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Nationalbank

Kann SNB-Chef Thomas Jordan die Schweiz vor der grossen ­Inflation bewahren?

Mächtig wie nie, aber auch gefordert wie nie: Thomas Jordan steht vor der schwierigsten Phase seiner Amtszeit. Kann er in der Schweiz die grosse Inflation verhindern?

Dirk Schütz

Thomas Jordan
Paolo Dutto für BILANZ

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Das Jubiläum verbrachte er im Flugzeug. Am 18.  April beging Thomas Jordan seinen zehnten Jahrestag an der Spitze der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Doch Feierlichkeiten standen nicht auf dem Programm – der Präsident musste die Schweiz bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington vertreten, die nach all den Corona-Wirren endlich wieder physisch stattfand.

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Champagner gönnte er sich keinen in der Luft. Doch eine kleine Festnote gab es schon auf zehntausend Metern Höhe. Seine fünf Kollegen in der Nationalbank-Leitung hatten ihm einen gemeinsamen Dankesbrief zur Zehn-Jahres-Marke geschrieben. Der 59-Jährige hatte ihn sich extra für den Flug aufbewahrt – und war nach der Lektüre richtiggehend gerührt. Kritik hat er in seiner Amtszeit ordentlich einstecken müssen. Der Zuspruch tat gut.

Von Zeitenwenden ist in diesen Wochen viel die Rede. Doch wohl für wenige Menschen in der Schweizer Wirtschaft ist dieser Terminus so zutreffend wie für Thomas Jordan, den unbestritten mächtigsten Mann des heimischen Wirtschaftsgeschehens: Sein Negativzins lenkt die Geldströme der heimischen Anleger, seine Wechselkurspolitik bestimmt das Schicksal der Schweizer Exporteure, sein Regulierungsregime steuert den Immobilienmarkt.

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Martin Schlegel, Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums Schweizerische Nationalbank SNB, spricht waehrend einer Medienkonferenz, am Montag, 1. April 2019 in Bern. Der Internationale Waehrungsfonds (IWF) fuehrte vom 21.3.2019 - 1.4.2019 das jaehrliche Laenderexamen der Schweiz durch. Die regelmaessige Beurteilung der Wirtschafts- und Finanzlage der Mitgliedstaaten ist ein Kernelement der wirtschaftspolitischen Ueberwachungstaetigkeit des IWF. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Der einstige Jordan-Praktikant Martin Schlegel (l.) wird Vizepräsident, Direktoriumsmitglied Andréa Maechler wurde übergangen.

Keystone
Martin Schlegel, Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums Schweizerische Nationalbank SNB, spricht waehrend einer Medienkonferenz, am Montag, 1. April 2019 in Bern. Der Internationale Waehrungsfonds (IWF) fuehrte vom 21.3.2019 - 1.4.2019 das jaehrliche Laenderexamen der Schweiz durch. Die regelmaessige Beurteilung der Wirtschafts- und Finanzlage der Mitgliedstaaten ist ein Kernelement der wirtschaftspolitischen Ueberwachungstaetigkeit des IWF. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Der einstige Jordan-Praktikant Martin Schlegel (l.) wird Vizepräsident, Direktoriumsmitglied Andréa Maechler wurde übergangen.

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Und jetzt, in diesen Schicksalstagen für Europa, muss auch Jordan erstmals in seiner Amtszeit seine Politik vollkommen neu ausrichten. Zehn Jahre lang lag der Fokus darauf, den eisernen Franken zu schwächen und eine Deflation zu verhindern. Jetzt schiessen überall in der Welt die Inflationszahlen in die Höhe, von den grossen Zentralbanken viel zu lange ignoriert, und der Franken ist kaum noch überbewertet. Die grosse Geldwende steht bevor. Neudeutsch formuliert: Thomas Jordan braucht ein neues Narrativ.
 

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Gefahr des Wartens

Das Sitzungszimmer im zweiten Stock des herrschaftlichen Hauptsitzes an der Zürcher Börsenstrasse: Eine knappe Stunde hat sich Jordan Zeit genommen, beim anschliessenden Fotoshooting lässt er sich vom Fotografen sogar auf die Strassen der Innenstadt locken. Die Nationalbank will volksnäher werden. Neben dem Hauptsitz betreibt sie eine offene Begegnungsstätte namens «Forum SNB», sie hat jetzt sogar einen YouTube-Kanal. Im letzten Jahr wurde bei Jordan bei einer Vorsorgeuntersuchung ein Herzproblem diagnostiziert, die Operation verlief erfolgreich.

«Ich fühle mich besser als vorher, auch weil ich mehr Sport treibe», sagt er mit sanfter Simme – der frühere Wasserballer schwimmt wieder mehr und verbringt mehr Zeit auf dem Hometrainer. 16 Fotos mit den Direktoriumsmitgliedern seit dem Zweiten Weltkrieg zieren die vertäfelte Wand des Sitzungsraums. Doch seines fehlt noch. Denn die Bilder werden erst beim Austritt aufgehängt, und der liegt noch fern. Seine Amtszeit läuft bis 2027.

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Dramatik ist in der Technokratenkaste der Notenbank-Lenker verpönt, zu schnell können zu scharfe Aussagen die Märkte irritieren. Dafür sind die Zeitenwende-Aussagen Jordans dann doch recht deutlich: «Es ist eine neue Situation: Erstmals seit 2008 erleben wir, dass die Geldpolitik in den meisten Währungsräumen in Richtung einer Straffung geht.» Und auch seine Einschätzung der Wirtschaftslage ist eindeutig, auch wenn er das böse und derzeit so stark grassierende Wort von der Stagflation vermeidet: «Wir bewegen uns in eine für die Geldpolitik unangenehme Situation: Die Inflation ist global bereits hoch und steigt in vielen Ländern sogar noch, gleichzeitig schwächt sich die Konjunktur weltweit ab.»

«Zehn Jahre musste er den eisernen Franken schwach reden. Jetzt braucht Jordan ein neues Narrativ.»

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Die Amerikaner mit ihrem Notenbank-Leitwolf Jerome Powell haben die Zinsen erhöht, nach einer fast schon galoppierenden Inflation von acht Prozent deutlich zu spät, die Briten haben nachgezogen. Doch die Schweizer Währungsbastion, unter Jordan die traditionellste unter den grossen Notenbanken und mit einer noch immer deutlich tieferen Inflationsrate von unter drei Prozent gesegnet, lässt sich Zeit. Manche wagemutigen Ökonomen fordern gar eine Zinserhöhung noch vor der Europäischen Zentralbank (EZB), deren lange zögernde Chefin Christine Lagarde bei ebenfalls galoppierenden Inflationsraten von mehr als sieben Prozent in der Eurozone ihre historische Zinswende auf Juli vorziehen will.

«Um ihre Unabhängigkeit zu signalisieren, sollte die SNB vor der EZB die Zinsen senken – am besten schon im Juni», betont etwa Adriel Jost, Ökonom beim Beratungsunternehmen WPuls. Die CS geht von einer Erhöhung im Dezember aus, und UBS-Frontfrau Sabine Keller-Busse, als Schweiz-Chefin grösste potenzielle Nutzniesserin einer Zinserhöhung, sprach unlängst in der «SonntagsZeitung» erst von nächstem Jahr.

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Nicht sehr offen

Die Notenbanken im Transparenz-Vergleich

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SNB Obersvatory Report
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SNB Obersvatory Report

Kleine Führung

Die SNB hat nur drei Mitglieder in der Führung – so wenig wie keine andere grosse Notenbank

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SNB Obersvatory Report
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SNB Obersvatory Report

Rekordmann Jordan

Der SNB-Kapitän wäre 2027 zwanzig Jahre Direktoriumsmitglied.

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SNB Obersvatory Report
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SNB Obersvatory Report

Doch die Gefahr, dass auch die SNB zu lange wartet, ist gross. Ihre Inflationsprognose weist bis Ende Jahr einen Wert von nur 2,1 Prozent aus und für 2023 gar einen Rückgang auf 0,9 Prozent. Mit verharmlosenden Zahlen hatte die US-Notenbank die Lage zu lange geschönt.
Die Lage ist so heikel wie lange nicht mehr. Die nächste geldpolitische Lagebeurteilung, alle drei Monate Taktgeber der 900-Mitarbeiter-Behörde, ist auf den 22.  Juni terminiert. «Wir nehmen an unseren vierteljährlichen Lagebeurteilungen jeweils eine umfassende Neubewertung der geldpolitischen Situation vor», betont Jordan dann auch.

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Und räumt dann schon ein, dass die Situation dieses Mal speziell ist. «Die Auswirkungen der global stark gestiegenen Inflation auf die Schweiz werden wir selbstverständlich analysieren und berücksichtigen.» Auch wenn Jordan mit der Zinserhöhung noch wartet, so lassen derartige besorgte Äusserungen zumindest kommunikative Signale in Richtung Zinswende erwarten. Seit sieben Jahren, der Aufhebung des Mindestkurses zum Euro, hat die Nationalbank ihren Referenzzinssatz auf minus 0,75 belassen.
 

Interner Umbau

Er steht vor historischen Schritten. In den letzten Jahren bestand die Härte des Jobs für Jordan vor allem im Durchhalten des Nichtstuns: Der Negativzins war in der festgeschriebenen Höhe sakrosankt. Oder, wie es ein ehemaliges Mitglied des Bankrats, des Kontrollgremiums der Nationalbank, formuliert: «Das war die letzten Jahre ein stinklangweiliger Job – aber mit riesiger Verantwortung.» Jetzt bewegt sich wieder etwas.

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Federal Reserve Board Chair Jerome Powell pauses while speaking during a news conference at the Federal Reserve, Wednesday, May 4, 2022 in Washington. The Federal Reserve intensified its drive to curb the worst inflation in 40 years by raising its benchmark short-term interest rate by an sizable half-percentage point. (AP Photo/Alex Brandon) Jerome Powell

Die Chefs der grossen Notenbanken haben die starke Inflation unterschätzt (v.l.): Jerome Powell (USA), Joachim Nagel (Bundesbank), Christine Lagarde (EZB). 

keystone-sda.ch
Federal Reserve Board Chair Jerome Powell pauses while speaking during a news conference at the Federal Reserve, Wednesday, May 4, 2022 in Washington. The Federal Reserve intensified its drive to curb the worst inflation in 40 years by raising its benchmark short-term interest rate by an sizable half-percentage point. (AP Photo/Alex Brandon) Jerome Powell

Die Chefs der grossen Notenbanken haben die starke Inflation unterschätzt (v.l.): Jerome Powell (USA), Joachim Nagel (Bundesbank), Christine Lagarde (EZB). 

keystone-sda.ch

Was die Ausgangslage noch erschwert: Die Zeitenwende geschieht in einer Phase, in der die Nationalbank auch intern vor einem Umbau steht. Mit Martin Schlegel tritt im August ein 45-Jähriger die Nachfolge des erfahrenen Vizepräsidenten Fritz Zurbrügg an, gleichzeitig wird auch die zweite Führungsebene aufgestockt. Die Leitung besteht weiterhin aus den drei Direktoriumsmitgliedern, die jedes ein Departement führen. Doch jetzt werden jedem Departementschef neu zwei statt bislang ein Stellvertreter zugeteilt. Schlegel gilt als Zögling Jordans, er begann 2003 als dessen Praktikant in der Forschungsabteilung und war zuletzt sein Stellvertreter im ersten Departement. Eine Wahl nach Jordans Gusto.
 

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Schwacher Bankrat

Der 62-jährige Zurbrügg hatte im Dezember seinen Rücktritt angekündigt, auch aus gesundheitlichen Gründen – er hatte ebenfalls eine Herzoperation hinter sich. Die ungeschriebenen Nationalbank-Gesetze geboten eigentlich, dass die Nummer drei zur Nummer zwei aufrückt, und so hätte die Leiterin des dritten Departements, Andréa Maechler, zu Jordans Vize aufsteigen müssen. Doch dazu kam es nicht – stattdessen wurde Schlegel in einem in der jüngeren SNB-Geschichte einmaligen Karriereschritt zum Vizepräsidenten befördert. Und damit zum wahrscheinlichen Nachfolger von Jordan, wenn dessen Amtszeit im Jahr 2027 ausläuft.

Natürlich verweist Jordan auf den Bankrat, der den Auswahlprozess formal steuert. «Die Erarbeitung eines Wahlvorschlags durch den Bankrat verläuft nach einem sehr professionellen Prozess.» In der Tat: Es gibt in dem Gremium einen dreiköpfigen Ernennungsausschuss, und dessen Reglement legt das Auswahlverfahren klar fest. Doch von einem klassischen Nominierungsausschuss wie in grossen privatwirtschaftlichen Firmen ist der Ausschuss genauso weit entfernt wie der Bankrat von einem klassischen Verwaltungsrat. Der Einfluss Jordans ist hier genauso stark wie auf den gesamten Bankrat. «Jordan dominiert den Bankrat inhaltlich total», betont ein ehemaliges Mitglied.

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Nicht mehr überbewertet

Entwicklung der Kaufkraft-Parität des Scheizer Frankens, Vergleichswährung Euro.

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SNB Obersvatory Report
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Die Mitglieder des elfköpfigen Gremiums werden nicht nach Kompetenz, sondern nach Proporz gewählt. Sechs Mitglieder werden vom Bundesrat direkt bestimmt, fünf von den Aktionären der SNB. Bund, Kantone, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften – alle schicken ihre Vertreter. Doch fachlich können sie kaum etwas beitragen: Die Notenbank-Kaste lebt in ihrer eigenen Blase von «Geldmengen-aggregaten» oder «antizyklischen Kapitalpuffern» und erträgt Amateure eher schlecht. Bei allen wichtigen Sitzungen ist Jordan dabei, Widerrede gibt es praktisch nicht, obwohl er formal dem Gremium unterstellt ist. Bei dem Schlüsselthema Geldpolitik ist sogar per Satzung geregelt, dass der Bankrat nichts zu sagen hat.

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Und selbst die Anlagepolitik – die Nationalbank hat allein mehr als 170 Milliarden Dollar in US-Aktien investiert, darunter auch in Umweltsünder wie Chevron oder Exxon – darf hier nicht diskutiert werden, auch wenn einige Bankräte das einst forderten: Sie zählt ebenfalls zur Geldpolitik.

Auch bei der Wahl des neuen Vizepräsidenten zeigte sich der grosse Einfluss Jordans. Anders als in einem normalen Verwaltungsrat war nicht etwa das gesamte Gremium in die Auswahl einbezogen, sondern der dreiköpfige Ernennungsausschuss ist laut Satzung angewiesen, den anderen Bankratsmitgliedern lediglich einen Kandidaten zu präsentieren, und das, so steht es im Reglement, nach Rücksprache mit dem Direktorium. Jordan bestätigt das: «Die verbleibenden Mitglieder des Direktoriums wurden angehört und haben die Wahl begrüsst.» Und das heisst in diesem Fall wohl vor allem: Thomas Jordan. Denn dass Andréa Maechler den Affront ihrer Übergehung besonders goutiert hat, ist wenig wahrscheinlich.

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«Jordan dominiert den Bankrat inhaltlich total. Das zeigte sich auch bei der Nominierung des Vizepräsidenten. »

Gegenkandidaten gab es keine. Zwar herrscht in Bankkreisen seit Langem Unmut über die Machtfülle des SNB-Kapitäns. Immerhin ist mit dem Bär-VR-Präsidenten Romeo Lacher seit letztem Jahr ein Bankenvertreter Mitglied im Ernennungsausschuss, er ist unter der Bündner SVP-Ständerätin Barbara Janom Steiner sogar Vizepräsident des Bankrats. In Bankkreisen wurden dann auch einige Namen als Zurbrügg-Nachfolger ventiliert, als Wunschkandidat galt der beschlagene Vontobel-Chef Zeno Staub, der in St.  Gallen in Ökonomie doktorierte und als erfahrener Praktiker Jordan Paroli bieten könnte. Einst hatte er zusammen mit dem heutigen Pictet-Vormann Renaud de Planta in der «NZZ» einen Staatsfonds gefordert, was Jordan jedoch kaum goutiert hatte.
 

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Kampf gegen Männerbastion

Doch Staub wurde nicht einmal angefragt. Der Ernennungsausschuss akzeptierte Jordans internen Favoriten Schlegel. Dass ausgerechnet der ersten Frau im Direktorium die standesübliche Beförderung verwehrt wurde, ist umso heikler, als sich die SNB seit Längerem gegen die Vorwürfe einer Männerbastion wehrt.

Die Personalie Maechler zeigt eben auch die Fallstricke der Frauenförderung. Als Maechler 2014 in das Direktorium berufen wurde, war ihr Geschlecht ein entscheidendes Kriterium: Eveline Widmer-Schlumpf, als damalige Finanzministerin formale Dienstherrin der Behörde und zuvor selbst SNB-Bankrätin, hatte explizit eine Frau gefordert, und ein Headhunter hatte aus der dritten Führungsebene des IWF Maechler hervorgezaubert, die den zusätzlichen Charme hatte, dass sie in Genf geboren wurde und damit den Romand Jean-Pierre Danthine trefflich ersetzte.
 

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Zweifel an Maechler

Jedoch: Schon damals gab es innerhalb des Gremiums Skepsis an ihrer fachlichen Qualifikation. Laut Nationalbank-Gesetz müssen die Direktoriumsmitglieder über «ausgewiesene Kenntnisse in Währungs-, Bank- und Finanzfragen» verfügen, und ob sie davon genügend mitbrachte, zweifelten einzelne Mitglieder des Bankrats an. Doch auch sie war die einzige Kandidatin, die dem Gesamtgremium präsentiert wurde, und Jordan wollte sie. «Das kriegen wir schon hin», soll der damalige Bankratspräsident Jean Studer gesagt haben.

Bekamen sie offenbar nicht. Die Leitung der Behörde, die mit der Übernahme des Vizepräsidiums auf sie zugelaufen wäre, trauten ihr Jordan und der Bankrat offenbar nicht zu. Auch galt sie in ihrem Departement nicht als unbestritten. Dass ihr Stellvertreter Dewet Moser vor vier Jahren aus ihrem Departement ins zweite Departement zu Fritz Zurbrügg wechselte, soll auch an der Führungskultur gelegen haben. Auch diese Rochade war in Jordans Sinn: Im Zug der Umgruppierung postierte er seinen Kandidaten Schlegel in seinem Departement als Stellvertreter.

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Dessen Aufstieg zur Nummer zwei ist eine Machtdemonstration erster Güte. Denn wenn die öffentliche Kritik an der Nationalbank auch fast verstummt ist, so köchelt sie doch auf schwacher Flamme weiter. Vor der Pandemie stiessen sich die Banken an der Sturheit Jordans und der fehlenden Praxisperspektive in dem von Jordan dominierten Direktorium. Die Banker wurden beim SNB-Vormann vorstellig, um eine Erhöhung des Negativzinses auf ein Prozent zu verhindern, und die Vermögensverwaltungsbanken stiessen sich daran, dass sie einen Grossteil der zwei Milliarden Franken zahlen sollten, die die SNB durch das Negativzinsregime von den Banken einstrich.

Rekordhalter SNB

Keine der grossen Notenbanken hat im Vergleich zum BIP ihre Bilanzsumme so stark ausgeweitet. 

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CPR AM
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Der damalige Bankiervereinigungs-Präsident Herbert Scheidt konnte bei Jordan immerhin eine Reduktion der Zahlungen erreichen.
Die Kritik an fehlender Debattenkultur und starrem Hierarchiedenken der Behörde trugen die Banker auch ins Finanzdepartement, und SNB-Dienstherr Ueli Maurer soll sogar ein Wegloben Jordans auf einen verdienten internationalen Posten ventiliert haben. Auch die Aufstockung des Direktoriums von drei auf fünf Mitglieder war ein Thema, und es zirkulierten damals schon Namen von Kandidaten: Neben Zeno Staub auch Pictet-Lenker Renaud de Planta oder der heutige Bankiervereinigungs-Präsident Marcel Rohner. Dass Jordan Kritik oft persönlich nahm, verschärfte die Gemengelage.

Doch Corona änderte alles. Jordan hatte die SNB mit seinem Negativzinsregime schon vor der Pandemie in ständigem Krisenmodus gehalten. Als jetzt die Krise wirklich kam, war er mit seinem permanenten Notfallmodus schon da, und die Kritik an den Negativzinsen verstummte schlagartig. Maurer, der einst die Grösse der Bilanzsumme kritisiert und sich damit eher nicht das Wohlwollen Jordans zugezogen hatte, verlängerte Ende 2020 das Mandat Jordans und seiner Mitstreiter fast schon klandestin um weitere sechs Jahre. Es war auch eine Form der Kapitulation vor «Big Thomas».

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Doch verschwunden ist der Unmut nicht, und die Ernennung des Jordan-Zöglings Schlegel gibt den Kritikern neuen Auftrieb. Vor einem Jahr gründete der Basler Finanzprofessor Yvan Lengwiler zusammen mit zwei weiteren Professoren das sogenannte «SNB Observatory», eine Forschungsstelle zur genaueren Beobachtung der Nationalbank. «Es ist für die Schweiz und für die SNB nicht gut, dass die SNB in so grosser Dunkelheit operieren kann», betont Lengwiler.

«Wenn auch die öffentliche Kritik an der Nationalbank fast verstummt ist, so köchelt sie doch auf schwacher Flamme weiter. »

Die SNB ignoriert ihn offiziell. Die Neuwahl des Vizepräsidenten sieht der frühere Finma-Verwaltungsrat kritisch: «Die Chance wurde verpasst, eine qualifizierte Person mit frischem Blick von aussen zu holen.» Im März forderten die drei Professoren in einer Studie die Aufstockung des Direktoriums auf fünf Personen – keine Notenbank hat ein so kleines Führungsteam: «Die SNB ist ein Silo: Weil alle denselben Hintergrund haben, haben zu häufig alle die gleiche Meinung.» Und auch bei der Offenlegung ihrer Entscheidungsfindung hinke die SNB hinterher – sie veröffentlicht etwa keine Sitzungsprotokolle: «Andere Notenbanken sind viel transparenter.»
 

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Die Resultate Stimmen

Doch Jordan hält dagegen. «Wir sind sehr transparent bei der Darlegung unserer geldpolitischen Entscheide. Darauf kommt es an», betont er. Und punkto Diskussionskultur: «Wir führen wohl eine der lebendigsten Debatten, die man sich im Quervergleich vorstellen kann. Wichtig ist auch, dass wir jeweils ergebnisoffen in eine Diskussion starten.» Vor allem: Er will an den Resultaten gemessen werden – und da ist seine Bilanz gut: Er hat die Schweiz trotz aller Kritik sicher durch die Krisen gelotst. «Die letzten zehn Jahre waren für die Schweizer Wirtschaft trotz zahlreicher internationaler Krisen relativ gute Jahre: stabiles Preisniveau, bessere Konjunkturentwicklung als in vielen anderen Ländern. Unsere Geldpolitik hat dazu beigetragen, die Störungen aus dem Ausland stark abzufedern», betont er dann auch.

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Neue Zeitrechnung

Doch dafür erwartet er mehr Dank und weniger Kritik, und darin liegt vielleicht seine grösste Schwäche. Denn der Job ist undankbar: De facto gebunden an den Euro, muss die Nationalbank trotzdem Unabhängigkeit signalisieren – und gleichzeitig die Interessen von Werkplatz (tiefer Franken) und Finanzplatz (höhere Zinsen) mühsam austarieren.

Dass seine Machtfülle gross ist, auch durch die fehlende Kontrolle von Bundesrat und Bankrat, ist unbestritten, und er nutzt diese Macht auch, wie die Berufung Schlegels zeigt. «Die mächtigste Wirtschaftsinstitution des Landes arbeitet de facto ohne Kontrolle», stellt ein langjähriger Bankchef nüchtern fest. Doch Jordans entscheidender Pluspunkt: Er ist integer, und alle nehmen ihm ab, dass er das Beste für die Schweiz will. «Die Corporate Governance ist eine Katastrophe», betont ein Ex-Bankrat. «Doch solange die zentrale Person ehrlich und aufrichtig ist, funktioniert das.»Aber eben: Jetzt beginnt eine neue Zeitrechnung. «Die SNB braucht einen Regime-Change: Von Wechselkurssteuerung zu Inflationsbekämpfung», betont Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. Durch die starke Inflation hat sich innerhalb kurzer Zeit auch die von der Nationalbank lange vertretene These des überbewerteten Franken erledigt. «Der faire Eurokurs bewegt sich bereits in Richtung 90 Rappen», befindet WPuls-Ökonom Jost: «Die SNB braucht nicht mehr zu intervenieren.»

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Zentrales Problem bleibt die Bilanzsumme, die auf mehr als 1000 Milliarden Franken angeschwollen ist und durch die Turbulenzen heftige Verluste beschert. Mehr als 30 Milliarden Franken waren es bereits im ersten Quartal. Schwillt der Jahresverlust auf mehr als 60 Milliarden an, geraten auch die Ausschüttungen an Bund und Kantone von 6 Milliarden in Gefahr. Dann kann der Wind schnell drehen.
 

«Mini-Thomas»

Interessant wird sein, wie stark Jordans neuer Vizepräsident zu einem Gegengewicht aufsteigen kann. «Ich war der Praktikant von Thomas Jordan und bin es irgendwie immer noch», sagte Schlegel vor drei Jahren der «NZZ» – ein Satz, der ihn heute verfolgt. Zurbrügg war bislang das sozialste Mitglied des Direktoriums, bei ihm konnten die Banker am ehesten ihren Frust über die SNB-Politik ablassen. Doch als Leiter der Finanzstabilität litt er auch am stärksten unter den Negativzinsen, die eine Casino-Mentalität bei fast allen Anlageklassen befeuerte.

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Jetzt übernimmt Schlegel diesen Job. Er gilt als offener als sein Ziehvater Jordan. Aber entscheidend ist vor allem: Er hat wie Jordan praktisch sein gesamtes Berufsleben bei der SNB verbracht und kennt die Währungsbastion dadurch bestens. «Angesichts der aktuell grossen Herausforderungen für die Geldpolitik ist die Kontinuität sehr wertvoll», betont Jordan dann auch. Intern gilt Schlegel schon als «Mini-Thomas».

Jetzt wird er an die Nachfolge herangeführt. Fünf Jahre bleiben Jordan noch bis zur Stabübergabe, dann ist er 64 Jahre alt. Natürlich gibt er sich bescheiden: «Wie lange ich an der Spitze sein werde, ist nicht relevant. Wichtig ist, dass die Nationalbank ihren Auftrag erfüllt. Solange ich dazu einen Beitrag leisten kann, mache ich das gerne.» Mit 15 Jahren Amtszeit würde er als Rekord-Präsident in die Nationalbank-Geschichte eingehen.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

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