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Kühne+Nagel-Präsident Jörg Wolle spricht im Interview über die neue Sexyness seiner Branche, den Rückstand Europas und sein Nein zum EU-Deal.
Fiat statt Bentley: Jörg Wolle fährt zum BILANZ-Gespräch vor.
Joseph Khakshouri für BILANZWerbung
Seine Vorliebe für Bentley ist bekannt, doch zum BILANZ-Gespräch fährt Jörg Wolle mit einem quietschblauen Fiat 500 vor.
Lange Jahre war der schweizerisch-deutsche Doppelbürger die prägende Figur beim Handelshaus DKSH. Jetzt präsidiert der Asienkenner den Logistikkonzern Kühne+Nagel und sitzt als einziger Europäer im Verwaltungsrat des Singapurer Lebensmittelriesen Olam. Die Stimmungslage: Optimistisch – die zweite Corona-Impfung hat der 64-Jährige bereits hinter sich. Nur das Reisen fehlt ihm.
Herr Wolle, Sie zählten vor der Pandemie als stetiger Asien-Pendler zu den Meilenkönigen der Schweizer Wirtschaft. Wie sehr vermissen Sie das Reisen?
Jörg Wolle: Noch sind die Entzugserscheinungen überschaubar. Aber so effizient Zoom auch ist: Der Kontakt mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern vor Ort fehlt schon sehr.
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Kühne+Nagel hat vor Kurzem die grösste Akquisition ihrer Geschichte verkündet: Den Kauf des chinesischen Logistikers Apex für mehr als eine Milliarde Franken. Ein Deal ohne persönliche Treffen?
Ja, leider. Ich konnte nur einmal dorthin reisen. Der Grossteil der Verhandlungen lag bei unseren Verantwortlichen vor Ort. Wir haben das sehr intensiv von unserem Sitz in Schindellegi per Zoom gesteuert.
Ein so grosser Deal ohne persönlichen Kontakt? Und das in Asien, wo persönliche Beziehungen so wichtig sind?
Absolut. Aber wir hatten keine Wahl.
Und das Signing?
Die Papiere haben die Beteiligten allein für sich unterschrieben. Der Handshake mit Umtrunk wird nachgeholt.
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Viele Topmanager wie etwa Zurich-Chef Mario Greco wollen sich von der Fliegerei ihrer Führungskräfte fast vollständig verabschieden. Eine gute Idee?
Da bin ich mal gespannt. Für die Verhandlungen wäre es jedenfalls viel besser gewesen, vor Ort zu sein und die Verantwortlichen zu beobachten. Wir kannten die Verkäufer allerdings, das war ein Vorteil.
Kühne+Nagel hat ein Jahr der Extreme hinter sich: Bei Pandemie-Ausbruch war die Lage bedrohlich, Grossaktionär Klaus-Michael Kühne gab sich hochgradig pessimistisch. Und heute: Grossakquisition und Rekordergebnisse.
Die ersten drei Monate waren wirklich schwierig. Die Häfen, die Airports, Landesgrenzen: Sehr vieles ging zu. Da durfte man durchaus besorgt sein. Aber: Panik ist nie ein guter Ratgeber. Wir sind mit hohem Kostenbewusstsein, aber auch unternehmerisch mutig durch diese Zeit gegangen.
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Das Comeback war umso fulminanter.
In der Tat: Besser liefen die Geschäfte nie. Im ersten Quartal haben wir den zweieinhalbfachen Gewinn des Vorjahresquartals erzielt. Wir profitieren stark vom Aufschwung, auch weil wir in Asien und in die Digitalisierung investiert haben. Wir wollen dieses Jahr den sechsten Rekordgewinn in Folge erzielen. Wir sind auf Kurs.
Die Akquisition von Apex ist da noch gar nicht berücksichtigt. Eigentlich mag Kühne+Nagel ja keine Grossakquisitionen. Was ist an Apex so interessant?
Ich glaube primär an organisches Wachstum, und das gilt weiterhin. Die Apex-Übernahme ist also keinesfalls der Beginn einer aggressiveren Akquisitionsstrategie. Wir sind enorm breit aufgestellt mit 80'000 Mitarbeitern in 110 Ländern, sodass organisches Wachstum viel profitabler und nachhaltiger ist für uns – ausser dort, wo wir Lücken füllen wollen.
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★ Herrliberg oder Schindellegi? Schindellegi beruflich, Herrliberg privat.
★ Euro oder Franken? Franken: Lieber den eigenen Weg gehen.
★ Bangkok oder Zürich? Beides.
★ Baerbock oder Laschet? Niemand von beiden.
★ Von der Leyen oder Parmelin? Auch da: Niemand von beiden.
★ Golf oder joggen? Eher joggen, Golf spiele ich nicht.
★ Ferrari oder Bentley? Bentley, aber gern auch Fiat 500.
★ Aktien oder Bitcoin?Aktien – Bitcoin ist zu schwer zu durchschauen.
★ DKSH oder Kühne+Nagel? DKSH war eine gute Zeit, Kühne+Nagel hat eine gute Zukunft.
Und das tun Sie mit Apex in Asien?
Genau. Wir sind heute schon weltweit die Nummer eins in der Seefracht. Bei der Luftfracht sind wir Nummer zwei. Apex ist besonders im transpazifischen Luftfrachtgeschäft stark. Gemeinsam wollen wir auch die Nummer eins in der Luft werden.
Die grösste Akquisition direkt vor der Haustür haben Sie dagegen nicht wahrgenommen, obwohl Ihr CEO Detlef Trefzger Interesse signalisiert hatte. So landete Panalpina bei der dänischen DSV. Bereuen Sie das?
Überhaupt nicht. Unser CEO hat in einem Interview in einer frühen Phase bestätigt, dass wir Panalpina anschauen würden, das haben wir getan und uns gegen eine Übernahme entschieden. Es hätte viel zu viele Überschneidungen gegeben, wir hätten Tausende Mitarbeiter entlassen müssen. Und der Preis war viel zu hoch.
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Bei Ihrem Konkurrenten hat die Übernahme aber den Kurs besonders befeuert – seit dem Einbruch im März 2020 hat die DSV-Aktie um 170 Prozent zugelegt, bei Kühne+Nagel waren es – auch stattliche – 110 Prozent.
Es sind zwei verschiedene Modelle: Wir setzen auf organisches Wachstum, DSV auf grosse Akquisitionen. Meine Erfahrung über die letzten 35 Jahre sagt mir aber: Organisches Wachstum ist der wesentlich profitablere, zugleich risikoärmere Weg. Wir haben keine Schulden, wir zahlen auch die Apex-Akquisition aus unserem Cash-Bestand, wir haben einen langfristig denkenden Ankeraktionär.
Börsianer fordern bei Kühne+Nagel mehr Dynamik.
Wir erzielen ein Rekordergebnnis nach dem anderen und sind sehr dynamisch in der Gewinnung von Neugeschäften. Wir sind die Nummer eins in der Seefracht und mit viel Arbeit hoffentlich auch bald in der Luftfracht. Das ist das, was zählt.
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Zum Boom Ihres Geschäfts trägt auch die Impfstoffverteilung bei. Wie kam es dazu?
Wir haben vor drei Jahren entschieden, Pharmalogistik zu einem strategischen Pfeiler auszubauen. Derzeit haben wir weltweit mehr als 250 Pharmahubs. Im ersten Quartal haben wir 50 Millionen Impfdosen geliefert, im zweiten Quartal werden es 250 bis 300 Millionen sein.
««Logistik ist die Lebensader der Wirtschaft. Das haben jetzt alle erkannt.»»
Verwaltungsratspräsident Kühne+Nagel
Bekannt ist, dass Sie Impfstoffe von Moderna und Sinovac verteilen.
Ja, und es gibt noch andere Produzenten, über die wir nicht reden dürfen. Wir arbeiten auch mit dem UN-Programm Covac zusammen.
Wie viel Geld bringt das?
Der Ertrag ist ist eher vernachlässigbar, es handelt sich bislang höchstens um einen kleinen einstelligen Millionengewinn. Allerdings können wir dadurch einen grossen Beitrag zur Lösung der Krise leisten und den Skeptikern beweisen: Wir haben die Kühlung und die Feinverteilung im Griff.
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Ist Logistik plötzlich sexy?
Als ich vor zwölf Jahren zu Kühne+Nagel stiess, hatte die Branche das Image eines technologiefernen Transporteurs. Dann kam der E-Commerce-Boom via Amazon und Co., dadurch stieg das Ansehen massiv. Jetzt kommt mit der Pandemie der zweite Image-Schub. Logistik ist die Lebensader der Weltwirtschaft. Das haben jetzt alle erkannt.
Wie schlägt sich das in Ihrem Angebot nieder?
Vor der Pandemie ging es vor allem um den Preis: Wie bekomme ich eine Ware möglichst günstig von A nach B? Heute sind andere Faktoren viel wichtiger: Planbarkeit, Transparenz, Nachhaltigkeit und Risikominimierung. Der Logistiker ist ein strategischer Partner geworden.
Sie sitzen als einziger Europäer im Verwaltungsrat des Singapurer Handelshauses Olam. In Asien läuft die Konjunktur schon wieder deutlich besser als in Europa. Die Inflationsängste steigen. Überhitzt die Weltwirtschaft?
Ich sehe noch keine Überhitzung. Manche Länder, gerade in Asien, haben sehr stark und schnell reagiert: China, Singapur, Taiwan oder Korea haben die Krise zügig bewältigt und dadurch ihre Position verstärkt. In diesen Ländern hat sich niemand von überbordenden Datenschutz-Bedenken zurückhalten lassen. In den USA hat Präsident Biden einfach nur die klare Botschaft ausgegeben: «A shot in the arm and money in the pocket.» Die deutsche Bundeskanzlerin dagegen redet 15 Minuten über Inzidenzen, und die Massnahmen gehen ewig hin und her. Diesen Pragmatismus in Asien und diese «Can-do»-Attitüde in den USA haben wir in Europa leider nicht. Doch die Industrie boomt auch hier, vor allem wenn sie stark nach Asien exportiert.
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Bilanz: Gespräch Jörg Wolle, Wendelteppe
Grosser Deal in Asien: Mit dem chinesischen Luftfracht-Anbieter Apex orchestrierte Jörg Wolle den grössten Firmenkauf von Kühne+Nagel.
Joseph Khakshouri für BILANZGrosser Deal in Asien: Mit dem chinesischen Luftfracht-Anbieter Apex orchestrierte Jörg Wolle den grössten Firmenkauf von Kühne+Nagel.
Joseph Khakshouri für BILANZEs gibt aber schon inflationäre Tendenzen: Die Preise von Mikrochips oder vielen Rohstoffen schiessen in die Höhe.
In gewissen Bereichen sehen wir stark angespannte Märkte, in der Maschinenbauindustrie etwa. Andere Bereiche wie die Luftfahrt schrumpfen dagegen. China, der Rest von Asien und die USA bauen ihren Vorsprung weiter aus. Jetzt kommt es für uns in Europa und der Schweiz darauf an, diese Chancen zu nutzen. China meldet im ersten Quartal ein Wachstum von 18,6 Prozent, das gab es noch nie.
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Überhitzt die Börse?
Die Bewertungen sind aussergewöhnlich hoch. Die Anleger befinden sich in einem Dilemma: Sie werden bestraft fürs Sparen.
Sollte man jetzt noch investieren?
Das kommt sehr auf die Industrie an. Wird Tesla nachhaltig auf dem aktuellen Bewertungsniveau bleiben? Nein, das glaube ich nicht. Aber verschiedene Maschinenbauunternehmen, bei denen der Markt noch gar nicht erkannt hat, wie gut es ihnen geht, sind noch immer unterbewertet.
Sie sind einer der wenigen hochkarätigen Wirtschaftsführer, die bei der Allianz «Kompass Europa» dabei sind, gegründet vom Private-Equity-Haus Partners Group. Das Ziel: Den Rahmenvertrag mit der EU zu verhindern. Warum machen Sie mit?
Es gab bisher zwei Lager in der Europafrage: Das progressive Lager, das sich näher an die EU anbinden will, und das nationalkonservative Lager, das von einer Annäherung nichts wissen will. Jetzt melden sich zusätzlich die pragmatischen Vertreter in der Mitte zu Wort, häufig aus der Wirtschaft, zu ihnen zähle ich mich auch. Sie machen eine Kosten-Nutzen-Analyse. Sie waren für die bilateralen Verträge, aber sind nicht für eine weitere Annäherung an die EU, die dann in einem Beitritt endet. Diese Mitte ist ernüchtert und sieht die Weiterverhandlung des Rahmenabkommens eher skeptisch. Die Verhandlungen dauern schon viel zu lange, das Abkommen wird seit Jahren zerredet.
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Bilanz: Gespräch Jörg Wolle, Porträt
Langsames Europa: In Asien hat sich laut Wolle bei der Pandemie-Bekämpfung «niemand von überbordenden Datenschutz-Bedenken zurückhalten lassen».
Joseph Khakshouri für BILANZLangsames Europa: In Asien hat sich laut Wolle bei der Pandemie-Bekämpfung «niemand von überbordenden Datenschutz-Bedenken zurückhalten lassen».
Joseph Khakshouri für BILANZDass es jedoch jemals einen besseren Deal gibt, ist unwahrscheinlich. Wie geht es weiter?
Am Ende bestimmt das Volk, nicht die Wirtschaft. Wir fühlen uns heute aus gutem Grund wohl in unserem kleinen Land, und das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form stellt eine schleichende Annäherung an die Willensnation Europa dar. Da wird es voraussichtlich nicht genügend Befürworter geben, die sich anschliessen.
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Wenn die EU denn überhaupt eine Willensnation ist, dann steht sie als solche derzeit allerdings eher schwach da und dient in der Schweiz vor allem als willkommenes Feindbild.
Wenn man Europa heute anschaut, gibt es derzeit wenig Gründe, warum die Schweiz sich da stärker einbinden lassen sollte.
Auf der Webseite von «Kompass Europa» treten Sie als Unternehmer auf und nicht als Vertreter von Kühne+Nagel. Warum?
Es geht nicht um Kühne+Nagel, sondern um mich. Ich wollte mich explizit nicht als Vertreter einer Firma exponieren. Ich bin als Unternehmer und Verwaltungsrat in verschiedenen Firmen engagiert.
Patron Klaus-Michael Kühne wurde einst als «Mister Europa» ausgezeichnet und möchte keinen Schweizer Pass. Die Vermutung liegt nahe, dass er in dieser Frage anderer Meinung ist als Sie.
Das weiss ich nicht, wir haben noch nicht darüber geredet.
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««Das Projekt des Rahmenabkommens wurde auf die lange Bank geschoben, mit zu vielen Köchen am Werk.»»
Verwaltungsratspräsident Kühne+Nagel
Laut einer GFS-Umfrage sagen gegenwärtig 64 Prozent der Schweizer Stimmbürger «ja» oder «eher ja» zum Rahmenabkommen.
Wir werden es sehen. Das ganze Projekt ist in einer wenig guten Verfassung. Es wurde auf die lange Bank geschoben, mit zu vielen Köchen am Werk. Es braucht eine klärende Abstimmung. Wir verlieren zu viel Zeit und müssen achtgeben, dabei nicht abgehängt zu werden. In China werden in den nächsten 15 Jahren 216 neue Flughäfen gebaut. Die wollen damit auf 450 Flughäfen kommen. Und hier vermitteln viele das Gefühl, die Zukunft gehört dem Velo.
24 Milliarden Franken Umsatz, 35 Milliarden Börsenwert: Seit fünf Jahren steht Jörg Wolle (64) dem Logistikriesen Kühne+Nagel aus Schindellegi SZ als Präsident vor. Mit Mehrheitsaktionär Klaus-Michael Kühne teilt der schweizerisch-deutsche Doppelbürger die Vorliebe für Mallorca – beide verbringen die Sommermonate auf der Insel. Der Maschinenbauingenieur war fast 20 Jahre die prägende Kraft beim Handelshaus DKSH. Heute amtet er auch als VR-Präsident des Maschinenbauers Klingelnberg und ist VR-Mitglied beim Handelshaus Olam in Singapur. Letztes Jahr zog er von Schindellegi zurück nach Herrliberg.
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Sie sind schweizerisch-deutscher Doppelbürger. Kühne+Nagel hat einst ihren Hauptsitz in die Schweiz verlegt aus Angst vor der Wirtschaftspolitik des SPD-Kanzlers Willy Brandt. Jetzt könnte es im Herbst die erste grüne Bundeskanzlerin geben. Dann drohen Steuerhöhungen. Ein Konjunkturprogamm für die Schweiz?
Sicher würde das die Schweiz noch attraktiver machen. Ein Grund mehr für die Schweiz, um sich nicht einfach irgendwo anzuhängen, sondern den eigenen Weg zu gehen.
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