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Exzessives Gespann: Wie sich Pierin Vincenz und Beat Stocker auseinanderlebten

Pierin Vincenz und Beat Stocker waren ein exzessives Gespann. Ihre Anklage ist das Finale einer Männerfreundschaft.

Dirk Schütz

Pierin Vincenz Beat Stocker

Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (l.) und sein engster Mitstreiter in allen Lebenslagen: Beat Stocker.

Olivia Item/ Somedia Publishing AG, Markus Lamprecht

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Mehr als zwanzig Jahre bildeten sie ein enges Gespann mit klarer Rollenverteilung: Der Banker des Volkes vorneweg im Scheinwerferlicht, hinter ihm der Mann im Schatten für die gemeinsamen heimlichen Deals. Doch zum Schluss überholte der Berater Beat Stocker den gefallenen Bankchef Pierin Vincenz in einer ganz speziellen Disziplin: Die Staatsanwaltschaft hat für ihn in ihrer Anklageschrift eine höhere Strafe beantragt. Zwar sollen beide sechs Jahre ins Gefängnis. Doch Vincenz soll zusätzlich nur 9  Millionen Franken zurückzahlen. Bei Stocker sind es 16  Millionen.

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Es ist das spezielle Finale der wohl wildesten Männerfreundschaft der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Sie reicht von mutmasslich betrügerischer Bereicherung bis hin zu Aufräumarbeiten in einer zerstörten Suite im Zürcher Nobelhotel Hyatt – nach handfestem Streit zweier Vincenz zugetaner Rotlichtdamen, im engen Umfeld des Ex-Bankchefs als «Kristallnacht» berühmt-berüchtigt.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft packt in ihrer Anklageschrift dann auch das grosse Kaliber aus. Im Februar 2018 setzte sie die Kompagnons nur wegen des Verdachts der «ungetreuen Geschäftsbesorgung» in Untersuchungshaft fest, die maximale Haftstrafe dafür beträgt fünf Jahre. Jetzt geht es um «gewerbsmässigen Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung und passive Bestechung». Allein für den gewerbsmässigen Betrug liegt die maximale Haftstrafe bei zehn Jahren.

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«Stocker war einfach da – Vincenz wollte ihn»

Dabei enthält die 356 Seiten umfassende Anklageschrift keine Fälle, die nicht zuvor medial schon üppig beleuchtet worden wären. Akribisch zeichnet sie das Muster des speziellen Bundes nach, der Ende der neunziger Jahre begonnen hatte. Vincenz war gerade drei Monate Raiffeisen-Chef, als er das Präsidium der Kreditkartenfirma Viseca, der späteren Aduno, übernahm. Der Verwaltungsrat zählte sechs Banker der Eignerbanken – und einen Berater: Beat Stocker.

«Das war schon komisch», erinnert sich ein damaliges VR-Mitglied. «Der war einfach da – Vincenz wollte ihn.» Kurz zuvor hatte ein Beratungsmandat Stocker ins Puschlav, den südlichsten Zipfel Graubündens, geführt, wo er in dem 1000-Seelen-Örtchen Brusio ein Ansiedlungsprojekt organisierte. Vincenz wiederum amtete in Brusio als VR-Präsident des Weinhändlers Plozza, ein Posten, den zuvor schon sein Vater innegehabt hatte.

Die Ursünde beging das Duo im Jahr 2005: Es beteiligte sich heimlich mit 60 Prozent an der Firma Commtrain Card Solutions, einem HSG-Spin-off, das Vincenz über seine Verbindungen zur Helvetia-Versicherung portiert hatte. Kurz nach dem verdeckten Einstieg machte Vincenz seinen heimlichen Mitgesellschafter Stocker zum CEO der Kreditkartenfirma, die jetzt Aduno hiess. Er erteilte ihm das Mandat für den Kauf der Minifirma – Stockers Vorgänger hatte sich noch dagegengestemmt.

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Eine Villa für Stocker, ein Motorboot für Vincenz

Es war klassisches Frontrunning: Aduno kaufte die Firma, und VR-Präsident Vincenz und CEO Stocker strichen heimlich je einen Nettogewinn von 1,7 Millionen Franken ein. Stocker gönnte sich im gleichen Jahr eine schöne Villa in Bolligen bei Bern, Vincenz ein Motorboot des italienischen Edelbauers Cranchi auf dem Luganersee.

Dieses Muster wiederholte das Duo aus der Sicht der Staatsanwaltschaft in verschiedenen Varianten drei Mal – so stiegen auch die Kleinfirmen Eurokaution, Genève Credit & Leasing und Investnet schweizweit zu unrühmlicher Bekanntheit auf. Zusätzlich schusterte Vincenz seinem Mitstreiter Beratungshonorare von insgesamt mehr als zwei Millionen Franken zu, teilweise pauschal und ohne klar definierten Leistungsauftrag.

Dafür nutzte er das Spesenkonstrukt, das er auch für seine üppigen Exkursionen ins Rotlichtmilieu benutzte. Der Verwaltungsrat und die interne Revision liessen es geschehen – kein Ruhmesblatt.

Bleiben zwei Fragen: Warum fasst die Staatsanwaltschaft Stocker härter an als Vincenz? Und: Wie steht es um die Männerfreundschaft heute?

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Stocker betrieb offenbar eine Art Vorkasse für Vincenz

Alle, die den sinnenfrohen Bankchef in all den Jahren begleitet haben, gehen davon aus, dass er weder die Zeit noch die Detailliebe hatte, die komplexen Vorabbeteiligungen im Einzelnen zu konstruieren. Offenbar sieht die Staatsanwaltschaft bei Stocker dann auch ein grösseres Vergehen in Bezug auf die Bereicherung.

Bei der Commtrain Card Solutions hatten beide die Beute noch sauber geteilt, bei den späteren Deals scheint vor allem Stocker aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Drehscheibe gewesen zu sein. Er betrieb offenbar eine Art Vorkasse für Vincenz. Dieser machte dann Ansprüche bei ihm geltend.

Das zeigte sich insbesondere bei der Affäre im «Park Hyatt» im Juni 2014. Vincenz erklärte sich offenbar bereit, einer Milieudame mehr als eine halbe Million Franken Schweigegeld zu zahlen. Das Geld sollte Stocker bringen, der Vincenz offenbar aus all den Deals noch Geld schuldete. Stocker soll das Geld von einem Konto in Liechtenstein bezogen haben und im kleineren Kreis offen damit geprahlt haben, dass er der Osteuropäerin einen Teil in einer Plastiktüte übergeben habe. Niemand wusste so viel über den mächtigen Bankchef und sein Borderline-Leben wie Stocker.

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«Vincenz wollte offenbar einen Vergleich, Stocker winkte ab – und plädiert auf Freispruch.»

Dass das Verhältnis der beiden heute noch so eng ist, gilt für Beobachter als unwahrscheinlich. Vincenz strebte offenbar einen Vergleich nach dem Vorbild des Bündner Immobilienunternehmers Remo Stoffel an. Mit ihm sprang die Zürcher Staatsanwaltschaft erstaunlich milde um: Er kam mit 10 000  Franken Busse und 180  Tagen bedingter Freiheitsstrafe davon, obwohl er nachweislich Urkunden gefälscht hatte – so fabrizierte er etwa einen Mittelnachweis der VP Bank über 208 Millionen Franken in Eigenregie.

Der Vergleich lief über den Schreibtisch des Staatsanwalts Marc Jean-Richard-dit-Bressel, der die Abteilung für Wirtschaftsdelikte leitet. Für ihn ist die Anklage gegen das Duo der mit Abstand prestigeträchtigste Fall seiner Karriere. Ein Vergleich stand für ihn in diesem Fall deshalb offenbar nicht zur Debatte. Doch während Vincenz es versuchte, winkte Stocker gleich ab.

Auch dürften die Rotlicht-Exzesse eher abstossend auf Stockers privates Umfeld wirken. Seine zweite Frau Madeleine, mit der er einst eine gemeinsame Firma gründete, will er partout von der Affäre fernhalten. Er plädiert auf Freispruch.

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Finanziell könnte es für beide eng werden

Doch die Anwälte sind teuer und die geforderten Rückzahlungen von 16  Millionen Franken happig – seine Rücklagen dürften geringer sein als bei Vincenz (für den es finanziell allerdings auch eng werden könnte). Zwar belasteten sich die Angeklagten kaum gegenseitig. Das war angesichts des von der Staatsanwaltschaft sichergestellten Materials jedoch auch kaum nötig. Aber Stocker stimmte schon früh einer Entsiegelung seiner Dokumente zu.

Dass der ursprüngliche Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung nicht aufrechterhalten werden kann, ist da nur auf den ersten Blick ein Erfolg. Offenbar konnte die Staatsanwalt nicht nachweisen, dass die Beteiligungen zu überhöhten Preisen übernommen wurden – nur dann läge eine strafbare Handlung vor. Doch die Erweiterung der Anklage auf gewerbsmässigen Betrug schliesst ungetreue Geschäftsbesorgung mit ein. Und jetzt kommen auch noch Urkundenfälschung und Veruntreuung hinzu.

Die Verhandlung beginnt erst im nächsten Herbst, bis zur letzten Instanz kann es drei oder sogar noch mehr Jahre dauern. Vincenz ist heute 64 Jahre alt, Stocker wurde dieses Jahr 60. Eine Gefahr geht von beiden nicht mehr aus – ihr Fall bietet vor allem Unterhaltungswert. Für den war bislang eigentlich der Raiffeisen-Chef verantwortlich. Doch jetzt steht auch Schattenmann Stocker dort, wo er nie hinwollte: im Scheinwerferlicht.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

Dirk Schütz

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