Guten Tag,
Bernard Arnault prägt Frankreich wie kein anderer Unternehmer. Er hat aus Luxus ein Milliardengeschäft gemacht, ganze Branchen eifern ihm nach.
Lutz Meier
Im Juni 2023 zeigte der neue Men’s Creative Director von Louis Vuitton, Pharrell Williams, seine erste Kollektion in Paris – auf dem eigens für die Show geschlossenen Pont Neuf.
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Langsam schreitet er in den Saal. Auch leicht gebeugt überragt Bernard Arnault die meisten Umstehenden. Er ist grauer geworden, schmaler. Die wohlgebräunte Virilität, die der Mann einst ausstrahlte, ist gewichen. Dadurch sticht nun umso mehr das Majestätische des 74-Jährigen hervor: wie er jetzt hier bei der Hauptversammlung seines Luxuskonzerns LVMH in Paris mit stetem, aber knappem Lächeln Hände drückt und Worte wechselt. Einer, der kein Gewese macht. Aber seit Jahrzehnten nicht nur bei seinen Produkten, sondern auch für sich selbst und seine Familie weiss, wie sich Aura herstellt. Macht und ihre Ausübung auf die klassische Art: Er hält die Hand des Gegenübers einen Moment, wendet sich dabei schon dem Nächsten zu.
So ist Arnault auf den ersten Blick schon eine Gegenfigur zu Elon Musk, jenem überdrehten Tech-Milliardär, den der Franzose zu Jahresbeginn von der Spitze der Rangliste der reichsten Menschen der Welt verdrängt hat. Dort der hibbelige Disruptor kalifornischer Machart, hier die Renaissance des alten europäischen Patrons.
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Doch wer so denkt, blickt nur auf die Form. Hinter der aber ist auch Arnault ein Umstürzler, der von aussen kam und aus der alten Welt edler Manufakturen eine globale Cashmaschine baute, die im Konsumgüterbereich ihresgleichen sucht. Ein Mann, der aristokratische Manieren gekonnt einsetzt, um weiterzukommen – auch mit Mitteln, die nicht zum distinguierten Auftritt passen. Es ist eine andere, stillere Disruption als bei Musk. Aber gesamtwirtschaftlich ist sie kaum weniger wirkmächtig.
Der Erfolg von LVMH unter Arnault geht schon 35 Jahre. Aber seit Ende der Corona-Pandemie hat ein Boom eingesetzt, von dem der Marktführer aus Paris überdurchschnittlich profitiert. 2022 lagen die weltweiten Ausgaben für teure Artikel wie Mode, Handtaschen, Schmuck und Kosmetik nach einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company um mehr als ein Viertel über Vor-Corona-Niveau: bei 353 Milliarden Dollar. Bis Ende des Jahrzehnts werden sie demnach noch einmal um mehr als 50 Prozent wachsen, auf bis zu 580 Milliarden.
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Die Kunden stillen aufgestauten Hunger. Und der Luxusboom, das hat Arnault früh erkannt und genutzt, verdankt sich nicht zuerst den Millionären. Er wird von den wachsenden Mittelschichten getragen. Von Leuten, die das Universum von Dior und Louis Vuitton betreten, indem sie sich ein Parfum leisten, ein Täschchen für einen «nur» vierstelligen Betrag, ein Accessoire.
Umstürzler, der von aussen kam: Bernard Arnault gab sich zehn Jahre, um den weltgrössten Luxuskonzern zu schaffen. Es gelang ihm in vier Jahren (Aufnahme von 2017).
Martin SchoellerUmstürzler, der von aussen kam: Bernard Arnault gab sich zehn Jahre, um den weltgrössten Luxuskonzern zu schaffen. Es gelang ihm in vier Jahren (Aufnahme von 2017).
Martin SchoellerArnault hat die Produkte und ihren Verkauf in alle von Mittelschichten bevölkerten Teile der Welt gebracht. Er hat die Produktvielfalt seiner Marken grösser gemacht, sodass es von Louis Vuitton heute nicht nur Koffer und Handtaschen gibt, sondern auch Kleider, Uhren, Turnschuhe. Er hat zudem den «alten» Luxus mit den Prinzipien der Popkultur vermählt. Schliesslich hat er einen Konzern geschaffen, der sich bemüht, nie als Konzern erkennbar zu werden, obgleich er straff geführt wird und seine Wachstumsrezepte auf alle Marken anwendet. Für den Kunden sollen die Luxusmarken Solitäre bleiben, niemals sichtbar als Schwesterprodukte. Strenge und Autonomie, das sind die Prinzipien.
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Welche Kraft die Luxusindustrie und ihr Vormann Arnault in die europäische Wirtschaft brachten, ist noch kaum beleuchtet. Es geht nicht nur um die Umsätze. Es geht – wie bei Musk auch – um die Börsenbewertung und die Möglichkeiten, die diese schafft. Im Frühjahr war LVMH als erster europäischer Konzern mehr als 500 Milliarden Dollar wert.
Ein Aktionär fragt angesichts der Kursrally den LVMH-Chef nach einem Aktiensplit, der Preis eines einzelnen Anteilspapiers sei durch die Rally doch etwas «schwer» geworden: «Da muss ich Sie enttäuschen», antwortet der Patron in gewogener Strenge. «Die Begehrlichkeit wächst im Verhältnis zum Wert.» Das gelte an der Börse wie in der Boutique: «Unsere Aktie ist ein Luxusprodukt.»
Ausgerechnet Frankreich, das Land, das eben erst mit Streiks und sozialen Unruhen in den Schlagzeilen war, ist mit Arnaults Aufstieg zu einer Luxusnation geworden: Die französischen Anbieter – wenn man auch den Kosmetikkonzern L’Oréal und den Brillenhersteller Essilor-Luxottica dazuzählt – sind mit deutlich mehr als einer Billion Euro bewertet. Zum Vergleich: Die Autobauer BMW, Mercedes, Porsche und VW, denen Luxus auch nicht fremd ist, erreichen zusammen nicht einmal 300 Milliarden. In der Schweiz bringen es Richemont und die Swatch Group zusammen auf knapp 90 Milliarden Franken. Der Pariser Börsenindex CAC 40 ist in anderthalb Jahren anderen europäischen Indizes enteilt – wegen der Luxuswerte.
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Französische Firmen stehen für mehr als ein Drittel der globalen Umsätze der Top-100-Luxusfirmen, wie Analysten von Deloitte letztes Jahr errechnet haben, zudem würden die französischen Anbieter am dynamischsten wachsen. Das Land treibt den Luxusboom an, und der Luxusboom treibt das Land an.
Und obwohl Frankreich derart profitiert, spaltet der Luxus auch. Bei den grossen Demonstrationen gegen Macrons Rentenreform wird Unternehmen und ihren Kunden vorgeworfen, sich um Steuern zu drücken und den Ausverkauf der Republik zu betreiben. Im Brennpunkt: der Patron von LVMH. «Wenn ihr Geld braucht, um die Renten zu bezahlen, nehmt es aus den Taschen der Milliardäre, angefangen bei Bernard Arnault», so der Gewerkschaftsführer Fabien Villedieu.
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Aber auch jenseits der Proteste wächst bei vielen Franzosen das Gefühl, dass von den Werten, die die Geldmaschine Luxus schafft, bei den Leuten wenig ankommt.
Es ist einer der grossen Widersprüche Frankreichs: So gehört der Kult der maximalen Verfeinerung von Genuss und Handwerk zu einem Land, in dem das Bürgertum dem Adel die Privilegien abgenommen hat. Das Zeigen dieser Privilegien ist Teil der Tradition, ein Mittel, mit dem der Bürger seinen Sieg dokumentiert. Die Luxushersteller des Landes stehen in der Tradition von Jean-Baptiste Colbert, dem legendären Finanzminister Ludwigs XIV. und Urvater der französischen Industriepolitik. Colbert liess 1665 in dem wirtschaftlich ausgezehrten Königreich staatliche Manufakturen für hochwertigste Handwerksgüter errichten, deren Nachfolger zum Teil heute noch bestehen. Paris wurde zur Kapitale des Luxus.
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Obwohl Luxus tief in der Kultur des Landes verankert ist, wird seit jeher die öffentliche Präsenz von all dem Geschmeide und Reichtum als Angriff auf den egalitären Anspruch der Republik gesehen. In Zeiten, in denen viele Franzosen um ihre Kaufkraft fürchten und sie das Gefühl beschleicht, ihnen würden die Errungenschaften des Sozialstaats weggenommen, gilt das umso mehr. Bernard Arnault ist eine ideale Zielscheibe für diese Ängste.
Zumal Arnault lange Zeit selbst ein widersprüchliches Verhältnis zu seinem Land hatte. Einst pries er die radikalen Wirtschaftsreformen Ronald Reagans in den USA als Vorbild. «Frankreich ist tot», rief er zu Beginn seiner Karriere aus und lobte, dass in den USA der Profit zähle. «In Frankreich dagegen sind die Geschäfte vor allem mit Politik und Diplomatie befrachtet.»
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Tempel des Verschwenderischen: Das Stammhaus von Dior wurde 2022 in Paris neu eröffnet. Bernard Arnaults Tochter Delphine ist Chefin der Modemarke.
BloombergTempel des Verschwenderischen: Das Stammhaus von Dior wurde 2022 in Paris neu eröffnet. Bernard Arnaults Tochter Delphine ist Chefin der Modemarke.
BloombergViele Franzosen nehmen ihrem erfolgreichsten Unternehmer bis heute auch übel, dass er vor zehn Jahren um die belgische Staatsbürgerschaft ersuchte, offensichtlich um Steuern in Frankreich zu vermeiden. Heute aber spielt er ganz die patriotische Karte, den Patron de la France: Er stellt heraus, dass seine Manufakturen gerade in den strukturschwachen Regionen Jobs schafften, wo die Industrie verschwindet.
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Er betont, wie sehr es LVMH um die «soziale Frage» im Land gehe. Dass eine seiner Stiftungen jene in Arbeit bringe, die aus dem System gefallen sind. «Wir sind der grösste Steuerzahler in Frankreich und der grösste Beitragsleister für die Sozialkassen», rechnet er vor. «Ich höre immer, wir seien eine Schande Frankreichs, unsere Produkte seien unnütz», beklagt er sich. Würde er darauf hören und zumachen, würden mehr als 100 000 ihre Arbeit verlieren. «Urteilen Sie selbst», fügt er hinzu. Er will sich versöhnen mit seinem Land, will, dass es sieht, wie sehr die Luxuswirtschaft es in der Zeit des Zweifels stützen könnte.
Schon keimt im Land die Hoffnung, dass mit dem Luxusboom ein Gegenmodell zu den US-Digitalkonzernen Google, Amazon, Facebook und Apple (Gafa) entsteht. «Frankreich hat keine Gafa, aber die globalen Giganten des Luxus», trumpft der Pariser Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire auf. Bewertungen können schwanken, das haben die Gafa erfahren. Aber Luxushersteller haben im Gegensatz zu Digitalkonzernen eine Ertragskraft, die sich selbst durch ein neues Virus nur kurz und durch die Inflation bisher gar nicht beeindrucken lässt. Die Marke Louis Vuitton allein setzte 2022 mehr als 20 Milliarden Euro um, deutlich mehr als die Hälfte blieb laut Bain als Vorsteuergewinn.
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Ja, Arnault wird, nach allem, was bekannt ist, nicht laut. Er wahrt die Form, auch in der Schlacht. Seinen ungestümen Ehrgeiz aber hat der Mann auch im fortgeschrittenen Alter nicht modelliert. Er steht jetzt hinter dem Pult, kommt mit sparsamen Gesten auf die Erfolge des Jahresauftaktquartals zu sprechen, 17 Prozent plus beim Umsatz, zweistellig, mal wieder. «Gut, sehr gut, würde ich sagen», befindet er. Und erklärt: «Das ist erst der Anfang.» Der Luxusboom, der mehr als alles andere ein LVMH-Boom ist, wird weitergehen, heisst das. Auch wenn manche in der Branche unken, das Post-Corona-Verlangen nach Edelware werde bald gestillt sein. Nein, Bernard Arnault schreitet voran.
Bernard Arnault unterstützte die Wahl von Präsident Emmanuel Macron. Die beiden Familien sind eng verbunden.
ReutersBernard Arnault unterstützte die Wahl von Präsident Emmanuel Macron. Die beiden Familien sind eng verbunden.
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So sieht kein Mann auf dem Zenit aus. Sondern ein Mann, der weiterwill. Das von ihm gefundene Modell perfektionieren und ausbauen. So sieht der Mann aus, der die Vergänglichkeit selbst zum Duell fordert. Der vor Längerem schon den Tod als «das Grundproblem der Menschheit» benannt hat. Der vor einem Jahr hier in diesem Saal unter den Pariser Tuilerien die Altersgrenze für seinen CEO-Posten auf 80 Jahre hat anheben lassen.
Der andererseits fast zaghaft mit dem Generationswechsel begonnen hat.
Er hat seinen fünf Kindern die Kontrolle der Familienholding Agache übertragen. Dann übergab er dem Zweitgeborenen Antoine Arnault bei der Zwischenholding Christian Dior SE die Verantwortung. Und setzte die Erstgeborene Delphine Arnault Anfang des Jahres an die Spitze der Modemarke Dior, die einst ganz am Anfang von Arnaults Aufstieg stand.
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Delphine steht lächelnd am Rande, als der Vater die Honneurs macht. Antoine, der in jüngeren Jahren eine ordentliche Karriere als Pokerspieler gemacht hat, darf in seiner Nebenfunktion als Nachhaltigkeitsverantwortlicher des Konzerns aufs Podium und darüber sprechen, wie man die Ausbreitung von Wüsten im Tschad bekämpfe.
Nicht nur die zwei Erstgeborenen aus Arnaults erster Ehe haben Funktionen im Konzern. Auch die drei jüngeren Söhne: Der 31-jährige Alexandre führt die US- Schmuckmarke Tiffany, erst vor zwei Jahren als bisher grösste LVMH-Übernahme für knapp 16 Milliarden Dollar gekauft. Er erzählte oft, wie der Vater ihn – ebenso wie die Geschwister – von Kind auf zu samstäglichen Mystery-Shopping-Touren durch die Konzernboutiquen geschleppt habe. Frédéric (28) führt die Uhrenmarke TAG Heuer, Jean (25) darf sich seine Sporen als Entwicklungschef der Uhrensparte von Louis Vuitton verdienen.
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Die Arnaults bieten damit eine ganz eigene Mischung: Einerseits Arbeitsethos einer im Katholizismus verhafteten Familie, der sie zu zurückhaltendem Auftreten verpflichtet. Andererseits das ganze feudale Gepräge von dem wohl auch ihre Kunden träumen: ihre Schlösser, ihre Yacht, ihre Bahamas-Insel.
Antoine, der nach seiner Pokerkarriere das russische Model Natalia Vodianova heiratete und sich heute als Kunstmäzen zeigt. Zur Hochzeit von Alexandre in Venedig kamen Jay-Z, Beyoncé, Roger Federer und David Guetta. Die beiden Jüngsten hatten in der katholischen Privatschule Franklin im edlen 16. Arrondissement als Französischlehrerin Brigitte Macron. Die Gattin von Staatspräsident Emmanuel Macron liess sich stets gern von Louis Vuitton einkleiden, während Konzernchef Arnault dessen Kampagne mitfinanzierte. Delphine ist seit über zehn Jahren mit Tech-Milliardär Xavier Niel liiert, dem Paten der Pariser Start-up-Szene, der sein Vermögen zunächst mit Erotikangeboten, Peepshows und Sexshops aufbaute und gewissermassen den Konterpart zu Vater Arnault im Figurenpanorama der französischen Wirtschaft bildet.
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Öffentlich hat Bernard Arnault das Thema Nachfolge immer von sich gewiesen. Nur an einem lässt er keinen Zweifel: Es bleibt alles in der Familie. Der Mann, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, familiengeführte Firmen aufzukaufen und in Konzernstrukturen überzuführen, reklamiert für seinen Konzern besondere Regeln. «Das ist kein normales Unternehmen», sagt er seinen Aktionären. «Es ist ein Familienunternehmen.» Es sei an den Mitgliedern seiner Familie, dessen Schicksal zu bestimmen. Dem Aktionär biete sich die Chance, dass die Arnaults «diesen Familiengeist mit allen teilen».
«Arnault hat es planmässig vorbereitet», sagt Philippe Pelé-Clamour, der an der renommierten Wirtschaftsuni HEC als Spezialist für Familienunternehmen lehrt. «Alle fünf Kinder haben eine Konzernkarriere, alle bekamen dafür einen Mentor zur Seite gestellt, einen externen Konzernmanager, der immer an ihrer Seite war.» Es ist ein Teile-und-herrsche-Modell. Dass der Vater sich zurückzieht, steht vorerst nicht auf der Tagesordnung. Und dass es später ohne Konkurrenz abgeht, ist nicht sicher. Ist die Berufung der Ältesten schon ein Wegweiser? «Delphine ist ein Signal, aber keine Entscheidung», sagt der Professor.
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Bernard Arnault selbst war 25, als sein Vater ihm den Betrieb übergab: eine grosse Baufirma im nordfranzösischen Roubaix. Der Sohn mit besten Referenzen – Reiten, Tennis, Klavier – hatte die Heimat nur kurz für die Eliteuni École polytechnique verlassen.«Als ich die Polytechnique abgeschlossen hatte, hat er mir praktisch seine Firma übergeben», erzählte Arnault später. «So viel Wagemut hätten nur wenige Väter gehabt.»
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Bald darauf übte der Sohn zum ersten Mal den Bruch. Er überzeugte den Vater, das traditionelle Baugeschäft zu verkaufen und sich auf Immobilienentwicklung zu konzentrieren. 1981, François Mitterrand wurde zum ersten sozialistischen Staatspräsidenten gewählt, floh der junge Erbe mit Frau, Kindern und den Millionen nach New York. Er bezog ein Büro in der 45. Etage des Rockefeller Center und baute für 21 Millionen Dollar einen Apartmentturm im Immobiliendorado Florida. Doch die Episode war laut Biografen kein Erfolg: Arnaults Trupp hatte das Atomkraftwerk in der Nähe übersehen, die Zimmer waren zu klein für die Betten der Kunden, die Balkons zu eng, die Duschen nicht nach US-Geschmack. Auch zwei weitere Florida-Projekte floppten.
Immerhin hatte Arnault in Amerika wichtige Begegnungen. Er lief Donald Trump über den Weg, damals Immobilienentwickler. Und er traf regelmässig einen anderen Mitterrand-Flüchtling, den Statthalter der Lazard-Bank, der sein Büro auch im Rockefeller Center hatte. Der brachte ihn mit Antoine Bernheim zusammen. Bernheim, Chef der einflussreichen Bank, gilt als «Königsmacher» («Le Figaro») und «Pate des französischen Kapitalismus» («Le Monde»). Er wurde eine entscheidende Stütze beim Aufstieg Arnaults.
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Den ersten Schritt verdankte Arnault ausgerechnet jener sozialistischen Regierung, vor der er geflohen war, die aber ihrerseits inzwischen eine Kehrtwende hingelegt hatte. Die Regierung suchte einen Käufer für den in Schieflage geratenen Textilkonzern Boussac mit 30 000 Beschäftigten, und sie entschied sich – trotz Konkurrenten – für den No-Name-Kandidaten Arnault, obwohl der kaum Eigenkapital mitbrachte. Aber er versprach, alle Konzernteile zu erhalten – eine Zusage, die er bald brach. Arnault war nur an der Perle von Boussac interessiert, der Traditionsmarke Dior. Sie ist (neben dem Kaufhaus Bon Marché) alles, was er behält – er ist gerade 35 Jahre alt.
Am Beispiel von Dior beschrieb er sein Prinzip. Eine Legende, klar, aber kurz davor, zur Institution zu erstarren. Die Methode: aus dem Mythos extrahieren, was man zur «kreativen Speerspitze beim Vorstoss in die aktuelle Mode» schmieden könne. Dior lebte auf.
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Nach dem Schwarzen Montag 1987 startete er den nächsten Coup. Er kaufte billig Aktien von LVMH auf. Die fusionierte Gruppe aus dem Edelalkohollieferanten Moët Hennessy und dem Kofferbauer Louis Vuitton hatten deren Eignerfamilien kurz zuvor gebildet, um eine feindliche Übernahme zu verhindern. Doch jetzt unternahm Arnault genau diese. Bis er Anfang 1989 das Unternehmen beherrschte. Schon in diesen späten 1980er Jahren beschrieben Chronisten einen unglaublichen Luxusboom, angetrieben durch all das Kapital aus der Ära der Angebotspolitik. Zehn Jahre hatte sich Arnault nach dem Kauf von Boussac gegeben, um den weltgrössten Luxuskonzern zu schaffen. Vier Jahre später war er am Ziel.
Die Zeit seither wurde eine Periode weiterer, überwiegend friedlicher Übernahmen, stetigen Wachstums und der forcierten Globalisierung. 1992 eröffnete Arnault den ersten Laden in Peking, in einem Hotel, in dem es keinen Strom gab und an dem mehr Fahrräder als Autos vorbeifuhren. Von zehn Marken wuchs das Unternehmen auf heute 75, die Aktie verhundertfachte ihren Preis mehrfach, Arnault ist und bleibt die Nummer eins.
Er zahlte früh, etwa 1994 beim Parfümeur Guerlain, Preise, die als hoch galten, sich später aber als lohnende Investitionen erwiesen. «Sein Ziel ist die Ableitung des Wachstums», sagt der Ex-Journalist Yves Messarovitch, der vor über 20 Jahren ein Interviewbuch mit Arnault machte, bis heute eine der raren Selbstäusserungen des LVMH-Patrons. «Er ist Mathematiker», ergänzt Messarovitch. Er könne gewissermassen die Kurve berechnen, mit der Wachstum steiler und steiler wird.
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Die enge Partnerschaft mit der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama gipfelt 2023 in der übergrossen Figur zwischen Louis-Vuitton-Laden und dem Kaufhaus La Samaritaine in Paris.
imago/ABACAPRESSDie enge Partnerschaft mit der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama gipfelt 2023 in der übergrossen Figur zwischen Louis-Vuitton-Laden und dem Kaufhaus La Samaritaine in Paris.
imago/ABACAPRESSAndere versuchten, es ihm nachzutun, allen voran die Schweizer Richemont-Gruppe (Cartier). Legendär ist das Duell Arnaults mit dem Handelsmilliardär François Pinault um die Marke Gucci, das mehr als zwei Jahre dauerte, Milliarden kostete – und das Arnault schliesslich verlor. Pinault formte die Kering-Gruppe, die aber deutlich kleiner geblieben ist als LVMH.
Eine andere Schlacht lieferte sich Arnault ab 2010. Er hatte sich verdeckt beim Konkurrenten Hermès eingekauft und versprach nun, seine LVMH-Erfahrung bei dem Leder- und Seidenspezialisten einbringen zu wollen. Da wurde es unfranzösisch. Hermès-Chef Patrick Thomas polterte: «Wenn man eine schöne Frau verführen will, sollte man vielleicht nicht damit beginnen, sie von hinten zu vergewaltigen.» Arnault musste sich zurückziehen. Vor schmutzigen Methoden schreckte er auch nicht zurück, als er einen Geheimdienstler des Präsidenten Nicolas Sarkozy einspannte, um Informationen über einen Mitarbeiter zu sammeln. Oder als 2016 in Frankreich der Dokumentarfilm «Merci patron!» über Arnault aufdeckte, dass manche Edelprodukte nicht aus Frankreich, sondern aus Fabriken in Polen, Asien und Madagaskar kamen. Arnault, der die Wirtschaftszeitung «Les Echos» und den «Parisien» besitzt, unterband, dass seine Journalisten über den Film berichteten, selbst als der den nationalen Filmpreis César erhielt.
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Köln-Ossendorf: In dem Industriegebiet am Nordwestrand der Stadt sieht nichts nach Luxus aus. Hier vollzieht sich aber, wie LVMH Marken macht. Der Kofferhersteller Rimowa war 2017 die erste deutsche Firma im Reich des Arnault-Konzerns. Mit seiner Beteiligungsholding stieg Arnault zwar später beim Sandalenhersteller Birkenstock und beim Berliner Start-up Razor ein. Doch solche Investments finden ausserhalb des Luxusreichs statt.
In Köln löste die Ankunft der Pariser Profis einen Kulturschock aus, der teils bis heute andauert. Um ihn etwas abzufedern, zahlte die Firmenmutter Mitarbeitenden einen Französischkurs. Alexandre Arnault, 24-jährig als CEO entsandt, drehte mittags gern joggenderweise eine Rheinrunde mit deutschen Kräften, um ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Was LVMH ausserdem mitbrachte: Prozesse, Berichtswesen und Manager, die per Zug einschweben, um dann wieder nach Paris zu entschwinden, wie Mitarbeiter berichten. Zuvor waren sie es gewohnt, dass Eigner Dieter Morszeck montags früh mit neuen Ideen hereinkam, die die Ingenieure dann abzuarbeiten hatten. Man habe Morszeck schon zwei Jahre vor dem Verkauf auf die Weingüter der Familie eingeladen, erzählte Alexandre später über das Anbandeln der Arnaults mit der Koffermarke. Der Besuch fand statt, ohne dass die Arnaults nur ein Sterbenswörtchen über ihr Kaufinteresse sprachen. Als er dann Anteile abgeben wollte, wusste der Eigner gleich, wen er anrufen konnte. Und als verkauft war, wurde er, der zunächst an Bord geblieben war, dann rasch ausgebootet.
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Abgesehen von der Konzernlogik brachte LVMH viel Kapital nach Köln, was dem Unternehmen über die Corona-Pandemie half und ermöglichte, neue Märkte zu erschliessen: Australien, Dubai, Malaysia, aber auch in China und Amerika eröffneten viele zusätzliche Läden.
Farbige Designerkoffer von Stars aus dem LVMH-Universum, Handyhüllen, Handtaschenwürfel aus gerilltem Aluminium, sogar weiche Rucksäcke und Laptoptaschen – all das irritiert Altgediente, soll aber die Marke im Gespräch halten. Der heutige Chef Hugues Bonnet-Masimbert hat einst als Verkäufer in einem Frankfurter Laden seine LVMH-Karriere begonnen. So habe er die Konzernprinzipien von Grund auf verstanden, sagt Bonnet-Masimbert. «Es gibt kein LVMH-Rezept», beteuert er. «Wir verfügen über ein hohes Mass an Autonomie.» Etwa bei der Verbesserung der Produkte. Da hat der Chef schon seinen Qualitätsfetischismus ausgelebt.
Er demonstriert es an einem Alukoffer. Der Griff knallt beim Loslassen mit einem hohlen «Plopp» auf den Kofferkorpus. Das darf nicht sein, findet Bonnet-Masimbert. «Gemeinsam mit dem Team arbeiten wir stetig an möglichen Verbesserungen.» Bald kommt die neue Serie, dann senkt sich der Koffergriff gefedert, das Geräusch war einfach zu billig für ein Luxusprodukt.
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Zurück nach Paris, wo laut den Bain-Zahlen allein mehr Geld mit Luxus umgesetzt wird als in ganz Deutschland. Arnault hat der Stadt in den letzten Jahren so sehr seinen Stempel aufgedrückt, dass sich manche schon an Napoleon III. erinnert fühlen. An einigen Ecken sieht die Hauptstadt aus wie ein Freizeitpark für Edelkonsumenten.
An der alten Stadtbrücke Pont Neuf erfand der Luxus-Imperator vor zwei Jahren das Art-déco-Kaufhaus La Samaritaine und ein ganzes Viertel neu. In dem, was Warenhaus blieb, ist ein modischer Tempel des neuen Luxus entstanden. Zur Seine-Seite öffnet sich das Spitzenhotel Cheval Blanc, auf dessen schicker Dachterrasse man einen Espresso für neun Euro und dabei den Blick über die Stadt geniessen kann.
Auf der Verlängerung der Brücke zwischen Kaufhaus und dem riesigen Louis- Vuitton-Laden nebenan hat LVMH eine drei Stockwerke hohe Inkarnation der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama platziert, deren Motive die Marke zurzeit auf Kleider und Taschen druckt. Am linken Seine-Ufer prägt das alte Arnault-Kaufhaus Bon Marché ein teures Einkaufsviertel. Zurück auf der anderen Seine-Seite liegt nahe den Champs-Élysées die Konzernzentrale in einem Zweckbau im Triangle d’Or, dem teuersten Geschäftsviertel der Hauptstadt – neben einem weiteren Vuitton-Laden und nicht weit vom unlängst neu eröffneten Dior-Stammhaus samt Markenmuseum und Suite, deren Gast für 35 000 Euro pro Nacht das Recht erwirbt, hier ungestört allein einkaufen zu dürfen. Den Champs-Élysées folgend, weht über dem markanten Louis-Vuitton-Flaggschiffladen, an dem traditionell chinesische Touristinnen anstehen, eine zum LV-Logo entstellte Trikolore. Solchen Umgang mit nationalen Symbolen kann sich im Land nicht jeder erlauben.
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Ganz im Westen folgt die Fondation Louis Vuitton, in der Arnault seine Kunstsammlung zeigt. Seine Aktivität als Sammler und Stifter lässt der Patron gerne mit dem Wirken der Medici vergleichen. Doch es ist nicht reine Kunstsinnigkeit, wie man zum Beispiel bei dem grenzenlosen Luxusmerchandising mit Kusama-Kunst auf seiner Handelsware sehen kann. Auf der Hauptversammlung frohlockt der Chef in einem Atemzug über die Kusama-Motive («emblématique»), die neuen Entwürfe des Musikers Pharrell Williams, als Nachfolger von Virgil Abloh Chefdesigner der LV-Männermode («sieht sehr interessant aus») und darüber, welchen Push die Ausstellung der Malerin Joan Mitchell in der Fondation Louis Vuitton deren Bildern auf dem Kunstmarkt verschafft habe.
Auf der Dachterrasse seines Ausstellungsgebäudes hat der LVMH-Chef eine Plakette anbringen lassen. Hier hätten Bernard Arnault und Architekt Frank Gehry herübergeschaut zum alten Pariser Vergnügungspark. Arnault habe erzählt, dass Marcel Proust dort unten als Kind gespielt habe. Gehry, heisst es dann, habe daraufhin Tränen in den Augen gehabt.
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Ach ja, der Vergnügungspark gehört übrigens inzwischen auch zu Arnaults Reich.
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