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Eine exklusive Studie zeigt, was Schweizer Marken wert sind – und was die Pandemie mit ihnen gemacht hat.
Marc Kowalsky
ROCHE VOR NESTLÉ UND NOVARTIS: Im Rennen um die wertvollsten Marken der Schweiz liegen derzeit die Grosskonzerne vorne.
Mario Wagner / 2 Agenten für BILANZWerbung
Seit dem 8. Juli ist es verschwunden, das schwarz-graue Signet mit den zwei ineinander verschlungenen Buchstaben L und H. Der grösste Zementhersteller der Welt mit Sitz in Zug heisst nun einfach wieder nur Holcim statt Lafarge-Holcim wie seit der Fusion 2015. «Der Name war zu sperrig und transportierte zwei unterschiedliche Tonalitäten», begründet Holcim-CEO Jan Jenisch den Markenwechsel: «Und ein komplett neuer Brand wäre ökonomisch nicht zu rechtfertigen.»
Lafarge wird jetzt nur noch auf den Produkten verwendet, neben Holcim, Aggregates Industries und Ambuja, die je nach Weltregion zum Einsatz kommen. Die Kosten für das konzernweite Rebranding (betroffen sind hauptsächlich Firmenschilder, Briefpapier, Visitenkarten und der Webauftritt) liegen im einstelligen Millionenbereich. Dennoch mussten die Aktionäre als Eigentümer und damit oberste Instanz in jedem Unternehmen über den Namenwechsel abstimmen.
Denn der Wert der Marke Lafarge-Holcim betrug per 30. Juni dieses Jahr, also acht Tage vor dem Verschwinden, stolze 4,125 Milliarden Franken, hatte in der Pandemie sogar über eine halbe Milliarde zugelegt.Auf diese Werte kommt Nik Stucky von der Markenbewertungsagentur Adwired. Exklusiv für BILANZ hat er die 100 wertvollsten Schweizer Marken ermittelt. Seine Konklusion: «Die Schweiz ist ein Markenland.» 196 Milliarden Franken sind die Top-100-Marken zusammen wert, das sind 27 Prozent des BIP. Im Markenschwergewicht USA machen die 100 wertvollsten Brands wie Apple, Amazon, Google oder Tesla nur 19 Prozent der volkswirtschaftlichen Leistung aus, in Frankreich geschätzte 14, in Deutschland gar nur 9 Prozent.
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Was ist eine Marke wert? Die sonst übliche Marktmethode – Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis – fällt aus, werden reine Marken doch nur selten verkauft. Nik Stucky von der Agentur Adwired benutzt stattdessen künstliche Intelligenz: Der «Brand Ticker» durchforstet jeden Tag 460 Millionen Quellen im Internet, sowohl Social Media, Foren und Blogs als auch mehrere tausend klassische Print- und Onlinemedien vor und hinter der Paywall, in über 20 Sprachen. Die Aussagen und Kommentare in Bezug auf tausend Marken (davon rund hundert aus der Schweiz) werden systematisch gesammelt und nach mehr als einer Million Suchdetektoren ausgewertet. Negative Aussagen werden dabei von den positiven abgezogen und ins Verhältnis zu allen Aussagen gesetzt, um kleine mit grossen Marken vergleichen zu können. Die Ergebnisse der Suchroboter werden mit aktuellen Finanzmarktdaten verbunden. Denn auch die Grösse einer Firma oder eines Produkts unter einer Marke hat einen Einfluss auf deren Wert. Ebenfalls wichtig: Der Anteil des Brands im Markenportfolio des Unternehmens. Setzt eine Firma alles auf eine Marke, hat diese – bei gleicher Firmengrösse – einen höheren Wert als bei einer Markenportfoliostrategie. Und schliesslich der Markenbeitrag, der sich je nach Branche unterscheidet: In der Mode- oder Uhrenindustrie etwa ist die Marke deutlich wichtiger als im öffentlichen Verkehr oder im Bauwesen. Aus all diesen, teils tagesaktuellen Faktoren errechnet Adwired den laufenden finanziellen Wert der Marke. Die Zeitreihen reichen dabei zurück bis 2015.
Und wer jetzt klischeemässig denkt, die Schweizer Markenlandschaft bestehe hauptsächlich aus Uhren, Banken, Käse und Schokolade, hat nicht ganz unrecht. Pharma und Biotech machen allerdings den grössten Anteil unter den Top-100-Brands aus, vor Finanzdienstleistungen, Nahrungsmitteln und Uhren.
Welches aber sind die wertvollsten Schweizer Marken? Ganz vorne, so die Analyse von Adwired, liegen Roche, Nestlé, Novartis, UBS, ABB und Zurich – typische Grosskonzerne also. Kein Zufall, ist die Grösse eines mit der Marke verbundenen Geschäfts doch ein wichtiger Faktor für deren Wert. Erst auf Platz 7 und 8 liegen mit Rolex und Logitech Brands, die eher kleineren Konzernen gehören.
Die erste Marke, die primär als Produktbrand wahrgenommen wird, kommt mit Nespresso (3,4 Milliarden) auf Platz 17. Auf Platz 100 und damit dem Schlussrang unter den untersuchten wertvollsten Schweizer Marken liegt der Uhrenhersteller Girard-Perregaux.
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Noch spannender freilich: Wie hat sich die Pandemie mit ihren Shutdowns, Reiseverboten und dem Homeoffice auf die Brands ausgewirkt? Dazu verglich Adwired den aktuellen Markenwert mit jenem von 2019. Das Fazit: «Corona ist als Krise näher am Konsumenten, als es etwa die Finanzkrise war. Deshalb haben Konsumgütermarken, die nicht unbedingt notwendig sind, gelitten – wie etwa Uhren», sagt Stucky. Grundversorger wie Migros, Coop oder auch Nestlé sind einigermassen unbeschadet durch die Krise gekommen.
Wer jedoch zur Bewältigung der Pandemie beigetragen hat – die Pharmakonzerne mit Tests und Impfungen, die Banken mit der Verteilung der Hilfsgelder, die Post in Zeiten des Homeshoppings –, konnte auch beim Markenwert zulegen. Allen voran Logitech, die ihren Markenwert fast verdreifachen konnte: Kein Wunder, hat der Elektronikkonzern mit Doppelsitz in Lausanne und dem Silicon Valley doch so ziemlich alle Homeoffices des Landes ausgerüstet mit Videokameras, neuen Tastaturen und Mäusen, aber auch Gaming Equipment für die plötzlich entstandene Freizeit daheim.
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«Die Marke hat die Themen Konnektivität und Innovationen belegt, die Firma ist zudem stark im Marketing», sagt Stucky. Auch Lonza, die das in der Schweiz verabreichte Vakzin von Moderna herstellt, konnte stark profitieren (plus 85 Prozent). Und auch Roche gehört zu den Pandemiegewinnern: Der Pharmariese legte über 4,4 Milliarden an Markenwert zu, mehr als jede andere Schweizer Firma. In der Tabelle der Top-10-Gewinner ist Roche trotzdem nicht aufgeführt, da das relative Plus angesichts des bereits gewaltigen Markenwerts von 18,4 Milliarden überschaubar ist. Interessanterweise verbucht Konkurrent Novartis keinen Zugewinn: Anders als Roche trat Novartis nicht mit Corona-Tests in Erscheinung. Ein Impfgeschäft betreiben beide nicht.
Der starke Anstieg von Kühne+Nagel ist branchenbedingt: Weltweit haben die Logistiker speziell dieses Jahr stark zugelegt. Auch Sunrise gehört zu den Gewinnern, sind doch die Menschen im Zeitalter des Homeoffice auf gute Verbindungen so sehr angewiesen wie noch nie. Kaum davon profitieren konnte jedoch Swisscom: Die Pannenserie bei den Notfallnummern wurde ihr zum Verhängnis, und die 186-Millionen-Franken-Strafe wegen Marktmissbrauch bei ADSL-Leitungen hat der Reputation auch nicht geholfen.
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Ein Sondereffekt tritt bei den Uhrenmarken Hublot, TAG Heuer und Zenith auf: Sie alle gehören zum französischen Luxusmarkenkonzern LVMH und profitieren davon, dass der Aktienkurs des Mutterhauses und damit der Firmenwert massiv gestiegen ist.
Die – ebenfalls französische – Konkurrenz von Kering kann davon nur träumen: Ihre Schweizer Uhrenmarken Girard-Perregaux und Ulysse Nardin gehören zu den drei Marken, die relativ am meisten von ihrem Wert verloren haben. Die Misere ist selbst verschuldet: Der Entscheid, die Produktion von Girard-Perregaux grösstenteils zu Ulysee Nardin zu verlegen, schadete dem Brand ebenso wie die hohen Rabatte diverser Händler. Hinzu kamen Massenentlassungen (ein Viertel der Angestellten musste gehen) und Verkaufsgerüchte – eine für Marken tödliche Melange.
Bei OC Oerlikon kamen verschiedene Effekte zusammen, sodass der Industriekonzern gleich 37 Prozent seines Markenwerts verloren hat: Der Umsatz schrumpfte um 20 Prozent, der Aktienwert halbierte sich beinahe, in den Medien findet OC Oerlikon kaum mehr statt. «Wenn eine Marke nicht kommuniziert, hat sie es schwer, ihren Wert zu halten», sagt Stucky. Und der Insidertrading-Fall Hans Ziegler hat auch nicht zu einer positiven Reputation beigetragen.
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Für den Sicherheitstechnikhersteller Dormakaba waren die Rahmenbedingungen schlecht: Bürogebäude und Flughäfen als wichtige Märkte haben in den letzten eineinhalb Jahren nicht gerade dynamisches Wachstum verzeichnet. Bereits zuvor hatte der Konzern seine Margen- und Wachstumsziele jahrelang nie erreicht, der Aktienkurs stagnierte trotz starker Börsenjahre.
Ein Spezialfall ist die Swiss: Dort ging der Markenwert streckenweise um bis zu 89 Prozent zurück! Kein Wunder, galten Flugzeuge doch als Ansteckungsherd par excellence. Dass die Swiss ebenso wie viele Airlines die Kapazitäten massiv abbauen musste, hat der Marke ebenfalls nicht geholfen.
«In anderen Ländern haben die Top 100 die Pandemie besser gemeistert als in der Schweiz.»
Besonders schädlich für die Reputation jedoch war im Fall der Swiss der monatelange Unwille oder die Unfähigkeit, bereits bezahlte Tickets zurückzuerstatten, die während der Pandemie nicht abgeflogen werden konnten. Seit sich der Flugverkehr ab diesem Frühling langsam wieder erholt, hat die Swiss in Sachen Markenwert jedoch wieder viel Boden gutmachen können.
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Bei Marken, die nicht börsennotiert sind, fällt die Veränderung weniger deutlich aus – schliesslich werden die Finanzdaten nur einmal im Jahr erhoben statt wie bei den börsenkotierten Firmen täglich. Im Vergleich zur Zeit vor der Krise sind die 100 wertvollsten Schweizer Marken gesamthaft um zehn Prozent gewachsen. Das klingt nach viel. In anderen Ländern haben die Top 100 die Pandemie aber noch besser gemeistert: Die US-Bestmarken legten um 43 Prozent zu, die französischen um 29, die deutschen um 25 Prozent.
Interessant auch, welche Marken von der Presse und in den sozialen Medien am kritischsten gesehen werden. Dafür hat Adwired die Anzahl der negativen Konnotationen von den positiven abgezogen (Media-Net-Promoter-Score) und diesen Wert auf einer Skala von 1 bis 100 normalisiert. Am schlechtesten schneidet dabei – wenig überraschend – Glencore ab.
Der Rohstoffmulti wird immer wieder wegen Umweltschäden und Arbeitsbedingungen kritisiert und galt als eine der Hauptzielscheiben der Konzernverantwortungsinitiative. Auch der Verpackungshersteller SIG Combibloc sowie Stadler Rail schneiden schlecht ab: Der Bahnkonzern wird wiederholt für seine Geschäfte mit Potentaten kritisiert. Als innovativste Schweizer Marke gilt – ebenfalls wenig überraschend – Logitech, vor dem Sanitärhersteller Geberit und dem Duftproduzenten Givaudan. Als ökologischste Marke wird Chopard wahrgenommen, was viel mit den Bemühungen zu tun haben dürfte, nur nachhaltig erzeugte und fair gehandelte Rohmaterialien zu verarbeiten. So ist Chopard weltweit der mit Abstand grösste Abnehmer von «Fairmined Gold».
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Auch Swatch und Nespresso werden als nachhaltig wahrgenommen, Letztere trotz oder sogar wegen der Diskussion um das Recycling der Aluminiumkapseln.
Bald dürfte wieder eine Marke aus dem Schweizer Landschaftsbild verschwinden. Den Markenwert hat Adwired nicht berechnet, weil es kein Schweizer Brand ist. Doch ist er hierzulande allgegenwärtig und bei den Konsumenten stark verankert. Dennoch sind die Tage des schwarzen Schriftzuges mit dem blauen Artischocken-Logo wohl gezählt: UPC hat in der Schweizer Telekom-Landschaft nach der Fusion mit Sunrise keine Zukunft mehr. «Sunrise ist die bessere Marke für die Schweiz», sagt Stucky. Noch kannibalisieren sich die beiden. «Wird UPC aufgegeben, ist das kein Verlust, sondern mittel- und langfristig ein Gewinn.»
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