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Klienten verlangen von ihren Anwälten Alternativen zur Abrechnung nach Stunden. Der Trend aus dem Ausland schwappt in die Schweiz.
Monica Fahmy
Der Trend zu alternativen Pricing-Modellen könnte den Einsatz von Juniors in Kanzleien reduzieren.
Suse Heinz / AI Artists für BILANZ. Diese Illustration wurde u.a. vom KI-Modell Midjourney generiert und von Suse Heinz überprüft und finalisiert, PDWerbung
Die Uhr tickt, fasse dich kurz! Mit diesem Imperativ im Kopf beginnt für viele Klienten das Gespräch mit ihrem Anwalt. Die «Billable Hour», die verrechenbare Stunde, ist seit Jahrzehnten die übliche Basis für die Rechnungsstellung von Anwaltskanzleien. Jede Minute kostet. In den usa und Grossbritannien ist dieses Modell nun stark unter Druck. Klienten forderten Alternativen, um die Kosten besser im Griff zu haben.
Nach anfänglichem Zögern – kein Anwalt wollte die heilige Kuh der Billable Hours schlachten – kamen etliche Kanzleien dem Kundenwunsch nach, wie eine Untersuchung in England ergab. Kleine und mittlere Kanzleien waren dabei empfänglicher für alternative Pricing-Modelle.
Die Befragung von über 250 Anwälten und Juristen ergab, dass andere Entlöhnungsmodelle, etwa Erfolgshonorare, Pauschalen oder Kostendächer, mittlerweile häufiger vorkommen als die Abrechnung nach Stunden (46 gegenüber 40 Prozent). Ungefähr 85 Prozent der Anwaltskanzleien geben an, dass sie auf Nachfrage ihrer Mandanten alternative Abrechnungsmethoden anbieten müssten. Und von den Rechtsabteilungen in den Unternehmen geben 81 Prozent an, dass sie andere Honorarformen nutzen, um Kosten zu senken. Die Anzahl Kanzleien, die Alternativen zur Abrechnung nach Stunden anbieten, ist seit der Pandemie deutlich gestiegen.
Hierzulande wurde alternatives Pricing zwar durchaus schon besprochen, etwa an einer Tagung der Universität St. Gallen 2019. Dennoch ist die Abrechnung nach Stunden noch das häufigste Modell. Gefolgt von Pauschalen. «In kleineren und überschaubaren Angelegenheiten erhalten wir oft Anfragen, ob wir Mandate zu einem Pauschalpreis übernehmen können», sagt Gennaro Mastronardi von Graf & Mastronardi Rechtsanwälte in Baden. Dabei gehe es den Rechtssuchenden vor allem um die Kostensicherheit. «Sie möchten genau wissen, welche Kosten sie für die eigene anwaltliche Vertretung und für ein Verfahren vor Gericht im Falle eines Obsiegens oder Unterliegens zu tragen haben werden.»
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Die folgenden Pricing-Modelle werden auch in der Schweiz vermehrt nachgefragt.
Flat Fees
Bei Pauschalhonoraren vereinbaren Klienten und Anwälte einen im Voraus festgelegten Betrag für eine bestimmte Rechtsdienstleistung. Der Vorteil ist die Planbarkeit der Kosten respektive des Aufwands. Für Kunden können Pauschalen den Nachteil haben, dass der Anwalt die Extrameile nicht mehr geht. Anwälten kann es passieren, dass ihr Aufwand deutlich grösser ist als das Honorar.
Capped Fees
Grundlage bei gedeckelten Honoraren ist das altbekannte Modell der Stundenabrechnung. Es wird allerdings eine vereinbarte Kostenobergrenze ausgemacht. Klienten haben die Kosten im Griff, Anwälte können ihren Aufwand planen. Nachteil ist auch hier, dass Anwälte unter Umständen die letzte Meile nicht gehen oder einen höheren Aufwand nicht vergütet bekommen.
Blended Fees
Eine Mischrechnung, bei der ein Durchschnitt zwischen Junior- und Senior-Stundensätzen verrechnet wird. Wenn vor allem Seniors die Arbeit erledigen, dann sind Blended Fees für den Klienten natürlich vorteilhaft. Anders sieht es aus, wenn die Arbeit praktisch nur von Juniors erledigt wird, der Kunde aber auch Senior-Leistungen bezahlt.
Upsides / Success Fees
Was eine Success Fee, eine Erfolgsprämie, ist, sagt schon der Name. Im Fall eines Upside erhält der Anwalt unabhängig vom Ausgang des Falls ein Basishonorar plus im Gewinnfall zusätzlich ein im Voraus bestimmtes Erfolgshonorar.
Unbundled Legal Services
Bei ungebündelten Rechtsdienstleistungen wählen die Mandanten bestimmte Aufgaben aus, die sie selbst erledigen und dafür nichts zahlen, etwa den Entwurf eines Vertrags. Der Anwalt redigiert ihn noch. Der Klient bezahlt die beanspruchten Dienstleistungen.
Abonnements
Bei Abonnements beanspruchen Klienten, typischerweise Rechtsabteilungen von Unternehmen, bestimmte Dienstleistungen regelmässig, etwa bei der Beratung in arbeitsrechtlichen Fragen. Die Kosten sind übersichtlich. Sowohl Klienten wie Kanzleien müssen bei diesem Modell stark darauf achten, dass nicht zu viele respektive zu wenige Leistungen abgerufen werden.
Ratenzahlungen
Manche Kanzleien akzeptieren Zahlungen auf Raten. Unter Umständen wird dabei auch ein Zins erhoben.
Klienten sind bereit, auch hohe Rechnungen für die Dienstleistungen von Seniors zu bezahlen, schauen aber bei verrechneten Junior-Stunden genau hin oder sind nicht mehr willig, sämtliche Junior-Stunden zu zahlen – vor allem nicht, wenn die Angelegenheit für die Klienten unangenehme Folgen haben könnte. Diese Beobachtung einer Juristin einer grossen Anwaltskanzlei in Zürich machen auch andere Anwälte: Wenn es brennt, will man jemanden mit Erfahrung. Juniors sind zwar günstiger, wissen aber nicht immer, worauf sie bei einer drängenden Angelegenheit den Fokus richten müssen.
Er könne sich vorstellen, dass bei Klienten die Tendenz bestehe, weniger Junior-Stunden bezahlen zu wollen, sagt Thomas Schönenberger, Partner von Bratschi und Präsident des St. Galler Anwaltsverbands. Dadurch könnte bei Kanzleien die Versuchung bestehen, weniger Juniors einzusetzen. So könnten diese aber keine Erfahrung sammeln und würden dementsprechend nie oder zumindest nicht in vernünftiger Frist zu Seniors. «Solche Kanzleien bekommen früher oder später ein Nachfolgeproblem», so Schönenberger. Eine grosse Herausforderung. Mit der Konsequenz: Auch wenn die Dienstleistung nicht immer verrechnet werden kann, kommen Juniors in Kanzleien dennoch zum Einsatz, sozusagen als Investition in die Zukunft.
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Die Nachfrage nach alternativen Pricing-Modellen ist bei bestimmten Kanzleien gross. Auch bei CMS von Erlach Partners war es früher üblich, dass die Senior-Partner ihre Stunden aufschrieben. Heute ist unternehmerisches Denken gefragt. «Die Kundinnen und Kunden wollen Value for Money, und wir müssen sicherstellen, dass sie den auch bekommen», sagt Stefan Brunnschweiler, Managing Partner von CMS Schweiz. CMS biete weltweit mehr als 50 Pricing Modelle an und beschäftige mittlerweile Pricing-Spezialisten, die das passende Modell mit der Procurement-Abteilung der Klienten besprechen. «Bei aufwändigen Transaktionen wie Unternehmenskäufen ist es für den Klienten frustrierend, wenn der Kauf nicht über die Bühne geht, er aber auf hohen Fees sitzt», so Brunnschweiler. CMS biete in solchen Fällen einen sogenannten Broken Deal Discount an, der je nach Fall rund 15% oder auch mehr betragen kann. Der Kunde zahlt also weniger, wenn der Deal nicht abgeschlossen wird. Gleichzeitig wird zunehmend ein Upside für die Anwälte vereinbart, indem gute Arbeit bei einem erfolgreichen Abschluss mit einem Zuschlag vergütet wird.
Solche Modelle sind für Klienten oftmals noch interessanter als Fee Caps und Fixed Prices. Ob der Anreiz für den Anwalt dabei immer der richtige ist, darüber lässt sich diskutieren. Wenn der Rechtsanwalt bei einer schwierigen Transaktion auf Basis ihres Abschlusses bezahlt wäre, hätte er einen Anreiz, dass schnell unterschrieben würde, was allerdings nicht unbedingt dem Klienten dient. Denn die Aufgabe des Anwalts wäre eigentlich, den Kunden bis zuletzt auf möglicherweise nachteilige Punkte hinzuweisen. Dann wäre die Abrechnung nach Stunden zwar unter Umständen teurer, aber sicherer für den Klienten.
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Pauschalen sind hierzulande noch die häufigste Alternative zur Abrechnung nach Stunden. Bei den im Kanton Bern praktizierenden Anwälten würden in Honorarvereinbarungen ebenfalls vermehrt Pauschalen vorgesehen, sagt Andreas Güngerich, Präsident des Bernischen Anwaltsverbands: «Gleichwohl bilden solche Vereinbarungen längst nicht die Regel.» Pauschalen eigneten sich bei planbarem Aufwand, etwa bei Vertragsredaktionen, Gutachten oder Rechtseinschätzungen, so Güngerich. «Nicht geeignet sind Flat Fees für die Vertretung in Verfahren oder für aussergerichtliche Verhandlungen mit Gegenparteien.»
Für Klienten wie Anwälte haben Flat Fees den Vorteil, dass sie berechenbar sind. Aber: «Irgendeiner, entweder der Klient oder der Anwalt, verliert in diesem System», sagt Thomas Schönenberger. Bei höherem Aufwand der Anwalt, bei geringerem Aufwand der Klient. Eine generelle Abkehr vom System der Billable Hours beobachtet Schönenberger noch nicht. «Allerdings wird immer häufiger für gewisse klar umrissene Dienstleistungen eine Kostenschätzung oder auch ein Kostendach verlangt», sagt er. Etwa für einen Vertragsentwurf und die Besprechung sowie die Überarbeitung desselben. Erst nach der Freigabe des Kostendachs könne dann mit der Arbeit begonnen werden.
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Während die Abrechnung nach Stunden bei komplexen Fällen den Klienten Sicherheit gibt, dass ihre Anwälte der Angelegenheit auch die notwendige Aufmerksamkeit schenken, kann sie der Innovation im Weg stehen. Etwa bei der Einführung von RegTech (siehe auch Seite 4), die, wie zum Beispiel beim Einsatz von ki, einige Arbeiten in Kanzleien viel effizienter erledigt. Bei der Abrechnung nach Stunden wird logischerweise der Gewinn der Kanzlei geschmälert, da deutlich weniger Billable Hours anfallen.
Doch die Arbeit der Anwälte wird dadurch nicht obsolet. «Die Verwendung neuer Technologien, etwa die Redaktion einer Rechtsschrift mit Hilfe von ki, bedarf einer sorgfältigen Endkontrolle», so Andreas Güngerich. Dies verursacht naturgemäss wieder Aufwand, der verrechnet werden kann. ki kann Anwaltsdienstleistungen ersetzen, aber bei Weitem nicht alle. Erfahrung, Expertise und Analysefähigkeit werden mit dem Einsatz neuer Technologien umso wichtiger. Das alles hat seinen Preis.
Die Kunden erwarten heute, dass Anwälte technologische Hilfsmittel einsetzen und auch damit umgehen können, sagt Stefan Brunnschweiler. Die Technologie wird dem Thema Preisgestaltung einen grossen Schub verleihen, ist er sich sicher: «Hier in der Schweiz sind wir erst am Anfang. Wir sehen aber bei unseren grossen Büros in England oder Deutschland, wie die Arbeit der Anwälte mit Unterstützung der Technologie effizienter gestaltet werden kann, was wiederum einen Einfluss auf die Preisgestaltung hat. Wir Anwälte sind aufgefordert, uns mit den neuen Technologien zu befassen und diese im Sinne unserer Klientinnen und Klienten einzusetzen».
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