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Meister des Klangs

Die Kunst der Schweizer Instrumentenbauer

Sie stellen keine Massenware her, sondern schaffen in Handarbeit Instrumente, die weltweit verzücken.

pamela beltrame

Pamela Beltrame

Fabian Bächi in seiner Werkstatt, er hält ein Baustück in der Hand, hinter ihm hängen Trompeten.

Der Trompetentüftler: Fabian Bächi ist der erste Schweizer, der den Meisterbrief als Blechblasinstrumentenbauer in seinen Händen hält. Seine Meisterinstrumente sind weltweit gefragt.

Ella Mettler für BILANZ

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Das Geräusch lässt schaudern. Wie wenn jemand aufreizend langsam mit den Fingernägeln über eine Schiefertafel kratzt. Fabian Bächi feilt kräftig an einem Blechrohr, um es zu entgraten. In der Werkstatt herrschen tropische Temperaturen, denn beim Schmieden von Trompeten, Posaunen und Hörnern muss Bächi hart schuften. An der Fensterfront schlendern ab und zu neugierige Leute vorbei – sie kriegen einen Einblick in das Machen und Schaffen eines Instrumentenbauers. Eine Seltenheit in der Schweiz! Durchschnittlich gibt es pro Jahr nur etwa zehn Lehrlinge. Die Berufsschule besuchen sie alle im Thurgau: Der Arenenberg ist das einzige Lernzentrum für Musikinstrumentenbau im ganzen Land. Die Ausbildung für diesen raren Beruf wird mittels Berufsbildungsfonds subventioniert. Es ist eine kleine Branche, doch Schweizer Instrumentenbauer wie Bächi gehören zu den gefragtesten der Welt.

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«Ich mache die Dinge ein bisschen anders», sagt Bächi. Beispiel? Um Bögen für Posaune und Co. dellenfrei zu biegen, füllt er sie mit Flüssigseife statt wie herkömmlich mit Blei. Danach packt er sie in einen Tiefkühlschrank bei –86 Grad. Ein üblicherweise 20-minütiger Prozess dauert bei ihm lediglich zwei Minuten. Das Material bleibt zudem unbeeinträchtigt, da Bächi das Blech nicht erhitzt, um das Blei zu entfernen. Sein Motto: effizienter und besser. Wo möglich, stellt Bächi Rohrverläufe aus einem ganzen Stück Metall her, anstatt zwei zusammenzulöten. Um die Rohre auf den Millimeter genau zu pressen, nutzt er mit dem 3-D-Drucker hergestellte Schablonen. Seine Instrumente sind auf Wunsch nanobeschichtet und mit resistentem Waffenlack lackiert. Ein Lochblech entlang der Stimmbögen – Bächis Markenzeichen – sorgt für einen stabilen Griff und einen unverkennbaren Klang. «Man muss in dieser traditionellen Branche eben auch das eine oder andere hinterfragen», sagt Bächi, der für seine Innovationen auch den Jungunternehmerpreis gewonnen hat.

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Bächi steht an einer Sägemaschine und arbeitet an einem Trompetenbaustück.

Seine Instrumente baut Blächi in der Werkstatt Blaswerk Haag in Weinfelden.

Ella Mettler für BILANZ
Bächi steht an einer Sägemaschine und arbeitet an einem Trompetenbaustück.

Seine Instrumente baut Blächi in der Werkstatt Blaswerk Haag in Weinfelden.

Ella Mettler für BILANZ

Er ist der erste Schweizer, der den Meisterbrief als Blechblasinstrumentenbauer in seinen Händen hält. Die Prüfung dazu hat Bächi an der Oscar-Walcker-Schule im deutschen Ludwigsburg abgelegt, da die Schweiz nicht über ein solches Angebot verfügt. «Die Ausbildungen im Instrumentenbau haben ein sehr hohes Niveau», erklärt Jörg Gobeli, Leiter des schweizerischen Kompetenzzentrums für Musikinstrumentenbau Arenenberg und Koordinator der Interessengemeinschaft Musikinstrumentenbau. «Schweizer Produkte sprechen für sich und sind auch ohne Meistertitel gefragt.» Zudem sei für eine angegliederte Meisterschule die Zahl der Lernenden sehr gering. Gemäss Gobeli gibt es trotzdem Bestrebungen, dies zu ändern.

«Unbedingt», findet Bächi, denn für ihn ist der Meistertitel essenziell: «Gerade Musiker aus dem asiatischen Raum kaufen fast nur bei Meisterwerkstätten ein.» Einer seiner wichtigsten Kunden, Dolce Musical Instruments in Japan, könnte er sonst nicht bedienen. Im asiatischen Markt ist «Swiss Made» laut Bächi sehr beliebt. Umso ärgerlicher sind für ihn die laschen Regeln in anderen Ländern. Amerikanische Hersteller wie Shires kaufen Teile für wenige Dollar von chinesischen Firmen ein. Da die Instrumente in den USA zusammengestellt werden, dürfe trotzdem «Made in USA» draufstehen. Über den Tisch geht dann so eine Shires-Trompete für über 5000 Dollar. Bei Bächi liegen allein die Materialkosten einer Trompete bei 900 Franken.

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Über Asien hinaus beliefert Bächi Musikliebhaber von Frankreich über Grossbritannien bis nach Südamerika. Profis wie die Trompeterin Andrea Motis, der Thurgauer Bandleader Dani Felber, der ungarische Jazzposaunist Krisztian Csapo oder der Trompeter von Pepe Lienhard, Nicola Bernhard, gehören zu seinen Aushängeschildern. Bächi pflegt eine enge Beziehung mit ihnen – «ich habe mindestens ein Bier mit ihnen getrunken» – und entwickelt auch gemeinsame Kollektionen.

Survival of the Fittest

Seinen Platz auf dem Instrumentenbau-Markt hat sich Bächi verdient, doch der Kampf war hart. «Die Bedürfnisse sind von den grossen Playern weitgehend abgedeckt», sagt Ralf Niesel, COO von Musik Hug. Der Vollsortimentladen hat sich auf Verkauf, Vermietung, Reparatur und Restauration von Instrumenten spezialisiert. Der Neubau von Instrumenten wird nur im Geigenbau betrieben: «Im Hochlohnland Schweiz schiessen die Kosten – vor allem beim Neubau von Instrumenten wie Klavieren und Flügeln – sofort in die Höhe», erklärt Niesel. «Wenn hier kein eigenständiges, höchsten Ansprüchen genügendes Klangbild erzielt werden kann, lohnt sich das nicht.» Viele Instrumentenbauer führen deshalb primär Reparaturen durch und bauen per se keine Instrumente – obwohl sie dies teilweise in ihrer Ausbildung gelernt haben.

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Doch Bächi hat seine lukrative Nische gefunden. Denn seinen effizienten Prozessen sei Dank, hält sich mit einem Arbeitstag pro Trompete der Aufwand in Grenzen. Der Preis seiner handgefertigten B-Trompete liegt bei 4000 Franken – somit nur wenige hundert Franken über dem durchschnittlichen Marktwert für ein qualitativ hochwertiges Instrument. Der Klangunterschied sei aber deutlich vorhanden.

«Der Preis für Schweizer Handwerk darf ruhig höher sein», bestätigt Willi Kurath, Geschäftsführer in zweiter Generation von Willson Band Instruments in Flums – weltweit für die Herstellung von Blechblasinstrumenten bekannt. Das Neun-Personen-Unternehmen fertigt über 155 Blechblasinstrumente von Hand an, die alle mit dem patentierten Ventilgehäuse «Rotax-Rotor» oder mit Périnet-Ventilen versehen sind. 150-Franken-Instrumente von Aldi nimmt Kurath nicht ernst, und höherwertige Serieninstrumente seien ebenfalls keine Konkurrenz. «Wahre Musikliebhaber wollen ein Instrument mit Seele», bemerkt Kurath und zeigt einmal mehr, dass es trotz höherem Pricing im Blechblasinstrumentenbau-Markt einen Platz für hochwertige Schweizer Manufakturen gibt. Das ist nicht in jeder Branche so.

Trompetenteile sind an einer Stange aufgehängt.

Dank seiner innovativen Prozesse benötigt der Instrumentenbauer für eine Trompete lediglich einen Tag.

Ella Mettler für BILANZ
Trompetenteile sind an einer Stange aufgehängt.

Dank seiner innovativen Prozesse benötigt der Instrumentenbauer für eine Trompete lediglich einen Tag.

Ella Mettler für BILANZ

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Swiss-Made-Comeback

Im modernen Klarinettenbau etwa sind Schweizer Hersteller völlig von der Bildfläche verschwunden. Bis Mitte des 19.  Jahrhunderts galten hiesige Klarinettenbauer wie Schlegel in Basel, Sutter in Appenzell oder die Familie Felchlin zu den Top-Herstellern. In Deutschland, einer Hochburg des Instrumentenbaus und auch Geburtsort der Klarinette (Nürnberg), sind aufgrund der langen Tradition kleinere Manufakturen vorhanden. Doch der aktuelle Marktbeherrscher – vor allem beim beliebten französischen Griffsystem – heisst Buffet Crampon.

«Swiss Made muss auf die Klarinette zurück», sagt Robert Stempfle, Holzinstrumentenbauer, studierter Klarinettist und Inhaber einer Fachwerkstatt für Holzblasinstrumente am Zürcher Kreuzplatz. Als der gelernte Maschinenmechaniker Urs Stahel seine Klarinette bei Stempfle auf Vordermann bringen wollte, kamen die beiden ins Gespräch: Geboren wurde das Projekt der eigenen Swiss-Made-Klarinette. Der Prototyp ist bereit, in wenigen Monaten ist die erste Klarinette verkaufsfähig. Der Materialwert liegt bei 500 bis 800 Franken, preislich wird sich die Klarinette laut Stempfle im oberen vierstelligen Bereich befinden, da viel Konzeptionsarbeit darin steckt. Tatsächlich, die Handfertigung einer Klarinette – die aus etwa 350 bis 400 Teilen besteht – ist unglaublich aufwendig und dauert mehrere Monate. Mittels CAD-Zeichnungsprogramm entwirft Stahel jedes Teil und bestimmt mit Stempfle die ideale Positionierung der Klappen. Danach wird gefräst, gedrechselt, gelötet und zusammengestellt sowie getestet. Beim Holz der Klarinette wollten die beiden Hersteller das dafür übliche ostafrikanische Holz Grenadill ersetzen, da der Baum vom Aussterben bedroht ist. Dafür arbeiten sie zurzeit mit der Swiss Wood Solutions AG zusammen. Das Schweizer Jungunternehmen stellt mit seinem Produkt «Sonowood» eine hoch verdichtete Variante von Schweizer Hölzern her, die voraussichtlich bald für den Klarinettenbau geeignet sein wird.

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Das Projekt von Stempfle und Stahel ist klein und bescheiden, doch darin liegt die Stärke: «Wir sind autonom und flexibel», erklärt Stahel die Zwei-Personen-Mission. Beim Bau verfolgten die beiden eine klare Devise: hochwertige Materialien, eine ergonomischere Klappenpositionierung auf dem Klarinettenkorpus und ein zentrierter Ton, welcher laut Stempfle dem Schweizer Klangideal entspricht. Hört sich einfach an, bei Firmen wie Buffet Crampon jedoch ist der Klarinettenbau Fliessbandarbeit. Änderungen bringen höhere Produktionskosten mit sich – ergo werden sie auch nicht umgesetzt. Stempfle ist selbst Zeuge der innovationsscheuen Klarinettenbau-Maschinerie, da er bei Grossherstellern mitgewirkt hat: «Es fehlt an der Fantasie, dass es in manchen Dingen besser gehen könnte.» Gleichzeitig bestätigen beide Hersteller, dass sich bei der Klarinette der Status quo bewährt hat, das Potenzial für Verbesserungen sei trotzdem gross. Sowohl Berufsmusiker als auch passionierte Klarinettisten haben ein Faible für einzigartige und seltene Instrumente. Hier versprechen sich Stempfle und Stahel mit ihrer Swiss-Made-Klarinette Erfolg.

Das Klarinetten-Konsortium

Zwei Instrumentenbauer sitzen an einem Tisch in der Werkstatt und werkeln an einem Klarinettenstück.
Diverste Klarinetten an einer Wand
Ein Klarinettenstück wird gebohrt.
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Robert Stempfle (rechts) und der gelernte Maschinenmechaniker Urs Stahel (links) spannen für den Neubau einer Klarinette zusammen.

Ella Mettler für BILANZ

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Falsche Nostalgie

Da gibt es aber auch Gattungen, deren Klientel überaus skeptisch gegenüber dem «Neuen» ist. Stichwort Streichinstrumente – die Stars der klassischen Musik. Wer eine Vorliebe für Sinfonien aus dem 18.  Jahrhundert hat, bringt wenig Begeisterung für moderne Celli, Bratschen und Geigen auf. Die Jagd nach dem «italienischen Klang» hat die Preise von Stradivaris und Guarneris in astronomisch hohe Sphären schiessen lassen. Mehrere Millionen (und selbst in günstigeren Varianten Hunderttausende) Franken kostet so ein Instrument. Solisten verzücken Konzertsäle mit Geigen, die sie von Banken und Stiftungen als Leihgabe erhalten.

Geigenbaumeister Felix Rast wundert sich oft über diesen willkürlichen Hype. Denn ein überlegenes Klangbild oder eine grössere Strahlkraft, wie auch so mancher Blindtest zeigt, wird diesen alten Instrumenten nicht bescheinigt. In der rund 500 Jahre alten Mühle Hirslanden in Zürich fertigt Rast ganz unbeirrt von den Szene-Trends seine eigenen Geigen an. Zwar ist der Mangel an Vertrauen in neue Produkte eine Hürde, aber die realitätsfernen Preise von alten Instrumenten spielen ihm in die Hände: «Keiner kann sich so was leisten», sagt Rast und bemerkt, dass für viele Profis und fortgeschrittene Amateure eine Investition in einen hochwertigen Neubau naheliegender ist.

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Etwa ein Jahr Wartezeit und rund 30'000 Franken kostet eine handgefertigte Geige von Rast. Für seine Meisterinstrumente schöpft er aus dem Fichtenholzbestand, den sein Geigenbaumeister-Vater Hans Peter Rast bereits in den siebziger Jahren gekauft hat. Eine Anschaffung, die sich lohnte: Bei längerer Lagerung beruhigt sich das dichte Holz, und es neigt immer weniger zum Verziehen. Zusätzlich zum Instrument liefert Rast einen passenden Bogen – Bogenmacher ist ein eigener Beruf, den sich Rast selber beigebracht hat. Die vierjährige Lehre als Geigenbaumacher hat er im familieneigenen Betrieb gemacht und sich in Werkstätten in Cremona, Lausanne und Los Angeles über mehrere Jahre weitergebildet. Schliesslich absolvierte Rast die Prüfung zum Geigenbaumeister, organisiert vom Schweizer Geigenbauverband. Heute ist die Ausbildung der Geigenbauer ganz unabhängig von den übrigen Instrumentenbauerinnen und -bauern in Arenenberg organisiert. Die Geigenbauschule ist in Brienz und wird durch eine grosse Stiftung unterstützt. Nur bei den Geigenbauern ist die Meisterprüfung in der Schweiz möglich.

Der Violinenwerker

Der Geigenbauer sitzt am Werktisch und schnitzt Holz.
Der Geigenbauer hält eine Rohversion einer Geige in der Hand.
Werkstatt des Geigenbauers mit diversen Werkzeugen und einer Geige auf dem Werktisch.
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In der rund 500 Jahre alten Mühle Hirslanden in Zürich fertigt Felix Rast moderne Geigen an.

Ella Mettler für BILANZ

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Rast baut nicht nur Geigen, sondern repariert und restauriert Streichinstrumente und führt Nachlassberatungen für teure Familienerbstücke durch. In der Kindertalentförderung hat er ebenfalls eine besonders lukrative Nische gefunden. Junge Talente wachsen schnell aus einer Geigengrösse heraus. Rast sucht nach hochwertigen kleinen Instrumenten, die er vermietet. «Vom Neubau allein kann ich nicht überleben», kommentiert Rast seinen diversifizierten Servicekatalog. «Die Konkurrenz ist zu gross, und das Niveau ist unglaublich gestiegen.» Das liege auch daran, dass mehr Informationen in Umlauf sind. Laut Rast gibt es Verbände, die die Masse der Instrumente, auf denen Solisten spielen, bis auf den Millimeter genau veröffentlichen. Gefragt sind vor allem 1:1-Kopien von diesen etablierten Instrumenten. Die Konkurrenz aus Fernost ist im Geigenbau ebenfalls gewachsen. Das westliche Instrument findet in China immer mehr Anhänger. Heute werden 90 Prozent der weltweit verkauften Geigen in China hergestellt; das Gros sind Billigprodukte. Im Bereich der Meisterinstrumente sind die Chinesen jedoch keine Konkurrenz, erklärt Rast.

Neue Klänge aus Davos

Die Flut von chinesischen Produkten hat jedoch den Klavierbau-Markt regelrecht erschüttert. Wichtig zu wissen: Bei Klavieren und Flügeln gibt es wenige Meisterinstrumente, denn die Herstellung wurde komplett industrialisiert. Flügel der prestigeträchtigsten Häuser wie Steinway & Sons, Bösendorfer und Fazioli entstehen in Fabriken und werden von Schreinern und Lackierern gefertigt. Erst bei der Abnahme kommt der Klavierbau-Meister ins Spiel. China ist heute der grösste Abnehmer und Hersteller von Klavieren. Die grössten Hersteller auf dem Markt heissen nicht Schimmel, Steinway & Sons, Feurich oder Bechstein, sondern Pearl River, Xinghai Piano oder Hailun – sie sind um einiges günstiger als ihre westlichen Konkurrenten. Klavierbauer aus dem Reich der Mitte schmücken sich sogar manchmal mit europäisch klingenden Namen wie etwa «Ritmüller» oder «Edelweiss». Um mithalten zu können, lässt Steinway & Sons für das mittlere Preissegment Klaviere in Japan fertigen, die Linie heisst Boston. Für das Einsteigersegment wird in China produziert (Linie Essex). Was die Situation in der Schweiz betrifft, haben sich einst erfolgreiche Anbieter wie Schmidt-Flohr oder Burger & Jacobi allesamt ins Abseits manövriert, indem sie versuchten, billig zu produzieren, um den Asiaten die Stirn zu bieten. Und so ist die Schweizer Klavierlandschaft seit den neunziger Jahren eine karge und traurige Ödnis. Bis 2018.

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«Wir Bündner geben uns nicht geschlagen, wir sind ein Bergvolk», scherzt Florian Kamnik. Er und sein Geschäftspartner János Horváth haben das erste Schweizer Klavier seit mehr als 25  Jahren herausgebracht: das «Rätia 132» – gefertigt in Europas höchstgelegener Klavierbauwerkstatt. Die Vision: bestes Schweizer Handwerk, gekoppelt mit modernster maschineller Fertigung. Der in Quarzsand gegossene Graugussrahmen, auf dem die Saiten aufgespannt sind, wird per CNC nachbearbeitet, damit alles auf den Millimeterbruchteil genau passt. Der Rahmen wird nicht zuletzt deshalb genau angepasst, weil das Rätia 132 vier Tasten mehr hat als konventionelle Pianos, also 92 statt 88. Gemäss Kamnik führt dies zu einem besseren Klang, weil das so wichtige und am meisten genutzte mittlere Register des Klaviers etwas anders über dem Resonanzboden zu liegen kommt. Das Rätia 132 ist höher, wodurch sich die Länge der Basssaiten und die Fläche des Resonanzbodens verändern – wieder beides entscheidende Faktoren für den Klang. Die Tasten sind länger und haben deshalb eine sensiblere Anschlagdynamik. Viele weitere Elemente verdeutlichen, dass Kamnik und Horváth für den idealen Klang keine Ressourcen gescheut haben.

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Die Klavierväter

Florian Kamnik werkelt an einem offenen Flügel.
János Horváth arbeitet an Klaviertasten, die auf einer holzigen Werkbank liegen.
Mehrer Klaviere Rätia 132 in einem Ausstellungsraum.
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Florian Kamnik (im Bild) und sein Geschäftspartner wussten schon seit der Lehrzeit, dass sie gemeinsam ein Klavier bauen würden.

Ella Mettler für BILANZ

«Wir wollen uns keine Lorbeeren aufsetzen», beteuert Kamnik. Bei all den Innovationen handle es sich keineswegs um irgendwelche Geheimnisse, sondern um immens aufwendige Bauweisen, die von vielen Traditionsunternehmen aus Kostengründen nicht mehr durchgeführt würden. Same old story. Dafür hat das Rätia 132 einen Preis – einen dem Aufwand entsprechend recht ordentlichen. Das Innere des Klaviers wird unabhängig vom «Möbel», wie sie es nennen, gebaut. Der Look dieses Gehäuses kann so kurzfristig bestimmt werden. Je nach Ausstattung variiert der Preis zwischen 44'000 und 77'000 Franken. Rund sieben Stück – «jedes davon ist wie ein Kind» – wurden bis dato an wählerische Individualisten verkauft. Die Crux: «Das Ganze hat eine Unmenge an Geld und Zeit verschlungen und ist in keiner Weise lukrativ», gibt Kamnik zu. Den beiden Klavierbauern ist das herzlich egal. Seit der Lehrzeit träumten sie vom eigenen Klavier, Gewinn spielte nie eine Rolle. Das zeigt auch ihr Modus Operandi: Ernsthaften Investoren haben die beiden bislang Absagen erteilt, da beim Hochfahren der Produktion zu viel Autonomie verloren ginge.

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Ein Klavier zu bauen, ist und bleibt in der Schweiz ohne entsprechende Industrie ein Wunschdenken. Schweizer Klavierbauer bleiben demnach auf die Reparatur, das Stimmen und den Verkauf von Klavieren spezialisiert. Auch ohne Neubau haben sie alle Hände voll zu tun: «Klaviere sind das beliebteste Instrument», erklärt Stefan Blumer, Mitinhaber der Firma Tastenwerk, «ein solch langlebiges Produkt muss gehegt, gepflegt und regelmässig gestimmt werden.» Das relativ junge Geschäft ist schnell gewachsen, betreut nebst Privatkunden mehrere Schulen mit unzähligen Schülerinstrumenten und ist in der Schweiz einer der wenigen Anbieter von Reparaturen an den elektromechanischen «Fender Rhodes»-Pianos. Für den Ausbau des Geschäfts haben sie lange nach einem Mitarbeiter gesucht: «Schliesslich mussten wir jemanden abwerben», so Blumer.

Unsichere Handwerkszukunft

Der Fachkräftemangel plagt den Instrumentenbau. Mit einem relativ tiefen Branchenlohn ist die Abwanderung vom Beruf nicht selten. «Viele unserer Stellen sind auch international ausgeschrieben», sagt Niesel, denn frisch aus der Lehre sind die jungen Instrumentenbauer noch nicht auf die hohen Anforderungen der Profimusiker vorbereitet.

Die niedrige Zahl der Lernenden am Arenenberg gibt einem Ausbildungsbetrieb wie Musik Hug zu denken. Musik Hug und die Interessengemeinschaft Musikinstrumentenbau diskutieren zurzeit Umschulungskonzepte und partielle Ausbildungsangebote, «um die Schwelle zu senken». Das Interesse am Beruf sei weniger das Problem, sondern der Mangel an Ausbildungsbetrieben. Der Berufsbildungsfonds, in den der Bund, der Kanton Thurgau und sämtliche der Branchen angehörende Betriebe einzahlen, stützt die Ausbildung am Arenenberg. Die Ausbildung von Lernenden im Betrieb trägt der Inhaber. Doch die Branche besteht hauptsächlich aus kleinen Geschäften, denen die Zeit und die finanziellen Mittel dafür fehlen. «Vom Geld, das in den Sport einfliesst, können wir nur träumen», kommentiert Niesel die knifflige Lage, «wir sind nun mal keine High-Profit-Branche.» Niesel fürchtet, dass die finanzielle Unterstützung des Bunds eines Tages ganz entfällt, denn der Ausbildung «Detailhandelsfachmann/-frau Musikinstrumente» wurde die staatliche Unterstützung bereits entzogen. «Wir müssen dem Schweizer Handwerk Sorge tragen», sagt Niesel. Doch die Wertschätzung dafür fehlt – vor allem im eigenen Land. «Da müssen wir nur auf die Armee schauen», sagt Bächi. Wenn sogar das Schweizer Militär ausländische Instrumentenbauer bevorzugt, statt hiesige Betriebe zu stärken, ist das bezeichnend.

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