Guten Tag,
Generationenwechsel bei der SP: Neu haben Mattea Meyer und ihr langjähriger Mitstreiter Cédric Wermuth das Sagen. Das sind ihre Gegenspieler.
Florence Vuichard
Mattea Meyer ist seit 2015 im Nationalrat und nun gemeinsam mit Cédric Wermuth Nachfolgerin von SP-Präsident Christian Levrat.
Tomas Wüthrich/13 PhotoWerbung
Eine Frage treibt Mattea Meyer (32) um: Wer profitiert, Mensch oder Kapital? «Eindeutig das Kapital», sagt die Berufspolitikerin, die am 17. Oktober mit Cédric Wermuth das SP-Präsidium von Christian Levrat übernommen hat. Deshalb will sie die Gesellschaft und die Wirtschaft umbauen, solidarischer machen, damit «wieder der Mensch im Zentrum steht und nicht der Profit».
Deshalb will sie auch Kapital, Erbschaften, Immobilienerträge und Unternehmensgewinne stärker besteuern oder Schweizer Banken verbieten, ihre Gelder in Firmen anzulegen, die umweltschädigende Geschäfte tätigen. Das klingt alles ziemlich revolutionär.
Doch Ratskollegen zeichnen ein differenzierteres Bild von ihr. Sie bezeichnen Meyer zwar als pointiert links, aber auch willig, immer wieder über die Parteigrenzen hinweg nach mehrheitsfähigen Lösungen zu suchen, als gewissenhaft und dossierfest.
Werbung
Sie selber sieht hinter den grossen Visionen und der täglichen Politikarbeit der kleinen Schritte keinen Widerspruch, sondern vielmehr eine Ergänzung. Und sie versteht die Bezeichnung «Berufspolitikerin» nicht als Beleidigung, sondern als Beweis, dass ihr das Amt wichtig sei, dass sie sich in die Dossiers hineinknie. «Das bin ich den Wählerinnen und Wählern schuldig.»
Sie kennen sich aus ihren Juso-Tagen: Cédric Wermuth ist aber für Meyer nicht nur ein politischer Weggefährte, mit dem sie sich jetzt das Co-Präsidium der SP teilt, sondern auch ein Freund. Mit dem Gewerkschaftsbund-Präsidenten Pierre-Yves Maillard sitzt sie in der wichtigen Kommission für soziale Sicherheit (SGK), wo die Dossiers Altersvorsorge und Gesundheitspolitik verhandelt werden – und jüngst die Weiterführung des Covid-Erwerbsersatzes für Selbstständige. Meyer hat dafür gekämpft und mit ihren SGK-Kollegen Philippe Nantermod (FDP), Albert Rösti (SVP) und der Grünliberalen Melanie Mettler nach einem politisch mehrheitsfähigen Weg gesucht.
Werbung
Zuvor sass Meyer vier Jahre in der Finanzkommission (FK), zwei Jahre davon als Delegationsleiterin ihrer Partei, wo sie sich etwa mit dem CVP-Nationalrat Alois Gmür für die Aufstockung um acht Stellen bei der Bundespolizei für den Kampf gegen Kinderpornografie einsetzte. Mit SP-Nationalrat Samuel Bendahan gab sie beim Genfer Ökonomieprofessor Cédric Tille eine Studie in Auftrag, die aufzeigte, dass angesichts der damals tiefen Verschuldung die Überschüsse sinnvoller verwendet werden könnten als für den Schuldenabbau. SP-Nationalrat Eric Nussbaumer war Meyers «Götti», als sie nach Bern kam.
Cédric Wermuth, Daniel Lampart und Norbert Walter-Borjans (v.l.).
KeystoneCédric Wermuth, Daniel Lampart und Norbert Walter-Borjans (v.l.).
KeystoneWerbung
Ihre beiden Zugangsbadges ins Bundeshaus haben Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart und an Dominik Gross von Alliance Sud. Meyer ist zudem Präsidentin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks, das von der früheren Swissaid-Chefin Caroline Morel geleitet wird. Und sie war ein Jahr lang politische Mentorin von Marie-Claire Graf, die heute eine von 100 UNO-Klimabotschafterinnen ist. Und vor zwei Jahren hat sie bei einer Fernsehdebatte zum Thema Steuerpolitik den heutigen SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans kennengelernt, mit dem sie weiterhin in Austausch steht.
Über mangelnden Gegenwind kann sich Meyer nicht beklagen: So stritt sie etwa mit dem früheren Swissholdings-Präsidenten Karl Hofstetter im «Club», weil sie wollte, dass die Schweiz mehr Flüchtlinge aufnimmt, oder legte sich mit Ständerat Ruedi Noser an, als sie forderte, dass Firmen, die in der Corona- Krise Kurzarbeitsgelder beantragten, keine Dividenden auszahlen dürften.
Werbung
Und sie musste lange gegen den Widerstand der Fraktionschefs von SVP und FDP, Thomas Aeschi und Beat Walti, ankämpfen, bis sie im Parlament eine Mehrheit fand für die Weiterführung des Covid-Erwerbsersatzes für Selbstständige und Geschäftsinhaber. Derzeit engagiert sie sich für die Konzernverantwortungsinitiative – zum Missfallen von Economiesuisse-Chefin Monika Rühl.
Karl Hostettler (l.), Ruedi Noser und Monika Rühl.
Keystone/13 PhotoKarl Hostettler (l.), Ruedi Noser und Monika Rühl.
Keystone/13 PhotoMattea Meyer wird am 9. November 1987 in Basel geboren und wächst mit ihrer älteren Schwester und ihrem jüngeren Bruder in einem «sozialen und ökologischen Haushalt auf», wie sie es nennt. Die Familie wohnt zuerst in Rothenfluh BL und zieht, als Mattea Meyer in die dritte Klasse kommt, nach Winterthur, wo sie heute noch lebt – gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, dem Sozialdemokraten und selbstständigen Kampagnenspezialisten Marco Kistler, der unter anderem im ersten Corona-Lockdown die Nachbarschaftshilfe-Plattform Hilf-jetzt.ch mit aufgebaut hat, und mit ihrer gemeinsamen dreijährigen Tochter.
Werbung
Mattea Meyer und Marco Kistler 2015 – am Tag ihrer Wahl in den Nationalrat.
NZZMattea Meyer und Marco Kistler 2015 – am Tag ihrer Wahl in den Nationalrat.
NZZIhr Vater, ein studierter Ingenieur-Agronom, leitet heute die Abteilung Agrarmassnahmen und Bodenrecht im Kanton Schwyz, ihre Mutter, eine Kindergärtnerin, arbeitet in Winterthur als Bibliothekarin.
Nach der Matura legt Meyer ein Zwischenjahr ein und macht zuerst ein Praktikum bei der Fachstelle für Gleichberechtigungsfragen des Kantons Zürich, die damals von Kathrin Arioli geleitet wurde, der heutigen Staatsschreiberin, und findet dann eine Stelle als Anwaltsassistentin bei Paul Thaler in der von ihm gegründeten Anwaltskanzlei Wenfei, die Schweizer Unternehmen in China unterstützt. Sie arbeitet während fast sechs Jahren bei Wenfei, begleitend zu ihrem Studium in Geschichte, Geografie und Politologie, an der Universität in Zürich.
Werbung
Kathrin Arioli (l.), Paul Thaler und Marina Carobbio.
Lunax/Keystone/ZVGKathrin Arioli (l.), Paul Thaler und Marina Carobbio.
Lunax/Keystone/ZVGSie schliesst mit einer Masterarbeit in Human- und Wirtschaftsgeografie ab, welche von Karin Schwiter betreut wird, die heute in Schwyz für die SP im Kantonsrat sitzt. Parallel zum Studium startet Meyer ihre politische Karriere, engagiert sich zuerst in der Juso, dann bei der SP, kann 2010 für Urs Böni ins Winterthurer Stadtparlament nachrutschen, wird ein Jahr später ins Kantonsparlament und nach weiteren vier Jahren in den Nationalrat gewählt.
Werbung
Das Bundeshaus kennt sie aber bereits, war sie doch während des Studiums auch persönliche Mitarbeiterin des SP-Nationalrats Cédric Wermuth sowie der damaligen SP-Nationalrätin und heutigen Tessiner Ständerätin Marina Carobbio.
Wer bereit war wie Meyer, sich zu engagieren, stieg schnell auf bei den Jusos. Kaum war sie 2005 beigetreten, war sie schon Co-Präsidentin der kantonalzürcherischen Sektion – zusammen mit Marco Geissbühler, dem jetzigen Syndicom-Mitarbeiter. Zwischen 2009 und 2013 war sie Vizepräsidentin der Juso Schweiz, als Präsidenten amteten in dieser Zeit zuerst Cédric Wermuth, dann David Roth. Aus ihrer Juso-Zeit kennt sie auch die heutigen Nationalräte Jon Pult, Nadine Masshardt und Fabian Molina – sowie ihren Lebenspartner Marco Kistler, der 2009 in die Exekutive der fusionierten Gemeinde Glarus Nord gewählt wurde und als Vater der Kampagne zur 1:12-Initiative gilt.
Werbung
Jon Pult (l.), Nadine Masshardt und Fabian Molina.
Keystone/MerlinJon Pult (l.), Nadine Masshardt und Fabian Molina.
Keystone/MerlinParallel war Meyer auch immer Mitglied der SP Winterthur, wo sie ab 2008 in der Geschäftsleitung sass und bis März 2019, unter anderem zusammen mit Christoph Baumann, das Co-Präsidium innehatte. Von der SP Winterthur her kennt sie etwa Nicolas Galladé, der heute in der Winterthurer Stadtregierung das Sozialdepartement leitet, oder auch die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr.
Werbung