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Musks Anwalt im Gespräch

John Quinn: «Wir sind der 900-Pfund-Gorilla»

Er gründete die aggressivste Kanzlei der Welt: John Quinn über die streitsüchtigen USA und die Vorteile der Schweiz.

Dirk Schütz

John Quinn im Zürcher Büro. Er steht vor einem Bild der Stadt Zürich und stützt seine Hände auf dem Tisch ab.

DER GRÜNDER IM ZÜRCHER BÜRO «Die Wirtschaft steht vor einem Abschwung. Wir sehen bereits eine Zunahme von Konkursen.»

Joseph Khakshouri für BILANZ

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Quinn Emanuel rühmt sich als schärfste Anwaltskanzlei der Welt, auf Ihrer Webseite zitieren Sie die Charakterisierung des Fachmagazins «American Lawyer» über Ihre Firma: «Better, faster, tougher, scarier.» Wenn Sie einen Brief an die Gegenpartei schreiben – wie viel ist allein der Briefkopf wert?

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Er ist etwas wert. Wir sind der 900-Pfund-Gorilla in dem Geschäft der Rechtsstreitigkeiten, wir haben mehr als 900 Anwälte. Das Phänomen ist sogar beschrieben worden als «Quinn-Emanuel-Effekt».

Was ist das?

Es kam von einem Kunden. Er hatte einen Rechtsstreit, für den sich keine Lösung fand. Dann haben wir uns eingeschaltet, und die Gegenseite stimmte sofort einer Einigung zu. Da sagte der Klient: Das ist der Quinn-Emanuel-Effekt. Wir haben dann Beispiele vergleichbarer Fälle gesammelt und mehr als 40 gefunden – die Fälle lösten sich durch das Schreiben des ersten Briefes oder schon allein durch die Ankündigung, dass wir an Bord sind. Wer Quinn Emanuel engagiert, sendet eine Botschaft.

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Und spart schon Geld mit diesem Schritt?

Das ist der Punkt. Wir sind ohne Übernahmen von vier auf 900 Anwälte gewachsen. Wenn wir einen Streitfall schnell zur Einstellung bringen, erinnert sich der Klient an uns. Wenn er dann später wieder ein Problem hat, kommt er zurück.

Für den ersten Brief können Sie also schon viel mehr an Honorar verlangen als Ihre Konkurrenten.

Die Magie funktioniert oft, aber leider nicht immer. Es wäre ein Businessmodell möglich, bei dem man sagt: Wenn der Streitfall in einem Monat gelöst ist – würden Sie dann mehr bezahlen? Bei manchen Kunden sind wir bereits so vorgegangen. Manchmal muss ein Fall auch in einer gewissen Frist abgeschlossen werden, das ist dann auch attraktiv für uns.

Firmenschreck

John Quinn war 1986 in Los Angeles Co-Gründer der Rechtsanwaltskanzlei Quinn Emanuel, die auf Klagen gegen Grossfirmen spezialisiert ist. Der 70-jährige Harvard-Absolvent ist auch General Counsel der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences, welche die Oscars herausgibt. Er vertritt unter anderem Elon Musk. In der Schweiz arbeitete die Firma für die Sika-Eignerfamilie oder die Finma bei der Aufarbeitung der CS-Spionageaffäre.

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Greift dieser Effekt nur in den USA oder auch in Europa?

Wir sind in Europa genauso bekannt wie in den USA, was mich selbst überrascht. Anwaltskanzleien sind in Europa stärker im Medienfokus als in den USA, besonders in London. Das hilft uns.

Obwohl das Geschäft mit Rechtsstreitigkeiten in den USA viel verbreiteter ist.

Die USA haben eine streitsüchtige Rechtskultur, den Klägern wird viel Wohlwollen entgegengebracht, auch im Vergleich zu Grossbritannien. Nur Australien ist bei Streitfällen mit den USA vergleichbar.

Warum lieben die Amerikaner ihre Rechtsstreitigkeiten so?

In den USA kann jeder Kläger gegen eine Gebühr von 100 Dollar ein Verfahren lostreten. Zwar gibt es auch Strafen für hochgradig unberechtigte Klagen. Doch es ist eben alles sehr einfach.

Und in den deutschsprachigen Ländern?

Wir hatten vor einiger Zeit Vertreter der deutsch-amerikanischen Anwaltskammer zu Besuch. In den USA können wir eine Einvernahme machen, ein Beschuldigter kann in unser Büro geladen werden, mit einem Gerichtsschreiber und einem Videoteam, dann dürfen wir ihn befragen. Die Vereinigten Staaten sind das einzige Land, in dem ein derartiges Vorgehen möglich ist. Wenn die Gegenseite es für unangemessen hält, kann sie gerichtlich dagegen vorgehen. Aber in diesem Fall war es unbestritten, der Beschuldigte war der CEO einer grossen deutschen Medienfirma. Seine Aussage wurde auf Video aufgenommen. Ich habe den deutschen Gästen diesen Fall geschildert, und sie waren perplex und hielten das für einen Eingriff in die Privatsphäre. Das war für mich vollkommen unverständlich.

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Das heisst: Die Möglichkeiten im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung sind in Deutschland oder auch der Schweiz deutlich limitierter.

Ja, es gibt keine Einvernahmen, aber auch kein Anrecht auf andere zentrale Informationen, zum Beispiel E-Mails der Beteiligten oder Textnachrichten. In der Schweiz oder Deutschland muss man die Beweise vorliegen haben, um zu einem Verfahren zugelassen zu werden. Das ist aus unserer Sicht verrückt. Wir reichen den Fall ein, um an die Beweise zu kommen. Die Goldmine ist immer auf der anderen Seite, der Mail-Verkehr der Beklagten. Diese Informationen habe ich noch nicht, wenn ich den Fall vor Gericht einreiche.

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Ist das System in der Schweiz dadurch ineffizienter?

Ich bin mir sicher, dass es im Zivilrecht in der Schweiz oder Deutschland sehr viele Vorfälle gibt, die eine Klage wert wären. Aber sie gelangen nie ans Licht der Öffentlichkeit.

Man könnte aus europäischer Sicht dagegenhalten: Das amerikanische System führt zu einer unnötigen Klageflut.

In den USA kommt es in kaum mehr als fünf Prozent der eingereichten Fälle zu einer Verhandlung. Durch die ausführliche Vorarbeit ist eine aussergerichtliche Einigung die Regel. Wir sind eben ein sehr individualistisches Land – bestens beschrieben im frühen 19. Jahrhundert von Alexis de Tocqueville in seinem Werk «Democracy in America». Die Menschen denken zuerst an ihre eigenen Rechte. Und diese Rechte fordern sie ein.

Sie operieren in vielen Rechtsräumen. Wie können Sie expandieren?

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Wir sind jetzt in elf Ländern vor Ort aktiv, mit 30 Büros. Aber die physische Präsenz ist heute gar nicht mehr so wichtig. Wir haben etwa die stärkste Präsenz einer ausländischen Kanzlei in Südkorea, aber wir betreiben kein Büro vor Ort. Wir vertreten die meisten grossen Konglomerate dort, aber oft sind es Rechtsfälle in anderen Ländern. Auch in Brasilien haben wir kein Office, aber wir haben viel Arbeit von dort.

Wie stark hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Was geblieben ist: Unsere Mitarbeiter können arbeiten, wo sie wollen, und das werden wir dauerhaft so belassen. Wir haben nur das Wissen und die Erfahrung unserer Mitarbeiter, sonst nichts, und diesen Schatz müssen wir pflegen. Mehrfach haben wir schon ein Office um eine Person herum eröffnet, wie beispielsweise hier in der Schweiz mit unserem Statthalter Thomas Werlen, der General Counsel bei Novartis war und den wir unbedingt wollten. In Chicago hatten wir einen ähnlichen Fall. Das Wichtigste ist immer die richtige Person.

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Thomas Werlen: Der Anwalt, der Schweizer Konzerne das Fürchten lehrt

Ob Credit Suisse, FIFA oder Sika: Thomas Werlen, Statthalter der US-Kanzlei Quinn Emanuel, legt sich mit allen an – vor allem den eigenen Kollegen. Mehr dazu hier.

Thomas Werlen bei einem Telefongespräch.

SCHWEIZ-STATTHALTER Der Ex-Novartis-General-Counsel Thomas Werlen hat die Niederlassung in Zürich aufgebaut.

Paolo Dutto für BILANZ
Thomas Werlen bei einem Telefongespräch.

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Es ist Ihre Spezialität, grosse Unternehmen zu attackieren. Ihnen eilt der Ruf des Konzernschrecks voraus. Andererseits wollen Sie Konzerne auch als Kunden gewinnen. Wie geht das zusammen?

Dieser Ruf stammt daher, dass wir vor 20 Jahren entschieden haben, keine der grossen Geschäftsbanken als Kunden zu akzeptieren. Ob Goldman Sachs, HSBC, Deutsche Bank oder Credit Suisse: Wir wollen sie nicht. Wir sahen da eine Marktlücke. Alle grossen Anwaltskanzleien reissen sich um die Aufträge dieser Banken und werden sie deshalb niemals attackieren. Aber es gibt häufig berechtigte Anschuldigungen gegen diese Banken, und es gab niemanden, der die Kläger auf hohem Niveau und mit den notwendigen Ressourcen vertrat. Aber abseits von der Finanzwelt sind wir eine ganz normale Anwaltskanzlei: Wir vertreten General Motors, Google, Qualcomm, Daimler, Tesla.

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GM würden Sie also nicht verklagen?

Natürlich nicht, wir haben eine 25-jährige Zusammenarbeit mit ihnen. Aber Ford? Sicher.

Sie haben die Firma in Los Angeles gegründet, dort befindet sich auch heute noch der Hauptsitz. Ist es ein Vorteil, in Los Angeles statt in New York zu sein?

Das ist eher historisch bedingt. Wir sind in New York sehr aktiv, dort betreiben wir unser klar grösstes Büro, die Stadt ist der grösste Rechtsmarkt in der streitsüchtigsten Stadt der Welt. In Kalifornien haben wir die grösste Tech-Dichte der Welt, da gibt es auch viel Geschäft. Die Geschichten, dass das Silicon Valley an Bedeutung verliere, sind vollkommen übertrieben.

Sie vertreten auch Tesla-Gründer Elon Musk – allerdings wurde der Prozess mit Twitter abgeblasen, und Musk entschied sich doch für die Übernahme.

Ja, das Spektakel haben wir vermieden.

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Portrait von John Quinn

QUINN EMANUEL Die Kanzlei um John Quinn verzichtet seit 20 Jahren darauf, Grossbanken als Kunden zu akzeptieren.

Joseph Khakshouri für BILANZ
Portrait von John Quinn

QUINN EMANUEL Die Kanzlei um John Quinn verzichtet seit 20 Jahren darauf, Grossbanken als Kunden zu akzeptieren.

Joseph Khakshouri für BILANZ

Leidet darunter Ihr Geschäft?

Viele Leute denken, dass unser Geschäft zyklisch ist und wir bei einer Rezession leiden. Doch das stimmt nicht. In guten Zeiten können sich die Unternehmen Prozesse leisten, und in schlechten Zeiten gibt es viele Klagen. Das heisst: Litigation ist immer ein lukratives Geschäft. Gegenwärtig steht die Wirtschaft vor einem Abschwung, wir sehen bereits eine Zunahme an Konkursen, und auch daraus resultieren viele Rechtsfälle.

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Wie ist die wirtschaftliche Stimmung in den USA im Vergleich zu Europa?

Die ökonomischen Signale in Europa sind negativer. Aber auch in den USA sind die Rezessionsängste stark. Untergangspropheten gibt es eben auch bei uns viele.

Wie wichtig ist die Schweiz für Quinn Emanuel?

Sehr wichtig. Es ist ein Phänomen, dass dieses kleine Land so viele Weltkonzerne beherbergt. Wir vertreten bereits viele von ihnen, aber würden gern alle vertreten. Die Schweiz ist ein Sammelbecken im Herzen Europas – viele internationale Leute treffen sich hier, es gibt auch sehr viel Crossborder-Geschäft. Dubai ist vielleicht vergleichbar, dann auch Singapur. Aber in Europa ist das einmalig.

Wie gross ist die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?

Wir haben mehr als hundert Anwälte in London, das ist mit Abstand unser grösstes Office in Europa. In Deutschland beschäftigen wir 25 Anwälte in fünf Städten, und dann kommt schon die Schweiz mit 15 Anwälten. Wir sind hier grösser als in Brüssel.

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Auf welchen Fall sind Sie besonders stolz?

Puh, schwierig … Aber hier: Wir vertreten die Ukraine gegen Russland vor dem Europäischen Menschenrechtshof in Strasbourg. Das ist ein Pro-bono-Fall, in den wir sehr viel Zeit investieren.

Und in der Schweiz?

Wir waren sehr stark bei dem Verfahren der US-Justiz gegen die FIFA engagiert, da haben wir die Welt des Sport verändert. Ob das Image der FIFA heute besser ist, lasse ich mal dahingestellt.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

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