Guten Tag,
Der Verkauf von Möbel Pfister an XXXLutz hat die Kassen gefüllt. Nun plant Präsident Rudolf Obrecht sein Netz an Beteiligungen.
Bastian Heiniger
NEUSTART Rudolf Obrecht, VRP der F.G. Pfister Holding, verkauft nicht mehr Möbel, sondern sucht sich KMU-Perlen zusammen.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Er scheint von der Last befreit. Leichtfüssig, ja fast schon beschwingt geht Rudolf Obrecht vom Parkplatz am Pfister-Sitz in Suhr hoch ins Sitzungszimmer. Dass sich am Himmel gerade sämtliche Wolken verzogen haben, hat denn auch symbolischen Charakter. Die neue Beteiligungsfirma nimmt Fahrt auf. Er spricht von einem Generationenprojekt. Nach der Übernahme des Ostschweizer Getränkeherstellers Goba im Frühjahr, bekannt für die Marke Flauder, verhandelt Obrecht derzeit mit weiteren Übernahmekandidaten.
Doch vor Kurzem musste der langjährige Pfister-VRP noch durch einen heftigen Sturm. Ihm war bewusst, dass es nicht gut ankommen werde, als er den Plan schmiedete, das traditionelle Möbelhaus Pfister an den österreichischen Giganten XXXLutz zu veräussern.
Als es im Herbst 2019 so weit war, verliess der damalige CEO Matthias Baumann Knall auf Fall das Unternehmen – er war nicht in die Pläne eingeweiht. Eigentlich galt der vor 140 Jahren gegründete Möbelhändler als unverkäuflich, umso tiefer war der Schock für die 1800 Angestellten, die Kunden und die heimischen Lieferanten. In den Zeitungen hagelte es empörte Leserbriefe und kritische Kommentare. Wieder ein Traditionsunternehmen, das in ausländische Hände fällt.
«Manchmal muss man die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen übernehmen. Und den Gegenwind aushalten», sagt Obrecht heute. «Inzwischen hat sich gezeigt, dass der Verkauf richtig war.» Seit 2011 ging es abwärts, starker Franken und Einkaufstourismus wirkten lähmend, und mit der internationalen Einkaufspower des rasch expandierenden XXXLutz konnte Pfister nicht mithalten, die Anzahl der Angestellten ging stetig zurück.
Das war der Knackpunkt: Denn das Wohl der Mitarbeitenden war neben der Selbstständigkeit der zweite Grundzweck der F.G. Pfister Stiftung, der das Möbelunternehmen gehörte. «Wir haben uns dann schweren Herzens entschieden, dass wir lieber die Arbeitsplätze sichern als die Selbstständigkeit.» Und das gelang laut Obrecht: So habe das Möbelhaus Pfister in den letzten drei Jahren im XXXLutz-Konzern wieder mehrere hundert Arbeitsplätze aufgebaut.
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TRADITIONSHAUS Der 1984 verstorbene Patron Fritz Gottlieb Pfister (r.) machte das gleichnamige Möbelhaus gross. Seine Ideologie soll nun nach dem Verkauf an XXXLutz in die neue Beteiligungen AG einfliessen.
ZVGTRADITIONSHAUS Der 1984 verstorbene Patron Fritz Gottlieb Pfister (r.) machte das gleichnamige Möbelhaus gross. Seine Ideologie soll nun nach dem Verkauf an XXXLutz in die neue Beteiligungen AG einfliessen.
ZVGGeorg von Schnurbein, Professor für Stiftungsmanagement an der Universität Basel, hat die Umwandlung der F.G. Pfister Stiftung verfolgt, weil es «in vielerlei Hinsicht ein einmaliger Fall ist», wie er sagt. «Es war ein juristischer Winkelzug, dass die Stiftung das angegliederte Möbelgeschäft verkaufen und die Holding behalten durfte.» Ihn habe überrascht, dass die Stiftungsaufsicht da mitgespielt habe. Unklar war lange auch, was mit dem ganzen Vermögen konkret geschehen würde, das sich über Jahre angehäuft hat in der verbliebenen Holding, die zu hundert Prozent der Stiftung gehört.
Im Sitzungszimmer in Suhr erinnert eine Büste an den 1984 verstorbenen Patron Fritz Gottlieb Pfister. Er war ein Selfmademan mit Hang zum Sozialen, bisweilen ein Draufgänger. Als junger Mann ging er nach Barcelona, wo er als Kohlenschaufler anheuerte und bald zum Aufseher von 300 Hafenarbeitern wurde. 1916 stürmte er sogar für den FC Barcelona. Zurück in der Schweiz, wandelte er das verschuldete Bettwarengeschäft seines Vaters um und eröffnete vor genau hundert Jahren die erste Möbel-Pfister-Filiale in Zürich.
Legendär war seine Villa an der Goldküste in Erlenbach, wo Geistesgrössen wie Thomas Mann verkehrten oder auf dem dazugehörigen Fussballplatz schon mal der Grasshopper Club trainierte. Auch Mitarbeitende durften die riesige Gartenanlage nutzen. Zu seinem 80. Geburtstag machte Pfister Vergabungen von vier Millionen Franken: Eine ging an die Angestellten, eine an den Gewässerschutz, eine an den Umweltschutz, und eine an die Jugend – mit der Bedingung, dass die Jungen selber Hand anlegen müssen beim Bau der Jugendhäuser und sich diese nicht einfach vom Staat hinstellen lassen.
Pfister legte Teile der Gewinne schon früh an in breit gestreute Anlagen: Immobilien, Aktien, Obligationen, Beteiligungen. Wie viel Geld nun in der Holding liegt? Wird nirgends ausgewiesen. Wie viel Geld beim Verkauf geflossen ist? «Wir sprechen nicht über Zahlen», so Obrecht. Kolportiert wird eine Summe von mehr als 500 Millionen Franken. Sicher ist: Zusammen mit dem über mehr als hundert Jahren angesammelten Vermögen steht ein ziemlicher Haufen Geld bereit. Was also tun damit?
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Die Idee: ein Firmenmodell, wie es laut Obrecht bisher kein vergleichbares gibt. Ein langsam wachsendes KMU-Imperium mit wohltätigem Arm. Inzwischen sind sechs Unternehmen im Portfolio der Pfister Holding. Anders als die Ernst Göhner Stiftung, die etwa am Logistikunternehmen DSV, am Industriekonzern Huber+Suhner sowie an Sensirion und Siegfried mit jeweils weniger als zehn Prozent beteiligt ist, fokussiert Pfister auf die langfristige Nachfolgelösung in KMUs.
So wird laut Obrecht der Schweizer Wirtschaft besonders gedient. Er verweist auf eine Studie von Dun & Bradstreet, wonach gemäss aktuellster Auswertung hierzulande 93'000 KMUs Nachfolgeprobleme haben. Rechne man im Schnitt mit 10 bis 15 Mitarbeitenden, sei rund eine Million Arbeitsplätze betroffen.
Obrecht und seiner Crew gehe es nicht darum, eine Firma aufzublasen und dann mit Gewinn weiterzuverkaufen. «Wir suchen profitable KMU-Perlen, die bei uns eine langfristige Perspektive erhalten.» Konkret: Firmen mit einem bewährten Geschäftsmodell und einem Umsatz von mindestens zehn Millionen Franken. Sanierungsfälle und Restrukturierungen sind ausgeschlossen und Synergien nicht das Ziel.
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Wichtig sind jedoch die Werte: der Umgang mit den Angestellten und der Umwelt etwa. Angedacht sind vollständige Übernahmen oder Mehrheitsbeteiligungen mit einer Investitionsgrösse, die 50 Millionen Franken nicht überschreiten soll. Ob ein Deal in Frage kommt, lotet Obrecht gerne während Wanderungen mit den Interessenten aus. «Man muss sich quasi ineinander verlieben.»
Foto: Paolo Dutto
Geschehen ist das etwa mit Roland Zaugg. «Ich wollte spätestens mit 50 meine Nachfolge gelöst haben», sagt der Unternehmer am Telefon. Viele Inhaber würden sich damit erst dann beschäftigen, wenn es zu spät sei – bleibt aber die Nachfolge lange unklar, erhöht sich die Gefahr, dass die besten Kräfte abspringen.
Der 48-Jährige aus dem Berner Jura, ein gelernter Lastwagenmechaniker und studierter Wirtschaftsingenieur, hat drei Firmen aufgebaut und beschäftigt heute mehr als 60 Personen. Spezialisiert hat er sich unter anderem auf ergonomische Arbeitsplätze für die Industrie. Da ist viel Ingenieursleistung dabei: multiple Einstellungsmöglichkeiten, Elektronik, Pneumatik, Arbeitstische, die Vibrationen absorbieren und mit diversen Hilfsmitteln zur Steigerung der Produktivität versehen sind. Die grossen Uhrenbrands etwa kaufen bei Zaugg ein. Diese Spezialisierung gefiel Obrecht.
Zaugg wiederum, der nun einen Co-CEO aufbaut, damit er selbst sich dereinst zurückziehen kann, hatte bereits ein Übernahmeangebot einer Private-Equity-Firma ausgeschlagen. «Ich wollte, dass mein Lebenswerk in gute Hände kommt», sagt er. Bei der F.G. Pfister Beteiligungen AG überzeugte ihn, dass sein Geschäft in dieser Form weiter bestehen soll. «Uns redet auch niemand ins operative Geschäft drein.» Pfister stellt in den übernommenen Firmen lediglich jeweils zwei Verwaltungsräte. Zaugg schätzt zudem, dass er jederzeit Expertise einholen und auf das breite Netzwerk zurückgreifen kann.
Zu diesem Netzwerk gehören etwa Reto Welte, der früher als Finanzchef des Industriekonzerns Dätwyler tätig war und heute mit dem Unternehmer Roland Brack (Competec, Brack.ch) im Verwaltungsrat der Pfister Holding sitzt. Brack ist bereits 2014 dem VR beigetreten; gefragt waren damals seine E-Commerce-Erfahrungen. Er sagt: Der Verkauf des Möbelgeschäfts sei ein historischer Entscheid gewesen. «Wir haben uns dabei auch intensiv mit Geschichte und Ideologie von Fritz Gottlieb Pfister auseinandergesetzt.»
Brack geht davon aus, dass dank dem langfristigen Ansatz der Stiftung nun viele attraktive Beteiligungen getätigt werden können. Und man so auch dem Erbe Pfisters weiterhin gerecht werde, dem das Wohl seiner Mitarbeitenden besonders am Herzen lag.
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Jährlich sollen bis zu drei Firmen dazukommen.
Auf die Idee des Beteiligungsmodells kam Obrecht bereits einige Monate vor dem Verkauf an die Österreicher. In seinem Wohnort Balsthal, einem hinter der ersten Jurakette versteckten Dorf im Solothurnischen, betreibt er seit Jahren eine Beratungs- und Coachingfirma für Kaderleute. Im Frühjahr 2019 joggte er eines Abends auf den dortigen Brunnersberg hoch und erinnerte sich an zwei Dinge: Erstens an Bruno Bencivenga, der mit seinem Bruder die Schuhmarke Benci Brothers betreibt und der 2011 noch im Verwaltungsrat der Pfister Holding sass.
«Bruno sagte an einer Sitzung, wir müssten der Schweiz mehr zurückgeben.» Dieser Satz blieb Obrecht im Kopf. Der zweite Aspekt bezieht sich auf Pfister selbst: Der Patron hatte vor 60 Jahren seinen drei Söhnen das Geschäft vermacht – doch das funktionierte nicht. In einem schwierigen juristischen Prozess brach er die Übung ab und gründete darauf die F.G. Pfister Stiftung.
In einem Brief an seine Söhne schrieb er sinngemäss: Wenn ihr euch keine Mühe gebt und euch nicht identifizieren könnt mit dem Unternehmen, dann gebe ich es denen zurück, die mich reich gemacht haben – den Mitarbeitern. Obrecht wollte nun beide Gedanken zusammenbringen: der Schweiz etwas zurückgeben und Arbeitsplätze fördern.
Und dafür war er auf die Kreativität von Stefan Linder angewiesen, der beste Kontakte in die ganze KMU-Welt hat. Den Mitbegründer des Swiss Economic Forum (SEF) und Mitbesitzer der Blausee AG holte er bereits 2018 in den Verwaltungsrat – weil Obrecht wusste, dass es einen Umbruch geben würde.
Linder brachte die Idee ein, wie man eben der Schweiz etwas zurückgeben könne, und setzte ein einzigartiges Modell auf: Die Dividenden der Unternehmen in der F.G. Pfister Beteiligungen gehen nicht in die Tasche von Aktionären, sondern direkt in die eigens dafür gegründete Initiative Schweiz. «Je mehr Unternehmen in der Holding sind, desto mehr Geld wird in die Initiative fliessen», sagt Linder.
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FÖRDERN Blausee-Mitbesitzer Stefan Linder will mit der zu Pfister gehörenden Initiative Schweiz diverse Projekte unterstützen.
Paolo DuttoFÖRDERN Blausee-Mitbesitzer Stefan Linder will mit der zu Pfister gehörenden Initiative Schweiz diverse Projekte unterstützen.
Paolo DuttoUnterstützt werden sollen Projekte in allen Sprachregionen. Das Ziel: die Innovationskraft der Schweiz zu stärken. Jährlich sollen bis zu drei neue dazukommen. Aktuell sind das Projekte wie das Start-up Arboloom, das Becher aus einem Bio-Kunststoff herstellen will, die zweimal weniger Holz benötigen als normale Papierbecher und laut Linder im grossen Stil produziert werden könnten. Ein anderes Projekt nennt sich Entrepreneur Skills: Für Lehrlinge, die später selbstständig sein möchten, wird ein spezieller Lehrgang entwickelt, in dem sie unternehmerisch geschult werden.
Um die Initiative Schweiz bekannt zu machen, wird jährlich der Prix Suisse vergeben. Der erste Preisträger war letztes Jahr Peter Spuhler. Heuer geht der Preis für ihre Forschungsleistung an die Idorsia-Mitgründerin Martine Clozel. Doch wie passen Spuhler und das KMU-Thema zusammen? «Die Preisträger dienen als Vorbild und sollen Ansporn geben», sagt Linder. «Als Peter Spuhler mit 18 Mitarbeitenden startete, wusste er ja auch noch nicht, dass er einen Weltkonzern aufbauen wird.»
Bemerkenswert findet Stiftungs-Experte von Schnurbein, dass die Initiative Schweiz als Non-Profit-Aktiengesellschaft eingetragen worden ist. «Ich habe hierzulande noch nie gesehen, dass eine Förderorganisation als AG gegründet wurde», sagt er. Im Silicon Valley gebe es diesen Trend jedoch bereits. Obrecht begründet die Organisationsform mit der Option, künftig auch mögliche Partner wie Bund, Kantone, Universitäten und Fördervereine «in irgendeiner Form» einzubinden. Aktuell sei das aber noch kein Thema.
KMU-Konglomerat, Förderung von Projekten, Prix Suisse – Obrecht und Linder, und das betonen beide mehrfach, gehe es dabei nicht mehr ums Geldverdienen. Sie bekämen zwar einen «anständigen» Lohn ausbezahlt von der Holding. Wichtiger sei ihnen jedoch, etwas Bleibendes aufzubauen. Etwas, das sie an eine nächste Generation weitergeben. Obrecht sagt: «Schön wäre es, wenn wir einmal oben bei Fritz Gottlieb Pfister auf dem Bänkli sitzen, auf die Erde hinunterschauen und sagen können, dass die Pfister Beteiligungen AG zu einer schweizerischen Institution geworden ist.» Noch ist sie ein kleines Pflänzlein. Es soll nun ruhig und bedächtig zu einem stabilen Baum heranwachsen.
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