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Die Reichstenliste fasziniert das Land. Katja Rost spricht über Aufstiegschancen, soziale Ungleichheit – und über Risikobereitschaft.
Christian Kolbe
Reichtum und soziale Ungleichheit sind laut Soziologin Katja Rost bis zu einem gewissen Grad gut für die Gesellschaft.
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Die Liste der 300 Reichsten bewegt die Schweiz. Die Soziologin Katja Rost (48) beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was es braucht, um in die Elite aufzusteigen und vor allem, was es braucht, um oben zu bleiben. Dabei geht es auch um ungeschriebene Gesetze, Verhaltensnormen und Rollenbilder in der Welt der Reichen und Mächtigen.
Katja Rost: Das mit dem Gefühl haben Sie sehr treffend formuliert. Die Schere öffnet sich tatsächlich ein wenig, aber nie so stark, wie es die sozial empfundene Ungleichheit vermuten liesse.
Die Reichen sind in unserer Gesellschaft omnipräsent, vor allem durch die sozialen Medien, aber auch durch traditionelle Medienberichte. Der soziale Vergleich findet tagtäglich statt. Aber wie weit sich die Schere wirklich geöffnet hat, wird in den Wissenschaften sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Studien, die diese Ungleichheit relativieren, die zum Beispiel die Steuerbelastung berücksichtigen …
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Ja. Reichtum – und damit soziale Ungleichheit – hat es immer gegeben. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch gut für eine Gesellschaft. Soziale Unsicherheit hat nicht nur Schattenseiten. In einer sozialistischen Gesellschaft, wo alle gleich sind, da gibt es keinen Fortschritt und keinen Wohlstand. Wir brauchen ein gewisses Leistungsprinzip.
Die entscheidende Frage ist: Wann wird die Ungleichheit zu gross? Wenn wir die heutige Zeit mit dem Feudalismus im Mittelalter vergleichen, dann haben wir viel erreicht. Andererseits gab es nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein Fenster mit höherer Aufstiegsmobilität. Bis in die 1990er-Jahre war die Gesellschaft durchmischter, sozialer Aufstieg war leichter möglich. Nun befinden wir uns wieder in einer Konsolidierungsphase und sehen den Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben.
Wir sprechen hier von der Spitze der Gesellschaftspyramide. Oft auch von altem Geld, das seit Generationen in der Familie ist. Das hat eine gewisse Faszination. Es ist eine Welt, die wir nicht nachvollziehen und in die wir auch niemals hineinkommen können. Die Welt der Reichen interessiert aus Neugier – und nicht aus Neid. Das heisst, der soziale Vergleich ist sehr abstrakt, weil wir insgeheim wissen, das ist ein Wettbewerb, bei dem wir nie mitspielen werden.
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Katja Rost ist Professorin für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Sie forscht unter anderem zu Geschlechterstereotypen, Elitesoziologie und zur Soziologie der Digitalisierung und Innovation. Vor ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft arbeitete sie 3 Jahre in der Unternehmens- und Politikberatung. Rost ist im Osten von Thüringen in der Stadt Gera aufgewachsen und hat einen zehnjährigen Sohn.
Die Frauen werden mehr, aber sie haben auch in diesen Familien noch andere Aufgaben, bekommen beispielsweise Kinder, rücken für eine Zeit in den Hintergrund. Trotzdem wird die Liste diverser, die internationale Diversität hat zugenommen.
Es ist keine Überraschung, dass Europa zu kämpfen hat und auf dem Abstieg ist. Das ist auch selbst gewollt. Wir diskutieren dauernd über die Armut in den Schwellenländern und im globalen Süden. Da steckt eine implizite Botschaft dahinter: Auch diese Länder sollen am Reichtum partizipieren. Nur funktioniert das nicht so, wie wir uns das idealerweise vorstellen. Viele wollen nicht, dass es für uns einen Abstieg bedeutet, wenn andere aufsteigen. Aber das ist die logische Konsequenz.
Es ist diese einzigartige Mischung aus politischer Stabilität, Mehrsprachigkeit, Schönheit der Landschaft, der Lage in der Mitte Europas, Neutralität und Steuerwettbewerb auch innerhalb der Schweiz. Dazu kommen die vielen internationalen Firmen und Organisationen, tolle Bildungseinrichtungen. Die Schweiz hat echt viel zu bieten für superreiche Familien.
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Das Sinnbild für Reichtum: Schnee, Champagner und Pelzmäntel in St. Moritz. Der Bündner Ort ist ein Reichen-Hotspot.
KeystoneDas Sinnbild für Reichtum: Schnee, Champagner und Pelzmäntel in St. Moritz. Der Bündner Ort ist ein Reichen-Hotspot.
KeystoneDie Schweiz profitiert extrem davon. Wenn man dieses Umfeld abschaffen will, dann schafft man den Wohlstand der Schweiz ab.
Der Ort der Innovation ist häufig männlich. Das zeigt gerade die Digitalisierung. Dies bot gerade am Anfang Chancen für Aufsteiger und hatte damals viel mit Risikobereitschaft zu tun. Risikobereitschaft ist eine Eigenschaft, die bei Männern ausgeprägter ist als bei Frauen.
Männer treten häufiger in den Wettbewerb als Frauen. Das hat soziale, aber auch biologische Gründe. Testosteron steigert die Risikobereitschaft. Was bei der Diskussion über die Chancengleichheit immer wieder aus dem Blick gerät: Es sind auch 99,9 Prozent dieser Männer, die nichts erreichen und scheitern. Das Risiko, das ich eingehe, um eine Professur zu bekommen, ist nichts im Vergleich mit dem Risiko, das eine Unternehmerin stemmen muss. Dazu kommt ein weiterer Punkt.
Innovation findet häufig in Nischen statt. In diesen Nischen sassen meist ‹Nerds›. Heute weiss man, Digitalisierung ist die Zukunft. Nur, wer wusste das vor 30 Jahren? Damals haben hauptsächlich Männer diese Fächer studiert, die heute so wichtig sind.
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In der Schweiz stehen die Superreichen hinter den Institutionen und dem System der Mitbestimmung. Geld war schon immer politisch. Es gehört dazu, dass, wer viel Geld hat, mitredet und sich in die Politik einmischt. Aber man darf das Engagement nicht nur negativ sehen, es fliesst auch viel in die Wohltätigkeit, der medizinische Fortschritt wird unterstützt oder Bildungsinstitutionen.
Da steckt eine hohe moralische und normative Überzeugung dahinter. Das Bild des ehrbaren Kaufmanns bestimmt gerade in der Welt des alten Geldes, was man damit macht.
Nein, ich finde diese Zurückhaltung in der Schweiz sehr sympathisch. Wir haben andere kulturelle Werte als in den USA, wo man schon immer anders mit Reichtum umgegangen ist. Viele Leute würden die Augen rollen, sollte sich das in der Schweiz ändern.
Diese Supermanager sind ein neues Phänomen. Das hat viel mit der Grösse der Unternehmen zu tun, früher gab es solch globale Firmen fast gar nicht. So ein Manager will sich auch ein Stück von Kuchen abschneiden. Dafür arbeitet er sieben Tage die Woche und verbringt das Leben im Flugzeug. Das wollen die wenigsten.
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