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Superreiche

«Ich war mein ganzes Leben glücklich – ob mit oder ohne Geld»

Kein Schweizer spendet so viel wie Hansjörg Wyss. Warum und wie er das tut, lesen Sie im dritten Teil des Vorabdrucks «Milliardäre».

Dirk Schütz

Hansjoerg Wyss founder of Swiss medtech company Synthes, billionaire, patron and President of the Wyss Center during the opening of the Biotech Campus, a research institution for biotechnology and life science, in Geneva, Switzerland, May 22, 2015. The center was created by The Ecole Polytechnique Federale de Lausanne EPFL and the University of Geneva following a donation of CHF 100 million from the Wyss Foundation. (KEYSTONE/Laurent Gillieron)

«Ich habe immer eine gute Flasche Wein gehabt», so Medtech-Milliardär Hansjörg Wyss.

Keystone

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Die Antwort kommt schnell – nach genau 33 Minuten. «Ich werde sehr gerne mit Ihnen über dieses Thema sprechen. Leider bin ich jetzt in den USA und musste alle geplanten Schweizer Reisen absagen», schreibt Hansjörg Wyss per Mail. BILANZ bezeichnete ihn einst als «Phantom», weil er extrem selten mit Medien spricht und seit mehr als 40  Jahren in den USA fast incognito lebt. Doch jetzt sagt er in Rekordzeit zu, über seinen Reichtum und vor allem den verantwortungsvollen Umgang damit zu sprechen.

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Ein Brief von ihm hatte einmal für grosses Aufsehen gesorgt. 2013 trat er der «Giving Pledge» bei, dem exklusivsten Club der Welt, gegründet von Softwarekönig Bill Gates und Anlegerlegende Warren Buffett: Zugelassen sind nur Milliardäre – und jedes Mitglied verpflichtet sich, zumindest die Hälfte seines Vermögens für karitative Zwecke zu spenden.

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«Mit Abenteuerlust und Geschäftsgespür schrieb er eine der grössten Erfolgsgeschichten Europas.»

211 Mitglieder zählte der Club Ende 2020, und es gibt nur einen Schweizer darin, obwohl das Land mehr als 100 Milliardäre zählt: Hansjörg Wyss, der mit amerikanischem Pathos beitrat. «Präsident Thomas Jefferson erinnert uns daran: Jeder Mensch hat eine Verpflichtung gegenüber seinem Land, je nach den Gaben, die Natur und Glück ihm zukommen liessen. Ich war glücklich, dass ich von diesen Möglichkeiten profitieren durfte. Ich bin entschlossen, meine Verpflichtung gegenüber anderen zu erfüllen, damit wir gemeinsam die Fülle der menschlichen Möglichkeiten und des Mitgefühls ausweiten können.»

Wir erreichen ihn schliesslich via Zoom in seinem Haus auf einer Insel im US-Bundesstaat Maine. Rotes Sportshirt, leicht bernische Klangfarbe, immer mal wieder durchzogen mit englischen Sätzen. Dafür, dass er ein ganzes Spendenimperium mit Milliardenausgaben zu lenken hat, wirkt er extrem entspannt.

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«Die Corona-Situation hat viele Vorteile», lacht er ins Mikrofon. «Man hat mehr Ruhe, mehr Zeit zum Lesen, und die Zoom-Calls ersparen unnötige Reisen. Da habe ich mehr Zeit fürs Tennisspielen.» Begeisterter Sportler war er schon immer. Früher berichtete er sogar für die «NZZ» über Sportereignisse wie etwa die Ski-Weltmeisterschaften. Und auch jetzt, im Alter von 85 Jahren, hält er sich noch mit einer Ballmaschine fit.

Hansjörg Wyss – grösster Schweizer Spender

Keine Frage: Hansjörg Wyss hat mit einer Mischung aus Abenteuerlust, Handlungsschnelligkeit und Geschäftsgespür eine der grössten Erfolgsgeschichten der europäischen Unternehmerszene geschrieben. Mehr als zehn Milliarden Dollar bezog er 2012 auf einen Schlag, als er seine Medizintechnologiefirma Synthes an den US-Konzern Johnson & Johnson verkaufte. Und mit dem gleichen Erfolgsdrang tritt er jetzt als Spender auf. Mehr als drei Milliarden Dollar hat er bereits verteilt. Damit ist er klar der grösste Schweizer Spender.

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Doch eben weil er als Businessmann so penibel war, will er jetzt auch sein Geld so effizient wie möglich weitergeben. «Es ist zehnmal schwieriger, zehn Milliarden sinnvoll auszugeben, als sie zu verdienen», sagt er. «Die Gefahr im Spendengeschäft ist doch, das sieht man gerade bei den grossen Stiftungen: Die Manager machen, was sie wollen, und zahlen sich dafür viel zu hohe Löhne aus.»

Und sein Geld ineffizient abfliessen zu sehen – das geht gegen das Unternehmerethos des Selfmade-Mannes. «Mein grösstes Talent war es immer, relativ schnell zu sehen, ob ein Businessplan oder eine Strategie einer Firma funktioniert. Und das wende ich auch bei meinen Spenden an.»

Aufgewachsen ist er mit zwei Schwestern in einer einfachen Wohnung im Berner Eisenbahnquartier, der Vater Rechenmaschinenverkäufer, die Mutter eine literaturbegeisterte Sprachlehrerin. Es war ein Kulturhaushalt: Sein Vater war ein sehr guter Sänger, besser sogar als der Bruder, Hansjörgs Onkel, der Opernsänger war.

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Jeden Mittag wurden nach dem Essen die Nachrichten gehört. «Und dann ist meine Mutter in einen Lehnstuhl gegangen, hat eine Zigarette angezündet, die Zeitung genommen, und es wurde diskutiert. Hat Harry Truman richtig gehandelt? Muss das Schweizer Militär umorganisiert werden?» Mit diesen Fragen beschäftigte er sich als Bub. Der Vater übernahm den Abwasch, die Kinder trockneten ab – und die Mutter gab im Lehnstuhl die grossen Themen vor.

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Seine Mutter sollte sein Leitstern bleiben: Sein Lieblingswein des eigenen Weinguts «Halter Ranch» im Napa Valley heisst «Cuvée Alice», der Vorname seiner Mutter, das Gut ist benannt nach ihrem Mädchennamen, und dass der grosse Verkauf seiner Firma Synthes an einem 14. Juni stattfand, deutete er stets als gutes Zeichen – es war der Geburtstag seiner Mutter. Sie war 1995 im Alter von 95 Jahren gestorben.

Der junge Hansjörg war wissbegierig, energiegeladen, durchaus mit einer Prise Rebellion. Er schaffte als Einziger aus seinem Quartier die Matura, obwohl er sogar einmal während des Schuljahres zurückgesetzt wurde, weil er in den drei Schlüsselfächern Mathematik, Deutsch und Latein ungenügende Noten bekam. («Ich kam mit den drei Lehrern überhaupt nicht aus. Ihre Art zu unterrichten konnte ich nicht ausstehen.») Der Vater hatte bereits einen Lehrstellenvertrag unterschrieben, aber die Mutter sagte: Solange er nicht fliegt, passiert nichts.

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Hansjörg Wyss baut Kamelknochen-Mühle um

Geld war nie ein Antrieb. Die Mutter hatte ein bescheidenes Budget, da bekamen die Kinder kleine Beträge zugeteilt. Mit 15 Jahren begann er neben der Schule auf dem Bau zu arbeiten, damit finanzierte er den Tennis- und den Eishockeyclub. Im Winter hatte er manchmal drei Jobs nebeneinander. War es schon damals sein Ziel, finanziell unabhängig zu sein? «Überhaupt nicht – das lag mir komplett fern.»

Zum Studium wählte er die ETH in Zürich und liess sich dort zum Tiefbauingenieur ausbilden – sicher eine ungewöhnliche Wahl für den Spross aus einer Künstlerfamilie. Doch er hatte schon immer seinen eigenen Kopf und grosse Willenskraft. Dann zeigte er seine Abenteuerlust. Er zog nach Genf, schon damals die Hochburg der internationalen Schweiz, und begann ein Managementprogramm beim Autobauer Chrysler.

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«Er war ein unternehmungs­lustiger Freigeist, der sich nur schwer ­binden liess.»

Dann ging es um die Welt. Als 26-Jähriger wurde er nach Pakistan geschickt, er musste eine Kamelknochen-Mühle umbauen in ein ganz kleines Montagewerk für Lastwagen. «Ich war dort ziemlich allein während zweier Monate», erinnert er sich. Das Projekt gelang, und so schickte man ihn weiter in die Türkei mit dem Auftrag, dort ebenfalls ein kleines Montagewerk zu errichten – Land suchen, Architekten suchen, Ingenieure suchen.

«Meine Chefs haben mich für verrückt erklärt, weil ich als Erster auf der asiatischen Seite des Bosporus Land kaufte, es gab damals ja noch keine Brücke.» Trocken entgegnete er seinen Vorgesetzten, dass hier die grösste industrielle Besiedlung der Türkei entstehen werde. «So kam es dann auch.» Er war frisch verheiratet mit einer Amerikanerin, zusammen verbrachten sie die Zeit am Bosporus.

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Die Amerikaner bei Chrysler signalisierten ihm, dass ihm eine Managementausbildung in den USA helfen würde, und so bewarb er sich bei zwei Schulen: der Sloan School of Management, damals mit dem besten Ruf als Managementschmiede, und der noch nicht ganz so renommierten Harvard Business School.

Als ihm Sloan absagte, war er zwar enttäuscht, doch dann freundete er sich mit Harvard an – und daraus sollte eine lebenslange Verbundenheit entstehen: Später sollte er dort für mehrere Projekte spenden. Doch erst mal musste er sich das Schulgeld für die zweijährige Ausbildung an der Harvard Business School leihen, der Sekretär des Schulrats der ETH half ihm. Dieser bekam das Geld dann aber bald wieder zurückbezahlt.

Ingenieur Wyss trifft Mediziner Allgöwer

Nach Harvard übernahm Wyss verschiedene Jobs, mal in den USA, mal in Europa. Er war ein unternehmungslustiger Freigeist, der sich nur schwer binden liess. Einmal war er bei einer schwedischen Firma, dann begann er in Genf bei einem Industrieunternehmen, allerdings nur für eine Woche: Die Geschäftspraktiken waren dubios. Schliesslich landete er bei dem amerikanischen Saatgutriesen Monsanto, für den er in Europa das Chemiefasergeschäft aufbauen sollte.

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Und dort leistete er sich eine Extravaganz, die seine spezielle Persönlichkeit eindrücklich untermalt: Er setzte sein eigenes Flugzeug durch. Die Fliegerei mit kleinen Maschinen war schon immer sein Hobby. Erst wollten ihn seine Chefs in Amerika davon abbringen, doch dann überzeugte er sie von dem Nutzen: Er konnte von Brüssel aus die Standorte viel effizienter anfliegen. Er machte daraus sogar ein kleines Geschäft: Er verkaufte kleine zweimotorige Geschäftsflieger aus den USA nach Europa.

1975 sprach ihn ein Bekannter an, ob er nicht eine Maschine für zwei sehr erfolgreiche Chirurgen habe, die eine Medizinaltechnikfirma betrieben. So lernte er Martin Allgöwer kennen, der zusammen mit anderen Ärzten die Firma Synthes gegründet hatte. Die Firma produzierte Implantate für Röhrenknochen, vor allem Beine und Arme. Es kam zu häufigen Treffen, die Verbundenheit wuchs. Hier der Ingenieur mit Geschäftssinn, dort die Mediziner, die vor allem an Produktentwicklung interessiert waren. Zwei Jahre arbeitete Wyss als Berater und lernte so die verzweigte Firma gut kennen.

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Ein grosses Sorgenkind war die US-Tochter, die in miserablem Zustand war. Er stellte sich zur Sanierung zur Verfügung, aber nur unter einer Bedingung: Er wollte Miteigentümer sein. Im Jahr 1977, mit 42 Jahren, investierte Wyss 300'000 Franken, drei Viertel seiner Ersparnisse, in den US-Ableger und erhielt dafür 15 Prozent. Es war eine Minifirma: 35 Mitarbeiter, nicht einmal 5 Millionen Dollar Umsatz.

«Milliardäre» – das neue BILANZ-Buch

«Zehn Schweizer Superreiche – und die grosse Frage: Macht Geld glücklich?» lautet der Untertitel des BILANZ-Buchs «Milliardäre» von Dirk Schütz. Diese Prominenten äussern sich erstmals persönlich zu diesem Thema: Christoph Blocher, Urs Wietlisbach, Klaus-Michael Kühne, Michael Pieper, André Hoffmann, Samih Sawiris, Andreas Jacobs, Urs Burkard, Peter Spuhler – und Hansjörg Wyss. Wie wichtig war Geld in ihrer Kindheit? Wo liegt der Unterschied zwischen einer Million und einer Milliarde Franken? Wie geht man verantwortungsvoll mit einem so grossen Vermögen um? Das Buch ist erhältlich unter shop.bilanz.ch/books und kostet 34 Franken. BILANZ-Leser erhalten 20 Prozent Rabatt, Gutscheincode GRP20-0621.

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Mit seinem Einstieg begann ein frischer Wind zu wehen. Er baute sich ein Team auf und professionalisierte den Verkauf. Schnell ging es aufwärts. Als sie einen Umsatz von einer Million Dollar pro Monat schafften, gab es ein grosses Fest. Bei einer Million pro Woche: ein Riesenfest. Und es dauerte nicht lange, bis es 100 Millionen pro Jahr waren. Er erweiterte das Geschäft und gründete eine neue Division für Implantate für Gesicht und Wirbelsäule, bei denen bis zu 25  Prozent des Verkaufspreises als Gewinn blieben.

Wyss stellte junge, erfolgshungrige Verkäufer ein, professionalisierte den Vertrieb – und setzte dabei wieder auf seine Flugleidenschaft. Er selbst hatte ein privates Flugzeug, das er der Firma vermietete, und mit dem anziehenden Geschäft kaufte er noch mehr von den kleinen Maschinen und vermietete sie an die Firma. So konnten die Ingenieure drei bis vier Besuche pro Tag in amerikanischen Provinzstädten schaffen. Seinen Verkäufern bot er 12,5 Prozent Provision, sie wurden zu Miniunternehmern, der Absatz schoss in die Höhe.

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In der Schweiz staunten die Eigentümer über den Erfolg des ungestümen US-Chefs, der nicht einmal Mediziner war. Das Geschäft lief mehr schlecht als recht, und all die Jahre hatten sich die Eigentümer keine Dividende ausbezahlt. Zehn Jahre nach seinem Einstieg hatte Wyss genug Geld verdient, um die Schweizer Einheiten zu übernehmen und das gesamte Geschäft zu einer Firma zu verschmelzen. Per Handschlag besiegelte Wyss den Vertrag, 70 Millionen Franken musste er über die nächsten Jahre noch an bisherige Aktionäre der amerikanischen Synthes-Tochter abstottern. Doch das gelang ihm durch den grossen Verkaufserfolg mühelos.

Bei der Übernahme 1987 hatte er sich verpflichtet, die Firma zehn Jahre nicht zu verkaufen. Seit Mitte der neunziger Jahre war die Firma durch die Übernahme des Schweizer Herstellers Stratec an der Börse kotiert und unterlag damit strengen Transparenzpflichten. Wyss blieb grösster Einzelaktionär und hatte als Chairman und CEO das uneingeschränkte Sagen.

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«Plötzlich ­landeten zehn ­Milliarden auf seinem Konto: «Solche Sachen muss man nicht feiern.»»

Hansjörg Wyss, Medtech-Milliardär

Und langsam begann die Nachfolgefrage akut zu werden. Sein einziges Kind, Tochter Amy, hatte er zwar in den Verwaltungsrat genommen, er hatte ihr aber auch unmissverständlich gesagt: Sie könne nur die Führung übernehmen, wenn sie sich mindestens zehn Jahre in einer anderen Firma operativ bewährt habe. Das wollte sie nicht, und Wyss hatte abschreckende Beispiele gesehen, bei denen die zweite Generation der Führung nicht gewachsen war. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden. «Sie hat kein Recht, die Firma zu führen», beschied er – da kam Geschäft vor Familie.

Verkauf von Synthes nach 25 Jahren

Blieb der Verkauf. Relativ schnell lief es auf den US-Riesen Johnson & Johnson hinaus. Der hatte früher schon einmal das US-Geschäft kaufen wollen und verfügte über eine grosse Orthopädieabteilung. Mit den Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis führte Wyss zwar auch Gespräche, doch es war relativ schnell klar, dass sie an diesem Geschäftszweig kein Interesse hatten.

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Und so war es dann am 14.  Juni 2012 so weit: Hansjörg Wyss verkaufte nach 35 Jahren an der Spitze, in denen er jedes Jahr Umsatz und Gewinn gesteigert hatte, im Alter von 77 Jahren seine Synthes für 21 Milliarden Dollar an Johnson & Johnson. Für seinen 48-Prozent-Anteil landete die pralle Summe von mehr als 10 Milliarden direkt auf seinem Konto.

Und jetzt? Fühlte er sich plötzlich richtig reich? Wie ist das, wenn plötzlich 10'000'000'000 Dollar auf dem Konto landen? Gab es ein Freudenfest?
Wyss redet plötzlich lauter, schneller. «Solche Sachen muss man nicht feiern. Ich habe immer eine gute Flasche Wein gehabt. Es ist ja auch kein Unterschied: Vorher war das Geld in der Firma, jetzt lag es auf der Bank.» Und die Höhe des Betrages? «Den kann man nicht ermessen, das ist zu abstrakt. Ein Freund hat mich beraten, dass ich mit drei, vier Banken reden muss, bevor dieses grosse Geld bei mir ankommt. Da war ich sehr gut vorbereitet.»

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Und dann sprudelt es förmlich aus ihm heraus. «Ich habe nie an Reichtum gedacht. Ich fühle mich nicht reich. Ich habe im Prinzip gleich viel Geld im Monat wie in meinem ersten Job. Ich brauche nicht mehr Geld. Ich kann ja nur einmal Frühstück essen, einmal Mittag essen. Und jeden Tag ins ‹Baur au Lac› zu gehen, ist auch langweilig.»

Nur eine kleine Extravaganz gönnte er sich nach dem Verkauf der Firma. «Ich will mein Geld anschauen können. Ich habe mir eine wunderschöne kleine Bildersammlung gekauft, die niemand kennt. Es sind Spitzenbilder mit Museumsqualität, von 1880 bis zeitgenössisch. Die hängen in meiner Wohnung. Da brauche ich keine weissen Handschuhe, um sie von einem Zimmer zum anderen zu tragen.»

Und sonst? Jachten, Autos, Villen? Autos und Boote interessieren ihn nicht, und Villen hat er auch nicht – dafür aber einige Häuser. «Vielleicht habe ich etwas zu viele davon – aber sie sind alle klein», sagt er schon fast rechtfertigend. In Lauenen bei Gstaad baute er 1972 sein erstes Haus, das hat er heute noch, dann leistete er sich in der Schweiz noch ein kleines Haus in Prangins bei Nyon. Dazu eine kleine Bleibe in Wyoming, das Haus hier in Maine, von dem aus er das Gespräch führt – und das Familienanwesen auf der Insel Martha’s Vineyard, wo er mit der Tochter und ihren beiden Söhnen drei kleinere Häuser hat.

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Um die Jahrtausendwende kaufte er sich auch ein Gut in Kalifornien, im Napa Valley, die «Halter Ranch». Dort begann er mit dem Weinbau. «Da habe ich in 20 Jahren noch nie einen Rappen verdient», lacht er. «Ich produziere dort einen tollen Cabernet Sauvignon für 50 Franken. Ich trinke doch nicht einen Château Margaux für 1200 Franken, der nicht besser ist als eine 100-Franken-Flasche. Kein Wein ist 1500 Franken wert.»

Als er letztes Jahr mit seiner zweiten Frau in Paris war, gönnte er sich schon eine Junior-Suite in einem Luxushotel. Zum Essen ging es dann aber in ein ganz normales Bistro: «Ich will doch unter Leute.»

Was also machen mit der gigantischen Summe, wenn man sie nicht sinnlos verprassen will? Alle Menschen, mit denen er eine engere Beziehung hatte, alle Frauen, mit denen er zusammenlebte, sicherte er fürs Leben ab. «Ich will mich am Morgen beim Rasieren anschauen und sagen dürfen: ‹You never treated anybody badly.›» Für seine Tochter hatte er schon in jungen Jahren einen Trust gegründet, dessen Vermögen sie im Alter von 35 Jahren beziehen konnte. Sie ist ebenfalls längst Milliardärin.

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Angst vor Missbrauch

Aber eben: Das ist nur ein Bruchteil eines Vermögens von unvorstellbaren zehn Milliarden Dollar. Bleibt also nur der Weg Carnegies – das Geld an die Gesellschaft zurückgeben. Doch das muss eben nach der Maxime geschehen, mit der er zu einem so erfolgreichen Unternehmer wurde: sinnvoll und effizient. Und so hat er eine eigene Infrastruktur aufgebaut, über die er sich dem Geschäft des Spendens verschrieben hat.

Denn auch wenn er sich der «Giving Pledge» angeschlossen hat, so will er doch nicht wie Warren Buffett einfach sein Geld der Gates-Stiftung überlassen. Seine Angst vor Missbrauch ist zu gross.

Drehscheibe ist die Wyss Foundation in Washington, die 40 Mitarbeiter beschäftigt und langfristig sein gesamtes Vermögen erhalten wird. Wyss engagiert sich vor allem in zwei Bereichen: Umwelt und Soziales. Insgesamt hat seine Stiftung mehr als 140 Projekte am Laufen.

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Das grösste ist «Land Protection», also der Schutz bedrohter Flächen rund um die Welt. Da kauft ein eigens von ihm zusammengestelltes Team Privatland und überträgt es an Naturschutzorganisationen oder verteilt das Spendengeld nach eingehender Absprache und detaillierten Vorgaben direkt an eine lokale Provinz oder einen Staat. Dazu kommen zahlreiche soziale Projekte vor allem in den Vereinigten Staaten – von der Unterstützung des Abtreibungsrechts für Frauen bis zur Anhebung des Mindestlohns.

Im Schnitt verteilt Wyss 200 bis 400 Millionen pro Jahr, dazu kommen einmalige Sonderprojekte. Auch in der Schweiz engagiert er sich, «allerdings nicht so gross»: 40 bis 50 Millionen pro Jahr. In Genf hat er das «Wyss Center for Bio and Neuro Engineering» gegründet, zusammen mit der EPFL, und 120 Millionen Franken eingeschossen, in Zürich zusammen mit der ETH einen gemeinsamen Akzelerator namens «Wyss Zurich» gegründet.

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Dort hat er gerade eine zweite Tranche von 110 Millionen Franken gespendet. In Bern geben der Kanton und er je 100 Millionen Franken für die «Wyss Academy for Nature». Und dann gibt es noch kleinere Summen: Ein Verein in Baselland etwa will eine Schule in Nepal bauen, da gab es 50'000 Franken.

Es gibt 20 Professuren in seinem Namen und sechs «Wyss Houses» an verschiedenen Universitäten. Letztens hatte er eine Operation. Den Chirurgen, der ihn operiert hat, kannte er vorher nicht. Aber dann fand er heraus, dass dieser auch drei Freunde von ihm operiert hat und eine absolute Koryphäe ist.

Der Arzt hatte bereits eine Spende von einer Million erhalten. Wyss gab ihm eine zweite Million für dessen Institut. Jetzt muss dieser nicht mehr jeden Tag operieren, sondern kann sich vertieft komplizierten Fällen widmen.

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Gleichzeitig investiert Wyss sein Geld aber auch weiter mit «dem kleinsten Family Office der Welt»: drei Personen – ein Vater, ein Sohn und ein Angestellter. Der Vater war einer der besten Professoren an der Harvard Business School, sein Sohn ist Ende 50 und hat grosse Erfahrung als Consultant und als Financial Analyst. Wyss investiert direkt in Firmen, entweder als Minderheitsaktionär oder gleich als Eigentümer.

««Die Natur ist magisch. Das ist meine Spiritualität: das Wunder des Lebens.»»

Hansjörg Wyss, Medtech-Milliardär

Ein Viertel seines Vermögens hat er zudem zusammen mit einem Privatmann direkt in sieben, acht Firmen gesteckt. Die Aktienmärkte interessieren ihn nicht. «Ich bin dort nicht aktiv, mit Ausnahme von ein paar kleineren Fonds. Die Börse ist längst zur Lotterie geworden, deshalb lässt sich das nicht vernünftig steuern.» 90 Prozent seines Vermögens zu Lebzeiten sinnvoll auszugeben, sei deshalb schwierig: «Der verdammte Haufen wächst und wächst.»

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Also: Macht Geld jetzt glücklich? Da kommt die Antwort blitzartig: «Ich war mein ganzes Leben glücklich, dafür brauchte ich doch kein Geld. Wissen Sie, was mich glücklich macht? Am Morgen mit meiner Frau einen Kaffee zu trinken und die Natur zu bewundern.»

Er steht auf und organisiert via Computerkamera eine virtuelle Haustour: «Sehen Sie die Landschaft, das ist die Aussicht von meinem Bett, wir haben keine Vorhänge, alles verglast, da schlafen wir mitten in der Natur. Das ist Glück für mich.» Unten gibt es einen grossen Raum mit zwei grossen Cheminées aus Granit, dazu noch ein Besuchszimmer. Seine zweite Frau, eine amerikanische Malerin, ist hier genauso glücklich wie er. «Das reicht uns vollständig. Wir brauchen doch nicht 14  Zimmer in einer Villa in Aspen, in der wir nie sind.»

In seinem Garten lässt Hansjörg Wyss eine grosse Blumenwildnis spriessen. «Wenn ich aus dem Haus gehe, muss ich sofort stoppen, weil ich viele verschiedene Insekten sehe.» Ein Freund habe in der Quarantäne ein kleines Buch über Moskitos geschrieben, das er gerade gelesen habe. «Wenn man sieht, wie sie sich fortpflanzen, kann man nur sagen: ein Wunder.»

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Ist da Platz für Gott? Welche Rolle spielen Religionen in seinem Weltbild? Da ist er kategorisch. «Sie sind das Schlimmste, was die Menschheit geschaffen hat – seit mehr als 2000 Jahren werden von ihnen Kriege angezettelt. Aber die Natur, die ist magisch.» Deshalb sei er auch so besorgt: «Wir holzen die Wälder ab, wir zerstören die Artenvielfalt, wir vergiften die Umwelt. Wenn wir so weitermachen, haben wir in 500 Jahren keine Welt mehr. Das ist meine Spiritualität: das Wunder des Lebens. Es hat mich schon immer glücklich gemacht.»

Und so bleibt als Fazit dieser Etappe unserer Glücksreise das einfache Zitat: «Ich war mein ganzes Leben glücklich – ob mit oder ohne Geld.» Glück wäre dann also vor allem: eine fröhliche Grundkonstitution.

Über die Autoren
Dirk Schütz

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