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In Russland ist er Persona non grata, in den USA wurde er enteignet. Nun baut er in der Schweiz ein Weltraum-Start-up auf: Mikhail Kokorich.
Marc Kowalsky
GEWALTIGE WETTE, GEWALTIGE FALLHÖHE Die erste Finanzierungsrunde über 11 Millionen Franken konnte Mikhail Kokorich an einem Nachmittag abschliessen, die Bewertung lag bei 100 Millionen.
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Laut heulen die Triebwerke auf, als sich das dunkelgraue Vehikel auf der Piste des Militärflugplatzes Payerne VD in Bewegung setzt. Nach wenigen Metern hebt es ab, dann dreht es einige Runden über dem Gelände. Als das Fluggerät kurze Zeit später nach etwas wackeligem Landeanflug auf der Piste wieder zum Stehen kommt, branden Applaus und Jubelschreie auf: Der Jungfernflug ist geglückt.
Was sich am 19. November am Himmel über Payerne ankündigte, soll schon bald Europas grösstes Weltraum-Start-up werden. Destinus heisst die Firma, und sie will nichts weniger als den Flugverkehr revolutionieren. Das Hyperplane, ein Hybrid aus Flugzeug und Rakete, soll mit 15-facher Schallgeschwindigkeit Australien in 90 Minuten erreichen, klimaneutral. Damit sollen die Lieferzeiten für die weltweite Luftfracht dramatisch verkürzt werden auf 6 bis 12 Stunden statt der bisherigen 24 bis 72, aber zu vergleichbaren Kosten.
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Die Entwicklung der Firma verläuft ähnlich schnell: Der flugfähige Prototyp in der Grösse eines Pkw wurde in nur drei Monaten gebaut, der nächste soll 2022 bereits Busgrösse haben. Für 2025 sind die ersten kommerziellen Interkontinentalflüge mit einer Tonne Nutzlast geplant, 2029 in der Endstufe 100 Tonnen über den halben Erdball. Tausende Hyperplanes und 1000 Mitarbeitende sollen dann im Einsatz stehen – derzeit zählt Destinus 60 Angestellte.
«Ich habe als Teenager Schafe gehütet, auf dem Motorrad oder dem Pferd», erklärt Firmengründer Mikhail Kokorich das horrende Tempo: «Will man die Schafe durch den Wald treiben, muss man sie zur Höchstgeschwindigkeit bringen. Geht es zu langsam, verlieren sie sich in alle Richtungen. Ähnlich ist es mit hoch qualifizierten und motivierten Mitarbeitern.»
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Es ist eine sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte, die Kokorich vorweisen kann: Aufgewachsen ist der 45-Jährige in einem einfachen Landhaus ohne fliessendes Wasser oder Toilette in Sibirien nahe der mongolischen Grenze (was seinen Gesichtszügen anzusehen ist, wenn man genau hinschaut). Er gewann als Kind zahlreiche Preise in Mathematik, Physik und Chemie, ging in ein renommiertes Hochbegabten-Internat in Novosibirsk, begann das Physikstudium mit 16 Jahren.
Mit 19 gründete er seine erste Firma, die bald darauf zum grössten Lieferanten für Minensprengstoff in Sibirien wurde. Danach zog er eine Ladenkette für Haushaltsartikel hoch, war Chef eines Holzverarbeiters und der drittgrössten Elektronikhandelskette in Russland. 2011 kehrte Kokorich zu dem zurück, was ihn am meisten interessiert, Mathematik und Physik: Er gründete Dauria, die erste private Raumfahrtfirma in Russland.
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Vor allem aber unterstützte er mit seinem Vermögen die russische Opposition und engagierte sich für Mikhail Khodorkovskys Bewegung «Open Russia». Was die Regierung Putin logischerweise nicht gerne sah: Dauria wurden von den Behörden finanzielle Unregelmässigkeiten vorgeworfen und die Firma schliesslich geschlossen.
Wegen des zunehmenden Drucks wanderte Kokorich 2014 mit einem Hochbegabten-Visum in die USA aus: «Ich bin ein typischer Repräsentant des Putin-Exodus», sagt er. In Kalifornien gründete er weitere Weltraumfirmen: Astro Digital, die Satellitendaten auswertet und zugänglich macht; Hauptkunde war das US-Verteidigungsministerium. Und Momentus, eine Art Shuttle-Service für Satelliten, um diese zwischen verschiedenen Umlaufbahnen zu verschieben, mit einem revolutionären Antrieb, der lediglich auf Wasser und Sonnenlicht basiert.
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Über 100 Millionen Dollar Venture Capital konnte Momentus einsammeln, mit vier Milliarden Dollar wurde die Firma bewertet. Doch unter der Regierung Trump verschärften sich die Spannungen mit Russland; Kokorich als Gründer, Chef und Mehrheitsaktionär von Firmen mit Bedeutung für die nationale Sicherheit geriet unter Druck der Behörden. Startgenehmigungen wurden verweigert, die Wertpapieraufsicht SEC eröffnete ein Verfahren, am Schluss musste er seine Anteile für einen symbolischen Preis verkaufen.
Anfang 2021 entschloss sich Kokorich deshalb, die USA zu verlassen und nach Europa überzusiedeln. Die Schweiz kannte er bereits von seinen Besuchen bei seiner Privatbank; entscheidende Kriterien für die Standortwahl aber waren die kulturelle Nähe, der Zugang zu hoch qualifizierten Mitarbeitenden, die Lebensqualität, die zentrale Lage und die politische Sicherheit: «Es gibt nicht viele Orte, wo ich meinen Traum verwirklichen kann», sagt er. Conny Boersch von Mountain Partners – er gehörte zu den Investoren bei Momentus – öffnete ihm in der Schweiz die Türen, besorgte Anwalt, Steuerberater und Haus am Genfersee: «Wir haben ihm das Rundum-sorglos–Paket geschnürt», sagt der VC. Innovaud-Präsident Rémi Walbaum, der Kokorich von der Stanford University kannte, platzierte ihn schliesslich im Technopôle am Flugplatz Payerne.
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HYBRID AUS FLUGZEUG UND RAKETE Der flugfähige Prototyp des Hyperplane wurde in nur drei Monaten entwickelt.
PDHYBRID AUS FLUGZEUG UND RAKETE Der flugfähige Prototyp des Hyperplane wurde in nur drei Monaten entwickelt.
PDDort muss Kokorich erst mal grosse technische Herausforderungen lösen: Für Start und Landung verwendet das Hyperplane Flugzeugtriebwerke, die aber mit flüssigem Wasserstoff angetrieben werden – und so heute noch nicht existieren. In den nächsten Monaten soll der erste Prototyp fertig werden. Nach Erreichen der Schallgeschwindigkeit zündet in 20 Kilometern Höhe dann die Raketenstufe und bringt das Hyperplane mit Mach 15 in die 60 Kilometer hoch gelegene Mesosphäre. Auch hierfür dient Wasserstoff als Treibstoff – anders als etwa bei den SpaceX-Raketen von Elon Musk, die mit herkömmlichem Methan befeuert werden, dabei aber Unmengen an CO2 ausstossen.
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Das Fluggerät muss tausendfach wiederverwendet werden können, für die Hülle braucht es wegen der extremen Hitzeentwicklung beim Sinken in die tieferen Schichten der Erdatmosphäre ein aktives Kühlungssystem. In der Schweiz sind Überschallflüge sowieso nicht machbar; wegen des Überschallknalls sieht Kokorich als ideale Startrampen («Hyperports») kleine Flughäfen in dünn besiedelten Gebieten oder am Meer, etwa in Skandinavien oder Spanien, mit Zugang zu günstiger erneuerbarer Energie für die Wasserstoffherstellung.
Als «schwierig, aber machbar» bezeichnet Kokorich die technischen Herausforderungen. Eine Handvoll Patente dafür sind bereits in der Anmeldung, 10 bis 20 sollen im neuen Jahr dazukommen, auch wenn er sagt: «Die meisten Patente sind nutzlos in unserer Industrie. In der Realität nutzen wir einfach jede gute Technologie, auch wenn wir sie nicht lizenzieren können. Wenn wir verklagt werden, dann zahlen wir halt dafür.»
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Mit den Big Players wie Boeing, Airbus, Dassault oder Rolls-Royce will Kokorich nicht zusammenarbeiten: «Die würden nur all unser Geld schlucken, ohne was zu liefern.» Aber er wirbt ihnen gute Leute ab und zahlt dafür grosszügige Saläre. In München, Madrid und Toulouse, den europäischen Hotspots der Branche, hat Destinus bereits Töchter gegründet.
ANDERS ALS MUSK Für Start und Landung verwendet das Hyperplane Flugzeugtriebwerke, die mit flüssigem Wasserstoff angetrieben werden
PDANDERS ALS MUSK Für Start und Landung verwendet das Hyperplane Flugzeugtriebwerke, die mit flüssigem Wasserstoff angetrieben werden
PDAll das geht ins Geld, der Kapitalbedarf ist immens: Mehr als eine Milliarde Franken, so schätzt Kokorich, wird er brauchen, bis Destinus profitabel ist. Die erste Finanzierungsrunde über elf Millionen diesen Frühling war an einem Nachmittag abgeschlossen, den Investoren – die meisten kannten Kokorich von dessen früheren Firmen her – genügten dafür ein paar Präsentationsfolien. 100 Millionen betrug die Bewertung, extrem viel für eine Pre-Seed-Runde. «Da ist Kokorich sehr selbstbewusst», sagt Boersch.
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Die nächste Runde in den kommenden Wochen soll 25 Millionen einbringen, auch danach wird der Gründer die klare Mehrheit am Jungunternehmen halten. «Es ist viel einfacher, Geld für Destinus einzusammeln, als für meine frühere Firmen», sagt er. Schliesslich sei Luftfracht – anders als die Raumfahrt – ein echter Markt: 60 Milliarden Dollar beträgt er allein für Express-Sendungen, die normale Luftfracht umfasst weitere 100 Milliarden, beide Bereiche wachsen stark. Gut möglich, dass eines Tages noch die Passagierluftfahrt mit mehr als 600 Milliarden dazukommt. Langfristig spricht Kokorich denn auch von einem «Trillion Dollar Business».
Es ist eine gewaltige Wette, die Kokorich da eingeht, mit enormer Fallhöhe und sehr unklaren Erfolgsaussichten. Um die Chancen Stück für Stück zu verbessern, rüstet Destinus personell auf: Neben Boersch soll Philipp Rösler in den VR einziehen, der ehemalige deutsche Vizekanzler und WEF-Vorstand. Auch intern gibt sich Destinus nun professionelle Strukturen. Kokorich selber wird seine Freiheiten behalten: «Ich kann nicht der brave Schweizer sein», sagt er. «Ich muss und werde immer der verrückte Sibirer sein.»
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