Abo
Bank

Good Guy oder Bad Guy: Raiffeisens Lachappelle-Debakel war absehbar

Der skurrile Abgang von Raiffeisen VR-Präsident Guy Lachappelle stürzt die Bankengruppe erneut in die Krise. Warnsignale gab es schon früher.

Dirk Schütz

Guy Lachappelle

Abschied mit Tränen: Guy Lachappelle an seiner Rücktritts-Pressekonferenz vom 15. Juli in Basel.

Lucia Hunziker / 13 Photo

Werbung

Der Abgang bot Theatralik pur. Zeitlose Erkenntnisse («Ich kann allen Anwesenden versichern: Liebe kann blind machen»), Demutsgesten («Ich habe einen sehr grossen Fehler gemacht»), Entschuldigungen («Ich entschuldige mich bei meiner unendlich starken Frau»). Mehrfach den Tränen nah, lieferte Guy Lachappelle bei seinem hastig einberufenen Medienauftritt Mitte Juli auch eine Selbsteinschätzung, die ins Bild passen sollte: Für ihn gelte «bei Weitem nicht das Prädikat ‹knallharter Banker›».

Partner-Inhalte

So endete die 33-monatige Amtszeit des Baslers mit einem Knall-Abschied, für den Verfehlungen aus dem privaten Bereich verantwortlich sind – da trifft sich der gefallene VR-Präsident mit dem langjährigen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz, dessen grenzwertiges Verhalten abseits des Bankgeschäfts ihn überhaupt erst in den Job spülte. Lachappelle hatte sich auf einen Zermürbungskrieg mit einer Basler Spitalmanagerin eingelassen, für die er vor dem Raiffeisen-Posten kurzzeitig seine Frau verlassen hatte. Mit seiner Klage gegen eine Buchveröffentlichung seiner Ex-Partnerin und sogar einer Strafanzeige hatte er die Schmutzschlacht selbst eskalieren lassen.

Werbung

Dieses brachiale Vorgehen wollte so gar nicht zu der Opferrolle passen, in die sich der 60-Jährige bei dem skurrilen neunzehnminütigen Rücktritts-Monolog seiner Pressekonferenz flüchtete. Doch für viele Personen, die in den letzten Jahren mit Lachappelle zu tun hatten, steht fest: Hinter all den Demutsgesten verbirgt sich ein Verhalten, das durchaus das Prädikat «knallhart» verdient – und für die Raiffeisen schwer abschätzbare Folgen hat. Denn dieses janusköpfige Auftreten bot Lachappelle eben nicht nur im Privatleben, sondern auch an der Raiffeisen-Spitze. Dr. Guy und Mr. Lachappelle.

Das zeigt eine Rekonstruktion seiner Amtszeit, die als weiteres Skandalkapitel in die Bankannalen einzugehen droht. Schon seine ersten Signale auf dem neuen Posten offenbarten sein Verständnis für Symbolpolitik. Der Chauffeur, mit dem Vincenz und sein Nachfolger Patrik Gisel das Land grossräumig durchmessen hatten, wurde als Erstes abgeschafft.

Werbung

«Hinter Demutsgesten steht ein brachiales Verhalten, das sich auch bei Raiffeisen zeigte.»

Die Metropole Zürich, für Vincenz Drehpunkt aller geschäftlichen und aussergeschäftlichen Eskapaden, mied er konsequent. Wohnhaft blieb er in Basel, weit entfernt vom Raiffeisen-Hauptsitz in St. Gallen, den er schon vor Corona kaum mehr als zwei Tage die Woche aufsuchte. Und die individuellen Boni, vermeintlicher Inbegriff raffgieriger Bankkultur, wurden publikumswirksam abgeschafft – was Lachappelle nicht daran hinderte, sein Salärpaket im Vergleich zu seinem gefallenen Vorgänger Johannes Rüegg-Stürm von 500'000 auf 900'000 Franken anheben zu lassen.

Neue Autonomie

Doch vor allem war es die Strukturanpassung, die er der Raiffeisen verpasste, die das Image des guten Bankers förderte: Seht her, ich bin bereit, Macht abzugeben. In einem aufwendigen Prozess, betitelt als «Eignerstrategie», bezog er die Basis ein – und gab mit seinem Verwaltungsrat Macht ab: Alle wichtigen Entscheide müssen neu dem sogenannten RB-Rat vorgelegt werden, der die mehr als 220 eigenständigen Genossenschaftsbanken vertritt und vier Mal pro Jahr tagt.

Werbung

Als Schlusspunkt wurde Ende Juni angekündigt, dass auch die sechs Niederlassungen, die bislang direkt der als «Raiffeisen Schweiz» fungierenden Zentrale unterstellt waren, in die Autonomie entlassen werden. Dabei handelt es sich nicht nur um höchst lukrative Standorte – Zürich, Bern, Basel oder die Vertretung am Stammsitz in St. Gallen. Vor allem waren die Niederlassungen bislang Seismograf und Versuchslabor zugleich: Hier waren die Chefs aus der Zentrale selbst Banker – von der Kreditvergabe bis zur Vermögensverwaltung konnten sie ihr Produktangebot mit den Mitstreitern in der Fläche vergleichen und bekamen ein Gespür für den Markt. Jetzt fällt das weg – und zusätzlich müssen die neu eigenständigen Banken mit frischem Eigenkapital ausgestattet werden, was die Kasse belasten wird.

Sitz der Raiffeisen in St. Gallen

MACHT ABGEBEN: Die Zentrale von Raiffeisen Schweiz in St. Gallen – von Lachappelle eher selten aufgesucht.

Keystone
Sitz der Raiffeisen in St. Gallen

MACHT ABGEBEN: Die Zentrale von Raiffeisen Schweiz in St. Gallen – von Lachappelle eher selten aufgesucht.

Keystone

Werbung

Das Interessante daran: Je stärker Lachappelle die Macht der Zentrale verkleinerte, umso stärker baute er seine persönliche Macht aus. Beim Start half ihm sein enger Draht zur Finma. Sechs Jahre war Lachappelle zuvor Chef der Basler Kantonalbank (BKB) gewesen. Dort hatte ihn die Pleite der ASE verfolgt: Die Firma hatte ein Schneeballsystem betrieben, für das die BKB als Depotbank fungierte, und weil noch Verfahren liefen, erklärte ihn der «Tages-Anzeiger» für «unwählbar».

Doch bei dem für seine Berufung zentralen Aufseher war seine Vergangenheit ein Pluspunkt: Nicht nur verdankte Lachappelle dem ASE-Fall überhaupt erst den Spitzenjob – sein Vorgänger Hans Rudolf Matter musste deshalb bei der BKB gehen. Vor allem profilierte er sich bei der Finma als Aufräumer, der gleichzeitig drei Enforcement-Verfahren bewältigte – und das machte er so gut, dass ihm der damalige Finma-Chef Mark Branson öffentlich beistand.

Werbung

Für den obersten Finanz-Sheriff war Raiffeisen der prestigeträchtigste Fall seiner Amtszeit, und aus Bransons Support bezog Lachappelle seine Macht. Dass er de facto als operativer Präsident arbeitete und die vom Bankengesetz verordnete Funktionstrennung zwischen VR-Präsident und Geschäftsleitung aushebelte, war für die Finma offenbar verkraftbar.

Dazu passte die Wahl des neuen CEO: Heinz Huber stammte von der Thurgauer Kantonalbank, die nur halb so gross ist wie die Basler Kantonalbank. Er gilt kaum als Gestalter mit grossem Machtanspruch. Bereits 2015 hatte er sich bei der Raiffeisen für den Chefposten des Firmengeschäfts beworben, doch er war gegen den CS-Mann Urs Gauch chancenlos. Lachappelle machte Huber zum Chef. Gauch verkündete vor Kurzem seinen Abschied.

Harte Kante

Vor allem im Umgang mit den Verantwortlichen der Vergangenheit zeigte der nach aussen so joviale Lachappelle Härte. Es begann schon vor seinem Antritt im November 2018. Der Vincenz-Nachfolger Gisel hatte im Sommer aufgrund des grossen Drucks seinen Rücktritt als CEO bekannt gegeben, sich aber auf Wunsch des Verwaltungsrats bereit erklärt, bis Ende Jahr zu bleiben.

Werbung

Was der Fall Lachappelle mit dem Starkult im Management zu tun hat

Nicht die Affäre löste den Rücktritt von Guy Lachappelle aus, sondern dass er meinte, sich nicht an die Regeln halten zu müssen. Der Kommentar.

Als im September ein Foto von Gisel am Bankiertag mit der Ex-Raiffeisen-Verwaltungsrätin Laurence de la Serna in der BILANZ auftauchte, gab es Anfragen, ob es sich dabei um seine neue Partnerin handelte. Gisel bestätigte die neue Partnerschaft, betonte allerdings, dass sie erst nach dem Ausscheiden de la Sernas aus dem Verwaltungsrat begonnen habe. Raiffeisen mandatierte sofort zwei Anwälte, die jedoch die Version Gisels stützten.

Werbung

Dennoch drängte Lachappelle, obwohl noch gar nicht gewählt, auf den sofortigen Austritt Gisels, wenige Wochen vor dem geplanten Abtritt. Zuvor hatte er sich mit ihm zu einem einfühlenden Abendessen getroffen. Doch dann gab es Härte: Lachappelle weigerte sich, Gisel die vertraglich zugesicherte Kündigungszeit von 24 Monaten zu gewähren, und erlaubte nur ein Jahr – er wusste, dass sich Gisel in dem medial extrem aufgeheizten Umfeld kaum auf eine Klage einlassen würde. Und selbst beim letzten Jahressalär verweigerte er die variable Zahlung von etwa 300'000 Franken. Es wirkte fast wie ein Rachefeldzug gegen den aufrechten Gisel, der nicht immer geschickt agiert hatte, in der ganzen Affäre aber nirgends illegal gehandelt hatte und beim Vincenz-Verfahren nur als Zeuge auftrat – Finma und Staatsanwaltschaft attestierten ihm, dass gegen ihn nichts vorliegt.

Werbung

Doch das hinderte Lachappelle nicht daran, bei seinem ersten grossen Auftritt im Januar 2019 sogar Regressforderungen auch gegen Gisel ins Spiel zu bringen – ohne Grundlage. «300 Millionen Schaden!», titelte der «Blick» auf der Frontseite und fragte: «Müssen Vincenz & Co. jetzt zahlen?» Lachappelles Botschaft: Ich nenne erstmals die Schadenhöhe des Vincenz-Skandals – und räume auf.

Raiffeisen-Gruppe: Abhängigkeit vom Hypo-Geschäft

Raiffeisen Hypo
Geschäftsberichte
Raiffeisen Hypo
Geschäftsberichte

Doch es war kaum mehr als Show, wie sich fünf Wochen später an der Jahres-Medienkonferenz herausstellte: Die Rückstellungen betrugen nur 270 Millionen Franken und waren ein Sammelsurium von verschiedenen Positionen, die nichts mit der Vincenz-Affäre zu tun hatten – als grösster Posten firmierte eine Wertberichtigung von 125 Millionen auf das Portfolio der Beteiligungstochter KMU Capital, vor allem zurückgehend auf eine Methodikänderung. Allein 25 Millionen wurden für Rechtskosten zurückgestellt. Sie lieferten Lachappelle und seinen scharfen Anwälten von Prager Dreifuss Munition gegen Personen aus dem Vincenz-Dunstkreis. Selbst bei Bekannten aus seiner Jugendzeit in Basel gab sich Lachappelle zunächst wohlwollend, zeigte dann aber Kante.

Werbung

Ex-Risikochef Beat Hodel liess sich das nicht bieten: Bei seiner Kündigung im Januar 2019 verkündete die Bank, es seien «jetzt alle Geschäftsleitungsmitglieder ausgeschieden, die bereits 2015 Teil des Gremiums waren». Motto: Tabula rasa. Doch Hodel war nie Vincenz-nah und verklagte die Bank deshalb auf Rufschädigung. Raiffeisen musste einräumen, dass es nie Hinweise auf Fehlverhalten bei Hodel gab. Man einigte sich aussergerichtlich.

Lachappelles Abwicklungseifer bezog sich aber nicht nur auf die Vincenz-Entourage, sondern auch auf dessen Strategie. Dass die Basis die neue Autonomie schätzt, ist offensichtlich. Aber ist sie auch gut für die Gruppe? Unter Vincenz und Gisel wurden die Abläufe standardisiert, das Filialnetz gestutzt und das Produktangebot harmonisiert. Jetzt droht wieder Wildwuchs – vom Marketing bis zur Preisgestaltung.

Werbung

«Das ist fast so, als ob Coop seinen Filialen die Eigenständigkeit zurückgibt», sagt ein Ex-Raiffeisen-Berater. Die Kosten sind zunächst gesunken, auch durch ein Abbauprogramm in der Zentrale. Doch auf Dauer wird die grosse Autonomie Doppelspurigkeiten befördern – und damit die Kosten wieder steigen lassen. Jeder Bankchef ist ja wieder ein kleiner König.

Vor allem aber verhindert die neue Eigenständigkeit eine Antwort auf die zentrale strategische Frage: Wie löst sich die Raiffeisen von der Abhängigkeit vom Hypothekargeschäft? Der Ertragsanteil des Zinsgeschäfts lag letztes Jahr auf Rekordhoch.

Pierin Vincenz und Patrik Gisel

MACHT IN DER ZENTRALE: Die früheren Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz (l.) und Patrik Gisel.

Keystone
Pierin Vincenz und Patrik Gisel

MACHT IN DER ZENTRALE: Die früheren Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz (l.) und Patrik Gisel.

Keystone

Werbung

Vincenz wollte diversifizieren, und die Ironie ist, dass all seine längst verkauften Beteiligungen heute mehr wert wären als beim Einstiegsdatum. Von Lachappelle war in der grossen Strategiefrage nie wirklich etwas zu hören. Er widmete sich vor allem der Aufarbeitung der Vincenz-Affäre, die aber eine reine Reputationskrise war – im Zahlenwerk ist sie nicht zu finden. Ähnlich hatte er schon bei der Basler Kantonalbank agiert: Er ging mit harter Hand gegen die vermeintlich Schuldigen im ASE-Skandal vor, beerdigte die Expansion im Private Banking – und zog weiter. Das klassische Bankgeschäft inklusive Strategieentwicklung? Nicht das Steckenpferd des Juristen.

So galt auch bei Raiffeisen: Alles muss raus. Das Sponsoring der Super League? Eingestellt. Der Vorstoss ins Private-Equity-Geschäft? Die Beteligungstochter KMU Capital abgewickelt, von den 19 Beteiligungen sind nur vier noch da, die auch abgestossen werden sollen. Die Raiffeisen-Unternehmerzentren, vom scheidenden Firmenkundenchef Gauch mit grossem Elan betrieben? Weg damit.

Werbung

Adieu, Helvetia

Besonders frappierend: der Abschied von der Helvetia. Die Raiffeisen pflegte mit der Versicherung eine Allfinanz-Partnerschaft, der gegenseitige Produktverkauf lief nach schwieriger Aufbauarbeit leidlich. Lachappelle kündigte auch hier abrupt, allen gemeinsamen St.  Galler Wurzeln zum Trotz, und wechselte zur Mobiliar. Doch die neue Partnerschaft muss erst mühsam aufgegleist werden. Ausser schönen Ankündigungen ist noch nicht viel gelaufen, und die Mobiliar-Basis gilt als wenig begeistert.

Was sollte also der Wechsel? Die Helvetia ist börsenkotiert, die Mobiliar dagegen eine Genossenschaft. Lachappelle konnte sich als tugendhafter Genossenschaftsmann positionieren und trat Ende Mai dann auch als Präsident des Genossenschaftsverbands «Idee Coopérative» an. Jetzt geht er auch dort. Dabei könnte gerade die Mobiliar interessanten Anschauungsunterricht für die Raiffeisen liefern: Sie wird unter dem Genossenschaftsdach straff geführt von einer Holding, regionale Strukturen gibt es nicht.

Werbung

Dass Lachappelle auch noch aus der Bankiervereinigung austrat, kostete ihn in der eng verzahnten Bankszene viel Ansehen. Auch Vincenz war bei dem Verband berüchtigt: Er bekannte sich intern zum Bankgeheimnis, schoss dann aber vor TV-Kameras dagegen. Doch ausgetreten wäre er nie, so viel Branchensolidarität hatte er schon. Die Botschaft des Solitärs Lachappelle lautete dagegen: Ich brauche euch nicht.

Am Ende scheiterte er an seiner brachialen Seite: Dass er sogar auf seine Ex-Partnerin mit einer Strafklage losging, spülte ihn aus dem Amt – sie schoss mit einer Strafklage zurück. Jetzt wird ausgerechnet der Basler Wirtschaftsprofessor Pascal Gantenbein, schon vor Lachappelles Antritt Aushilfspräsident, dessen Interims-Nachfolger. Bleiben soll er erst mal bis zur nächsten Generalversammlung, doch die ist erst im nächsten Juni. Alternativen mit Erfahrung gibt es kaum: Gantenbein ist einer der wenigen, die Lachappelles Säuberungen überstanden haben.

Werbung

Über die Autoren
Dirk Schütz

Dirk Schütz

Dirk Schütz

Auch interessant

Werbung