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Credit Suisse

Ein Jahr nach dem Desaster: Die Rettungsbehörden im munteren Schwarzpeterspiel

Für die Rettungsbehörden gilt weiterhin: Jeder für sich – und gegen die anderen. Das schwächste Glied: die Finma.

Dirk Schütz

Einig nach aussen, Risse im Inneren: die Regulierer Thomas Jordan (Nationalbank), Karin Keller-Sutter (Finanzdepartement, r.), ­Marlene Amstad (Finma).

Einig nach aussen, Risse im Inneren: die Regulierer Thomas Jordan (Nationalbank), Karin Keller-Sutter (Finanzdepartement, rechts), Marlene Amstad (Finma).

Paolo Dutto / BILANZ, Fabian Hugo / 13Photo, Sébastien Agnetti / 13Photo

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Das erste Mal trafen sie sich in einer dunklen Ecke der Berner Universitätsbibliothek. Zufälligerweise griffen sie nach der gleichen Ökonomiezeitschrift: Thomas Jordan, bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit seiner Doktorarbeit beschäftigt, kam mit der fünf Jahre jüngeren Studentin Marlene Amstad ins Gespräch. Schnell fanden die beiden eine – intellektuelle – Wellenlänge: Professoren wie Karl Brunner oder Jürg Niehans, die Helden des Monetarismus, waren nicht nur die Vorbilder Jordans. Auch Amstad sog sie auf. Sie wisse heute noch genau, so sagt die 56-Jährige gern im kleinen Kreis, wie der Thomas denkt.

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35 Jahre nach dem ersten Treffen ist die Nähe nicht mehr ganz so gross. Thomas Jordan, seit zwölf Jahren an der Nationalbank-Spitze, musste sich im Zuge des CS-Untergangs teils scharfe Kritik anhören, und sie kam aus dem gesamten Spektrum: Von der linken «WoZ» bis zur rechtsbürgerlichen «NZZ». Der Vorwurf: unterlassene Hilfeleistung.

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Hören Sie die 5-teilige SRF-Podcast-Serie, in der BILANZ-Chefredaktor und Bankenexperte Dirk Schütz jeden einzelnen der fünf Schicksalstage vor dem Aus der CS nachzeichnet.

Und Finma-Präsidentin Amstad, deren Behörde seit ihrer Gründung vor 15 Jahren – die SNB ist 102 Jahre älter – als das schwächste Glied in der Kette der heiligen Regulierungs-Dreifaltigkeit von Nationalbank, Finanzdepartement und Finma gilt, ist mit dem CS-Kollaps in der Öffentlichkeit zur Prügelfrau Nummer eins des Behördenbashings aufgestiegen. Mit ihrem Bericht «Lessons Learned aus der Finanzkrise» preschte sie fünf Tage vor Weihnachten in der Krisenaufarbeitung vor, doch so richtig verfing der Reinwaschungsakt nicht: Dass die Finma so makellos dastand, wie es die Präsidentin glauben machen wollte, überzeugte nicht einmal die eigenen Mitarbeiter – schliesslich war die Grossbank ja vor den Augen ihrer Aufsichtsbehörde kollabiert.

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Am Berner Sitz am ­Bundesplatz ist das für die Finanzstabilität zuständige Zweite Departement der Nationalbank ange­siedelt. Die Beziehung zur Finma kühlte in den Rettungswochen ab.

Am Berner Sitz am Bundesplatz ist das für die Finanzstabilität zuständige Zweite Departement der Nationalbank angesiedelt. Die Beziehung zur Finma kühlte in den Rettungswochen ab.

Keystone
Am Berner Sitz am ­Bundesplatz ist das für die Finanzstabilität zuständige Zweite Departement der Nationalbank ange­siedelt. Die Beziehung zur Finma kühlte in den Rettungswochen ab.

Am Berner Sitz am Bundesplatz ist das für die Finanzstabilität zuständige Zweite Departement der Nationalbank angesiedelt. Die Beziehung zur Finma kühlte in den Rettungswochen ab.

Keystone

Silodenken

Es ist eine Rolle, die ihr die beiden mächtigeren Mitstreiter zwar subtil, aber durchaus gern zuspielen. Geschickt haben Jordan und Finanzministerin Karin Keller-Sutter auch das Prozessrisiko fast vollständig bei Amstad abgeladen: Die Klagewelle gegen die Abschreibung der umstrittenen AT-1-Anleihen der CS trifft die Finma voll, weil sie die Enteignung angeordnet hat. Die Halter von insgesamt 13 Wandelanleihen mit einem Nominalwert von 17 Milliarden Franken mussten ihre Papiere auf null abschreiben, jetzt klagen viele von ihnen über renommierte Kanzleien wie die amerikanische Quinn Emanuel oder die britische Pallas gegen den staatlich verordneten Zwangsverlust. Derzeit sichtet das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen die Eingaben von mehr als 2500 Klägern aus aller Welt, ein erstinstanzliches Urteil wird in der zweiten Jahreshälfte erwartet. Dass die Finma überhaupt zu dem fragwürdigen Instrument gegriffen hat, lag auch daran, dass Jordan und Keller-Sutter sich weigerten, für die CS-Rettung mehr Staatsgelder aufzuwerfen. Eine Geste zur Rettung des Deals – und jetzt droht der Finma die grösste Rechtslawine der Schweizer Finanzgeschichte.

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Am Zürcher Finma-Sitz an der Wasserwerkstrasse wurde die UBS-Spitze über die staatlich verordnete ­Rettung informiert. Jetzt droht den Aufsehern die grösste Rechtslawine der Schweizer Finanz­geschichte.

Am Zürcher Finma-Sitz an der Wasserwerkstrasse wurde die UBS-Spitze über die staatlich verordnete Rettung informiert. Jetzt droht den Aufsehern die grösste Rechtslawine der Schweizer Finanzgeschichte.

Keystone
Am Zürcher Finma-Sitz an der Wasserwerkstrasse wurde die UBS-Spitze über die staatlich verordnete ­Rettung informiert. Jetzt droht den Aufsehern die grösste Rechtslawine der Schweizer Finanz­geschichte.

Am Zürcher Finma-Sitz an der Wasserwerkstrasse wurde die UBS-Spitze über die staatlich verordnete Rettung informiert. Jetzt droht den Aufsehern die grösste Rechtslawine der Schweizer Finanzgeschichte.

Keystone

Und so setzt sich fort, was schon in den verhängnisvollen Monaten vor dem CS-Aus galt: Silodenken dominiert, eine Verbundstrategie existiert nicht. Zwar flöten die grossen drei nach aussen über ihre gute Zusammenarbeit. Doch hinter den Kulissen gilt: jeder für sich, alle für keinen. «Beunruhigend wenig institutionalisiert» sei die Kooperation von Bund, Nationalbank und Finma, hatte die von Keller-Sutter eingesetzte Expertengruppe Bankenstabilität unter dem Vorsitz des Basler Ökonomieprofessors Yvan Lengwiler bereits im Sommer festgestellt. Das Zusammenspiel sei verbesserungswürdig, es fehle die Verpflichtung der Player, ihre autonomen Entscheide zu koordinieren.

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Geändert hat sich seitdem nichts – im Gegenteil. Denn hinter den Kulissen hat die Parlamentarische Untersuchungskommission zum CS-Aus ihre Arbeit aufgenommen, die Befragungen laufen seit Oktober. Und dabei geht es vor allem um eines: die eigene Behörde zu schützen – bei Bedarf auch auf Kosten der beiden Mitstreiter.

Schwarzer-Peter-Spiel

Wenig Bankkompetenz, viel Parteipolitik: So arbeitet die verschwiegene CS-PUK.

Man hört sie nicht, man sieht sie nicht, die 14 Mitglieder der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) «Geschäftsführung der Behörden – CS-Notfusion». Doch dass sie ihrer Arbeit nachgehen, lässt sich an den Rechtfertigungsversuchen der Beteiligten ablesen: Das Schwarzer-Peter-Spiel hat begonnen.

So brach Ueli Maurer Anfang Februar via «SonntagsZeitung» sein Schweigen. Eine Staatsrettung gegen das CS-Management wäre nicht möglich gewesen, verteidigte sich der Ex-Finanzminister, was wenig überzeugend wirkte – natürlich hätte der Bund die Verstaatlichung via Notrecht durchziehen können. Doch auch bei Maurer fehlte wie bei allen Beteiligten im Herbst 2022 der Wille zur Radikalität.

Seit Oktober laufen die Befragungen, die PUK begann mit den drei Behördenchefs und bestellte sie teilweise sogar mehrfach ein. Dass die Nachricht von der ersten Befragung von Finanzministerin Keller-Sutter in den «SonntagsBlick» gelangte, führte im Gremium zu einem Treueschwur: keine Lecks mehr. Er hielt bis Ende Februar, als die «SonntagsZeitung» berichtete, dass die letzten CS-Lenker Axel Lehmann und Ulrich Körner ausgesagt hätten – und wenig überraschend die Finma für deren angebliche Praxisferne anschwärzten.

Die Kommission will sich überparteilich verhalten, aber natürlich spielt die Parteipolitik eine Rolle: Die SVP-Parlamentarier Thomas Matter, Alfred Heer und Werner Salzmann wollen ihren Ex-Bundesrat Maurer schützen, die FDP-Vertreter Andrea Caroni, Daniela Schneeberger und Matthias Michel die aktuelle Finanzministerin Karin Keller Sutter. 

Der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter ist zwar nur einfaches Mitglied, doch er ist der einzige Banker. Die Frage wird sein, wie viel von seinen Forderungen aus den heissen Märztagen des letzten Jahres übrig bleibt. So verlangte die SVP etwa die De-facto-Zerschlagung der UBS: Die Bank solle die Hochrisikoteile abtrennen, denn es dürfe kein Finanzunternehmen geben, «das so gross oder wichtig ist, dass ein allfälliger Konkurs die Schweizer Volkswirtschaft massiv schädigen würde». UBS-Chef Ermotti, der Matter noch aus seinen Anfangsjahren bei Merrill Lynch in Zürich kennt, soll sich intern sehr erstaunt über die Vorschläge gezeigt haben.

Und auch die Mitte-Kommissionspräsidentin Isabelle Chassot steht vor einem Dilemma: Ihr Parteichef Gerhard Pfister fordert von der UBS eine Eigenkapitalquote von 20 Prozent – es wäre ein bedeutender Wettbewerbsnachteil für die Fusionsbank.

Die Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot ­prä­sidiert die PUK.

Die Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot präsidiert die PUK.

Keystone
Die Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot ­prä­sidiert die PUK.

Die Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot präsidiert die PUK.

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Teile und herrsche

Formal hat Keller-Sutter den Troika-Vorsitz: Das Finanzdepartement führt das sogenannte Lenkungsgremium für Finanzkrisen, geregelt in einem Memorandum of Understanding, das zuletzt vor fünf Jahren aktualisiert wurde. Finma und Nationalbank sind ihr unterstellt – aber nur administrativ.

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Der Bundesrat führe nicht die Aufsicht über die Banken, hielt die Finanzministerin dann auch kürzlich in der TV-Sendung «NZZ Standpunkte» fest – «sondern die Finma». Und die habe doch immer betont, dass die regulatorischen Puffer erfüllt seien – was durchaus als Spitze gegen Amstad gedeutet werden darf. Andererseits stützt die Finanzministerin die angeschlagene Finma-Vorsteherin: Der Bundesrat bestätigte unter Keller-Sutters Federführung im September Amstad für weitere vier Jahre im Amt, und die Bundesrätin signalisierte bereits Zustimmung für das von der Finma geforderte gewichtigste Neuinstrument, die Bussenkompetenz. Es ist die Berner Variante des «Teile und herrsche» – Keller-Sutter als eine Art Schiedsrichterin mit Verwarnungsgewalt. Dass sie sich in den Rettungswochen auch an der Sturheit des Nationalbank-Kapitäns Jordan gestossen hat, gilt in Bern als offenes Geheimnis. Aber eben: Inhaltlich hat sie keine Weisungsbefugnis – das ist die Krux der fein austarierten Schweizer Regulierung.

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Doch nach aussen signalisiert sie Stärke. «Wir müssen handeln, wir haben keine andere Wahl», sagte sie zu Jahresende in der «NZZ». «Wir müssen dafür sorgen, dass eine Grossbank untergehen kann, ohne im schlimmsten Fall ein ganzes Land in den Abgrund zu reissen.» Der Druck ist auch institutionell bedingt: Im April muss sie erstmals den Bericht des Bundesrates zu den systemrelevanten Banken gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes vorlegen. Da gilt: Handlungskraft demonstrieren.

Der Sitz von Karin Keller-Sutter war Drehscheibe der CS-Rettung – und auch jetzt ist die Finanzministerin die starke Frau der Troika. Doch Weisungsbefugnis gegenüber Finma und Nationalbank hat sie nicht.

Der Sitz von Karin Keller-Sutter war Drehscheibe der CS-Rettung – und auch jetzt ist die Finanzministerin die starke Frau der Troika. Doch Weisungsbefugnis gegenüber Finma und Nationalbank hat sie nicht.

ZVG
Der Sitz von Karin Keller-Sutter war Drehscheibe der CS-Rettung – und auch jetzt ist die Finanzministerin die starke Frau der Troika. Doch Weisungsbefugnis gegenüber Finma und Nationalbank hat sie nicht.

Der Sitz von Karin Keller-Sutter war Drehscheibe der CS-Rettung – und auch jetzt ist die Finanzministerin die starke Frau der Troika. Doch Weisungsbefugnis gegenüber Finma und Nationalbank hat sie nicht.

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Ringen um Deutungshoheit

Auch hier zeigt sich eine Gewichtsverschiebung: Ihr Vorgänger Ueli Maurer galt als bankennah, gegen Ende seiner Amtszeit hatte der SVP-Mann die Finma auf Druck der Banken geschwächt. Seine taktisch beschlagene Nachfolgerin setzt auf Distanz zu den Bankfürsten. Mit Feindseligkeit habe das nichts zu tun, betont die FDP-Magistratin zwar. Doch sie würde sich kaum mit dem UBS-Präsidenten allein auf ein Panel setzen, wie es Maurer gern mit dem Ex-UBS-Vormann Axel Weber tat. Bei der Grossbank fragen sich da die Verantwortlichen hinter vorgehaltener Hand, warum sie denn schon in den Massnahmen-Modus gehe, wenn der PUK-Bericht wie angekündigt erst Ende Jahr vorliegen wird. Offenbar, so der Tenor, stehe auch die Finanzministerin unter Profilierungsdruck.

Es geht also weniger um eine ehrlich-sachliche Aufarbeitung der Krise, sondern mehr um Eigenmarketing der drei Behörden, die allesamt Schrammen abbekommen haben beim CS-Debakel und jetzt im historischen Aufarbeitungskampf um die Deutungshoheit ringen. Und auch um ihre Existenz: In Washington bei der Fed, in London bei der Bank of England und auch in Frankfurt bei der EZB ist der zentrale Teil der Bankenaufsicht der Notenbank unterstellt, und die UBS-Granden lassen keinen Zweifel daran, dass sie dieses System mit nur einer starken Kraft als effizienter empfinden. Denn dass die Schweiz den Ruf einer zu schwachen Aufsicht hat, ist bei ihren Investoren nicht gern gesehen, die Rivalitäten zwischen Finma und Nationalbank schrecken ausländische Grossanleger eher ab. Für die Finma wäre eine Unterstellung unter die Nationalbank das grösstmögliche Horrorszenario.

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Auch personelle Konsequenzen dürften im Rahmen des PUK-Berichts ein Thema sein. Dass der Finma-Direktor Urban Angehrn bereits abgetreten ist, nimmt Amstad etwas aus der Schusslinie, und mit der Wahl des neuen Direktors Stefan Walter soll Ruhe einkehren. Doch ausgestanden ist das CS-Drama für Amstad nicht.

Da ist es kaum hilfreich, dass auch das Verhältnis zu ihrem langjährigen Weggefährten Jordan weit von der Euphorie aus Studientagen entfernt ist. Natürlich ist keine offene Kritik zu vernehmen. Doch dass die Nationalbank die Finma in den Krisenmonaten als überfordert erlebte, ist in der Währungsbastion vielerorts zu vernehmen. Jordan machte schnell nach dem CS-Aus deutlich, dass die Aufseher Marktindikatoren wie den Kursverlauf oder die Kreditausfallversicherungen stärker berücksichtigen sollten – ein deutlicher Wink, dass es bei der Finma an Praxisnähe fehle. 

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Doch noch Karriere

Dabei hat Amstad dem Nationalbank-Vormann einen grossen Teil ihres Aufstiegs zu verdanken. Zwei Jahre war Amstad nach Studium in Bern und Doktorat in St. Gallen bei der Bank tätig, deren Abwicklung ihr mehr als zwanzig Jahre später obliegen sollte: der CS. Schon damals beschäftigte sie sich mit Bankenregulierung, wenn auch nur indirekt: Sie kalibrierte Kreditmodelle gemäss dem damals gültigen Regelwerk Basel II. Doch dann erhielt sie einen Anruf von Jordan, der damals in der Forschungsabteilung des Ersten Departements der Nationalbank arbeitete: Ob sie nicht zur SNB kommen wolle?

Sie sagte schnell zu und arbeitete mehrere Jahre direkt in Jordans Team. Als sie dann mit ihrem Mann, einem Ingenieur, nach Asien wollte, vermittelte ihr der Jordan-Vorgänger Philipp Hildebrand einen Job bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Hongkong. Drei Jahre später übernahm Amstad eine Professur im nahen Shenzhen. Zehn Jahre blieb das Paar in Asien. Der Kontakt zu Jordan hielt – der Nationalbank-Chef besuchte sie in China und auch bei einem Studienaufenthalt in New York. Es war nicht die grosse Karriere, alles sehr theoretisch-akademisch, aber weltumspannend.

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Als es dann doch noch um den Aufstieg in die erste Reihe ging, war der gute Draht in die Nationalbank sicher nicht hinderlich. Die Finma hatte bis 2020 recht erfolgreiche Jahre hinter sich. Die noch junge Behörde, stets im Schatten der alteingesessenen und besser besoldeten Notenbank, hatte unter dem Ex-UBS-Mann Mark Branson eine schlanke, aber effiziente Aufsichtspraxis etabliert. Der Brite, einst am renommierten Trinity College in Cambridge mit höchsten Weihen bedacht, brachte vor allem das Gespür für das Rauschen auf Teppichetagen und Handelsfluren der Grossbanken mit. Nach 13 Jahren bei der UBS, zuletzt als Finanzchef des Wealth Managements, war er einer der seltenen Aufseher, den die Bankchefs wirklich ernst nahmen, weil er mit ihnen auf Augenhöhe reden konnte.

Amstad gegen Branson

Er baute die Finma um, unterteilte die Banken in fünf Grössenklassen und belegte sie mit einem Risikorating – grün, gelb und rot. Selbst kleinere Banken, die seit Jahren keinen Aufseher mehr gesehen hatten, wurden nun mit regelmässigen Besuchen beglückt. Er gab sich penibel und angriffig. Als etwa die Nationalbank die CS zur Erhöhung ihrer Eigenmittel verdonnerte, schoss er sie an: «Das ist eigentlich unsere Aufgabe.»

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Es lief so gut, dass es für die Banken aus ihrer Sicht zu schlecht lief. Im Finanzdepartement, administrativ der Dienstherr der Finma, hatte mit Maurer ein Chef übernommen, der Regulierung erst mal skeptisch sah und offen zu Protokoll gab, die Finma lege die Regulierung «schon etwas intensiv aus». Besonders die beiden Grossbanken drängten darauf, den aus ihrer Sicht zu aggressiven Branson zurückzubinden. Auch kleinere Banken stimmten ein, der Kantonalbankenverband etwa kritisierte, dass die Finma «deutlich über ihr Mandat hinausgeht». Selbst die Versicherer, auch dem Regulator unterstellt, aber deutlich unwichtiger, weil deutlich ungefährlicher, schossen offen gegen Branson. «Eine Zumutung» seien die angeblich viel zu harten Regulierungsvorschriften, befand Swss-Life-Chef Patrick Frost. Die SVP wollte im Nationalrat der Finma sogar die Regulierungsfunktion komplett entziehen. Branson war der mächtigste Aufseher, den die Schweiz je hatte – für die Finanzindustrie zu mächtig.

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Und da kam Amstad ins Spiel. Bislang war die Gewaltenteilung in der Behörde eindeutig geregelt. Zwar legte das Reglement fest, dass gewichtige Entscheide im Verwaltungsrat getroffen werden mussten. Doch die Praxis war eindeutig: Die Aufsichtsarbeit lag bei den vollamtlichen Mitarbeitern um den Direktor, der Verwaltungsrat, mit Banklaien im Teilzeitpensum bestückt, hatte primär absegnende Funktionen. Doch der regulierungskritische Maurer setzte Amstad ein, um diesen Konsens aufzubrechen. Plötzlich zog die Präsidentin, in der Aufsichtsratspraxis unerfahren, die operative Führung an sich. Branson hielt das nicht nur inhaltlich für falsch und sah darin eine Schwächung der Behörde, ihm fehlte auch die nötige Vertrauensbasis im Zusammenspiel mit der Präsidentin, gerade wenn es zu einer Krise kommen sollte.

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Amstad liess es auf den Clash ankommen, und drei Monate nach ihrem Antritt reichte Branson im März 2021 entnervt seine Demission ein und wechselte als Chef der deutschen Aufsicht BaFin nach Frankfurt. Mit ihm gingen auch andere Schlüsselpersonen: der Leiter der Bankenaufsicht, der Chef der Abwicklungseinheit. Das Ziel, die Finma zu schwächen, hatte Maurer im Chor mit Grossbanken und Parlament erreicht. Zum Abschied schrieb Branson dem designierten CS-Präsidenten António Horta-Osório einen Brief, der als der schärfste der Finma-Geschichte gilt und auch die Atemfrequenz der UBS-Lenker beim Durchlesen der Korrespondenz heftig erhöhte: Die Kultur und das Risikomanagement seien in lamentablem Zustand, ohne hartes und konsequentes Durchgreifen drohe der Untergang. Dann war Branson weg. 

Mit der Berufung von Marlene Amstad durch Ueli Maurer wurde Direktor Mark Branson (im Bild) aus der Aufsichtsbehörde gedrängt.

Mit der Berufung von Marlene Amstad durch Ueli Maurer wurde Direktor Mark Branson (im Bild) aus der Aufsichtsbehörde gedrängt.

Keystone
Mit der Berufung von Marlene Amstad durch Ueli Maurer wurde Direktor Mark Branson (im Bild) aus der Aufsichtsbehörde gedrängt.

Mit der Berufung von Marlene Amstad durch Ueli Maurer wurde Direktor Mark Branson (im Bild) aus der Aufsichtsbehörde gedrängt.

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Wäre mit ihm an der Spitze die CS gerettet worden? Wohl kaum. Im Nachhinein wirkt das Aus des von einer Gierkultur zerfressenen Bankkonzerns wie eine griechische Tragödie, bei der nur ein Ende möglich war. Aber ein Bankprofi hätte den überladenen und praxisuntauglichen Umbauplan des CS-Präsidenten Axel Lehmann kritischer geprüft, statt eine verheerende Kapitalerhöhung anzuordnen. Er hätte auch die Rückkoppelungseffekte des Plans auf Aktienkurs und CDS-Spreads stärker berücksichtigt. Und er hätte das sture Festhalten an dem Plan nach dem Scheitern härter beanstandet.

Finma ohne Grosskanzlei

Amstad und ihr Direktor Angehrn agierten dagegen strikt nach Mandat. Am 2. November 2022, als Jordan nach den verheerenden Abflüssen im Oktober vor dem Bundesrat eine Liquiditätsspritze von 50 Milliarden für die CS anbot, war Amstad auch dabei, aber eindeutig in der Juniorrolle. Maurer und Jordan tauschten sich auch ohne sie aus und hielten den Kontakt zu den Lenkern von UBS und CS, was Branson kaum akzeptiert hätte. Amstad war vor allem darauf bedacht, die Too-big-to-fail-Regulierung anzuwenden. Dass sie als einziges Element des praxisuntauglichen Regelwerks die Abschreibung der AT-1-Anleihen durchsetzte, fällt der Behörde jetzt vor die Füsse. Ausgerechnet der beschlagene Schweizer Quinn-Emanuel-Statthalter Thomas Werlen ist jetzt ihr grösster Gegenspieler: Er hatte 2020 im Auftrag der Finma die Spionage-Affäre bei der CS untersucht. Werlen vertritt Investoren mit einem Verlustvolumen von 5,5 Milliarden Dollar, mehr als 2 Milliarden werden von London aus von der ebenfalls sehr beschlagenen Natasha Harrison von Pallas Partners vertreten. Die Frage ist, ob Amstad zur Absicherung mehr auf die Gesamtverantwortung der drei Behörden bei der Abschreibung hätte dringen sollen. Selbst intern gab es Juristen, die wie auch die CS-Anwälte um Rechtschef Markus Diethelm die Rechtmässigkeit der Abschreibungen in Abrede stellten, da die Anwendbarkeit nur für eine Kapitalschmelze galt, die aber selbst laut Finma nicht vorlag. Auch scheint die Expertise ausbaufähig: Die Finma vertraut primär auf ihre eigenen Anwälte, während sich das Finanzdepartement von Niederer Kraft Frey beraten lässt und die UBS auf Bär & Karrer setzt.

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Vertritt Investoren mit Milliardenverlusten: Natasha Harrison von der Londoner Kanzlei Pallas.

Vertritt Investoren mit Milliardenverlusten: Natasha Harrison von der Londoner Kanzlei Pallas.

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Vertritt Investoren mit Milliardenverlusten: Natasha Harrison von der Londoner Kanzlei Pallas.

Vertritt Investoren mit Milliardenverlusten: Natasha Harrison von der Londoner Kanzlei Pallas.

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Amstads Kehrtwende

Die drei von der Finma geforderten Massnahmen sind da kaum mehr als Feigenblätter. Die Bussenkompetenz hätte das Ende der CS sicher nicht verhindert, würde aber die Finma verstärkt auf die Prozessebene führen. Das Senior-Management-Regime, durch das die verantwortlichen Manager stärker zur Verantwortung gezogen werden sollen, verbessert die aktuelle Lage kaum – schon jetzt kann die Finma über die Gewährsprüfung Managern die Zulassung verweigern. Am wirksamsten ist noch eine höhere Transparenz bei den Enforcement-Entscheiden. Branson praktiziert etwa bei der BaFin das Gegenteil der Schweizer Praxis: Es wird grundsätzlich kommuniziert, Ausnahmen nur bei Unverhältnismässigkeit. In der Schweiz ist bislang die Kommunikation die Ausnahme.

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Doch entscheidend ist etwas anderes: Wird die Corporate Governance mit dem neuen Direktor Stefan Walter wieder zum Modell der Vor-Amstad-Zeit zurückkehren? Interessant ist, dass Amstad nach Walters Ernennung ankündigte, wieder in den Hintergrund treten zu wollen – dabei war sie es, die nach ihrem Antritt die Direktoren Branson und Angehrn aus der Öffentlichkeit vertrieb und sich machtbewusst als Gesicht der Finma positionierte. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung, wohl auch als erstes Resultat der PUK-Einvernahmen – Amstad liess zuletzt gar einen Auftritt beim «Eco Talk» platzen.

Walter muss die Macht ergreifen. Technisch gilt er als hochkompetent – er baute bei der Europäischen Zentralbank die Bankenaufsicht für systemrelevante Banken auf. Doch Führungserfahrung auf dieser Stufe hat er nicht, er ist auch kein Bankpraktiker, und die EZB pflegt eine deutlich zentralistischere Kultur als die Schweizer Behörden.

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Karin-Keller Sutter und Thomas Jordan befinden sich da in einer komfortablen Situation. Sie können das Spektakel von der Seitenlinie geniessen.

Über die Autoren
Dirk Schütz

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