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Putins Angriffskrieg ist ein Kulminationspunkt der Ära der autoritären Führer – von Bolsonaro bis Xi. Der «Financial Times»-Autor Gideon Rachman untersucht in seinem neuen Buch, ob die starken Männer überleben können.
Gideon Rachman analysiert den Aufstieg der autoritären Herrscher.
Horst Friedrichs für BILANZAls Chefkommentator der «Financial Times» für internationale Beziehungen arbeitet Gideon Rachmann meistens von seinem Haus im Londoner Westen aus – wenn er nicht unterwegs ist. Vor Corona hat er viele Autokraten persönlich getroffen, im Lockdown fasste er seine Erkenntnisse in seinem neuen Buch «The Age of the Strongman» zusammen. «Das war die beste Beschäftigung für mich in dieser Zeit», ruft er lachend per Videocall zu. Das Timing hätte nicht besser sein können: Der Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine ist ein Fanal für die Bedrohung durch die starken Männer.
Sie datieren in Ihrem Buch den Beginn des Zeitalters des «Strongman», des autoritären Herrschers in unserer aktuellen Epoche, sehr genau: auf den 31. Dezember 1999.
Es ist der Amtsantritt Wladimir Putins, und der erste volle Tag von Putin als Präsident ist der erste Tag des neuen Jahrhunderts. Aber nur im Rückblick lässt sich dieser Tag als Beginn der Strongman-Ära erkennen. Am Anfang hat Putin seine wahre Identität gegenüber dem Ausland noch verschleiert. Bei seinen ersten Wahlen im März 2000 positionierte er Russland als moderne Nation, und der damalige US-Präsident Bill Clinton rief ihn zu einem Mann aus, der Russlands Übergang zu einem modernen Staat bewerkstelligen könne. Aber schon damals gab es Zeichen, dass das nicht der Fall war. Den Krieg in Tschetschenien etwa begann er, wie wir heute ziemlich sicher wissen, unter dem Vorwand von Terrorattacken, die er selbst fingieren liess.
Der Mann, der später zum Vorbild für alle Autokraten wurde, stand damals unter den grossen Staaten noch allein da als starker Mann.
Erdoğan kam in der Türkei erst 2003 an die Macht, aber auch er wurde am Anfang im Westen als liberaler Reformer angesehen. Und dann dauerte es bis 2012 in China, das war ein Wendepunkt. Bis dahin gab es dort einen kollektiveren Führungsstil, mit Kontrollmechanismen für die Staatsschefs und Amtszeitbeschränkungen von acht Jahren. Präsident Hu Jintao etwa war das Gegenteil eines starken Führers, er war ein Technokrat.
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