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Eine kurze Geschichte des Automobildesigns

Antrieb und Fahrwerk verlieren in der heraufziehenden Elektro-Epoche ihre Bedeutung als Kaufanreiz. Dafür steigt das Design des Autos endgültig zum wichtigsten Positionierungsfaktor auf. Höchste Zeit für eine Würdigung.

Christopher Butt

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LAMBORGHINI MURA: Eins der schönsten Autos aller Zeiten. Ab 1966 gebaut. Das Design ist von Marcello Gandini, der für Bertone arbeitete.

Michael Zumbrun

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Das öffentliche Bild des Autodesigners zeigt einen Mann inmitten eines lichten, idealerweise unmittelbar als geschmackvoll eingerichtet (Eames-Möbel!) identifizierbaren Raumes, der, mit Stift in der Hand und über Papier oder iPad gebeugt, seinem kreativen Genie freien Lauf lässt. Drei, vier gezeichnete Linien später steht die Autoform – bereit, Herzen und Märkte zu erobern.Dieses Bild könnte falscher kaum sein. Ist Automobildesign doch keine Alchemie, sondern Handwerkskunst, die nur im Team erfolgreich ausgeübt werden kann und von allerlei internen wie externen Faktoren massgeblich beeinflusst wird. Tatsächlich ist jeder Chefdesigner nur so gut wie das Team, das er leitet. Er – bis auf die kürzlich verabschiedete Mahindra-Chefgestalterin sind es ausnahmslos Männer – ist auch nur so erfolgreich in der Umsetzung jener gemeinsam erarbeiteten Ideen, wie der Vorstand ihn sein lässt. Mit ein paar Linien ist es da wahrlich nicht getan.
Um die Autodesign-Industrie verstehen zu können, muss man zuerst begreifen, dass Chefdesigner keine Autos zeichnen. Sie verbringen die Tage nicht am Zeichentisch, sondern damit, innerhalb der Designabteilung für die richtige Balance aus kreativem Freiraum und Effizienz zu sorgen und die so im Team entstandenen Ideen und Konzepte dem Rest des Konzerns zu vermitteln – sowie gegebenenfalls auch dafür zu kämpfen. Ein Chefdesigner ist Diplomat, Unterhändler, Verwalter, Motivator, jedoch definitiv kein einsames Genie am Zeichenbrett.

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Urväter

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GOLF GTI: Der Urvater des Longsellers VW Golf kam im Frühjahr 1974 auf den Markt. Das Design stammt von Giorgetto Giugiaro.

Alamy Stock Photo

Zeichnen können genügt nicht

Dazu passt, dass fähige Designer, die begeisternde Linien zu Papier bringen können, keineswegs automatisch als Chefdesigner geeignet sein müssen. Mit Schaudern erinnert sich etwa mancher BMW-Designveteran an die frühen 1970er Jahre, als Paul Bracq in München-Milbertshofen die gestalterischen Geschicke leitete beziehungsweise leiten sollte. Bracq hatte sich zuvor bei Mercedes mit seiner Arbeit am «Pagoden»-SL und der 600-Limousine einen tadellosen Ruf erarbeitet. Doch in München, nun in leitender Funktion, schloss sich Bracq in seinem Büro ein und zeichnete lieber den lieben langen Tag vor sich hin, statt seine Mannschaft zu fördern und zu fordern. Manch internen Wettbewerb, in dessen Rahmen die ihm untergebenen Designer ihre Entwürfe einreichten, gewann der Chef zu allem Überfluss auch noch. Dementsprechend floss in der Designabteilung eher Sekt denn Tränen, als Bracq 1974 nach Frankreich zurückkehrte (wo er übrigens auch nie wieder als Chefdesigner eingesetzt werden sollte).Eine umgekehrte Variante dieses Phänomens trat mehr als vier Jahrzehnte später, ebenfalls bei BMW, in Erscheinung. Nach einem beispiellosen Exodus an Kreativpersonal sicherten sich die Bayern, unter erheblichem Aufwand, die Dienste Jozef Kabans für den freien Posten des BMW-Markenchefdesigners. Kaban trat mit reichlich Vorschusslorbeeren im Gepäck an, hatte er doch zu Beginn seiner Karriere die Aussenhaut des Bugatti Veyron gestaltet und später mit grossem Erfolg die Designgeschicke bei Skoda geleitet. Er gehört somit zu jener seltenen Spezies Designer, die kreative wie administrative Kompetenz gleichermassen unter Beweis gestellt haben. Doch die folgenden zweieinhalb Jahre in München sollten für alle Beteiligten zum Fiasko werden. Inmitten einer dysfunktionalen Organisation, ohne jegliche Hausmacht, geriet Kaban – obschon fachlich von kompetenter Seite hoch geschätzt – ins Zentrum eines Revier- und Machtkampfs, den er als Aussenseiter kaum gewinnen konnte. Nach kaum mehr als einem Jahr wurde Kaban zur kleinen Tochtermarke Rolls-Royce abgeschoben, die er nach wenigen Monaten wieder verliess. Zurück liesss er die Form des kommenden BMW-Siebners und die Erkenntnis, dass auch der beste Designer nur in einem intakten Umfeld etwas bewirken kann. Mittlerweile ist Jozef Kaban Chefdesigner der im VW-Konzern wichtigsten Marke: VW.
Im Gegensatz zu Paul Bracq und Jozef Kaban konnte der Vater des modernen Automobildesigns übrigens gar nicht zeichnen: Harley Earl leitete ab dem Jahr 1927 die Art & Color Section bei General Motors – das erste Designstudio überhaupt. Earl stammte aus Kalifornien, hatte dort an Sonderkarosserien für Showgrössen mitgewirkt und vermittelte in Detroit höchst erfolgreich die Erkenntnis, dass auch die Automobilbranche von einem Hauch Showbiz-Glamour profitieren würde. Dazu gehörte die Etablierung des Show Cars beziehungsweise Concept Cars, jenes bewusst theatralischen Ausblicks auf die automobile Zukunft, welchen Earl und GM erstmals 1939 in Form des Buick Y-Job präsentierten.
Das GM-Design im Konkreten und amerikanisches Autodesign im Allgemeinen galten daraufhin weltweit als das Mass der Dinge. Jährliche Modellpflegen forcierten ein abenteuerliches Innovationstempo, welches alsbald die letzten Spuren der Anmutung einer motorisierten Kutsche ausradierte. Das Auto als Konsumgut sowie sein Design als Konsumtreiber sind entsprechend amerikanische Erfindungen – genauso wie die grundsätzlich noch heute üblichen Strukturen und Arbeitsprozesse der Designstudios.

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Frühphase

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DPB7XK Car BMW New Class 2002 Ti
TWYH26 Citroen BX 16 Valve (Phase one) Keith Adams, September 2005; 26 November 2006 (original upload date); Transferred from en.pedia to Commons.; Kadams1970 at English pedia;
AFARAG Ferrari 512 BB. Introduced 1976.
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BUICK RIVIERA BOATTAIL: Amerikanische Italianità von 1971. Exterior Design von Jerry Hirshberg, Chefdesigner Bill Mitchell.

Alamy Stock Photo


Noch in den 1960er Jahren galt daher etwa das Studio der GM-Tochter Opel in Rüsselsheim als das modernste Europas – was man beispielsweise daran nachvollziehen kann, dass die VW-Konkurrenzmodelle zu Opel Manta A und Kadett B in den hemmungslos altbackenen Formen des Karmann-Ghia und des Typs 4 («Nasenbär») daherkamen. Wenig verwunderlich, dass Opel-Designer bei der Konkurrenz entsprechend begehrt waren: Ein Grossteil der Porsche-Designer der 1970er Jahre, denen mit dem Modell 928 einer der grossen Würfe jenes Jahrzehnts gelang, war zuvor bei Opel respektive GM ausgebildet worden.
Ästhetisch hatte das mittlerweile überladene amerikanische Autodesign zu jenem Zeitpunkt allerdings bereits an Strahlkraft eingebüsst: Spätestens mit der Vorstellung des Lancia Florida II im Jahr 1957, einem atemberaubend schlicht-eleganten Pininfarina-Entwurf, begann das norditalienische Turin, sich als Welthauptstadt der Automobilgestaltung zu etablieren. Gute vier Jahrzehnte lang gaben daraufhin Pininfarina, Bertone, Italdesign und Co. dem weltweiten Automobildesign den Takt vor. Dies zeigte sich, ironischerweise, auch während der letzten Blütezeit des amerikanischen Autodesigns, als der «Sheer Look» Modellen wie dem Buick Riviera klare italienische Formen in amerikanischen Dimensionen verlieh. Darüber hinaus halfen Preziosen wie Lamborghini Miura, Lotus Esprit und Ferrari 512 BB, Massenware wie VW Golf I, Fiat Panda und Lancia Delta oder Wegbereiter wie BMW «Neue Klasse», Honda CRX und Citroën BX, Turins Status als Mekka des Autodesigns noch auf Jahrzehnte hin zu zementieren.
Erst gegen Ende der 1990er Jahre richtete sich das Augenmerk der Industrie gen Norden, auf das beschauliche Ingolstadt. Dort war unter Chefdesigner Hartmut Warkuss und seinen Nachfolgern J Mays und Peter Schreyer die Lehrermarke Audi zum bewunderten Designvorreiter avanciert. In der Öffentlichkeit manifestierte sich dies im Audi TT, während unter Designern die ersten beiden Generationen des Audi A8 sowie der A6 von 1997 ob ihrer schlichten Raffinesse und geradezu einschüchternd hochwertig gestalteter Innenräume mindestens ebenso bewundert wurden.
Zu jenem Zeitpunkt setzte jenseits der Gestaltung ein noch profunderer Wandel ein: Der Autodesigner mutierte von der Randfigur zur Lichtgestalt der Automobilwelt. Am greifbarsten wurde jener Kulturwandel anhand des Stardesigner-Triumvirats jener Jahre, bestehend aus Chris Bangle (BMW), Patrick le Quément (Renault) und J Mays (Ford), die weitaus präsentere Galionsfiguren ihrer Arbeitgeber waren als die meisten Vorstände.

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Von den Italienern bis Audi's Hartmut Warkuss

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A9EN6J 2003 Bugatti Veyron
P1KE55 Porsche Macan is parked on a fresh green spring grass
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LANCIA DELTA: Ein Golf-Gegner der 1980er. Marktstart 1979, Design von Giorgetto Giugiaro. Er zeichnete auch den ersten VW Scirocco.

Alamy Stock Photo

Jener Kulturwandel betraf nicht nur das öffentliche Ansehen, sondern auch den internen Einfluss, sowie – nicht ganz unerheblich – das Lohnniveau der Kreativen. Noch ein gutes Jahrzehnt zuvor waren Designer von den allmächtigen Ingenieuren tendenziell belächelt und, mit Ausnahme der amerikanischen Hersteller, erheblich schlechter bezahlt worden. Mancherorts wurden sie gar hochoffiziell als blosse «Stilisten» tituliert, da Design ja auch eine funktionelle Komponente impliziert, welche man damals fest in Ingenieurshand wähnte. Die Vorstellung, die Gestalter würden einen Beitrag jenseits der blossen Verpackung von Technik leisten, galt mancherorts als infam.
 

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Aufstieg der Gestalter

Doch dies wandelte sich im Laufe der 1990er Jahre, etwa durch die Vorarbeit eines Patrick le Quément, dessen entscheidender Beitrag zur Sanierung Renaults – konkret: die Konzeption und Gestaltung von Modellen wie Twingo und Mégane Scénic – ihm nicht nur Gestaltungsfreiraum, sondern auch einen Vorstandsposten einbrachte. Branchenweit erkannte man, dass Design mehr sein konnte als nur Verpackung; dass eine starke Designabteilung wertvolle Innovation hervorbringen und somit etwa auf die Produktplanung aktiv Einfluss nehmen konnte. BMW-Chefdesigner Chris Bangle ging gar so weit, das Entscheidungsvakuum im Umfeld der Rover-Krise Anfang des Jahrtausends für einen gestalterischen Umbruch sondergleichen zu nutzen, wie jeder Laie anhand des ungelenken Siebners von 2001 oder des revolutionären Z4 von 2003 erkennen konnte. Doch egal, ob einem die Kreationen aus Bangles Studio gefielen oder nicht: Sie verkörperten unbestreitbar die neue Macht der Designer. Durch Bangle wurden sie endgültig zu den Rockstars unter den Autoschaffenden.Die öffentliche Präsenz der Automobildesigner hat seit Bangles Zeiten kaum nachgelassen. Ganz im Gegenteil: Heutzutage schimpfen sich viele von ihnen gar Chief Creative Officer, was zumindest in Sachen Gehalt und Prestige einen weiteren Aufstieg bedeutet. Dieser Posten ist noch weiter vom gestalterischen Alltagsgeschäft entfernt und wird meist mit einem Marketingschwerpunkt ausgeübt. So repräsentiert Mercedes-CCO Gorden Wagener mit seinem breitbeinigen Auftreten die Produkte seines Arbeitgebers – von der reich bespoilerten A-Klasse bis zum vor Chrom triefenden Maybach-GLS – stimmiger als der zurückhaltende CEO Ola Källenius. Marek Reichman von Aston Martin ist als Markenbotschafter seines Arbeitgebers seit 17 Jahren eine der wenigen Konstanten der kriselnden Edelmarke – während die Gestaltung der aktuellen Modellpalette, inklusive des bislang mit der Unternehmensrettung überforderten DBX, massgeblich von Reichmans ehemaligem Adlatus Miles Nürnberger (mittlerweile bei Dacia) geleitet wurde. Obschon im Ruhestand, wurde Peter Schreyer, dem ehemaligen Audi-, VW- und Kia-Chefdesigner, kürzlich ein üppiges Coffee-Table Book anlässlich seiner triumphalen Errungenschaften zu Diensten der Hyundai-Gruppe gewidmet. In Sachen öffentlichem Ruhm befinden sich der Autodesigner im Allgemeinen und der Chief Creative Officer im Speziellen derzeit also auf dem Zenit.

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Kreativität

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MERCEDES W113: Die «Pagode» von 1963, Traumauto für Millionen. Design von Paul Bracq

Alamy Stock

Was Einfluss und Kreativität betrifft, sieht es indes anders aus. Der immense finanzielle Erfolg der Branche während des letzten Jahrzehnts hat tendenziell zu kreativer Erstarrung geführt. Immer mehr immer aggressiver auftretende SUVs sind Symptom dieses Status quo, immer gigantischere Entwicklungsbudgets sowie der wachsende Einfluss der Marketingabteilungen sind Teile der Ursache – auch wenn in der Öffentlichkeitsarbeit gerne die Mär vom seitens des chinesischen Markts vorgegebenen Drang zu vulgärer Gestaltung bemüht wird. Tatsächlich sind monströse Riesen-Grills und ausufernde Mengen an Pseudo-Lufteinlässen vor allen Dingen Ausdruck einer Industrie, die um sich selbst kreist: Was die geschätzte Konkurrenz macht, ist nicht bloss nachzuahmen, sondern zu überbieten. Das Ergebnis nennt sich: «Grille Wars».
 

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Wo die souveränen Designer sitzen

Diesem Kreislauf glauben nur wenige, souverän geführte Hersteller und ihre Designabteilungen sich entziehen zu können. Darunter etwa Porsche, wo Chefdesigner Michael Mauer einen guten Draht zum Vorstand und höchste handwerkliche Massstäbe pflegt. Mit dem Ergebnis, dass den Schwaben mit dem Macan sogar ein ästhetisch stimmiges Sport-SUV gelang. Mauers Pendant bei Land Rover, Gerry McGovern, hat den Range Rover unterdessen als die Designreferenz der automobilen Oberklasse etabliert – ganz ohne Monster-Grills und Innenräume in Dubai-Nachtclub-Anmutung. Volvo gelang unter dem ehemaligen Chefdesigner Thomas Ingenlath eine beeindruckende Design-Renaissance auf Basis bemerkenswerter stilistischer Stringenz und wohnlicher Innenräume, die nicht nur enttäuschte Audi-Fahrer ansprechen. Bei Mazda machte sich Chefdesigner Ikuo Maeda für bemerkenswerte Proportionen und spektakulär gestaltete Oberflächen stark, selbst bei Brot-und-Butter-Modellen wie dem Mazda 3.

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Designer

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HARLEY EARL: Urvater des modernen Automobildesigns, ab 1927 bei General Motors. Erfand die «Concept Cars».

Getty Images

Diese vier völlig unterschiedlichen Marken, die mit völlig unterschiedlichen Entwicklungsbudgets ausgestattet sind, eint ein präzises Markenprofil einerseits und starke Chefdesigner, die das Vertrauen des Vorstands geniessen, andererseits. So funktioniert gutes Automobildesign heute.
Ob dies in Zukunft so bleibt, steht allerdings in den Sternen. Was weniger an der Elektrifizierung, die sich im Design bislang nur marginal ausgedrückt hat, als an der Aussicht auf autonomes Fahren liegt. In jenem Fall wären die Auswirkungen aufs Design vergleichbar mit dem Wandel von der motorisierten Kutsche hin zum Auto, wie wir es kennen. Insignien der Geschwindigkeit würden hinfällig, das Innenraumdesign – welches bis heute aus rein subjektiven Gründen in der Industrie ein Schattendasein fristet – zur Unique Selling Proposition.
Einen Vorgeschmack darauf bieten heute bereits chinesische Hersteller, die statt auf lange Motorhauben und riesige Grills auf Aufenthaltsqualität im Auto samt nahtlos integrierten digitalen Funktionen setzen. Dass manche Marke diesen Ansatz besser umsetzt als andere, suggeriert immerhin, dass die Rolle des Designers zwar in Zukunft eine völlig andere sein wird – aber sicher keine weniger bedeutende.

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