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Karrierekiller?

Wie Sie als Manager Shitstorms auf Social Media vermeiden

Ein unbedachter Post, und der Shitstorm ist da – wie Manager bei der digitalen Kommunikation Eigentore vermeiden können.

Weisses Viereck

Matthias Mehl

Social-Media-Posts wollen überlegt sein, sonst droht ein Shitstorm.

Social-Media-Posts wollen überlegt sein, sonst droht ein Shitstorm.

Getty Images

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Fast zwei Jahre investierte Anders Bally in den Aufbau der Digitalbank Radicant, einer Tochtergesellschaft der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB). In dieser Zeit gab der gebürtige Norweger in seiner Funktion als CEO und Co-Founder zahlreiche Interviews, erläuterte die Vision des Fintechs und warb Talente für die «erste digitale Nachhaltigkeitsbank der Schweiz» an. Doch zu Beginn des Jahres zerstörte der heute 57-Jährige seine 22 Monate dauernde Karriere bei Radicant innerhalb weniger Minuten – mit dem Versenden einer einzigen E-Mail.

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Wie war es dazu gekommen? Im Februar gelangte eine interne Mail von Bally an die Medien. Darin warnte der CEO seine Belegschaft vor kritischen Fragen, die Journalisten im Rahmen ihrer Berichterstattung über die hohen Kosten bei der BLKB-Tochter stellen könnten. In seiner Mail predigte Bally zwar Umsicht, konnte sich aber Seitenhiebe gegen die Baselbieter Politik nicht verkneifen: So sprach er den «Politikern aus ländlichen Kantonen, vor allem den älteren», die Kompetenz ab, die «disruptiven Aspekte» zu verstehen, die Radicant auszeichneten. Oder anders ausgedrückt: Die alten Politiker kapieren den Approach von Radicant nicht.

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Posten will überlegt sein

Die negativen Reaktionen auf den Inhalt der geleakten Nachricht liessen nicht lange auf sich warten. Der Baselbieter Finanzdirektor Anton Lauber etwa verurteilte die Aussagen scharf und erachtete sie als unentschuldbar. Zum gleichen Schluss kamen die Verantwortlichen der BLKB und trennten sich per 22. Februar mit sofortiger Wirkung von Anders Bally.

Dass interne E-Mails und Textnachrichten an die Öffentlichkeit gelangen und zu negativen Reaktionen führen, ist kein Einzelfall: Nebst Bally fand sich kürzlich auch Mathias Döpfner in dieser Situation wieder, der Vorstandsvorsitzende der Verlagsgruppe Axel Springer, zu der auch BILANZ gehört.

Allerdings sind es nicht immer E-Mails, die für Manager von Unternehmen zum digitalen Stolperstein werden: Auch unbedachte Social-Media-Posts können rasch eine enorme Eigendynamik entwickeln und den Verfassern rauen Gegenwind bescheren. So erging es im vergangenen Jahr beispielsweise Oliver Maassen, Personalvorstand des deutschen Maschinenherstellers Trumpf. Im August 2022 teilte der Manager auf LinkedIn einen «NZZ»-Meinungsbeitrag über den «Gefühlsterror eifriger Aktivisten». Darin wurden die Faktoren behandelt, die den Ravensburger Verlag dazu veranlasst hatten, den geplanten Release eines neuen Winnetou-Buches zu stoppen. Für Maassen, der den fiktiven Apachenhäuptling als einen Helden seiner Jugend bezeichnet, war das Verbot der Figur ein No-Go. Er schrieb daher auf LinkedIn, dass er «diese Pseudomanipulationen» leid sei, und fügte an: «Gestern habe ich Negerkuss gesagt und mich gleich dafür entschuldigt. Wie blöd kann man eigentlich sein …» Der Post generierte fast 500 Kommentare, viele davon kritisch.

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Dass man indes nicht nur mit kontroversen Aussagen auf Social Media für Verwunderung und Spott sorgen kann, sondern auch mit übertriebener Nettigkeit, demonstrierten unlängst Zeno Staub und Andreas Utermann. Während Ersterer als langjähriger CEO bereits mehr als eine Dekade die Geschicke der Bank Vontobel prägt, stiess Letzterer im vergangenen Jahr als neuer Präsident dazu. Dies war für die beiden Anlass genug, sich über Social Media gegenseitig mit Nettigkeiten zu überhäufen. Das kollegiale Bauchpinseln der Vontobel-Manager sorgte zwar nicht für einen Shitstorm, wohl aber für akute Verwirrung und belustigte Kommentare.

Manager und ihre Fehltritte

Anders Bally
Oliver Maassen
Andreas Utermann
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Anders Bally

Mit dieser sinngemässen Aussage in einer Mail beerdigte der Norweger seine CEO-Karriere bei Radicant: «Die Politiker von ländlichen Kantonen tun sich mit disruptiven Ansätzen schwer.»

Gerry Nitsch

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«Solche und viele weitere Beispiele zeigen, dass die digitalen Kommunikationskompetenzen von Verantwortungsträgern in Unternehmen häufig nicht ganz so gut ausgeprägt sind, wie es vielleicht wünschenswert wäre», erklärt Adrienne Suvada. Sie leitet die Fachstelle Communication & Branding am Institut für Marketingmanagement der ZHAW und beschäftigt sich in ihrer Funktion als Dozentin auch mit der digitalen Unternehmenskommunikation.

Kein «Privileg» der Alten

Dass vornehmlich die ältere Generation ins digitale Fettnäpfchen tritt, sei «ein Trugschluss», betont die Forscherin. Denn obschon Digital Natives mit den sozialen Medien sowie digitalen Kommunikationstools aufgewachsen sind, täten auch sie sich damit manchmal schwer. Die Jüngeren seien zwar hinsichtlich der Nutzung von Technologie fitter als ihre älteren Kollegen, doch bereite ihnen zum Beispiel das Formulieren einer längeren E-Mail Schwierigkeiten, da sie eine verkürzte Social-Media-Sprache gewohnt sind. «Und über die Konsequenzen eines unbedachten oder unreflektierten Posts ist man sich auf allen Altersstufen oft nicht ausreichend bewusst», betont Suvada. Vor einem Shitstorm schützt also auch ein jugendlicheres Alter nicht.

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Authentizität über alles

Doch welche Faktoren kann und muss man konkret beachten, um die Wahrscheinlichkeit eines digitalen Donnerwetters zu minimieren? «Essenziell ist immer die Authentizität», erklärt die Dozentin. So rate sie gewissen Unternehmen zum Beispiel von der Nutzung bestimmter Plattformen ab, wie etwa des chinesischen Videoportals TikTok. Dieses ist zwar in den letzten Jahren wie kein anderes gewachsen, gilt aber primär als Online-Tummelplatz für jüngere User. Firmen müssten sich daher gut überlegen, ob und welche Botschaften sie über die Plattform ausspielten. «Denn wer sich bei den Jungen mit unglaubwürdigen Auftritten anbiedert, fällt in deren Wahrnehmung sofort durch.»

Zudem sei es, sagt Suvada, unabhängig vom gewählten Social-Media-Kanal ratsam, sich als Vertreter eines Unternehmens nicht zu sämtlichen politischen Themen zu äussern. «Dies wirkt ebenfalls nicht authentisch und wird spätestens dann zum Problem, wenn die Firma oder die Person nicht direkt vom Problem betroffen ist, zu dem sie sich äussert.» Wer also jedes politische Hot Topic mitnimmt, läuft Gefahr, an den digitalen Pranger gestellt zu werden. Ob dies berechtigt ist oder nicht, spiele häufig eine untergeordnete Rolle: «Das Internet agiert oft als moralischer Gerichtshof, und Vorverurteilungen sind keine Seltenheit», sagt Suvada.

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Social Media in Zahlen

Weltweit sind fast fünf Milliarden Menschen online, und davon nutzen rund 4,6 Milliarden soziale Netzwerke. Bei den Schweizer Usern erfreut sich LinkedIn grösster Beliebtheit mit fast vier Millionen Nutzern, dicht gefolgt von Instagram (3,5 Millionen) und Facebook (3 Millionen). Bei Unternehmen ist es hingegen genau umgekehrt: Weltweit ist die Nutzung von Facebook am höchsten, darauf folgen Instagram und LinkedIn. 2021 wurden global fast 320 Milliarden E-Mails verschickt, bis 2026 dürfte die Zahl auf 392 Milliarden ansteigen.

(Quelle: Statista)

Auch Peter van der Touw, Mitbegründer und Chairman der zur Publicis Gruppe gehörenden Agentur Notch, erachtet Authentizität als ein zentrales Mittel zur Shitstorm-Prävention. «Man kann etwa die berechtigte Frage stellen, ob sich jede Führungsperson eines Unternehmens über Social Media zur Klimathematik oder zur Diversitätsfrage äussern muss», erklärt er. Wer einem Shitstorm vorbeugen will, müsse sich vor dem Kommunizieren selbstkritische Fragen stellen wie: Gehört das Thema wirklich zu meiner eigenen Kernkompetenz oder derjenigen meines Unternehmens? Haben wir die passende Person und damit das richtige Aushängeschild für die Botschaft sowie die Plattform gewählt? Und in welcher Rolle trägt diese Person ihre Meinung nach aussen?

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Nicht nicht kommunizieren

«Letztlich ist es unabdingbar und ratsam, dass sich die Vertreter von Firmen hinsichtlich Social Media sowie digitaler PR schulen lassen», fasst Tatjana Streit zusammen, Social Media Managerin der ebenfalls zur Publicis Gruppe gehörenden Agentur Bagels of Berkeley. Da sich heute rund 4,6  Milliarden Menschen auf den sozialen Medien tummeln, könne es sich ein Unternehmen nicht leisten, dieses Feld zu vernachlässigen oder es nicht professionell zu bewirtschaften.

Was aber können Firmen und Manager tun, wenn sich trotz umsichtiger und authentischer Kommunikation ein digitales Gewitter über ihnen zusammenbraut? «Wichtig ist in solchen Fällen, dass man transparent bleibt», sagt Adrienne Suvada. Grundsätzlich nicht zu kommunizieren, ist für die Forscherin keine Option. Hat man mit einer Aussage tatsächlich einen Fehler begangen und sind keine juristischen Folgen zu erwarten, sollte man dies eingestehen und eine Entschuldigung anbringen. «Allerdings muss man sich in jedem Fall bewusst sein, dass ein Shitstorm ganz einfach eine gewisse Zeit andauert, bevor er sich verzieht.» Bewährte Marken könnten auch einem rauen Online-Gegenwind trotzen. «Viel schwieriger fällt das hingegen Firmen, die man als unauthentische Wendehälse wahrnimmt.»

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Vom Shitstorn profitieren

Tatjana Streit betont ihrerseits, dass man einen bereits entfesselten Shitstorm bis zu einem gewissen Grad einfach aushalten muss. «Wir raten unseren Mandantinnen und Mandanten davon ab, während dieser Zeit zu intensiv auf gehässige Onlinekommentare einzugehen», erklärt sie. Denn dies fördere meist nicht einen vernünftigen Dialog und könne schlimmstenfalls die Gemüter noch mehr erhitzen – vor allem dann, wenn die Botschaften inkonsistent sind. Bevor man auf Kritik reagiert, sollte man sich fragen, ob die vorgebrachten Punkte gerechtfertigt sind oder nicht. Peter van der Touw verweist zudem auf die Tatsache, dass nicht wenige Grossfirmen langfristig gesehen relativ unbeschadet aus Shitstorms hervorgegangen sind. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit bestätigt diese Aussage: So ist im Web etwa von den Abgasskandalen von VW und Opel kaum mehr die Rede, und beide Marken werden online nicht merklich kritischer diskutiert als andere Automobilhersteller. «Interessanterweise kann es sogar geschehen, dass Firmen, die sich im Auge des Sturms richtig verhalten und Kritikpunkte authentisch adressieren, letztlich vom Service-Recovery-Paradox profitieren», weiss van der Touw. Dieses Prinzip besagt, dass Kunden in bestimmten Fällen eine höhere Meinung von einem Unternehmen haben, nachdem dieses ein Problem in seiner Dienstleistung behoben hat.

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Fünf Dos und Don’ts in Social Media

Dos

  • Hilfe annehmen: Wer Verantwortung trägt und kommunizieren muss, kann sich dafür schulen lassen.
  • Authentisch sein: Aussagen sollten sich mit den eigenen sowie den Firmenwerten decken.
  • Die Zielgruppe kennen: Wen will ich eigentlich erreichen – und wozu? Wer das weiss, kommuniziert zielgerichtet.
  • Agil sein: Kommt es zu negativen Reaktionen, muss man jeden Fall individuell betrachten und entsprechend reagieren.
  • Feedbackkultur pflegen: Es kann sinnvoll sein, vor dem Absetzen eines Posts eine Zweitmeinung einzuholen.

Don’ts

  • Nicht überall dabei sein: Wählen Sie nur Onlineplattformen, die wirklich zu Ihnen, Ihrem Unternehmen und Ihrer Botschaft passen.
  • Sie sind kein Newskanal: Sie müssen nicht alle politischen Themen kommentieren – ausser es geht um Ihre Kernkompetenz.
  • Nicht alles ist Chefsache: Jemand in Ihrer Belegschaft kann ein Thema besser bearbeiten? Dann sollte sie oder er dazu posten.
  • Nicht aussitzen: Bei Onlinekritik sollte man nicht schweigen. Eine Reaktion, etwa dass man das Vorgebrachte ernst nimmt, ist besser.
  • Kein Feuer anheizen: Ebenso wenig wie Schweigen ist der digitale Schlagabtausch in den Kommentarspalten ratsam.

Ein umsichtiges Verhalten auf Social Media bildet also die Grundlage für das sturmfreie Segeln auf digitalen Gewässern. Doch wie kann man geleakten E-Mails vorbeugen? «Das ist leider beinahe unmöglich», konstatiert van der Touw. Man müsse sich einfach bewusst sein, dass wir in einem digitalen Denunziationszeitalter leben und es derzeit en vogue sei, mit dem Veröffentlichen von Mails, Chats oder Nachrichten Aufmerksamkeit und Bestätigung zu erhalten. Dies könne man beim Verfassen von E-Mails und Co. zwar bis zu einem gewissen Grad berücksichtigen. «Ich denke aber, dass dieser Trend irgendwann wieder abflachen wird», sagt der Strategieberater. Das sei auch zu hoffen, denn andernfalls bleibe uns irgendwann keine andere Möglichkeit mehr, als auch im engsten Freundeskreis zu sagen: Ich bin leider nicht erreichbar.

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