachstum des Gesamtkonzerns um zwei Prozent nach unten gezogen. Die frischen Mittel sollen weiter in neue Forschungsgebiete wie Gen- oder Zelltherapie fliessen.

Und auch die Akquisitionen müssen nicht so schlecht herauskommen, wie es derzeit scheint. Zwar rechnete Bloomberg kürzlich vor, dass vier der fünf grösseren Akquisitionen unter Narasimhan die Erwartungen der Anleger nicht erfüllt hätten. Doch abgesehen vom Flop des Augenmittels Beovu scheint ein abschliessendes Urteil noch verfrüht. Zumindest haben alle Zukäufe zu neuen Medikamenten geführt, wenn auch mit einigen Einführungsproblemen. Aber die gab es auch bei Medikamenten wie Entresto, die heute hocherfolgreich sind.

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Probleme Hausgemacht

Die offensive Verkaufe ist nicht die Sache des wertegetriebenen Konzernchefs, der für sein nüchternes und faktengesteuertes Auftreten in der Analystengemeinde geschätzt wird. Doch dass der Konzern einen grossen Deal fast schon kategorisch ausschliesst, trotz vorhandender Mittel, wirkt zwar redlich, bremst aber eben auch die Anlegerfantasie. Pfizer-Chef Albert Bourla etwa lässt da lieber alles offen. Das opportunistische Spiel mit den Investoren behagt Narasimhan nicht. Da ist der Amerikaner dann doch sehr schweizerisch.

sdf
Bilanz
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Doch natürlich sind manche Probleme hausgemacht, wie Narasimhan einräumt: «Unsere Launches und unsere Pipeline haben sich nicht so entwickelt, wie wir erwartet und gehofft hatten», gibt er offen zu. Seit 17 Jahren ist er bei Novartis, einen solchen Hänger bei der Medikamentenlancierung hat er noch nie erlebt.

Nicht das erfahrenste Team

Wer will, kann darin auch eine Kritik an manchen Mitgliedern des Führungsteams sehen. Von den zwölf Mitgliedern der Konzernleitung bei Narasimhans Antritt sind nur noch drei dabei. Das Team gilt nicht unbedingt als das erfahrenste der Branche. Intern gelten vor allem zwei Amerikaner als umstritten: Forschungschef Jay Bradner und Entwicklungslenker John Tsai.

Der Ex-Harvard-Medizinprofessor Bradner gilt zwar als gut vernetzter Wissenschaftler, bei dem das Kommerzielle aber nicht immer ganz oben auf der Agenda seht. Und dass die mehr als 10'000 Mitarbeiter starke Entwicklungsabteilung, die Narasimhan vor seiner Berufung zum CEO selbst leitete, nicht mehr Produkte zur Marktreife bringt, gilt nicht als Leistungsnachweis für den chinesischstämmigen Mediziner Tsai, der vom Biotech-Produzenten Amgen kam.

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Corona-Gewinner

CEO Severin Schwan of Swiss healthcare company Roche addresses a media briefing as part of the company's 125th-anniversary celebrations in Basel, Switzerland, September 28, 2021. REUTERS/Arnd Wiegmann - RC22ZP9ROO8A
2/26/2019 - Washington, District of Columbia, United States of America: Pascal Soriot, Executive Director and Chief Executive Officer, AstraZeneca appears before the Senate Committee on Finance for a hearing on prescription drug pricing on Capitol Hill in Washington, DC, February 26, 2019. (Chris Kleponis / CNP / Polaris) /// Trump
NEW YORK, NEW YORK - DECEMBER 05: CEO of Pfizer Inc. Albert Bourla, DVM, Ph.D. attends 2019 Forbes Healthcare Summit at the Jazz at Lincoln Center on December 05, 2019 in New York City. (Photo by Steven Ferdman/Getty Images)
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ROCHE: Severin Schwan

Reuters

Die Leitung der wichtigen Pharmadivision hat Narasimhan der Westschweizerin Marie-France Tschudin übertragen, nachdem der bisherige Chef Paul Hudson als Chef zur französischen Sanofi gewechselt war. Hudson hatte sie als Europa-Chefin vom Biotech-Anbieter Celgene geholt. Ihr Roche-Pendant Bill Anderson war dagegen zuvor CEO des hocherfolgreichen Zukaufs Genentech – eine andere Liga. «Wir haben ein erfahrenes Team, aber wir müssen noch besser performen», betont Narasimhan. «Aber natürlich, wenn Führungskräfte die Ergebnisse nicht erreichen, müssen wir Änderungen vornehmen, darum dürfen wir uns nicht drücken.» Der Druck steigt.

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Das Thema «Unboss», seine grosse Selbstverantwortungs-Initiative und allein schon durch die Radikalität der Formulierung Symbol des Neuanfangs, wird dagegen deutlich weniger stark gespielt. In seiner 23-seitigen J.P.-Morgan-Präsentation ist die Kulturfrage nur noch eine Priorität von fünf, vage beschrieben mit dem Satz: «Unleash the power of our people.» Der Begriff «Unboss» wird gar nicht mehr erwähnt. «Wenn die Performance nicht stimmt, will ich nichts von Unboss hören», sagt dann auch ein ehemaliges Konzernleitungsmitglied.

««Unboss» kann zu Entscheidungs­schwäche führen. Ein Ex-­Topmanager sieht einen Mangel an exekutivem Punch.»

Kommt hinzu: In der Praxis kann «Unboss» eben auch zu Entscheidungsschwäche und fehlender Leistungskontrolle führen. Ein Ex-Topmanager diagnostiziert dann auch einen «Mangel an exekutivem Punch». Narasimhan hat hier denn auch im Wording etwas angezogen. «Die grosse Herausforderung ist jetzt, die Balance richtig hinzubekommen: eine High-Performance-Organisation mit einem Unboss-Mindset zu kombinieren.»

Dass der Personalchef Steven Baert, für die praktische Umsetzung des Unboss-Programms die treibende Kraft, letzten Sommer abrupt ging, war da kein gutes Signal. Was nichts daran ändert, dass die Erfolge unbestritten sind: Das grosse Ziel, die Firma durchlässiger und offener zu machen, hat Narasimhan erreicht.

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Die Kontroll- und Angstkultur der Vasella-Jahre ist aufgebrochen, die starre Top-down-Struktur Geschichte. Die Werte bei den vierteljährlichen Mitarbeiterumfragen sind weiter gestiegen, ein Drittel der Belegschaft beteiligt sich mit aktiven Kommentaren. Ein neues Datentool soll jetzt nachweisen, dass eine offenere Kultur auch eine bessere Finanzperformance erzielt. Bislang ist davon bei den 110'000 Mitarbeitenden jedoch nichts angekommen: Viele von ihnen sind über Aktienprogramme an der Firma beteiligt, und da beschert der Kursverlauf eher Trübsal.

Plötzlich wird da sogar die bei Narasimhans Antritt so gelobte Social-Media-Präsenz zum Kritikpunkt. Dass er etwa aus dem Lift heraus twittert oder via LinkedIn sein Dasein als CEO ausbreitet, wirkt bei magerer Performance schnell als Ego-Trip.

Narasimhan hat einen Mitarbeiter, der für ihn die Social-Media-Kanäle betreut. Allerdings: Für ihn sind die sozialen Medien vor allem ein Rekrutierungstool. Novartis erreicht 3 Millionen Personen über LinkedIn, er selbst über 300'000: «Ein Leader auf LinkedIn zu sein, hilft uns weltweit bei der Rekutierung von Toptalenten.»

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sd

NOVARTIS CAMPUS IN BASEL: Von den 110'000 Mitarbeitenden arbeiten etwa 10'000 in der Schweiz – für die SVP ist das Unternehmen der Inbegriff des heimatlosen Konzerns.

PD
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NOVARTIS CAMPUS IN BASEL: Von den 110'000 Mitarbeitenden arbeiten etwa 10'000 in der Schweiz – für die SVP ist das Unternehmen der Inbegriff des heimatlosen Konzerns.

PD

Doch besonders der patriotischen Fraktion im Heimmarkt ist das zu progressiv. Als Novartis 2019 einen Vaterschaftsurlaub von 18 Wochen einführte, schoss die SVP scharf. Die Partei stigmatisierte den Multi als Inbegriff des heimatlosen Konzerns ohne Bindung zur Schweiz, obwohl die neue Regelung gerade bei den mehr als 10'000 heimischen Mitarbeitenden gut ankam.

Ein amerikanischer CEO, mit Jörg Reinhardt ein deutscher VR-Präsident, der weiter in Deutschland wohnt und sich für das EU-Rahmenabkommen engagierte – das perfekte Feindbild für SVP-Vertreter wie Magdalena Martullo-Blocher, die die internationalen Chefs gern als unschweizerisch taxiert: «Ein Teil von ihnen hat andere Interessen für die Schweiz als wir Schweizer Unternehmensführer», sagte die Ems-Chefin etwa vorletzten Sommer in einem Interview.

Roche, genauso abhängig vom Schlüsselmarkt USA, der mehr als die Hälfte des Profits beisteuert, wirkt da geschmeidiger. Eine Basler Familie im Rücken, mit Christoph Franz ein sozial etwas aktiverer VR-Präsident, da lässt es sich leichter in Deckung bleiben. Narasimhan, der mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Basel bestens integriert ist, fühlt sich seiner Wahlheimat verpflichtet, aber vor allem über Leistung: «Meine Hauptaufgabe ist es, eine hocherfolgreiche Firma zu schaffen – und das ist dann auch das Beste für die Schweiz.» Doch wenn es bei der Performance schwächelt, wird die Kritik an ihm eben schnell heftiger.

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Stark unter Stress

Aus dem Verwaltungsrat ist keine Gegenwehr zu erwarten. Das 13-köpfige Gremium gilt in Pharmafragen als nicht gerade hochkarätig besetzt. Narasimhan ist zudem die Wahl von Präsident Reinhardt: Der junge Ex-McKinsey-Mann arbeitete einst im Impfgeschäft, als Reinhardt es noch leitete. In dem Kontrollgremium gilt es als festgeschrieben, dass Reinhardt sein Schicksal mit dem seines Schützlings verknüpft hat. Doch als Coach in dieser schwierigen Phase taugt der Präsident nur bedingt: Die Einsamkeit eines CEO hat er nie selbst erlebt.

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Und auch der neue Lead Director Patrice Bula gilt kaum als Schwergewicht: Er arbeitete mehr als 40 Jahre eher unauffällig für Nestlé. Der 66-jährige Reinhardt muss in drei Jahren gehen, dann hat er die Zwölf-Jahres-Limite erreicht. Bis dahin will er kaum eine Revolution – und hofft, dass sich die von seinem CEO für 2026 angekündigte Pipeline-Verheissung schon früher im Kurs niederschlägt.

Der Vorteil des Führungsduos: Das Aktionariat ist zersplittert (siehe oben). Und mit der Abspaltung von Sandoz dürfte sich auch kein aktivistischer Aktionär in den Konzern verbeissen. Zudem: Narasimhan war unter Druck immer stark. «In Stresssituationen werde ich immer sehr ruhig», kommentierte er einst seinen Auftritt vor dem US-Kongress. Zwei Jahre hatte er Gegenwind. Jetzt hofft er, dass die tückischen Pharmawinde wieder in seine Richtung drehen.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

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