Guten Tag,
Gehört Mannsein verboten? Muss Frau für die Karriere ihre Eizellen einfrieren? War früher alles einfacher? Fragen über Fragen, eine grässlicher als die andere.
Pamela Beltrame
Sie darf heute bei Dates ausreden und auch mal ihre Drinks zahlen, soll aber bitte von Wagyu auf Tofu umsteigen: unsere Autorin Pamela Beltrame.
Gisela Goppel / Kombinatrotweiss für BonanzaWerbung
Ausgerechnet im Internet wird gerade die Zeit zurückgedreht. Wieso ich das weiss? Googeln Sie mal Andrew Tate. Der Bugatti fahrende Strip-Club-Stammgast, der Leopardenmuster trägt, wünscht sich eine Frau wie in den 50er Jahren. «Die Frau gehört ihrem Mann», posaunt er – und löst bei mir Sodbrennen aus. Zum Tate’schen Manifest gehört auch das Konstrukt der «einseitig offenen Beziehung», inspiriert von Sultanen und ihren Harems im Osmanischen Reich. Sprich: Mann darf betrügen, Frau nicht.
Jedem seine eigene Meinung. Aber dieser Typ (er hat auf Instagram 4,2 Millionen Follower) verseucht mit seinem Gelaber meinen Dating Pool: Schwäche zeigen nur Weicheier, das Leben ist ein Wettkampf, den es zu gewinnen gilt, und Frauen – das sind Trophäen. Das Comeback des Jahrhunderts! Die vom Maskulinitäts-Prediger Tate Angefixten verlangen jetzt von ihren Partnerinnen «Unterwerfung». Bis vorgestern kannten sie diesen Begriff nicht mal. Widerrede kriegt er von traditionellen Medien. Doch die interessieren uns Millennials furchtbar wenig, das Internet dagegen sehr. Dort finden wir Wahrheit, und dort wird Tate gefeiert. Er ist Teil der «Manosphere» – einer grösseren Bewegung mit genauso kreativen Meinungen: Lasst uns zu den traditionellen Rollen zurückkehren, Feminismus hat uns in die Misere getrieben. Da machen es sich ein paar Herren ziemlich einfach. Andere ziemlich schwer: Links von mir ist man damit beschäftigt, Pronomen wie «zir» oder «xi» in die Sprache einzubetonieren, die wie Planeten aus «Star Wars» klingen. Rechts von mir so unsicher, so überfordert, dass sie sich die alten Zeiten und Zustände zurückwünschen. Vielleicht war es früher ja doch besser? Vielleicht ist das Hausfrauendasein inklusive fünf Gofen doch der Weg zum Glück. Retro-Sehnsucht? Nicht bei mir. Aber zugegeben: Ein bisschen Orientierungshilfe wäre manchmal nicht schlecht. Denn wenigstens wussten die älteren Jahrgänge, was man als Mann und Frau tun und lassen sollte. Heute sind jegliche Leitplanken verschwunden. An Vorbildern gibt es von Kotzbrocken wie Tate bis zu männerhassenden Opferfeministen wirklich alles. So viele Fortschritte, so viel Umdenken. So viel Verwirrung bei uns.
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Unsere Autorin, Generation U30, zeigt uns eine Welt, die viele von uns nicht mehr verstehen – nicht nur die berühmten alten weissen Männer. Eine wortgewaltige Gebrauchsanweisung für das neue Heute.
Die Jungen, die wieder motzen: Routine. Aber es gibt sie ja, die Altvorderen, die behaupten, das Leben sei heute einfacher, und ihre Sätze mit «Wir mussten noch …» beginnen. «Wir mussten noch über Stock und Stein, um in die Schule zu gelangen.» Ja, heute gibts Busse und E-Bikes. Aber hattet ihr mit 12 auch schon das erste Burn-out, weil Kindsein neu mit 5 aufhört? Habt ihr mit euren Freunden auch schon im zarten Alter über die verschiedenen Arten von Antidepressiva gefachsimpelt? Wurdet ihr auf dem Pausenplatz zusammengeschlagen und online gemobbt? Habt ihr euch auch krankhaft Sorgen um die Regenwälder, Pandemien und Putin gemacht? Eben. Dann hört endlich damit auf, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Das Leben heute ist anders, stimmt, aber nicht einfacher.
Schaut auf die jungen Männer. Sie müssen zwar nicht mehr in den Kampf ziehen und Frau und Kind vor Bären und Wikingern schützen. Dafür stehen sie heute unter Generalverdacht. Denn Männlichkeit gilt inzwischen als «giftig». Ich kassiere etwa schräge Blicke, und zwar aus dem gesamten Spektrum, wenn ich mit Aperol Spritz in der Hand am Freitagabend positiv über den männlichen Mann sinniere. Schräg, weil sie alle unter männlichem Mann diesen Proleten Tate verstehen. Dabei gibts ja auch einen Ryan Reynolds, der Gin macht, aber selber die Gofen im Kinderwagen rumschiebt. Er drischt sich auf der grossen Leinwand und färbt zu Hause seiner Frau die Haare. Mannsein und Gutmensch schliessen sich doch nicht aus. Und schlechte Männer sind nicht toxisch, weil sie zu männlich sind, sondern weil sie sich weigern, gute Männer zu sein. Doch das Leben ist stressig, und Schwarzweiss ist nun mal einfacher. Also pathologisiert man heute das ganze Geschlecht, verteufelt die Ehe als patriarchalisches Konstrukt, und Danny Ocean wird mit Debbie Ocean ersetzt. Die These wird schmerzhaft deutlich: Männer sind wie die Monarchie – ein überholtes Modell. Es ist genauso simplizistisch wie die Retro-Sehnsucht von Tate. Und genauso daneben. Denn Männer in die Weiblichkeit reinmobben ist so abwegig, wie Homos heilen zu wollen.
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So siehts heute aus: Mannsein ist nicht einfach, und Frausein ist schwierig geblieben. Die Pille etwa: Sie sollte uns frei machen! Doch der vermurkste Hormonhaushalt stürzt uns in dermassen tiefe Depressionen, dass wir das Haus trotzdem nicht verlassen. Im Dunklen scrollen wir dann stundenlang auf Instagram durch oberpolierte Modelbilder – und vermurksen zusätzlich das Selbstbild. Und die Gleichstellung: Sie sollte doch den Sexismus einstampfen! Nein, der ist immer noch gesund und munter – er hat einfach mutiert. Die Vintage-Version war primitiv und plump, ein Schlag ins Gesicht. Im modernen Sexismus ist jedoch Finesse der State of the Art. Er ist subtiler, schwer fassbar, wie Rauch. Manchmal sogar wohlwollend. Sollte man so grottendoof sein und darauf hinweisen, besteht die Gefahr, als bekloppt oder bierernst zu gelten. Es sind Witze, die man eben nur über uns macht. Die Fragen, die nur wir gestellt bekommen. Der Schmerz und die Frauenprobleme, die doch gar nicht so schlimm seien, und die Behauptungen, dass nur Leistung zählt.
Wie man bei der Rückholaktion von Sergio Ermotti zur UBS wieder einmal lernen konnte: Nichts geht über den Wert der Erfahrung. Wer schon alles gesehen hat, kann die irritierenden Wirrungen der Gegenwart fundierter ableuchten.
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Wir Jungen vergöttern das diffuse Diversity-Leitmotiv im Personalwesen. Ironisch, denn wir geben doch angeblich einen Feuchten auf den Job und arbeiten deswegen nur Teilzeit. Persönlich sollte ich frohlocken und jauchzen, denn meine Chancen, in den UBS-Verwaltungsrat zu kommen, waren noch nie so hoch. Aber mir ist gar nicht zum Jubeln. Zwar amüsieren mich die Meritokratie-Verfechter, die hochpassioniert gegen das Geschlecht als Entscheidungsmerkmal wettern. War nicht jahrhundertelang der Penis die unausgesprochene Anforderung für einen wichtigen Posten? Gleiche Chancen gibt es nicht in dieser Welt. Denn wenn Männer entscheiden, wer der oder die Beste ist, dann ist das in der Regel ein Mann.
Andererseits stressen die verbissenen Vibes, die die Paritäts-Puritaner emittieren. Nicht nur die mittelmässigen Männer, die mittlerweile von alleine Kehrtwende machen, wenn eine Beförderung winkt. Aber auch uns Frauen. Denn das Signal ist ja, dass wir jetzt durchstarten können – nein, sollen! Aber was ist, wenn wir das gar nicht wollen? Vielleicht ist Sarah nicht Chefin, weil sie Besseres zu tun hat. Und es ist oft ein Stefan, Lukas oder Tim, der willens ist, der Karriere alles unterzuordnen – Familie, Partner, Kinder, Freunde und sogar seine eigene Gesundheit. Und wieso kontrolliert man nicht bei der Müllabfuhr und in den Minen den Frauenanteil? Nur die hoch bezahlten Ränge mit männlicher Besetzung lösen Rage aus. Diese selektive Brüskiertheit – eine Spezialität unserer Tage – lässt tief blicken: Was Frauen wollen, ist immer noch egal. Denn im 21. Jahrhundert wird Erfolg so definiert, wie es der Mann historisch gemacht hat: mit Status und Geld. Und die Message, die durchsickert: Die moderne Frau muss irgendwie alles gebacken kriegen. Schliesslich verschwindet der Kinderwunsch nicht einfach, nur weil man Chefin werden will. Zum Glück kann man ja die Eizellen einfrieren. Einfach Daumen drücken, dass die in paar Jahren noch etwas hergeben …
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Die neue Arbeitswelt musste kommen, keine Frage. Aber sie hat sogar für uns Frauen einen ätzenden Beigeschmack. Auf den reflexhaften, stupiden Beifall, wenn eine Dame etwas gut macht, könnte ich zum Beispiel verzichten. Auch auf den neuen Auftrag für Journalisten, Frauen «ins Blatt zu heben». Hört sich so an, als wenn zehn Männer sie stemmen müssten. Ist doch beleidigend? Und wenn es eine neue Chefin gibt, liegt es ja gemäss den vom Unterdrückungsnarrativ Berauschten immer an ihrer Durchsetzungsfähigkeit gegen die Macho Men. Beknackt. Sogar bei der erfolgreichen Frau geht es letztendlich um den Mann! Meinem Imposter-Syndrom hilft das Fem-fixierte Klima auch nicht: Denn ich glaube ja ohnehin schon, dass ich ein Taugenichts bin, Belohnungen nur aus Glück erhalte und meine Unfähigkeit jederzeit auffliegen könnte. Das Lob vom Chef? Klar, weil ich eine Frau bin.
Das Thema Dating übrigens auch. Zwar darf ich ausreden und auch mal für den Drink zahlen, doch er ist polyamourös, wir tragen die gleichen Ohrringe, und ich soll von Wagyu auf Tofu umsteigen. Gepriesen, gefeiert und gefordert wird der feministische Mann, so sicher in seiner Sexualität, dass er Röcke tragen kann. Damit das klar ist: Das Harry-Styles-«Vogue»-Cover ist spektakulär. Doch als Vater meiner Kinder möchte ich keinen, der damit beschäftigt ist, Gendernormen zu durchbrechen. Arme Kerle, denn man hat ihnen ja weisgemacht, das sie ihr «toxisches» Naturell unterdrücken sollen – und dann fallen sie trotzdem bei den Ladys durch. Doch ein kleiner Trost für den Freelancer Yogi mit lackierten Nägeln: Ich würde ihn jederzeit dem Pascha vorziehen, der «Machtworte» spricht.
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Punkt ist: Heute gibt es alles – in allen möglichen Farben und Variationen. Ergo wird die Checkliste für den Partner ellenlang. Er soll ein Anführertyp sein, mit 15 Start-up-Ideen, aber auch mal seine verletzliche Seite zeigen. Durchtrainiert, weil er auf die eigene Gesundheit bedacht ist, nicht aus Eitelkeit. Gut aussehend und stilvoll, doch nur Augen für mich. Ein Gentleman, aber ja nicht zu brav. Einer, der nicht lacht, wenn ich zum Therapeuten gehe, aber Reifen wechseln kann. Wir Frauen stellen hohe Anforderungen, aber es wird sich schon einer finden lassen. Schliesslich warten auf Tinder tausend andere Kandidaten. Wenn also einer nicht spurt: Adieu, merci! Nur blöd, dass die meisten nach einem Partner für Horizontal-Tango tindern, nicht nach einem fürs Leben. Dann wundern wir uns, wieso wir einsam sind – trotz Wegwerf-Mentalität, die wir in eine App gepackt haben. Abstriche machen wir trotzdem keine. Auch die Männer nicht. Vielleicht bei einem One-Night Stand, nicht aber bei der Frau fürs Leben.
Schon gewusst? Die Emanzipation der Frau bewirkte auch diejenige des Mannes. Vorbei sind die Zeiten, in denen er die Frau ans Haus binden wollte. Früher fand er es zuckersüss, wenn sie am Abend strahlend die neuen Vorhänge zeigte und mit Tränen in den Augen über die verlorene Katze des Nachbarn schluchzte. Heute ist ihm das zu langweilig. Wenn sie nicht über das neueste politische Geschehen im Iran informiert ist, dann ist das entweder peinlich, oder vielleicht liegt ihr der Freiheitskampf der Frauen doch nicht so am Herzen. Eine Weiterbildung täte ihr gut, vielleicht ein sechsjähriger MAS in Biochemie, und schön, dass sie halb Südostasien bereist hat, aber das hat heute jeder. Schlank und rank kann man auch post-partum sein, schliesslich gibts Ozempic und Online-Diätcoaches. Wer ist sie, diese Frau, die alles kann? Amal Clooney? Doch eine langbeinige Menschenrechtsanwältin, Model und Mutter können wir nicht alle sein.
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Ich weiss: Hört sich alles übertrieben an. Ist es vielleicht auch. Aber sogar den Psychologen ist aufgefallen, dass wir Millennials zu hoch hinauswollen. Wir verlangen heute von einem Partner das, was früher eine ganze Dorfgemeinschaft vermittelt hat.
Wer bist du? Was willst und glaubst du? Keine Ahnung, denn das gesellschaftliche Korsett haben wir das Klo runtergespült und mit ihm das Rezept für eine Identität im 21. Jahrhundert: Wir können alles sein, alles machen. Das tun wir auch zur Sicherheit. Nicht weil wir es wollen, sondern aus FOMO (fear of missing out). Der Luxus, den ganz eigenen Weg einzuschlagen, macht müde. Der mediale Dauerbeschuss mit verschiedensten – aber immer extremen – Meinungen, auch. Er kratzt am ohnehin durch Social Media geknickten Selbstbild und übertönt die eigene Stimme, irritiert die Nadeln des inneren Kompasses. In sich kehren – und miteinander reden: Wir hadern damit. Aber ab und an klappt es. Etwa dann, wenn die Tretmühle des Alltags Pragmatik erfordert. Wenn es nämlich ums Staubsaugen und die Kita geht, rücken auf einmal die Macho-Ideen, mit denen die Herren liebäugeln, und die Demo-Sprüche, die die Damen durch die Strassen schreien, in den Hintergrund. Beziehungen können dieser Tage miteinander ausgehandelt werden. Das ist das Schöne. Die paar Puritaner und Prediger dieser Welt sind unwichtig. Warum sich von diesen Randphänomenen in ein neues Korsett zwängen lassen? Geniessen wir besser die Freiheiten, die unsere Vorgänger nicht hatten. Internet abschalten und Meinungen ausblenden – das ist das Savoir-faire, das es heute zu kultivieren gilt. Also lieber nicht Tate googeln. Das verwirrt nur.
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