Guten Tag,
Klaus Hommels über den Digitalisierungs-Push durch Corona, den europäischen Rückstand beim Venture Funding und die Nationalisierung des Internets.
Marc Kowalsky
«Der Schweizer Ansatz ist relativ gut»: Investor Klaus Hommels über die Finanzhilfen von Bund und Kantonen für die Schweizer Start-up-Szene.
Joseph KhakshouriWerbung
Klaus Hommels, haben Sie die Covid-Tracing-App installiert?
Aber klar. Sogar von allen Ländern, die ich noch bereisen kann.
Der weltweite technische Standard für diese App wurde an der EPFL in Lausanne entwickelt. Ist das ein Achtungserfolg für die Schweizer digitale Szene oder endlich der Durchbruch?
Wahrscheinlich ist das typisch für die Schweiz: hoher Qualitätsstandard, aber unzureichend vermarktet.
Was bedeutet Corona für die Digitalisierung hierzulande?
Corona ist der effizienteste Chief Digital Officer, den es bisher gibt.
Welche Branchen haben besonders profitiert?
Grundsätzlich haben wir gemerkt, dass fast alle Tech-Firmen unglaublich widerstandsfähig gegen Corona sind: Das hat damit zu tun, dass ihre Geschäftsmodelle sehr belastbar sind, dass sie so flexibel sind und sich schnell anpassen können. Viele haben profitiert: Die Leute haben etwa ausprobiert, Essen per App zu bestellen, und plötzlich merkt die ganze Familie, wie leicht das ist. Dann wird es zur Gewohnheit, die Firma gewinnt langlebige Nutzer ohne Kundengewinnungskosten. Und das nicht nur beim Food, sondern auch im Lebensmittelhandel, im Bildungsbereich, in der Telemedizin, auf den Kommunikationsplattformen etc. gab es plötzlich spektakuläre Fortschritte. An den Börsen spiegelt sich das auch wider. Auch wir als VC haben für unsere Portfolios fast keine negativen Konsequenzen gespürt.
Auch Schweizer Firmen profitieren?
Natürlich profitieren die grossen Firmen überproportional, und die sind häufig amerikanisch. Die Schweiz etwas weniger.
Welchen Start-ups geht es wegen der Krise an den Kragen?
Die, die jetzt sterben, wären früher oder später wahrscheinlich sowieso gescheitert. Aber wer gut ist und eine starke Position hat, hierzulande etwa GetYourGuide, bekommt auch in dieser Phase Geld. Das steckt man momentan ins Produkt, spart dafür am Marketing, und wenn die Märkte wieder loslegen, kommt man viel stärker hervor und gewinnt zulasten der etablierten Industrie.
Start-ups bekommen also noch immer Geld, auch in diesen unsicheren Zeiten?
Ja, das hat sich kaum geändert. Momentan ist das perfekte Investment jenes in eine Kombination von Wachstum und hoher Liquidität. Das heisst in die börsenkotierten Tech-Firmen. Das zweitbeste ist Wachstum und noch nicht an der Börse. Also Start-ups.
Andere Schweizer Start-ups haben gelitten. Für diese haben Bund und Kantone Bürgschaften von 154 Millionen aufgelegt. Wie sinnvoll ist das?
Der Schweizer Ansatz ist relativ gut. VCs können mit zusätzlichen Mitteln vielleicht auffangen, wenn bei einem Start-up 10 oder 15 Prozent des Umsatzes wegbrechen. Aber nicht 80 oder 100 Prozent wie während des Lockdowns. Also braucht es Förderprogramme. Bei den Firmen, die jahrelang hochgepäppelt wurden und jetzt gross rauskommen könnten, darf es nicht daran scheitern. Und so, wie das Programm hierzulande designt wurde, klappt das auch.
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Klaus Hommels (53) ist der erfolgreichste VC der Schweiz und einer der erfolgreichsten Europas. Er investierte früh in US-Firmen wie Facebook, Airbnb oder Skype, inzwischen fördert er hauptsächlich europäische Tech-Firmen wie Spotify, Sennder oder Revolut sowie solche aus der Schweiz (Teralytics, GetYourGuide). Seine Investmentgesellschaft Lakestar mit Niederlassungen in Zürich, Berlin, London und Hongkong hat letztes Jahr einen der grössten VC-Funds Europas mit einem Volumen von 700 Millionen Franken aufgesetzt. Der deutschen Bundesregierung half Hommels während der Corona-Krise bei der Ausarbeitung des Rettungspaketes für Start-ups. Er ist deutsch-schweizerischer Doppelbürger und wohnt seit 32 Jahren in der Schweiz.
Wie wählt ein Staat die richtigen Startups aus, die überleben sollen?
Der Staat wählt nie aus. Das können immer nur jene Leute sein, die ihr eigenes Geld riskieren. Also wir als VC. Und in diese Rolle des Gatekeepers müssen wir hineinwachsen. Das ist ja auch nichts Neues in Europa: In den 1950er, 60er, 70er Jahren, als Startups noch nicht so hiessen, kam die erste Finanzierung von der Hausbank. Und wenn die Geld gesprochen hatte, war dies das Auswahlkriterium, damit auch der Staat – in Deutschland etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau – finanzieren konnte. Deshalb sind wir in Europa heute relativ reich. Aber heute bekommt keine Firma, die vielleicht in 10 oder 15 Jahren zum Mittelstand gehört, von der Bank Geld. Und es ist ganz essenziell, dass wir lokal finanzieren, das hat Corona gezeigt.
Inwiefern?
Wären jene europäischen Firmen, die bei der Forschung nach einem Impfstoff vorne liegen, von amerikanischen Geldgebern finanziert, würde Trump denen Druck machen und sagen: So, der Impfstoff geht in die USA. Und das macht er ja auch, siehe den Fall Moderna/Lonza. Aber bei der deutschen CureVac etwa, die von SAP-Gründer Dietmar Hopp finanziert wurde, hat er damit keine Chance.
Es gibt in der Schweiz seit zwei Jahren den Swiss Entrepreneur Fund, ein staatlich angeschobenes Investitionsvehikel, aber privat finanziert. Bräuchte es hierzulande einen echten Staatsfonds?
Es würde sich lohnen: Die Bundesrepublik Deutschland investiert seit 15 Jahren in Ventures und erwirtschaftet damit eine jährliche Rendite von durchschnittlich zwölf Prozent.
Und schafft so vermutlich auch noch Arbeitsplätze und Steuergelder.
Plus die Grundvoraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit! Auch der Europäische Investmentfonds (EIF) hat auf seinen Funds of Funds noch nie Geld verloren. Und man hat ein Mitspracherecht, sitzt am Cap Table, lernt etwas. Aber bisher hat europäisches Geld nur an 14 Prozent der Finanzierungsrunden der grossen Firmen weltweit überhaupt teilgenommen, dabei 1,9 Prozent des Geldes investiert, das an den Cap Tables heute nur 1,4 Prozent wert ist. Das heisst, wir sind leider nirgendwo. Und das geht eigentlich gar nicht.
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«Work from home spielt der Schweiz in die Karten, weil man hier das intellektuelle Kapital hat mit den tollen Universitäten EPFL und ETH»: Klaus Hommels über die Chancen durch Corona.
Joseph Khakshouri«Work from home spielt der Schweiz in die Karten, weil man hier das intellektuelle Kapital hat mit den tollen Universitäten EPFL und ETH»: Klaus Hommels über die Chancen durch Corona.
Joseph KhakshouriWas also kann man tun, um Pensionskassen, Family Offices und traditionelle Banken mehr fürs Thema Start-up-Investments zu begeistern?
Ich denke, das ist ein Lernprozess – wie bei Private Equity. In den 2000ern war die Assetklasse Venture kein Muss. Aber inzwischen ist sie reifer geworden, man hat belastbare Zahlen. Da passt es für mich nicht mehr zusammen, wenn der Staat damit zwölf Prozent verdient und Lebensversicherungen sich beklagen, dass sie zwei Prozent Garantiezins nicht erwirtschaften können. Deshalb bauen wir gerade für interessierte Banken, Versicherungen und Pensionsfonds massgeschneiderte strukturierte Produkte, die eine stärkere Asymmetrie zwischen Risiko und Chance hinbekommen, um diese Performance auch der breiteren Masse zur Verfügung zu stellen. Denn wenn ich 30 Jahre in meine Rente einzahle und einen Verzinsungsunterschied von zehn Prozentpunkten habe, ist das ein riesiger Hebel.
Finden sich hierzulande dann auch genug gute Start-ups, die so eine Rendite erwirtschaften, oder würde das Geld nicht zwangsweise ins Ausland wandern?
Dank Corona ist Work from home jetzt akzeptiert. Man kann heute ja leicht ein Start-up hochziehen, in dem 10 Leute in Zürich sitzen und 30 in Wladiwostok oder Liubljana. Das spielt der Schweiz in die Karten, weil man hier das intellektuelle Kapital hat mit den tollen Universitäten EPFL und ETH. Wenn man jetzt noch das entsprechende Umfeld für Finanzierung hätte … Am Ende des Tages hat gerade auch Corona dazu geführt, dass auch viele Europäer in Amerika sagen: Mein Gott, Europa ist schon toll, alles funktioniert, es ist relativ sicher, die Lebensqualität hoch. Wenn man das verbinden würde mit einer kleineren Lücke, was die Effizienz der Standortbedingungen angeht, könnten viele umkippen und zurückkommen. Da bin ich sicher.
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««2019 sind in Europa so viele Einhörner entstanden wie 2008 bis 2013 in Summe.»»
Ausser der 50 Jahre alten SAP, Spotify und ein paar Fintechs wie Checkout.com oder Revolut sind aus Europa noch immer keine global erfolgreichen Tech-Firmen gekommen.
Stimmt, das ist eine Sicht darauf. Eine andere Sicht ist: In welcher Geschwindigkeit entwickelt sich das? Wie viele neue Einhörner, also Firmen mit Milliardenbewertungen, gibt es pro Jahr? Das steigt relativ stark an. Im letzten Jahr sind so viele dazugekommen, wie Europa von 2008 bis 2013 in Summe geschafft hat. Es werden nicht nur viel schneller viel mehr, sondern sie werden relativ gesehen auch noch grösser. Spotify mit 50 Milliarden Börsenwert, der holländische Zahlungsdienstleister Adyen mit inzwischen 40 Milliarden. Dann Delivery Hero, die mit 18 Milliarden gerade in den DAX kommt, Zalando ist ähnlich gross, HelloFresh immerhin 8 Milliarden. In den letzten zehn Jahren hat Europa wahrscheinlich 10, 15 Firmen aus dem Boden gestampft, die grösser sind als die Lufthansa, die bis zur Corona-Krise im DAX war und 50 Jahre dafür gebraucht hatte. Und die müssen wir ja auch ersetzen.
Aber verglichen mit den USA sind das Peanuts.
Das stimmt. Die Amerikaner haben in den letzten 25 Jahren 870 Milliarden Dollar in Venture-Firmen investiert. Heute ist jeder neunte US-Arbeitnehmer bei einer Firma angestellt, die mit Venture Capital grossgezogen wurde. Und aus den 870 Milliarden ist eine Börsenkapitalisierung von 6 Billionen geworden, also 6000 Milliarden Dollar – fast ein Drittel des Bruttoinlandprodukts! In Deutschland, Europas grösster Volkswirtschaft, stammen aus VC-Investitionen nur 1,5 Prozent des BIP. Wir müssen also viel mehr in Venture-Firmen investieren, um unsere Wettbewerbsposition zu halten. Die Amerikaner, aber auch die Chinesen machen es uns vor.
Stichwort Amerikaner und Chinesen: Der Grundgedanke des Internets ist die Globalität. Jetzt haben wir einen US-Präsidenten, der TikTok verbieten oder von einem US-Konzern übernehmen lassen will, der WeChat auf die Beobachtungsliste setzt, der Huawei unter Sanktionen stellt, mit dem Ergebnis, dass sich der Konzern zunehmend auf den chinesischen Heimmarkt konzentriert. Dort dürfen Firmen wie Facebook oder Google gar nicht erst präsent sein. Erleben wir gerade die Nationalisierung des Internets?
Ein Stück weit schon. Es geht in die Richtung einer Organisation von kontinentalen Monopolen. Weil viele westliche Firmen seit Jahren nicht auf den chinesischen Markt durften, war der Weg frei für die lokalen Player dort. Wenn das jetzt umgekehrt auch nicht mehr passieren darf, haben bald alle ihre Claims abgesteckt. Und wenn wir als Europäer keine stringente Wirtschaftspolitik machen, dann werden wir dazwischen zerrieben. Weil in China eine gleichgeschaltete Diktatur herrscht, die USA eine zentralistische und unfassbar entschlossene Wirtschaftspolitik betreiben und Europa im Gegensatz dazu sehr heterogen agiert.
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««Auch in der Digitalwelt kann man sich nicht uneingeschränkt dem Grössendiktat beugen.»»
Wenn es also bald ein asiatisches und ein westliches Internet gibt und vielleicht noch ein europäisches Netz als drittes: Was sind die Folgen für die globalen Geschäftsmodelle?
Das ist eine interessante Frage. Einige Modelle definieren sich ja hauptsächlich über ihre Grenzkosten und -erlöse. In grösseren Wirtschaftsräumen wie China werden solche Plattformen profitabler und effizienter sein als in kleineren wie Europa. Aber ich glaube, auch in der Digitalwelt kann man sich nicht uneingeschränkt diesem Grössendiktat beugen.
Das heisst?
Weil dann die Ethik bachab geht. Klar ist es effizienter, wenn man in China die Gesichter derjenigen erkennt, die bei Rot über die Strasse gehen, und ihnen das Bussgeld direkt via WeChat abbucht. Aber wollen wir das? Nein, wir kommen dann, glaube ich, als Europa an eine Grenze, wo wir sagen müssen: Bestimmte Werte sind uns ethisch so wichtig, dass wir uns da nicht einer technischen Effizienz beugen. Vielleicht mit dem Risiko, dass wir dann in bestimmten Gebieten nicht wettbewerbsfähig sind. Es wird zu einer Wertediskussion kommen. Und unsere Werte, die Art, wie wir miteinander umgehen, unterscheidet uns Europäer auch stärker von den Amerikanern, als man häufig meint. Das wird eine ganz schwierige Entscheidung, und sie wird uns ökonomisch belasten.
Sind die europäischen Datenschutzgesetze, auch jene der Schweiz, in diesem Kontext ein Standortvorteil oder ein Standortnachteil?
Das ist eine ähnliche Frage, und auch die Antwort ist ähnlich. Die Art und Weise, wie wir mit unseren Daten umgehen möchten, ist Teil unserer Kultur. Unsere Privatsphäre ist uns – auch aus historischen Gründen – wichtiger, als sie es für die Amerikaner ist. Dennoch schalten wir, ohne zu zögern, unsere Daten frei, um Dienste wie Facebook oder Snapchat zu nutzen – freiwillig.
Muss das Sammeln und Verknüpfen von Daten für diese Firmen in Europa also weiter erschwert werden?
In diesem Moment würde man einen Nachteil schaffen für europäische Firmen. Denn wir haben kaum Unternehmen, die so viele Teile unseres Lebens bereits emotional so einnehmend bedienen wie Google, Amazon oder Netflix. Fragen Sie mal herum bei Ihren Bekannten, auf welche dieser US-Dienste sie keinesfalls verzichten wollten. Wohl auf die meisten. Und dann fragen Sie mal, auf welche europäischen Dienste Ihre Bekannten keinesfalls verzichten würden. Da kommt bestenfalls Spotify. Und jetzt stellen Sie sich ein Start-up hierzulande vor, das gerade anfängt. Dieses braucht erst mal gar keiner Ihrer Bekannten, darauf können alle verzichten. Aber wenn dieses Start-up keine Daten sammeln und verknüpfen darf, hat es auch nie den Hauch einer Chance, auch nur annähernd in die Liga der etablierten Big Tech aufzusteigen, die dies in allen anderen Teilen der Welt tun, und das seit Jahren.
Müssen die Inhalte auf den grossen Plattformen reguliert werden, Stichwort Fake News?
Auf jeden Fall. Uneingeschränkt, ja. Weil es die aktuellen Protagonisten so übertreiben, wird jedem klar, was vollkommen wahrheitsferne Twitter- und Facebook-Übungen für die Beeinflussung einer Demokratie bedeuten können. Wenn Sie als Journalist etwas Falsches schreiben, kann ich Sie damit konfrontieren und wenn nötig verklagen. Ähnlich ist es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Und es kann nicht sein, dass wir im wichtigsten Medium überhaupt ohne Filter und ohne Konsequenzen jeden Müll veröffentlichen dürfen. Die grosse Frage ist, wer dann der entsprechende Regulator sein soll. Da braucht es einen konzertierten, entschlossenen europäischen Aufschlag!
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