Guten Tag,
CS-Aus, Roche-Flaute: An Severin Schwan perlt alles ab.
Erik Nolmanns
Machtvoll: Severin Schwan ist seit Frühling 2023 Präsident des Pharmakonzerns Roche, den er vorher 15 Jahre als CEO geführt hatte. Zusätzlich war er von 2014 bis 2022 im Verwaltungsrat der CS.
kornel.ch für BILANZWerbung
Das Jahr begann gut für Roche. Um 3,7 Prozent schoss der Kurs am ersten Handelstag in die Höhe. Balsam für die Seele auch von Severin Schwan, Präsident des gebeutelten Pharmakonzerns, der im vergangenen Jahr zu den grossen Verlierern an der Börse gehört hatte.
Männiglich hoffte, das könnte den Startschuss zur Wende anzeigen. Doch das Ganze entpuppte sich als Strohfeuer, angefacht von einer oft Anfang Jahr zu beobachtenden Marktdynamik, sich auf eher defensive Werte zu konzentrieren. Anschlusskäufe blieben aus, der Kurs dümpelt bereits wieder träge vor sich hin. Derweil konnte Lokalrivale Novartis den Schwung mitnehmen und mit einem Plus von über zehn Prozent weiter deutlich zulegen (Stand 22. Januar).
Bei Roche ist der Wurm drin, die Anleger haben sich vom Konzern abgewendet, geprägt von der Beobachtung, dass in den letzten drei Jahren viele Medikamente gefloppt sind, und dies oft in später Phase der Entwicklung und zum Teil nach milliardenhohen Investitionen. Das Warten auf einen aufsehenerregenden Erfolg, der den Konzern revitalisieren könnte, geht weiter.
Werbung
Derweil reitet die Konkurrenz auf einer Erfolgswelle. Allen voran Novo Nordisk und Eli Lilly, die ihren Börsenwert in den letzten Jahren verdreifachen konnten, getragen vom Erfolg ihrer Medikamente gegen Fettleibigkeit. Roche indes hat nach einem Zwischenhoch in der frühen Corona-Zeit in den letzten zwei Jahren rund ein Drittel an Börsenwert verloren. 2023 war der Roche-Genussschein mit einem Minus von fast 16 Prozent der zweitschlechteste im Swiss Market Index (SMI), nur der abgestürzte Corona-Highflyer Lonza war noch schlechter. Im breiteren Swiss Leader Index (SLI), der auch die Roche-Inhaberaktie umfasst, war dieses Papier mit einem Minus von 27,1 Prozent gar das schlechteste überhaupt. In der Rangliste der Pharmakonzerne ist Roche von Platz zwei auf sechs abgerutscht.
Je länger die Schwächephase von Roche andauert, desto lauter wird die Kritik am Management. In der Pharmabranche sind die Entwicklungszyklen lang, es geht gut zehn Jahre, bis man Erfolg oder Misserfolg messen kann. Über 15 Jahre lang, von 2008 bis 2023 als CEO, und seither als Präsident, hat Schwan den Konzern geprägt. Die heutige Roche ist seine Roche, auch wenn er vor rund neun Monaten die operative Führung an Thomas Schinecker, einen engen Vertrauten, weitergereicht hat.
Werbung
Schwan muss derzeit nicht nur in Sachen Roche hart im Nehmen sein: Parallel zur wachsenden Kritik an der Positionierung von Roche fliegt ihm seine Zeit als Vizepräsident des Verwaltungsrats der Credit Suisse um die Ohren, eine Rolle, die er von 2017 bis 2022 ausfüllte. Auch wenn er sich knapp vor dem Untergang der Bank absetzen konnte, gilt er als Keyplayer in der CS-Führung der letzten Jahre und wird mitverantwortlich gemacht für das Debakel.
Unbeirrbar: Der Kurs von Roche ist in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent eingebrochen. «Wenn nur einer oder zwei unserer Wirkstoffe erfolgreich sind, wird sich die Stimmung drehen», sagt Schwan.
BloombergUnbeirrbar: Der Kurs von Roche ist in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent eingebrochen. «Wenn nur einer oder zwei unserer Wirkstoffe erfolgreich sind, wird sich die Stimmung drehen», sagt Schwan.
BloombergWerbung
Beim Treffen im alten Konzernleitungsgebäude in Basel, schön gelegen in einem Park gegenüber den imposanten Roche-Türmen, wirkt Schwan relaxt und locker, wie man ihn kennt: hellblaues Hemd ohne Krawatte, freundliches Lächeln, fester Händedruck. Das World Economic Forum (WEF) steht bald an, doch Schwan hat sich trotz vollem Terminkalender Zeit für den Journalisten genommen.
Mitgebracht hat er eine Präsentation, die sein CEO Schinecker am Vortag an einer Investorenpräsentation vorstellte. Drin sind Zahlen, mit denen er zeigen will, dass es um Roche gar nicht so schlecht steht, wie die Entwicklung an den Börsen glauben macht. 98 neue Wirkstoffe mit guten Aussichten auf zukünftigen Erfolg schlummerten in der Pipeline, sagt Schwan, «zeigen Sie mir mal eine Firma, die das hat». Das Portfolio sei mit heute 16 Blockbustern – so nennt man in der Branche Produkte mit mehr als einer Milliarde Umsatz – viel breiter abgestützt als noch 2012, als es sieben Blockbuster gab, unter anderem den Klumpen der drei Krebsmedikamente Avastin, Herceptin und Rituxan, deren Patentschutz am Auslaufen war und die damals rund 50 Prozent des Umsatzes brachten. Jene Phase, als er noch nicht lange CEO war und als es galt, diese wegfallenden Umsatzträger zu ersetzen, sei die schwierigste in seiner Karriere gewesen, nicht die heutige, urteilt er selber: «Wir haben heute eine der am breitesten aufgestellten Pipelines in der gesamten Branche.»
Werbung
Das mag stimmen, doch was Roche fehlt, ist ein Megaseller, ein Blockbuster mit einem Umsatz von über zehn Milliarden Franken. «Go big or go home», hat das Wertschriftenhaus Stifler den Effekt beschrieben, gemäss dem die Börsen vor allem jene Hersteller honorieren, die besonders grosse Umsatzträger hervorbringen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» schreibt. Das stärkste Produkt von Roche ist das MS-Medikament Ocrevus mit einem Jahresumsatz von rund sechs Milliarden. Für die Medikamente gegen Fettleibigkeit von Novo Nordisk und Eli Lilly erwarten Experten indes auf mittlere Frist Spitzenumsätze von 30 bis 50 Milliarden.
Das Problem für Roche ist auch, dass viele gar nicht mehr so genau wissen, wofür der Konzern eigentlich steht. Noch bis vor wenigen Jahren war man der unangefochtene Marktleader in der Onkologie, aber andere haben aufgeholt. So stammt das umsatzstärkste Krebsmedikament nicht von Roche, sondern von US-Konkurrent Merck, dessen Keytruda 2022 einen Umsatz von 21 Milliarden Dollar machte.
Werbung
Hat Schwan das Profil von Roche verwässern lassen? Welche Strategie hat er dem Konzern eigentlich unterlegt?
Strategisch fokussiere sich Roche voll und ganz auf innovative Medikamente und Diagnostika. Dass man sich dabei aber nicht gezielt auf ein Anwendungsgebiet beschränke, sei bewusst so. «We follow the science», sagt Schwan, «wir sind agnostisch, was die therapeutischen Felder betrifft.» Es sei übrigens ein Irrglaube, dass der Einstieg in die Onkologie damals Resultat einer strategischen Lagebeurteilung war. Bei der Tochter Genentech in den USA habe es in diesem Bereich Ende der Neunzigerjahre erste positive Studienergebnisse mit monoklonalen Antikörpern gegeben, erst dann sei in diesem Gebiet verstärkt investiert worden. Dieses Konzept führe immer wieder zu herausragenden Produkten, manchmal auch mit überraschenden Wendungen. Ocrevus gegen Multiple Sklerose sei etwa ursprünglich gegen rheumatoide Arthritis entwickelt worden. «Solche Erfolge setzen voraus, dass man offen für neue wissenschaftliche Erkenntnisse bleibt und nicht stur in bestehenden Therapiebereichen verharrt.»
Werbung
Im heute so erfolgreichen Bereich der Fettleibigkeitsmedikamente war Roche eigentlich schon einmal drin. Doch 2018 fiel während Schwans Zeit ein Entscheid innerhalb der Pharma, der von wenig Weitsicht zeugt: Die japanische Roche-Tochter Chugai verkaufte die Rechte an einem potenziellen Abnehmwirkstoff an den Konkurrenten Eli Lilly. «Im Nachhinein sicher ein Fehler», räumt Schwan ein. Man habe zudem vor mehr als zehn Jahren eine Serie von Rückschlägen in diesem Gebiet gehabt, alle Phase-III-Studien seien negativ gewesen. «Damit hatte sich unsere ganze Pipeline im Bereich der kardio-metabolischen Erkrankungen in Luft aufgelöst.» Nachfolger Schinecker hat Ende des letzten Jahres mit dem Kauf der amerikanischen Carmot das Steuer wieder herumgeworfen. Ziel von Roche sei es, die Kompetenz von Carmot im Bereich der Abnehmmedikamente mit den bestehenden Stärken von Roche im Bereich der Muskelkrankheiten zu verbinden, sagt Schwan, und so etwa eine der wenigen unerwünschten Nebenwirkungen der bestehenden Produkte – nicht nur das Fett im Körper geht zurück, sondern auch die Muskeln – zu bekämpfen.
Werbung
Die Roche-Welt: Schwans Vorgänger Christoph Franz, Mehrheitsaktionär André Hoffmann, CEO Thomas Schinecker (v.l.).
Markus Senn für BILANZ, Keystone, Montage BILANZDie Roche-Welt: Schwans Vorgänger Christoph Franz, Mehrheitsaktionär André Hoffmann, CEO Thomas Schinecker (v.l.).
Markus Senn für BILANZ, Keystone, Montage BILANZAuch wenn die Börse den Kauf von Carmot positiv beurteilte – der Kurs von Roche ging am Tag der Bekanntgabe um 2,8 Prozent nach oben –, sehen manche Finanzanalysten die Sache skeptisch. Auf Elmar Sieber von der Basler Kantonalbank (BKB) wirkt der Deal wie eine «FOMO-Transaktion» («Fear of missing out» – die Angst, etwas zu verpassen). Zudem wecke das Ganze Zweifel an der Stärke der eigenen Forschung und Entwicklung: «Es wirkt wenig selbstbewusst – wenn die Pipeline wirklich so attraktiv ist, wie sie sagen, warum müssen sie dann zukaufen?»
Werbung
«Wir haben schon immer auf unsere eigene Forschung sowie auf Zukäufe gesetzt. Schauen wir mal was rauskommt.Wenn nur einer oder zwei unserer Wirkstoffe erfolgreich sind, wird sich die Stimmung drehen», ist Schwan überzeugt.
Nach der schwierigen ersten Phase seiner Karriere, die er mit aussichtsreichem Ersatz für die wegfallenden drei Top-Produkte recht gut meisterte, stieg das interne Standing von Schwan. 2013 wurde er zusätzlich zu seiner Rolle als CEO auch in den VR von Roche gewählt, wo er bald zu einer starken Stimme wurde, vor allem als Vorgänger Franz Humer 2014 abtrat und das Präsidium an Ex-Lufthansa-Chef Christoph Franz weitergab. Der Branchenfremde Franz war eher Traktandensetzer als wahrer Führer und ermöglichte damit Schwan die Ausweitung seiner internen Macht.
In dieser persönlichen Aufschwungphase kam 2014 eine neue Rolle dazu, die ihm später noch einige Sorgen bereiten sollte: CS-Präsident Urs Rohner holte Schwan in den Verwaltungsrat seiner Bank.
Werbung
So seltsam das heute klingen möge, sagt Schwan, aber der Grund, bei der CS mitzumachen, sei für ihn auch stark wertegetrieben gewesen. 2014 sei die CS im Zug der Schwarzgeldproblematik und der späteren Zahlung einer Busse von über zwei Milliarden Dollar an die USA ramponiert gewesen. In der Überzeugung, dass die Schweiz einen starken Bankenplatz brauche, habe er daran mitarbeiten wollen, «dass mit dem Banken-Bashing jetzt einmal Schluss sein sollte». Schwan durfte seine Rolle bei der Bank bald aufwerten: 2017 wurde er Vizepräsident und Lead Independent Director. Zunächst lief bei der CS alles gut, CEO Brady Dougan, der umstrittene Investmentbanker, wurde 2015 durch Tidjane Thiam ersetzt, der allerdings Anfang 2020 im Nachgang der Beschattungsaffäre um den ehemaligen CS-Banker Iqbal Khan zurücktreten musste. Neuer CEO wurde der bisherige Schweiz-Chef Thomas Gottstein. Es war der Startschuss für mehrere Personalentscheidungen der kommenden Jahre, die übers Knie gebrochen wurden.
Werbung
Als 2021 die Amtszeit von Rohner auslief, war Schwan als Lead Independent Director direkt gefordert. Das Search-Team setzte auf eigene Headhunter bei der Suche nach einem neuen Präsidenten und berief schliesslich den Portugiesen Antònio Horta-Osório zum neuen Präsidenten. Der kam zu einer schon damals taumelnden Bank, waren doch noch vor seinem Antritt vom Frühling 2021 die Milliardenskandale um Greensill und Archegos aufgepoppt. In diesen Affären machte der Verwaltungsrat inklusive Schwan eine schlechte Falle, hatte die CS doch die Risikoabläufe bis nach ganz oben nicht im Griff gehabt. An der Generalversammlung 2021 wüteten die Aktionäre, und einzelne forderten die Abwahl sämtlicher Mitglieder des Risikokomitees, in dem auch Schwan Einsitz hatte, doch schlussendlich musste nur der Risikokomitee-Vorsitzende, Andreas Gottschling, gehen.
Werbung
im Jahr gibt Roche für Forschung und Entwicklung aus.
Mitarbeiter beschäftigte Roche Ende 2022 weltweit.
betrug der Umsatz von Roche in den ersten neun Monaten 2023.
«António setzte gute Impulse und fand von Anfang an den richtigen Ton», so Schwan über die Startphase von Horta-Osório. Doch Ende 2021 wurde bekannt, dass sich der neue Präsident um Corona-Regeln foutiert hatte. Was folgte, war eine Phase, die im Lager von Horta-Osório bis heute als Manöver einzelner CS-Verwaltungsräte gedeutet wird, die eigenen Köpfe zu retten. Ein enger Vertrauter von Horta-Osório berichtet, jener sei heute noch empört, dass er aus einem so nichtigen Grund aus dem Verwaltungsrat gedrängt wurde, «da müssen andere Motive im Vordergrund gestanden haben». Schon 2021 hatte Horta-Osório mit dem Umbau des Verwaltungsrats begonnen; einer der ersten Entscheide war im Herbst 2021 die Reduktion von 14 auf 12 Mitglieder. Laut dem Horta-Osório-Vertrauten nur der Anfang eines generellen Revirements des CS-Verwaltungsrats, den er für unfähig hielt.
Werbung
Das Gerede von einem Machtkampf im VR sei «Unsinn», sagt Schwan. Das Ganze sei eine Frage der Kultur gewesen: «Die CS-Mitarbeiter sagten: Wir müssen daheimhocken, und unser Präsident umgeht locker Quarantänevorschriften. Und das in einem Kontext, in dem das Risikomanagement für die Bank höchste Priorität hatte.» Der VR habe handeln müssen. Den Entscheid, Horta-Osório geholt zu haben, würde er heute nicht mehr unterstützen. Die Affäre war für Schwan aber auch aus einem anderen Grund ärgerlich: Sie drohte seinen ausgeklügelten Zeitplan zu gefährden. Schon Ende 2020 habe er den CS-Verwaltungsrat wissen lassen, dass er zur GV 2021 aufhören wolle, sagt er. Doch Horta-Osório habe ihn bei seinem Amtsantritt angesichts der Skandale um Archegos und Greensill gebeten, noch ein Jahr zu bleiben. Im «Quarantäne-Gate» um Horta-Osório drohte dann ein Machtvakuum, und für Schwan bestand plötzlich die Gefahr, dass er als Nummer zwei nochmals länger gefragt bliebe.
Werbung
Das wiederum drohte seine Pläne in Sachen Roche zu torpedieren. Denn in jener Zeit zeichnete sich ab, dass der Posten des Roche-Präsidenten bald frei würde. Externe Präsidenten hat es in der 128-jährigen Geschichte nur ganz wenige gegeben, «und es war klar – irgendwann will man es wieder anders haben», sagt ein enger Vertrauter von André Hoffmann, dem Sprecher und starken Mann des Besitzerclans Oeri-Hoffmann.
Christoph Franz habe nach seinem Antritt 2014 bald so grosse Freude am Job gefunden, dass er gar nicht mehr habe ans Aufhören denken wollen, wie Insider berichten. Kein Wunder: Das Roche-Präsidium gilt als der wohl begehrteste Job der Schweizer Wirtschaft – das Salär beträgt sechs Millionen Franken jährlich, der Job hat ein enorm hohes Renommee und ist von der Arbeitsbelastung her recht erträglich. Intern hatte Franz wissen lassen, vor 2022 wolle er nicht abtreten. Er hatte unter anderem den Wunsch geäussert, dass er unbedingt noch die 125-Jahr-Feier als Präsident begleiten wolle. Doch als obere Wegmarke wurde 2023 beschworen: Dann sind die zwölf Jahre um, die nach den Regeln guter Corporate Governance als Obergrenze in einem Verwaltungsrat gelten. Wie biegsam dieses Argument bei Roche sein wird, wird sich an Schwan in ein paar Jahren zeigen. Würden bei ihm die gleichen Massstäbe angelegt, müsste er – der er ja seit 2013 im Roche-VR ist – eigentlich schon 2025 abtreten. Dass Schwan gekommen ist, um das Präsidium nur zwei Jahre auszufüllen, glaubt keiner, der die Machtverhältnisse bei Roche kennt. Franz aber zeigte sich da vorbildlich. Für Schwan bedeutete das: Es bestand nun ein – wenn auch kurzes – Zeitfenster. Und das wusste er zu nutzen. Zwei Schritte standen für ihn im Vordergrund: Erstens musste er für sich als CEO einen guten Nachfolger bereithalten. Und zweitens musste er den imageschädigenden Posten bei der CS loswerden.
Werbung
Den Nachfolger hatte er bald zur Hand: seinen Spartenleiter Thomas Schinecker, erst 2019 zum Chef des Bereichs Diagnostik erhoben, wo er in der Corona-Zeit zur Höchstform auflief und Roche mit Tests zu zusätzlichen Umsatzmilliarden verhalf.Der zweite Schritt hing ebenfalls von einer Personalie ab. Das Machtvakuum bei der CS musste möglichst zügig beendet werden und ein Ersatz für Horta-Osório gefunden werden. Der CS-Verwaltungsrat setzte auf eine schnell zu realisierende interne Lösung – und berief Verwaltungsrat Axel Lehmann zum Präsidenten, statt in Ruhe die Suche nach einem neuen Präsidenten zu starten. «Axel Lehmann war eine gut überlegte Wahl, er verfügte über ausgewiesene fachliche und persönliche Qualifikationen», verteidigt Schwan den Entscheid. Doch dass Lehmann nicht das Zeug zum Präsidenten hatte, zeigte sich bald – er war unfähig, die taumelnde CS zu stabilisieren, und wurde zum Kapitän des Untergangs.
Werbung
Die CS-Welt: Der von Schwan geholte CS-Präsident António Horta-Osório (l.) musste nach der Umgehung von Corona-Vorschriften gehen, Nachfolger Axel Lehmann (r.) war schnell zur Hand. Hoffnungsträger Tidjane Thiam wurde nach der Beschattungsaffäre als CEO geschasst.
Bloomberg, François Grivelet / opale.photoDie CS-Welt: Der von Schwan geholte CS-Präsident António Horta-Osório (l.) musste nach der Umgehung von Corona-Vorschriften gehen, Nachfolger Axel Lehmann (r.) war schnell zur Hand. Hoffnungsträger Tidjane Thiam wurde nach der Beschattungsaffäre als CEO geschasst.
Bloomberg, François Grivelet / opale.photoSchwan aber hatte aufatmen können: An der GV 2022 konnte er endlich seinen Abschied bei der CS geben. Auf die Frage, ob er auch Roche-Präsident hätte werden können, wenn er nicht abgesprungen wäre und zur Zeit des Untergangs als Nummer zwei weiter eines der Gesichter der CS gewesen wäre, antwortete Schwan, es sei müssig, im Nachhinein darüber zu spekulieren. Wie geht er generell mit Druck um? Es gebe immer Phasen von Lob und von Kritik, «man darf bei Lob nicht überheblich werden, sich bei Kritik aber auch nicht selbst zerfleischen». Distanz zur eigenen Person helfe, es brauche «eine Balance zwischen Bescheidenheit und Selbstbewusstsein.»
Werbung
Aus dem Umfeld der Besitzerfamilie heisst es, dass die Berufung zu einem späteren Zeitpunkt kommunikativ sicher eine schwierige Aufgabe gewesen wäre, aber höchstwahrscheinlich hätte das faktisch am Entscheid für Schwan nichts geändert. Die Familie lasse sich generell nicht gerne von aussen beeinflussen, so der Familienvertraute, «und André Hoffmann hält grosse Stücke auf Severin Schwan». Auch persönlich sind die Verbindungen zwischen Besitzerfamilie und Schwan eng. So ist er – gerne auch in Begleitung von Gattin Ingeborg – jeweils auch an Familienanlässen eingeladen und gerne auch bei den vielen kulturellen Veranstaltungen des weitverzweigten Clans dabei.
Gerade angesichts der jetzigen Lethargie von Roche hätten viele gerne eine frische Kraft von aussen gehabt, sei es auf dem CEO-Posten oder dem Präsidentensessel. Doch für die Besitzerfamilie steht anderes im Vordergrund: Nichts soll die Ruhe bei Roche stören. Klar ist der Aktienkurs zuletzt stark gesunken, aber über die letzten Jahrzehnte hat man trotzdem von tüchtigen Wertsteigerungen profitiert. Und dann sind da ja noch die Dividenden in Höhe mehrerer hundert Millionen Franken, die jährlich auf die Familie herabregnen und die das Management, wenn immer es geht, Jahr für Jahr erhöht.
Werbung
Gerne macht die Familie mit den Vertretern der Konzernführung gemeinsame Sache – ein Pakt zum Vorteil beider Seiten. Beispiel dafür ist der Rückkauf des Pakets von rund einem Drittel aller Inhaberaktien, das Novartis an Roche hielt. Aufgebaut worden war das Paket noch von Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella, der damit den Druck auf Roche mit dem Ziel einer Fusion erhöhen wollte. Roche lehnte einen Zusammenschluss kategorisch ab, und so wurde das Paket zu einem reinen Finanzinvestment für Novartis. Im November 2021 verkaufte Vasella-Nachfolger Jörg Reinhardt das Paket an Roche selber, für 19 Milliarden. Schwan war an den Verhandlungen mit Novartis an vorderster Front beteiligt. Die Vertreter der Besitzerfamilie im Roche-VR seien in der Sache stets ordnungsgemäss in den Ausstand getreten, betont er.
Werbung
Was tat Roche mit den gekauften Aktien? Sie wurden vernichtet. Weil es dadurch plötzlich viel weniger Inhaberaktien gab, war die Folge eine sprunghafte Erhöhung der Stimmkraft der Besitzerfamilie von knappen 50,1 Prozent auf komfortable 75,1 Prozent. Sehr zur Freude der Besitzerfamilie natürlich, aber nicht unbedingt zu jener der Minderheitsaktionäre. Aktionärsvertreter Ethos reagierte mit einer bissigen Stellungnahme: «Ethos ist der Ansicht, dass es nicht im Interesse aller Anspruchsgruppen ist, 19 Milliarden Franken Schulden aufzunehmen, nur um Kapital zu vernichten».
Ein Raunen ging durch den Markt, und nicht wenige fragten sich, ob man die 19 Milliarden nicht besser für einen geschickten Zukauf aufgewendet hätte, statt die Macht des Grossaktionärs zu steigern, und dies notabene, «ohne dass er einen Rappen investieren muss», so Ethos.
Werbung
Klar ist: Der Pakt unter den Schlüsselfiguren des Konzerns kommt natürlich auch dem Management zugute, das sich von der Besitzerfamilie eine pflegliche Behandlung und Förderung erhoffen darf. Auch wenn laut Insidern die Familie eine Wahl von Schwan in den letzten Jahren nie explizit in Aussicht gestellt hatte, bedeutete die gelebte Wirklichkeit doch, dass er die Unterstützung durch den Familienaktionär in seine Planspiele einbauen konnte. Und auch das Timing spielte ihm in die Karten: Im Sommer 2022 konnte er mit Schinecker seinen Nachfolger präsentieren, 2023 durfte er Franz auf dem Präsidentensessel ersetzen.
Werbung