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David gegen Goliath

Dieses KI-Start-up will Googles Kerngeschäft angreifen

Das Start-up Perplexity AI um Gründer Aravind Srinivas gehört zu den heissen Wetten im Silicon Valley. Besuch bei einem Visionär.

Hannah Schwär

Mastermind«Wir wollen die weltbeste ­Antwortmaschine sein»: Aravind Srinivas, CEO und ­Gründer von Perplexity AI.

Mastermind: «Wir wollen die weltbeste Antwortmaschine sein», sagt Aravind Srinivas, CEO und Gründer von Perplexity AI.

Iannis G./REA/laif

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Für jemanden, der die Suche vereinfachen will, ist Aravind Srinivas schwer zu finden: kein Firmenlogo über der Tür, kein Klingelschild. Nicht mal bei Google Maps ist seine Firmenzentrale eingetragen – eine Stichelei der übermächtigen Konkurrenz? Nein, viel simpler, erklärt der Gründer: Er sei mit seinen gut 100 Mitarbeitern gerade erst umgezogen. «Das alte Büro war einfach zu klein.» Hier also, in einem denkmalgeschützten Wolkenkratzer mitten in San Francisco, arbeitet nun eines der am schnellsten wachsenden KI-Start-ups der Welt: Perplexity AI.

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Das Unternehmen hat eine neuartige Suchmaschine gebaut, die nach eigenen Angaben schon 265 Millionen Suchanfragen pro Monat beantwortet. Sie kombiniert die herkömmliche Websuche mit künstlicher Intelligenz (KI) – und liefert ausformulierte Antworten mit Quellenangaben statt nur Link-Listen. «Ich google nicht mehr – ich nutze Perplexity», ist ein Satz, den man derzeit häufig von technikaffinen Akademikern und Managern hört. Bei denen soll es aber nicht bleiben: In Deutschland versucht das Start-up seit dem Sommer, den Mainstream zu erobern – mit Fussballstar Niclas Füllkrug als Werbegesicht. 

Friedhof der Gescheiterten

Dabei hat Perplexity mächtige Verbündete: Nvidia-CEO Jensen Huang nutzt es angeblich fast jeden Tag, er ist mit seinem Chipkonzern als Investor eingestiegen, ebenso Amazon-Gründer Jeff Bezos. Mit anderen Geldgebern haben sie jüngst weitere 250 Millionen Dollar in das Start-up gepumpt, und ihre Wette auf die Zukunft ist gross: Sie zielt direkt auf den zwei Billionen Dollar schweren Marktführer. «Wir wollen die weltbeste Antwortmaschine sein», sagt Srinivas. «Und wir glauben, dass wir dabei bessere Karten haben als Google.»

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Es ist eine verwegene, vielleicht auch vermessene Ansage. Der Suchmaschinenmarkt liegt seit mehr als 25 Jahren fest in der Hand von Google: 80 Prozent Marktanteil auf dem Desktop, 94 Prozent auf dem Smartphone. Viele Konkurrenten haben versucht, ein überlegenes Produkt zu bauen. Altavista, Yahoo, Bing … alle sind bislang gescheitert.

Doch das von ChatGPT verursachte Beben hat seit 2022 einiges verschoben, durch die neuen Fähigkeiten von KI scheint plötzlich viel mehr möglich – auch eine bessere Suche. Eine neue Generation KI-gestützter Suchmaschinen wittert den perfekten Moment, um dem Giganten Nutzer abzutrotzen. Perplexity AI, das zeigen Wachstumskurve und die Liste der Unterstützer, ist einer der vielversprechendsten Herausforderer. Doch wie gross sind seine Chancen wirklich?

Es fehlt nicht viel, um im Grossraumbüro von Perplexity AI eine Bibliothek zu eröffnen: Helle Holzvertäfelung, weisse Sofas, ein paar Bücherregale sind schon da, in denen neben Bildbänden von van Gogh, Kandinsky und Gropius noch Platz wäre. Über dem Empfangstresen leuchtet der passende Leitspruch dazu: «Where knowledge begins» – wo Wissen beginnt. «Unsere Mission ist, den Planeten klüger zu machen», erklärt Perplexity-Gründer Aravind Srinivas.

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Überforderter Doktorand

Der Informatiker – 30 Jahre alt, graues T-Shirt, schwarze Brille – ist in Indien aufgewachsen, seine Sprache ist die Wissenschaft: Srinivas gewann als Schüler bei der Mathe-Olympiade, brachte sich Programmieren selbst bei, vertieft sich bis heute gerne in Bücher. Seine Mutter, erzählt er, hätte ihn am liebsten für einen Doktortitel an die amerikanische Eliteuniversität MIT geschickt – doch die erteilte ihm eine Absage. Ein Glücksfall: Denn so zog er 2017 für seine Promotion nach San Francisco, das schon bald zum Epizentrum des globalen KI-Booms werden sollte.

Unter KI-Forschern machte Srinivas schnell auf sich aufmerksam, bekam Praktika bei der Google-Tochter DeepMind und OpenAI, wo er später anheuerte und an einer «nachdenklichen KI» forschte, einem Vorläufer der neuen OpenAI-Modellreihe o1.

Die Forschung war es auch, die ihn mit seinen späteren Mitgründern Denis Yarats und Johnny Ho zusammenbrachte und den Zündfunken für Perplexity AI lieferte. «Als ich 2017 in die USA kam, wollte ich unbedingt einen Doktortitel machen. Aber ich hatte keine Erfahrung mit dem Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten», erinnert sich Srinivas. Die Zitierregeln hätten ihn anfangs überfordert, also dachte er über Lösungen nach. Was, wenn ein KI-Chatbot ihm helfen könnte, der nur das ausspuckt, was er auch mit Quellennachweisen belegen kann? «Das ist durchschlagend», sagt er. Aber ist es durchschlagend genug, um es mit den Tech-Giganten aufzunehmen?

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KompagnonsAravind Srinivas (M.) mit den ­Perplexity-Mitgründern Johnny Ho (l.) und Denis Yarats.

Kompagnons: Aravind Srinivas (M.) mit den Perplexity-Mitgründern Johnny Ho (l.) und Denis Yarats.

Carolyn Fong/Redux/laif
KompagnonsAravind Srinivas (M.) mit den ­Perplexity-Mitgründern Johnny Ho (l.) und Denis Yarats.

Kompagnons: Aravind Srinivas (M.) mit den Perplexity-Mitgründern Johnny Ho (l.) und Denis Yarats.

Carolyn Fong/Redux/laif

Anruf bei Suchmaschinen-Veteran Tim Schumacher. Der Unternehmer aus Köln ist fast so lange in der Branche, wie es Google gibt. 2001 gründete er den Domain-Händler Sedo, später investierte er als Erster in die Öko-Suchmaschine Ecosia und baute sie mit auf. Im Markt hat er schon viel gesehen und getestet. Perplexity, sagt er, sei seit gut neun Monaten sein täglicher Begleiter für Recherchen und Brainstormings. «Die Ergebnisse sind fast so gut, wie wenn ich früher einen Praktikanten für ein paar Stunden an die Recherche gesetzt hätte», schwärmt Schumacher. 

Auf der Startseite lädt die Suchmaschine dazu ein, eine Frage zu stellen. Sie durchsucht dann das Internet, sammelt Informationen, fasst sie zu einem Antworttext zusammen und fügt Quellennachweise hinzu – ähnlich wie eine Mini-Hausarbeit. «Das liefert Google nicht in dieser Qualität», sagt der Suchmaschinenexperte. Die Antworten seien auch genauer als diejenigen von ChatGPT.

Die Technik hinter der Präzision heisst im Fachjargon RAG, kurz für Retrieval-Augmented Generation. Sie stellt sicher, dass sich die KI nur aus vordefinierten Wissensquellen bedient, um Antworten zu generieren: beispielsweise bei Wikipedia, in Blogs und Qualitätsmedien. Die RAG-Methode soll sogenannten Halluzinationen vorbeugen, also von der KI frei erfundenen Inhalten, und ist Perplexitys wohl wichtigstes Unterscheidungsmerkmal im Vergleich mit ChatGPT.

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Seit die KI-Suchmaschine am 7. Dezember 2022 startete, gut eine Woche nach ChatGPT, hat sie eine beachtliche Wachstumskurve hingelegt. «Anfang Januar waren es dann schon 100'000 tägliche Suchanfragen», sagt Srinivas. Heute kommt Perplexity AI auf rund 265 Millionen im Monat. Verglichen mit Google ist Perplexity damit jedoch winzig.

TeamJohnny Ho (l.) und Aravind Srinivas (M.) mit Mitarbeitern in ihrem ­alten Büro in San Francisco.

Team: Johnny Ho (l.) und Aravind Srinivas (M.) mit Mitarbeitern in ihrem alten Büro in San Francisco.

Laif
TeamJohnny Ho (l.) und Aravind Srinivas (M.) mit Mitarbeitern in ihrem ­alten Büro in San Francisco.

Team: Johnny Ho (l.) und Aravind Srinivas (M.) mit Mitarbeitern in ihrem alten Büro in San Francisco.

Laif

Wenn man Aravind Srinivas auf den Giganten anspricht, entrutscht ihm ein begeistertes «Oh, yeah». Der Informatiker ist bekennender Fan von Google-Gründer Larry Page, und trotzdem will er mit Perplexity sein grosses Vorbild angreifen. «Google ist gefangen in seinem eigenen Geschäftsmodell», glaubt Srinivas. Es ist eine verbreitete These zur Suchmaschine und zu deren zögerlichem Umgang mit KI: das Innovator’s Dilemma.

Der Ex-Harvard-Professor Clayton Christensen hat den Begriff erstmals in seinem gleichnamigen Buch von 1997 beschrieben. Seine These: Innovatoren fixieren sich im Laufe der Zeit so sehr auf bewährte Erfolgsformeln, dass sie für mögliche Disruptionen blind werden – und so zu ihrem eigenen Untergang beitragen. Selbst wenn sie die Gefahr erkennen, hätten sie oft keinen Anreiz zum Handeln. Denn ein besseres Produkt könnte ja schliesslich die Erträge im Kerngeschäft gefährden.

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In Googles Fall besteht das Kerngeschäft aus Google Ads, der lukrativen Anzeigenbörse, über die Google bei jedem Klick auf ein gesponsertes Suchergebnis mitverdient. Gut 175  Milliarden Dollar Werbeerlöse spielte die Suche 2023 ein, fast 60 Prozent des Gesamtumsatzes des Mutterkonzerns Alphabet. Eine Suche allerdings, die Antworten liefert, ohne dass Nutzer dafür weiterführende Links klicken müssen, wäre wohl das Ende dieser Gelddruckmaschine.

Gesponserte Suchanfragen

Die grosse Frage ist daher, ob sich eine neue Gelddruckmaschine rund um die KI-Suche bauen lässt. Bisher setzt Perplexity AI dabei vor allem auf Abo-Erlöse: Die Basissuche ist zwar kostenlos, für rund 18 Franken pro Monat kann man aber einige Premiumfunktionen freischalten. Nach eigenen Angaben haben sich bereits 1500 Firmenkunden sowie «Hunderttausende zahlende Nutzer» dafür angemeldet. Srinivas weiss aber auch: In einer Welt, die sich an kostenlose Suchmaschinen gewöhnt hat, dürfte die Zahlungsbereitschaft in der Breite eher gering sein.

Perplexity AI wagt deshalb aktuell den Vorstoss in den Werbemarkt. «Wir werden mit gesponserten Suchanfragen anfangen», kündigt Aravind Srinivas im Gespräch an. Suche beispielsweise jemand nach den besten Laufschuhen, bekomme er unter der neutralen Antwort weitere Suchvorschläge, etwa «Welches sind die besten Laufschuhe von Nike?». Dafür sollen die Marken dann bezahlen.

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Offen bleibt allerdings, wie wertvoll solche Einblendungen tatsächlich sind. «Ich sehe das Werbemodell von Perplexity sehr skeptisch», sagt etwa Tech-Investor und Onlinemarketingexperte Philipp Klöckner. Schliesslich sei die KI-Suchmaschine ja darauf ausgelegt, alle relevanten Informationen direkt in der ersten Antwort zu liefern – und dem Nutzer das Weiterklicken und Stöbern im Netz zu ersparen.

Suchmaschinenexperte Tim Schumacher zweifelt zudem daran, ob Nutzer bei Perplexity überhaupt nach neuen Laufschuhen oder Hotelbuchungen suchen werden, die klassischerweise die meisten Werbe-Euros einbringen. Viele Menschen würden die KI-Suche eher für Faktenrecherchen nutzen, etwa zu komplexen Sachverhalten. «Solche Wissensanfragen sind sehr schwer zu monetarisieren», sagt er. Selbst wenn das Start-up dabei also zum neuen Standard würde: «Auf den Umsatz von Google wird es wahrscheinlich keinen grossen Einfluss haben.»

Aktuell punktet Perplexity AI also vor allem als Recherchewerkzeug für Akademiker. Doch selbst hier lauern Probleme: zum einen der häufige Vorwurf der Urheberrechtsverletzung, wenn die KI Texte weiterverarbeitet, zum anderen der harte Verdrängungswettbewerb. Wie schnell man als Pionier überholt werden kann, zeigt etwa der deutsche Gründer Richard Socher, einer der meistzitierten KI-Forscher weltweit: Er war der Erste, der die Websuche mit moderner KI kombinierte. Seine 2022 gestartete KI-Suchmaschine You.com hob jedoch nie richtig ab. «Wir sehen viele Copycats, die unsere Technologie kopiert haben», ärgert er sich heute. Dabei, so behauptet er, sei You.com immer noch die genaueste KI-Suchmaschine. 

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Anfangs Quatsch

Ein ähnliches Schicksal könnte auch Perplexity AI ereilen: dann, wenn grosse Tech-Konzerne mit ihren eigenen KI-Suchmaschinen Ernst machen. Die von Microsoft finanzierte KI-Firma OpenAI testet beispielsweise seit Juli 2024 SearchGPT, einen ziemlich unverhohlenen Abklatsch von Perplexity AI. Und auch Google hat nachgebessert: Sein 2023 eingeführter Chatbot Gemini, der anfangs noch allerhand Quatsch von sich gab, hat mittlerweile auch eine Faktencheck-Funktion mit Quellenverweisen. «Google fährt eine Absicherungsstrategie: Sie investieren in Forschung und KI-Produkte, rollen diese aber nur so weit wie nötig aus», glaubt Philipp Klöckner.

Seiner Ansicht nach kann sich der Konzern die Zauderei durchaus erlauben. Google sei bereits sehr tief in bestehende Betriebssysteme und Browser integriert, zudem seien die meisten Internetnutzer Gewohnheitstiere. «Ich wäre überrascht, wenn Perplexity mehr als drei Prozent Marktanteil in den nächsten zwei Jahren erringen könnte.»

Zurück in San Francisco, neigt sich das Gespräch dem Ende zu, und Srinivas räumt ein: «Es ist sehr schwer, Google zu erledigen.» Ein Stück vom Kuchen würde ja schon reichen, um erfolgreich zu sein: «Man kann Google immer noch als Navigator für das Internet verwenden und gleichzeitig wegen umfangreicher Antworten zu Perplexity kommen», sagt Srinivas. Es ist kein Nullsummenspiel.

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