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Politik

Der politische Einfluss der Schweizer Multis schwindet – ein gefährlicher Trend

Ob EU-Deal oder CO2-Abstimmung: Konzerne haben an politischem Einfluss eingebüsst. Das ist gefährlich.

Bastian Heiniger

Illustration Bilanz 8: Gespaltene Wirtschaft

GRABENKÄMPFE Die Chefs von Konzernen und Verbänden befehden sich immer öfter mit gegensätzlichen Positionen – zum Nachteil der hiesigen Wirtschaft.

Regina Vetter

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Jetzt muss Monty Python her. Zumindest hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter jüngst am Arbeitgebertag im Zürcher Marriott-Hotel ein womöglich hilfreiches Buch erhalten: «Kreativ sein und anders denken» – eine von Monty-Python-Komiker John Cleese geschriebene Anleitung für kluge Einfälle. Das passe zum EU-Dossier, sagte Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt bei der Übergabe. Man müsse nun kreativ sein. Und eben: etwas anders denken.

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In der EU-Thematik ist man nun also beim schwarzen Humor angelangt. Die Wirtschaftsverbände reagieren verbittert auf den Abbruch der Verhandlungen. «Wir Arbeitgeber sind enttäuscht, dass es der Landesregierung in sieben Jahren nicht gelungen ist, ein aussen- und innenpolitisch mehrheitsfähiges Rahmenabkommen abzuschliessen», sagte Vogt kurz davor in seiner Rede.

Economiesuisse wiederum bedauert das Scheitern des Bundesrats und betont die Wichtigkeit der stabilen Beziehung mit der EU. Interpharma tadelt den Abbruch in einem offenen Brief als «herben Schlag». Enttäuscht über den Rückzug ist auch Swissmem. «Damit wird kein einziges Problem gelöst», sagt Präsident Martin Hirzel. Vielmehr werde nun der bilaterale Weg gefährdet. Konkret befürchtet die Wirtschaft, dass der Wert der Bilateralen Verträge erodiert. Zum Beispiel wenn die rund 120 einzelnen Abkommen nicht mehr aufdatiert werden und der Weg für neue versperrt ist. Auf dem Spiel steht das geregelte Verhältnis zum wichtigen Handelspartner EU.

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Es fehle nun die Perspektive, ein konkreter Plan B, sagt Scienceindustries-Direktor Stephan Mumenthaler. «Unsicherheit ist Gift für die Unternehmen.» Nun drohten Investitionen zurückzubleiben. Und das schade letztlich dem gesamten Standort. Auch erste Nadelstiche bekommt die Schweiz zu spüren: Beim Forschungsprogramm «Horizon» wird sie zum nichtassoziierten Drittstaat herabgestuft, Medtech-Unternehmen verlieren den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, und das eigentlich fertige Stromabkommen behält die EU in der Schublade. Weitere Schikanen sind zu erwarten.

Deutliche Signale

Wie sehr selbst die SMI-Schwergewichte auf das Rahmenabkommen pochten, zeigt die Tatsache, dass sich einige Wirtschaftsgrössen für einmal aus der Deckung ihrer Verbände wagten. Roche-Präsident Christoph Franz betonte in mehreren Interviews die grundlegende Wichtigkeit eines Rahmenabkommens. Ohne würde Roche andere Standorte zulasten der Schweiz ausbauen. Auch Roche-CEO Severin Schwan weibelte öffentlich für das Abkommen. Fürsprecher gab es ebenso bei der Konkurrentin.

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Novartis-Präsident Jörg Reinhardt sagte zum «Tages-Anzeiger»: «Wir würden uns freuen, wenn es ein Rahmenabkommen gäbe, das Rechtssicherheit schafft.» Ansonsten werde die Interaktion mit der EU schwieriger und damit teurer. Implizit sprach sich auch Nestlé-Präsident Paul Bulcke in der «NZZ» dafür aus. Seine Antwort auf die Frage, ob es für Nestlé ein Problem sei, wenn kein Abkommen zustande komme, lautete: «Wir sitzen hier mitten in Europa. Und gute Regelungen und Vereinbarungen mit Nachbarn sind im Prinzip stets vorteilhaft.»

Bilateraler Wert

Schweizer BIP-Entwicklung mit und ohne Bilaterale I

Bip Entwicklung

Bruttoinlandprodukt (real, 2022-2040), Referenzjahr (nominelles = reales BIP)

BAK Economics
Bip Entwicklung

Bruttoinlandprodukt (real, 2022-2040), Referenzjahr (nominelles = reales BIP)

BAK Economics

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Die deutlichsten Signale sendeten indes die Banken. Herbert Scheidt, der im September mit 69 Jahren sein Amt als Präsident der Bankiervereinigung abgeben wird, erhob in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» das Rahmenabkommen gar zur Schicksalsfrage. Ein EU-Rahmenvertrag sei von allergrösster Bedeutung für die Zukunft der Eidgenossenschaft. Mehr Dramatik geht nicht.

Doch was hat die geballte Power der Wirtschaftselite gebracht? Nichts. Die Landesregierung hatte kein Gehör dafür. Und die Konzerne offenbar keine schlagkräftige Lobby mehr. Die Wirtschaft als Strippenzieherin, die all ihre politischen Anliegen durchboxt – ein verstaubter Mythos, den höchstens noch Linke beschwören.

FÜR EIN ABKOMMEN Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt, Novartis-Präsident Jörg Reinhardt, Roche-Präsident Christoph Franz (oben v.l.), Roche-CEO Severin Schwan, Nestlé-Präsident Paul Bulcke, Economiesuisse-Chefin Monika Rühl (unten v.l.).

FÜR EIN ABKOMMEN Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt, Novartis-Präsident Jörg Reinhardt, Roche-Präsident Christoph Franz (oben v.l.), Roche-CEO Severin Schwan, Nestlé-Präsident Paul Bulcke, Economiesuisse-Chefin Monika Rühl (unten v.l.).

Symptom
FÜR EIN ABKOMMEN Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt, Novartis-Präsident Jörg Reinhardt, Roche-Präsident Christoph Franz (oben v.l.), Roche-CEO Severin Schwan, Nestlé-Präsident Paul Bulcke, Economiesuisse-Chefin Monika Rühl (unten v.l.).

FÜR EIN ABKOMMEN Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt, Novartis-Präsident Jörg Reinhardt, Roche-Präsident Christoph Franz (oben v.l.), Roche-CEO Severin Schwan, Nestlé-Präsident Paul Bulcke, Economiesuisse-Chefin Monika Rühl (unten v.l.).

Symptom

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Denn geschlagen wurden die Konzerne auch beim CO2-Gesetz. Vom Gewerbe, mit seinem Verband, der das «teure, nutzlose und ungerechte» Gesetz an der Seite der SVP bekämpfte. Und von den Bauern, die zwar dafür waren, aber mit ihrer verbitterten Offensive gegen die beiden Agrarinitiativen gleich auch das CO2-Gesetz mitbodigten. Dabei hatte das Komitee «Schweizer Wirtschaft für das CO2-Gesetz» im Vorfeld noch geschwärmt, man habe selten eine derart breite Wirtschaftsallianz gesehen, die sich für eine Energie- und Umweltvorlage einsetze. Wieder waren als Befürworter grosse Verbände mit an Bord (Economiesuisse, Bankiervereinigung und Baumeisterverband). Wieder wurde nachgedoppelt, mit Stimmen von Novartis-Präsident Reinhardt, Swiss-Re-Chef Christian Mumenthaler, Axpo-Chef Christoph Brand und Ikea-Schweiz-Chefin Jessica Anderen. Wieder half es nichts.

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Verlust der Schlagkraft

Allein, zu schwächeln begann der politische Einfluss der Unternehmerschaft schon vor einigen Jahren. Es startete mit einem Firmenbashing, ausgelöst durch die Kontroverse um Managervergütungen, die in der Minder-Initiative gipfelte und 2013 eine wuchtige Zustimmungsrate erzielte (siehe Grafik auf Seite 41). Ein Jahr später kam die Masseneinwanderungsinitiative durch, 2017 wurde die Unternehmenssteuerreform III abgeschmettert und Ende 2020 erreichte die von der Wirtschaft stark bekämpfte Konzernverantwortungsinitiative (KVI) eine Mehrheit, sie scheiterte nur dank dem Ständemehr. Im März schliesslich wurde das für die Exportnation Schweiz wichtige Freihandelsabkommen mit Indonesien zur Zitterpartie. Die Debatte ums Palmöl hätte den Deal fast gekippt – obwohl im Vertrag ein ganzes Kapitel der Nachhaltigkeit gewidmet ist.

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Die Wirtschaftspolitik wird aktuell dominiert von den Gewerkschaften mit Präsident Pierre-Yves Maillard, den Bauern mit Präsident Markus Ritter – beide stellten sich gegen das Rahmenabkommen – und allen voran dem Gewerbeverband mit seinem Polarisierungskünstler Hans-Ulrich Bigler als Direktor. Mit der Ablehnung des CO2-Gesetzes und dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen strich er zwei Siege gegen Economiesuisse ein. Davor liebäugelte Bigler bei der KVI wie schon bei der Minder-Initiative erst mit einer Annahme und provozierte so den Konkurrenzverband. In der Gewerbezeitung schrieb er, «fernab der Golfplätze» hingen überall die orangen Fahnen der Konzernverantwortungsinitiative-Befürworter. Er forderte unter anderem die Economiesuisse-Vertreter auf, sich aus ihren «klimatisierten Büros hinaus zum Volk zu wagen». Und mit Sätzen in den Medien wie «Das Verhalten der Konzerne ist zunehmend unerträglich» trieb er den Keil zwischen den angeblich guten KMUs und den bösen Grossfirmen noch tiefer.

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Zu tief für Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl. Die sonst so nüchterne ehemalige Diplomatin verfasste darauf einen gehässigen Blogbeitrag. Hans-Ulrich Bigler, «den abgewählten Nationalrat», bezeichnete sie darin als «launischen Direktor», als keinen Mann der leisen Töne und differenzierten Botschaften, sondern als einen, der auf maximalen Lärmpegel setze. «Eine Hypothek fürs Gewerbe.»

Gefährliches Klima

Der Knatsch zwischen den Verbänden ist symptomatisch. Die Wirtschaft ist gespalten. Und so auch die Sicht auf sie. In der Politik und in der Bevölkerung. Es sind gleich mehrere Gräben, die sich auftun und ein wirtschaftsfeindliches Klima befördern. Klein gegen Gross, Stadt gegen Land, blinder Aktivismus gegen verblendete Sturheit, Abschottung hier und die Forderung nach mehr Staatskontrolle da. Ein gefährliches Auseinanderdriften.

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«Die Leute in unserem Land realisieren nicht mehr, woher der Wohlstand kommt», sagt Arbeitgeber-Präsident Vogt im Gespräch. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens müsse man sich zurückbesinnen auf das, was uns stark gemacht hat. «Und nicht träumen, wir hätten ein Abonnement gelöst darauf, sodass täglich zwei Milliarden BIP vom Himmel fallen.»

FDP-Bundesräte

Bundesraetin Karin Keller-Sutter waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates ueber die Aenderung des DNA-Profil-Gesetzes, am Freitag, 4. Dezember 2020, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Ignazio Cassis, Bundesrat
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KARIN KELLER-SUTTER Die Wirtschaft hofft, dass die Magistratin Lösungen zur EU-Frage findet. 

Keystone

Doch was hat die Schweiz stark gemacht? Die SVP zelebrierte das Ende der EU-Verhandlungen mit 26  Höhenfeuern. Aus ihrer Optik ist die Schweiz ein Land, in dem sich wackere Gesinnungsgenossen zusammenrauften und ihre Unabhängigkeit den fremden Kaisern, Fürsten und Vögten abtrotzten. Eine Nation, die dank Fleiss, Erfindergeist und Neutralität zur Wohlstandsinsel aufblühte.

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Die Schweiz ist aber vor allem ein Land, das, um zu bestehen, stets geschickt mit Grossmächten paktierte, das wegen des kleinen Binnenmarktes schon früh auf Exporte setzte und das eine offene Volkswirtschaft pflegte; attraktiv für Pioniere wie Henri Nestlé oder Walter Boveri aus Deutschland, Léon Givaudan aus Frankreich oder Nicolas Hayek aus dem Libanon. Ein Land, das immer geschickt zwischen Selbstbestimmung und Akzeptanz internationaler Regelungen balancierte. Diese gesunde Prise Pragmatismus ist abhandengekommen.

Der Wohlstand. Er speist sich nicht aus dem Réduit der Selbstherrlichkeit. Zu verdanken ist er vor allem den global operierenden Konzernen. In der Schweiz aber werden die Multis oft verteufelt, und die Stärke der KMUs wird mythisch überhöht. 99 Prozent der hiesigen Unternehmen hätten weniger als 250 Beschäftigte, wird dann betont. Es ist eine verzerrte Sicht. Doch was leisten Grosskonzerne konkret?

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Die Rechnung sei einfach, sagt Vogt. Man müsse nur das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz mit dem etwa halb so grossen BIP von Österreich, das etwa gleich viele Einwohner hat, vergleichen. Der grosse Unterschied: «Österreich hat keine vergleichbaren Multis wie Nestlé, Roche oder Novartis.» Ein Kontrast, der sich auch an der Börse zeigt: Die 20 Unternehmen im SMI kommen zusammen auf eine mehr als zehnmal höhere Marktkapitalisierung als jene 20 im österreichischen Leitindex ATX.

««Wir sind enttäuscht, dass es der Regierung in sieben Jahren nicht gelungen ist, ein mehrheitsfähiges Abkommen abzuschliessen.»»

Valentin Vogt

In der Schweiz tragen multinationale Unternehmen denn auch einen überproportionalen Teil zur Wirtschaftsleistung bei. Gemäss einer McKinsey-Studie von 2019 zählen zwar nur vier Prozent aller Schweizer Unternehmen zu den Multis, sie stellen jedoch zusammen mit den hier angesiedelten Töchtern von ausländischen Firmen 26 Prozent der Jobs, erwirtschaften ein Drittel des BIP und bezahlen fast die Hälfte der Unternehmenssteuer-Einnahmen auf Bundesebene.

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Das aktuelle Steuer-Ranking der «Handelszeitung» zeigt: Die grössten Steuerzahler unter den Schweizer Firmen heissen Roche, Nestlé, Novartis, Zurich, UBS und Swiss Re. Gemeinsam geben sie dem hiesigen Fiskus mehr als 3,5 Milliarden Franken ab. Dieser profitiert aber auch von den oft gescholtenen hohen Löhnen der Finanzbranche, die jedes Jahr zusätzlich eine Milliarde an Einkommens- und Vermögenssteuern abwerfen. Gute Gehälter zahlt ebenso die Pharma. Und so gewinnt auch das lokale Gewerbe am Rheinknie oder an der Goldküste, wenn hoch bezahlte Manager Dienste von Auto-Garagen, Schreinereien oder Sanitären beanspruchen, in den lokalen Restaurants speisen und ihre Kinder in die örtliche Kita schicken.

Eine Schweiz ohne Grosskonzerne, es wäre fatal – besonders für KMUs. Viele kleine Firmen mögen zwar auf den Binnenmarkt fixiert sein, volle Auftragsbücher haben sie indes oft als Zulieferer für die grossen. So sind sie ebenso auf die internationalen Wertschöpfungsketten der Konzerne angewiesen. Laut einer Studie des liberalen Thinktanks Avenir Suisse arbeiten rund drei Viertel der hierzulande Beschäftigten in Firmen, für die der internationale Handel eine Rolle spielt.

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Leistung der Multis

Von einem Franken verdient die Schweiz heute rund 70 Rappen mit dem Export von Waren und Dienstleistungen. In der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie etwa hängen laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics rund 80 Prozent der Erträge am Export. Die EU ist dabei nach wie vor der wichtigste Markt der MEM-Industrie.

Der grösste Schweizer Exporteur jedoch ist bekanntlich die Pharmaindustrie. Und hier sticht die Bedeutung der Multis besonders heraus: Gemäss BAK-Schätzungen tragen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten mindestens 90 Prozent zur Wertschöpfung der Branche bei – obwohl nur 77 Prozent der Vollzeitstellen in Grossfirmen angesiedelt sind. «Die Produktivität ist bei Grossunternehmen tendenziell überdurchschnittlich ausgeprägt, was sich zum Beispiel mit Skalenerträgen in der Produktion, einer höheren Kapitalintensität und Effizienz sowie einer höheren Rentabilität erklären lässt», sagt das BAK-Geschäftsleitungsmitglied Michael Grass. Hinzu komme, dass das eine oder andere KMU in die Wertschöpfungskette der Grossunternehmen eingebunden ist und seine Wertschöpfung zumindest teilweise auch von diesen abhängt.

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Ohne Multis wäre es auch um die Innovationskraft, auf die das Land so stolz ist, schlecht bestellt. Rund 70 Prozent der alljährlichen Aufwendungen von 22 Milliarden Franken für Forschung und Entwicklung stemmt die Privatwirtschaft. Federführend ist auch hier nicht das Gewerbe, sondern primär Grosskonzerne. Die fleissigsten Anmelder aus der Schweiz beim Europäischen Patentamt waren 2020 ABB (678 Patente), Roche (656) und Nestlé (444) – gefolgt von Philip Morris (433), Tetra Laval (233) und Syngenta (177). Die Top-6-Anmelder allein verantworteten in den letzten Jahren jeweils 30 bis 40 Prozent aller Anmeldungen.

Gegen ein Rahmenabkommen

GEGEN DAS RAHMENABKOMMEN Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard, Autonomiesuisse-Gründer Hans-Jörg Bertschi, Kompass-Europa-Aushängeschild Alfred Gantner, Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler, Hans-Peter Zehnder und Bauernpräsident Markus Ritter (v.l.).

 

PD
Gegen ein Rahmenabkommen

GEGEN DAS RAHMENABKOMMEN Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard, Autonomiesuisse-Gründer Hans-Jörg Bertschi, Kompass-Europa-Aushängeschild Alfred Gantner, Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler, Hans-Peter Zehnder und Bauernpräsident Markus Ritter (v.l.).

 

PD

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Leugnen lässt es sich nicht: Für den Wohlstand in der Schweiz sind die Konzerne entscheidend. Sie sind der Rohstoff eines Landes ohne Bodenschätze. Dass sie Bundesbern und das Stimmvolk immer weniger hinter sich bringen, ist ein tiefschürfendes Problem. Im Fall des Rahmenabkommens wird dem Bundesrat aus Wirtschaftskreisen eine veritable Führungsschwäche attestiert. Hätte er vor zweieinhalb Jahren klar gesagt, was er will, es wäre anders herausgekommen. Doch die Unentschlossenheit habe ein Vakuum erzeugt.

Aus ihm heraus formierten sich unternehmensnahe Bewegungen, die sich gegen die vorherrschende Meinung der Wirtschaftsverbände stellten. Da wäre Kompass Europa mit dem milliardenschweren Partners-Group-Gründer Alfred Gantner als Zugpferd. Und da wäre Autonomiesuisse, ein von den beiden Aargauern Hans-Jörg Bertschi und Hans-Peter Zehnder gegründeter Verbund von mittelgrossen Familienunternehmen. Die Verbände wiederum haben jüngst durch diverse Austritte an Schlagkraft eingebüsst. Raiffeisen hat der Bankiervereinigung den Rücken gekehrt, Axa dem Versicherungsverband, und der Detailhandelsverband Swiss Retail Federation ist beim Dachverband Economiesuisse ausgestiegen.

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Die Unternehmersicht hat sich auch im Parlament eingetrübt. Die direkten Verbindungen zwischen Parlamentariern und einzelnen Unternehmen seien in der Tendenz abnehmend, konstatiert Avenir Suisse in einer Studie, die im November erschien. Dafür nahm unter Politikern die Nähe zu Interessengruppen jeglicher Ausrichtung stark zu, namentlich zu Menschenrechtsorganisationen, Umweltorganisationen oder dem Tier- und dem Heimatschutz. Nur noch eine Branche kann laut Avenir Suisse ihre Anliegen in Bern nach wie vor ungehemmt durchsetzen: die Landwirtschaft. Mit aktuell 15 Landwirten und einem Weinbauern im Parlament ist der Agrarsektor ausserordentlich gut vertreten. Sein Anteil an der gesamten Wertschöpfung der Schweiz: 0,7  Prozent. Die Höhe der staatlichen Stützungen in Form von Direktzahlungen und protektionistischen Massnahmen: 7 Milliarden Franken.

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CO2-Gesetz: Vergebene Mühe

Gewinnziel 3 Milliarden, Porträt des CEO von Swiss Re, Christian Mumenthaler.
Jessica Anderen, CEO Ikea Schweiz, posiert im Cabaret Voltaire anlaesslich der Jahresmedienkonferenz von IKEA, aufgenommen am Donnerstag, 15. Oktober 2020 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Tamedia-Geschäftsleitungsmitglied Christoph Brand
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CHRISTIAN MUMENTHALER Der Swiss-Re-Chef sprach sich fürs CO2-Gesetz aus. 

ZVG

Damit die Konzerne wieder mehr Gewicht erhalten, reicht es offenbar nicht aus, wenn sich deren CEOs vermehrt politisch äussern. Unternehmen vergässen manchmal, dass sie auch eine Heimbasis hätten, sagt Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt. «Sie müssen den Stimmbürgern besser erklären, was sie leisten und welche Bedeutung sie für die Schweiz haben.»

Unterstützung bekommen sie bald vom neuen Thinkthank Liberethica, der sich momentan formiert. Im Herbst will er loslegen und aus liberaler Sicht eine ethische Gegenposition zu den sich mehrenden Angriffen auf die Wirtschaft einnehmen, wie aus einem Dokument hervorgeht, das BILANZ vorliegt. Geführt wird er von FDP-Politikerin und Theologin Béatrice Acklin Zimmermann, die Agentur Furrerhugi macht die Administration. Am Projekt beteiligt sind unter anderem bereits Professoren, Politiker wie Kurt Fluri und Wirtschaftsgrössen wie Peter Wuffli, Nicole Loeb oder Gerhard Schwarz.

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Offensive gefordert

In der EU-Frage erwartet nun Scienceindustries-Direktor Mumenthaler vom Bundesrat eine diplomatische Offensive. Es sei seltsam, wenn er mehr nach China reise als nach Brüssel. Wieder einen vernünftigen Dialog mit der EU zu finden, das ist die Hoffnung, die von vielen Seiten zu hören ist. Es dürfte eine längere Übung werden. Hoffnungen hegen die Wirtschaftsverbände auch, dass sich die Wogen zwischen ihnen und dem Gewerbeverband wieder glätten, auch dank dessen neuem Präsidenten Fabio Regazzi, der im Oktober Jean-François Rime ablöste. Dass die Wirtschaft das Gezänke ablegt und wieder mit vereinter Stimme auftritt, ist dringend nötig.

Die nächste Bewährungsprobe kommt bald. Am 26.  September entscheidet das Stimmvolk über die 99-Prozent-Initiative der Juso, zu deren 27 Initianten etwa auch die SP-Co-Präsidenten Cédric Wermuth und Mattea Meyer sowie der designierte Post-Präsident Christian Levrat gehören und für die auch Gewerkschaftsboss Maillard kämpft. Die Initiative zielt auf die Vermögenden und fordert, dass das reichste Prozent stärker besteuert wird. Konkret im Visier der Initianten sind Kapitaleinkommen wie Zinsen und Dividenden. Betroffen wären laut Economiesuisse besonders Familienunternehmen, inhabergeführte KMUs und Start-ups. Das sieht immerhin auch der Gewerbeverband so. Der Graben lässt sich diesmal also überbrücken.

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