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Gespräch

Logitech-Präsidentin Wendy Becker: «Die Welt spielt gerade verrückt!»

Logitech-Präsidentin Wendy Becker über den Niedergang des Aktienkurses, den weltweiten Chipmangel und das Metaverse.

Marc Kowalsky

Logitech-Präsidentin Wendy Becker in London.

GEDIEGENES DAHEIM: Wendy Becker in ihrem Londoner Zuhause: «Ich hoffe, dass auch wir eine Schweizer Ikone sind!»

Jérémie Souteyrat

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Es herrscht das übliche Londoner Schmuddelwetter, als Wendy Becker die Tür öffnet im noblen Stadtteil Kensington, unweit vom Hyde Park. Ihr gediegenes Reihenhaus ist sehr klassisch eingerichtet, auf einem Podest prangt ein riesiger Buddhakopf, auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer steht ein grosser iMac, im Untergeschoss ein Peloton-Fitnesstrainer mit Blick auf den Garten. Zur Tea Time serviert die Haushälterin Iced Cakes.

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Wendy Becker, Sie stehen seit zweieinhalb Jahren an der Spitze von Logitech. Sie haben trotzdem noch nie ein Interview gegeben. Warum?
Nun, wir wollten auf den besten Journalisten warten … (lacht).

Vielen Dank, aber was ist der wahre Grund?
Der wahre Grund ist Corona. Logitech ist die letzten zweieinhalb Jahre sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um die Folgen der Pandemie zu meistern. Und meine Rolle als Chairman ist es natürlich, der Firma dabei zu helfen.

Interessant, dass Sie «Chairman» sagen …
Ja, ich weiss, das muss ich mir noch abgewöhnen. Chairperson, Chair of the company …

Haben Sie am 20. September eine Flasche Champagner geöffnet?
20. September? Was war da?

An diesem Tag wurde Logitech in den Blue-Chip-Index SMI aufgenommen.
(Lacht.) Ich versuche jeden Tag, eine Flasche Champagner zu öffnen. Im Ernst: Dieses Jahr gab es viel zu feiern bei Logitech. Wegen des SMI, aber auch, weil Logitech heuer den 40. Geburtstag gefeiert hat.

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Multinational

Wendy Becker (56) ist seit September 2019 Präsidentin von Logitech und damit die einzige Frau an der Spitze eines SMI-Konzerns. Die gebürtige Amerikanerin mit britischem und italienischem Pass studierte in Stanford, arbeitete bei Procter & Gamble und war als Partnerin bei McKinsey zuständig für das britische Konsumgütergeschäft. Danach wechselte sie zu den Telcos TalkTalk und Vodafone, bevor sie den britischen Kleiderhändler Jack Wills erst als COO, dann als CEO führte. Sie sitzt auch im Board von Sony, der Immobilienfirma Great Portland Estates und in diversen Gremien der Universität Oxford. Becker ist mit einem italienischen Mathematiker verheiratet, der elf Sprachen spricht, und hat drei erwachsene Kinder.

Für Logitech flog die Swatch Group aus dem SMI, eine Schweizer Ikone. Was bedeutet das für Sie?
Ich hoffe, dass auch wir eine Schweizer Ikone sind! Die Schweiz ist der Kern unserer Gründungsgeschichte, die Schweizer Werte sind die Werte von Logitech. Wir sind also unglaublich stolz, jetzt im SMI vertreten zu sein.

Wenn die Swissness so wichtig ist: Warum verwenden Sie die – anders als viele Firmen – nicht als Marketinginstrument? Gerade in einer Branche, die amerikanisch-asiatisch dominiert ist?
Wir betonen die Bedeutung der Schweizer Präzisionsingenieurskunst immer in den Gesprächen mit Journalisten und Investoren. Aber unser Marketing ist nicht auf Geografien bezogen, da wir uns auf die Technologie und ihren Nutzen für die User fokussieren.

Das tut Apple auch und schreibt trotzdem auf die Verpackungen «Designed in California». Warum nutzt Logitech nicht «Engineered in Switzerland»?
Wir benutzen in einigen kleineren asiatischen Märkten tatsächlich das Schweizerkreuz und «Swiss Technology Company». Aber ich werde die Idee gerne an das Marketingteam weiterleiten.

Logitech hat den zweiten Hauptsitz in Kalifornien, Sie produzieren in China. Macht Ihnen der Handelskrieg zwischen USA und China Angst?
Wir verfolgen das Thema die ganze Zeit, aber Logitech mischt sich nicht in politische Fragen ein und kommentiert sie nicht. Als Schweizer Firma ist uns die Schweizer Neutralität sehr wichtig.

Das würde jede andere Schweizer Exportfirma von ABB bis zum KMU so unterschreiben. Und trotzdem leiden einige.
Ja, viele leiden. Aber unser Business ist global, und wir konnten unsere Lieferketten und Teile der Produktion anpassen. Zölle haben wir durch Kostensenkungen ausgeglichen.

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Foto: Jérémie Souteyrat für BILANZ

Logitech ist ein Pandemiegewinner: Letztes Jahr wuchs der Umsatz um 76 Prozent, gerade haben Sie wieder ein Rekordquartal gemeldet. Wie skaliert man einen ja vorher schon grossen Hardwarehersteller um solch einen Faktor?
Unsere Leute haben einen tollen Job gemacht, wirklich einzigartige Lieferketten aufzubauen. Wir stellen 50 Prozent unserer Produkte selber her und haben sehr weit zurückgehende Beziehungen mit unseren Lieferanten – wir sind regelmässig mit denen in Kontakt. Die anderen 50 Prozent lassen wir produzieren, das gibt uns sehr viel mehr Flexibilität. Aber das Wichtigste ist, dass wir eine unglaublich dezentralisierte Unternehmung haben mit guten Leuten, die im richtigen Moment eingreifen und reagieren. Uns hindert beim Skalieren also kein Flaschenhals.

Entsprechend ist damals auch der Aktienkurs explodiert. Aber seit Juni ist er wieder um 40 Prozent gesunken. Wie erklären Sie das Ihren Investoren?
Wir schauen das zugrunde liegende Geschäft an, und das fühlt sich sehr stark an: Das letzte Quartal war für viele Firmen ein sehr schwieriges, aber wir konnten weiterwachsen. Seit der Pandemie hat sich der Kurs verdoppelt, ein unglaublicher Lauf! Aber die Aktionäre tun, was sie für richtig halten, sie steigen ein und halt auch wieder aus. Wir bevorzugen bei Logitech natürlich langfristige Investoren.

War Corona ein Einmal-Effekt für Logitechs Umsätze, oder werden die Auswirkungen bleiben?
Zunächst sind wir ja leider noch lange nicht am Ende dieser Pandemie. Es ist also noch zu früh, um die Effekte abschliessend zu beurteilen. Was wir aber glauben: Corona hat die vier langfristigen Trends, auf denen unsere Strategie aufbaut, enorm beschleunigt: Arbeiten und Lernen von überall aus, sei es zu Hause, in der Hotellobby oder im Coworking Space. Damit verbunden die Allgegenwart von Videokonferenzen. Gaming wird immer beliebter. Und die Demokratisierung der Inhalterstellung, durch YouTube, Facebook oder Twitch. All das hat schon vorher begonnen, aber die Pandemie hat das Spotlight darauf gerichtet. Das ist positiv für uns – unabhängig von den ganzen Tragödien durch Corona rund um die Welt.

Sie sitzen in zahlreichen Boards. Wie viel Prozent Ihrer Zeit widmen Sie Logitech?
Das variiert jeden Monat, je nachdem, ob wir VR-Sitzung haben oder nicht. Es sind wohl 15 bis 25 Prozent meiner Zeit. Wenn nicht gerade Pandemie ist, versuche ich auch die verschiedenen Standorte zu besuchen oder Investoren zu treffen.

Sie sitzen auch im Board von Sony, die ebenfalls Unterhaltungselektronik herstellt. Inwieweit gibt das Synergien mit Ihrer Arbeit bei Logitech?
Ich spreche nicht über Sony, die sind dort sehr sensibel – das ist Teil der japanischen Kultur. Aber bei allen VR-Mandaten ist es interessant, wie sich der Fokus auf das Thema Governance gerichtet hat. Und man sieht Synergien im Bereich Nachhaltigkeit, bei der Rekrutierung von Talenten und grundsätzlich bei allen Geschäften mit Konsumenten. Man lernt ständig.

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««Als Schweizer Unternehmen ist uns die Schweizer Neutralität sehr wichtig.»»

Wendy Becker

Beide Firmen sind auch Konkurrenten, etwa bei Lautsprechern, Kopfhörern oder Videokameras. Wie gehen Sie mit diesem Interessenkonflikt um?
Das Produktportfolio überlappt sich nur zu einem sehr kleinen Teil – Sony hat ja auch noch das Filmgeschäft, das Plattenlabel, eine Versicherungssparte. Zudem gibt es bei beiden Firmen klare Prozesse, was passiert, wenn man in eine Konfliktsituation zu kommen meint.

Wenn Ihre Beschaffung so toll ist, wie Sie vorher gesagt haben: Wieso hat Logitech dann gerade erst «noch nie da gewesene Probleme mit der Lieferkette» gemeldet?
Das ist ein Problem der ganzen Industrie, nicht nur der Elektronikbranche. Dass die Frachtschiffe sich vor dem Hafen von Long Beach oder in China stauen, ist eine Realität, ebenso die unglaubliche Komplexität der Luft- und Seelogistik. Dennoch sind wir letztes Quartal gewachsen, ich denke also, wir haben gut reagiert. Aber die Welt spielt gerade verrückt!

Hinzu kommt die weltweite Knappheit an Chips. Sony leidet schon seit eineinhalb Jahren darunter, weshalb die neue Playstation kaum zu kaufen ist. Warum haben Sie das nicht kommen sehen auch für Logitech?
Bei Logitech haben wir das dank unserer Verbindungen in der Branche durchaus kommen sehen. Viele unserer Produkte benötigen ja Halbleiter. Wir haben das gut gemanagt. Wir haben unsere Lieferketten erweitert und bei verschiedenen Quellen auf Vorrat gekauft. Die Automobilhersteller haben ein viel grösseres Problem durch den Chipmangel als wir!

Sony ist eine starke Marke. Logitech ist viel kleiner und verzettelt sich dann noch in zahlreichen Untermarken wie Blue, Astro oder Ultimate Ears, die nicht auf den Brand einzahlen. Warum tun Sie das?
Logitech ist mit mehreren Brands in mehreren Kategorien aufgestellt. Wir versuchen, die jeweils spezifischen Kundenbedürfnisse zu verstehen – mit unseren JayBird-Kopfhörern etwa jene der Sportler oder mit Logitech G jene der Gamer. Diese Leute sehen sich selbst als ein spezielles Kundensegment. Und dafür müssen die Marken auch jeweils speziell positioniert sein.

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Ihr Smart-Home-Geschäft haben Sie gerade eingestampft. Warum?
Wir haben den Investoren immer gesagt, dass wir manche Bereiche neu betreten und manche verlassen würden. Das Smart-Home-Geschäft war eine Weile erfolgreich, unsere Harmony-Fernbedienungen sind ja auch gute Produkte. Aber es hat zum Schluss nur noch ein Prozent des Umsatzes ausgemacht. Wir versuchen, unser Kapital verantwortungsbewusst einzusetzen. Die vier anderen Sparten skalieren einfach besser.

Dann schliessen Sie als Nächstes die Sparte Mobile Lautsprecher? Die machen auch nur drei Prozent des Umsatzes.
Das sind tolle Produkte, wenn auch nicht ganz so erfolgreich wie die vier Bereiche, auf die wir uns fokussieren. Aber nein, wir haben derzeit keine Pläne, dieses Geschäft aufzugeben.

Wenn Sie sich nur auf vier Bereiche fokussieren, lassen Sie alles andere liegen? Auch den Markt für intelligente Sprachassistenten wie Alexa oder Ortungschips wie Apples Airtags haben Sie verpasst.
Nein, wir prüfen ständig neue Gelegenheiten, das ist Teil unserer Strategie. Wir haben Blue Sky Sessions, wir reden mit dem Markt, wir sind im Silicon Valley und in Taiwan präsent, um Trends aufzuspüren und deren Marktpotenzial einzuschätzen. Die Schwelle, dass wir uns von unseren strategischen Bereichen ablenken lassen, ist einfach relativ hoch.

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Wendy Becker

EINZIGE SMI-PRÄSIDENTIN: «Ich bin gegen Quoten. Man erzielt bessere Resultate, wenn sich die Leute freiwillig entscheiden, das Richtige zu tun.»

Jérémie Souteyrat für BILANZ
Wendy Becker

EINZIGE SMI-PRÄSIDENTIN: «Ich bin gegen Quoten. Man erzielt bessere Resultate, wenn sich die Leute freiwillig entscheiden, das Richtige zu tun.»

Jérémie Souteyrat für BILANZ

Was also ist das nächste grosse Ding in der Unterhaltungselektronik?
Wenn ich eine Kristallkugel hätte, würde ich in genau die Richtung rennen, die sie anzeigt. Aber ich bin bei Logitech nicht der strategische Visionär. Die Unterhaltungselektronik bewirkt gerade fundamentale Veränderungen in der Gesellschaft, wie die Menschen leben, arbeiten und spielen. Da sind wir mit unseren vier strategischen Säulen gut positioniert.

Glauben Sie an Augmented und Virtual Reality?
Das sind interessante Gebiete, die wichtig werden. Man sieht ja schon einige spannende Anwendungen für die VR-Brillen, nicht nur im Gaming. Ich erlebe das zum Beispiel bei der Immobilienfirma, bei der ich im Board sitze – da kann man virtuell durch Gebäude wandern, bevor noch mit dem Bau begonnen wurde.

Glauben Sie an Mark Zuckerbergs Vision vom Metaverse?
Ich persönlich ja.

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Schwarz oder weiss, Frau Becker?

Android oder iPhone? 

iPhone, weil mir die Benutzeroberfläche und das geschlossene System gefallen.

«Financial Times» oder «Wall Street Journal»? 

«Financial Times». Ich mag die Tiefe ihrer Recherche. Und die britische Berichterstattung ist breiter.

British Airways oder Swiss? 

Ich mag Swiss, aber nur 20 Prozent meiner Reisen gehen in die Schweiz – der Rest irgendwo in die Welt. Also BA.

Remain oder Leave? 

(Lacht.) Da können wir jetzt Stunden diskutieren! Aber das Land hat entschieden, die EU zu verlassen.

Stanford oder EPFL? 

Ui … Ich liebe die EPFL, und ich hatte vor Logitech nie von ihr gehört. Aber der Wille zur Innovation, die Kreativität der Ingenieure und ihr Anspruch sind toll.

Newark oder Lausanne? 

Lausanne. Eine schöne Stadt mit hoher Diversität und beeindruckendem Stolz.

Fondue oder Fish & Chips? 

Ich liebe Fondue! Als Kind war das immer unser Weihnachtsessen – erst Käsefondue, dann Schokoladenfondue! Weil ich so viel Fondue haben wollte wie möglich.

Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg? 

Jeff Bezos. Von dem kaufe ich mehr.

Welche Geschäftschancen würde das für Logitech bieten?
Die wären riesig! Es geht im Metaverse ja darum, Leute über die Cloud miteinander zu verbinden und interagieren zu lassen. Das ist genau, was Logitech tut. Für die Content Creators könnten wir etwa im Kamerabereich viel machen. Oder wir könnten sehr viel interaktivere Tastaturen, Mäuse und andere Peripheriegeräte entwickeln für den Zugang zum Metaverse.

Sie sind die einzige Frau, die einen Schweizer SMI-Konzern präsidiert. Wie ist die Situation in Grossbritannien? 
Der Börsenindex FTSE umfasst 100 Titel, nicht 20 wie der SMI, aber es gibt mehr als zehn Frauen an der Spitze der 100 wichtigsten Unternehmen. Grossbritannien ist auf diesem Weg schon weiter als die Schweiz.

Befürworten Sie Quoten? 
Hier gibt es die für die Besetzung der Boards. Ziele sind eine gute Idee, dann kann man den Fortschritt messen. Aber ich bin gegen Zwang. Man erzielt bessere Resultate, wenn sich die Leute freiwillig entscheiden, das Richtige zu tun.

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