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Konjunktur

Das gefährliche Spiel mit der Inflation

Die Notenbanken setzen auf eine vorübergehende Teuerung. Eine riskante Wette. Geht sie schief, gibt es viele Verlierer.

Erich Gerbl

Die Vernichtungsmaschine, rechts der Spalt, wo durch Wasserdampf und mit dem Messer das Papiergeld vollstaendig zermalen wird.

SCHULDENBERGE Hoch verschuldete Zombie-Firmen stehen Zinserhöhungen im Weg.

Keystone .

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Nächste Woche werden die Güggeli teurer», bereitet der Grilleur beim Güggeli-Express am Fuss des Uetlibergs in Zürich die Kunden vor. Der Foodtruck-Betreiber gibt höhere Preise für Futtermittel und Verpackungen weiter. Steigende Preise treffen nicht nur Liebhaber von gegrilltem Hühnerfleisch – sie sind ein weitverbreitetes Phänomen. Der irische Stromversorger SSE Airtricity etwa meldete bereits die dritte Preiserhöhung in diesem Jahr: Um rund 300 Euro wird die Energie je Haushalt teurer.

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In den USA schossen die Preise für Occasionen wegen der bis zu einjährigen Lieferfristen bei Neuwagen um über 30 Prozent in die Höhe. In Bangladesh ist die Cotton Association über steigende Rohstoffpreise besorgt. Bei Reedereien wie Mærsk und Hapag-Lloyd verdoppelten sich die Containerpreise in wenigen Monaten. In China legten die Erzeugerpreise um 13,5 Prozent zu – der grösste Zuwachs seit 26 Jahren. Fast die Hälfte aller US-Unternehmen planen, ihre Preise in naher Zukunft anzuheben, mehr als je zuvor.

Aus den vielen Mosaiksteinchen entsteht ein eindeutiges Bild: Die bereits totgesagte Inflation zeigt sich so lebendig wie lange nicht mehr. In den USA stiegen die Verbraucherpreise im Oktober um 6,2 Prozent, so stark wie zuletzt vor 31 Jahren. In der Eurozone schoss die Teuerung auf ein Allzeithoch von 4,1 Prozent. Auch in der Schweiz steigen die Preise, aber mit 1,2 Prozent noch überschaubar.

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«Die Inflation, die wir so lange nicht kannten, ist mindestens temporär zurück», sagt Reto Föllmi, Wirtschaftsforscher an der HSG. Die Notenbanken, ihres Zeichens Hüter der Preisstabilität, geben sich entspannt. Die Inflation sei nur vorübergehend, ein Ergebnis des hohen Ölpreises und der im Covid-Chaos durcheinandergeratenen globalen Lieferketten. «Transitory» sei sie, also quasi auf der Durchreise. Sobald sich alles wieder eingespielt habe, gehe die Inflation zurück, wahrscheinlich schon im nächsten Jahr.

Absehbarer Preisschub

Fast jedes zweite US-Unternehmen plant, die Preise für seine Produkte zu erhöhen.

Fast jedes zweite US-Unternehmen plant, die Preise für seine Produkte zu erhöhen.
National Federation of Independent Business, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management, Stand: 12. November 2021.
Fast jedes zweite US-Unternehmen plant, die Preise für seine Produkte zu erhöhen.
National Federation of Independent Business, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management, Stand: 12. November 2021.

Die Akteure an den Finanzmärkten scheinen an die Version der Notenbanken zu glauben. Die Zinsen der Anleihen zogen nach der Bekanntgabe der Rekordinflation in den USA nur leicht an. Die Aktienmärkte zeigten sich gänzlich unbeeindruckt und eilen von Rekord zu Rekord. Eine Zukunft, in der die Zinsen schnell steigen und sowohl Anleihen als auch Aktien zusetzen, erscheint zwar als ernst zu nehmende Gefahr. «Im Moment kommt viel zusammen. Aber die treibenden Kräfte werden schwächer. Bis Mitte des nächsten Jahres sollten sich die hohen Inflationsraten allein schon wegen der Basiseffekte erledigt haben», sagt Andreas Billmeier, Europa-Volkswirt von Western Asset Management.

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Löhne entscheiden alles

Die Chancen, dass Billmeier und die Währungshüter recht behalten und der Inflationsspuk so rasch wieder vorbeigeht, wie er aufgetaucht ist, sind intakt. Doch es gibt Argumente, die dagegen sprechen und dass es in vielen Ländern zu einer längeren Phase mit höheren Inflationsraten kommt.

Einer, der an eine Renaissance der Inflation glaubt, ist Stefan Risse. Er ist Kapitalmarktstratege beim renommierten deutschen Vermögensverwalter Acatis. Risse hat das Problem früh kommen sehen und im Frühjahr das Buch «Die Inflation kommt» herausgebracht. Er glaubt nicht nur, dass sie kommt, sondern auch, dass sie bleibt. «Die Inflationstreiber sind vielfältig und dauerhaft», sagt Risse.

Die Energiewende sei einer dieser Treiber. Von «Greenflation» ist die Rede. Unternehmen müssen die Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsmodelle integrieren. In einem Kraftakt versucht die Welt, die Klimaerwärmung noch in den Griff zu bekommen. Metalle wie Kobalt, Nickel, Zinn oder Kupfer finden nicht nur in Batterien Verwendung, sondern auch in Stromtrassen und Elektroautos. In einem E-Auto wird viermal so viel Kupfer verbaut wie in einem Verbrenner. Die CO2-Steuern werden weltweit nach oben geschraubt. Stefan Risse: «Die Energiewende kostet Geld und treibt die Preise.»

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Hinzu kommt der aktuelle Bauboom. In den USA wird die marode Infrastruktur für 2000 Milliarden in Form gebracht. Die Erneuerung von 20'000 Meilen Strasse und 10'000 Brücken sind ein Teil davon.

Wie anhaltend das Inflationsproblem sein wird, entscheiden die Löhne. Setzt sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, wird es ungemütlich. Löhne steigen, weil die Preise höher sind; die Preise ziehen an, weil die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen durchbringen. Die Inflation schaukelt sich so unkontrollierbar hoch. Salärsteigerungen sind besonders heikel, weil sie «sticky» oder «klebrig» sind. Denn ist die Gehaltserhöhung – wie etwa Zahnpasta – erst einmal draussen, ist es sehr schwer, sie wieder zurückzunehmen.

VERSCHENKT Wie in den 1920er Jahren in Deutschland pumpten die USA jüngst über Barschecks Liquidität direkt zu den Konsumenten.

VERSCHENKT Wie in den 1920er Jahren in Deutschland pumpten die USA jüngst über Barschecks Liquidität direkt zu den Konsumenten.

picture-alliance / akg-images
VERSCHENKT Wie in den 1920er Jahren in Deutschland pumpten die USA jüngst über Barschecks Liquidität direkt zu den Konsumenten.

VERSCHENKT Wie in den 1920er Jahren in Deutschland pumpten die USA jüngst über Barschecks Liquidität direkt zu den Konsumenten.

picture-alliance / akg-images

Das gilt vor allem für den Mindestlohn. In den USA soll dieser bis 2025 auf 15 Dollar je Stunde steigen und sich dabei mehr als verdoppeln. In Deutschland dürfte mit der neuen Regierung eine Erhöhung des Mindestlohns von 9 auf 12 Euro pro Stunde kommen. Mit mehr Geld für Geringverdiener versuchen die Machthaber, der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Anders als Hochqualifizierte konnten wenig Qualifizierte nicht von der Globalisierung profitieren. Im Gegenteil: Viele ihrer Jobs gingen an noch billigere Arbeitskräfte in Niedriglohnländern verloren.

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Unterdessen stiegen die Mieten vor allem in Ballungszentren deutlich an. «Der Wohlstand ist relativ gesehen gesunken», sagt Stefan Risse. Gleichzeitig haben wohlhabendere Menschen in Aktien und Immobilien investiert und von der enormen Vermögenspreisinflation profitiert. Die Schere ging so immer weiter auf. Die Erfolge von Populisten wie Donald Trump oder Matteo Salvini erklären sich so. «Die Löhne der weniger Qualifizierten müssen steigen, sonst war der Sturm aufs Capitol nur ein Vorgeschmack dessen, was kommen wird», sagt Risse.

Hang zur Deglobalisierung

Dass die Preise in den vergangenen Jahren trotz der ultralockeren Geldpolitik am Boden blieben, lässt sich vor allem mit der Einbeziehung von Heerscharen an billigen Arbeitskräften aus Asien oder Osteuropa erklären. Über die verlängerte Werkbank wird dort mit einem Bruchteil der Personalkosten produziert. Doch das scheint sich nun zu ändern. «Der Trend kippt», sagt Risse. Der im Handelskrieg zwischen China und den USA losgetretene Hang zur Deglobalisierung wurde in der Covid-Krise noch verstärkt. Abhängigkeiten von weit entfernten Herstellern wurden zum Problem und werden hinterfragt.

Zudem drehen globale demografische Prozesse. In China rächt sich die bis 2016 geltende Einkindpolitik. Im Westen gehen die Babyboomer in Rente, die Menschen im arbeitsfähigen Alter werden weniger. «Die Arbeitskraft wird knapper und damit teurer», sagt Risse. Verdiente ein US-Arbeiter im Jahr 2000 noch 35-mal so viel wie ein chinesischer, ist es heute das Fünffache.

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Von null auf sechs Prozent

 Die Inflation der Konsumentenpreise in den USA hat seit Mitte 2020 merklich angezogen.

 Die In?ation der Konsumentenpreise in den USA hat seit Mitte 2020 merklich angezogen.
Bloomberg, Stand: 17. November 2021
 Die In?ation der Konsumentenpreise in den USA hat seit Mitte 2020 merklich angezogen.
Bloomberg, Stand: 17. November 2021

Die bereits totgesagten Theorien der Monetaristen um Milton Friedman sind im Umfeld der schwindenden deflationären Kräfte neu zu bewerten. Im Kampf gegen die Covid-Krise wurde die mit Liquidität ohnehin bereits geflutete Welt noch einmal mit Geld überschüttet. Und anders als in der Finanzkrise kommt das Geld auch bei den Bürgern an. Die US-Regierung warf ein Viertel des BIP als Barscheck in die Briefkästen ihrer Bürger ein. Die Einkommen der US-Amerikaner stiegen im Vorjahr so um 13 Prozent – der grösste Zuwachs seit Beginn der Aufzeichnungen.

Dass eine steigende Geldmenge unweigerlich zu Inflation führt und Friedman recht behält, glaubt John Greenwood. Der Brite ist Chefökonom von Invesco, einem Vermögensverwalter mit Anlagen von 1,5 Billionen Dollar. Als er in den 1970ern an der Tokyo University forschte, erlebte er hautnah mit, wie die Preise in der Ölkrise in die Höhe schossen. Doch Greenwood ist davon überzeugt, dass es weniger die Ölpreise waren, welche die Inflation in Japan 1974 auf bis zu 24 Prozent trieben, sondern vielmehr das viele Geld, das die Notenbank zur Bekämpfung der Krise ins System pumpte. Bei der zweiten Ölkrise 1979/80 hatte Japan aus den Fehlern gelernt und druckte weniger Geld. Die Inflation stieg nur auf damals moderate sieben Prozent.

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«Die Notenbanken liegen falsch. Die Engpässe sind nicht der Grund für die Inflation, das wissen wir aus den Erfahrungen mit Japan in der Ölkrise», so Greenwood. Die Fed mache jetzt die gleichen Fehler wie in der Hochinflationsphase in den 1970ern. Auch damals habe sie die Inflation als «Rauschen» abgetan, das in keinem Zusammenhang mit der Geldmenge stehe. Wartet man als Notenbank zu lange zu, besteht laut HSG-Professor Reto Föllmi die Gefahr, dass die Inflation durch Zweitrundeneffekte steige. «Dann bleibt sie länger da und ist schwerer bekämpfbar», sagt er.

Selbst wenn die geldpolitischen Zügel jetzt gestrafft würden, ist gemäss Greenwood exzessive Liquidität im System. Es dauere mindestens zwei Jahre, bis das überschüssige Geld verdaut sei. Er prognostiziert in dieser Zeit in den USA jährliche Inflationsraten von sechs bis sieben Prozent. Das ist weit weg von Hyperinflation, aber eine enorme Belastung für risikoaverse Sparer. Bei Inflationsraten von sieben Prozent und einem Zins von null halbiert sich die Kaufkraft der Ersparnisse in zehn Jahren. Laut Greenwood werden solche Inflationsraten in Ländern mit überschüssiger Liquidität wie den USA, Israel oder Grossbritannien zum Problem. In Japan, der Schweiz und China sei so gut wie keine exzessive Liquidität geschaffen worden. Dort seien die Inflationsgefahren gering.

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Foto: Getty Images

Die Schweiz scheint in Sachen Teuerung eine Insel der Seligen zu sein. Im Oktober stiegen die Preise zum Vorjahr um 1,2 Prozent. Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat eine Waffe, um die Teuerung zumindest in Teilen zu bekämpfen. «Entsteht Inflationsdruck, lässt die SNB den Franken aufwerten. Mit den Importpreisen sinkt der Inflationsdruck», sagt HSG-Experte Reto Föllmi. Rohstoffe und Vorleistungen können so günstiger eingekauft werden. Doch da die SNB den Franken nur begrenzt aufwerten kann, ist der Spielraum beschränkt.

Auch wenn es in der Schweiz offiziell kaum Inflation gibt, ist Adrian Wenger täglich mit wachsenden Preisen konfrontiert. «Selbst in abgelegenen Gegenden steigen die Immobilienpreise zwischen 50 und 100 Prozent. Das lässt sich nicht mehr erklären», wundert sich der Immobilienexperte des VZ VermögensZentrums. Einer von Wengers Kunden baute eine Luxuswohnung für sieben Millionen Franken.

Noch bevor der Bau zu Ende war, hatte er sie für rund zehn Millionen verkauft und in einem Jahr so über zwei Millionen Gewinn gemacht. «Im Immobilienbereich ist die Inflation definitiv spürbar», sagt Wenger. Dass sich Schweizer Immobesitzer auf rasant steigende Hypozinsen einstellen müssen, glaubt er jedoch nicht: «Die Zinsen steigen in der Schweiz wenig bis gar nicht.» Bevor der Leitzins in der Schweiz nach oben klettert, müsste er dies in der Eurozone tun, und das ist bei hoch verschuldeten Südländern wie Italien schwer möglich.

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Toxisches Zinsniveau

«Wer hohe Inflation erwartet, muss sich mit der Hypothek möglichst lange binden oder noch weiter denken und die Immobilie verkaufen», sagt Wenger. Denn würden die Zinsen mit der Inflationin der Schweiz tatsächlich in die Höhe schnellen, wären sie rasch auf toxischem Niveau. Wenger: «Bei Hypozinsen von vier Prozent entstünde auf dem Immobilienmarkt ein grosser Verkaufsdruck, und die Preisspirale würde sich in die Gegenrichtung drehen.» Neu-Eigentümer kennen Hypozinsen nur mit einer Null vor dem Komma. Ändert sich das, würden viele schnell verkaufen.

Ein Kind spielt mit einem Drachen aus Geldnoten

SPIELERISCH Im Unterschied zu 1923 trifft das viele Geld auf ein grosses Angebot.

Hulton Archive/Getty Images
Ein Kind spielt mit einem Drachen aus Geldnoten

SPIELERISCH Im Unterschied zu 1923 trifft das viele Geld auf ein grosses Angebot.

Hulton Archive/Getty Images

Sich mit Immobilien vor hoher Inflation zu schützen, funktioniert in der Schweiz also nur bedingt. Als «Inflations-Hedge» raten Experten neben Immobilien für gewöhnlich zu Sachwerten wie Rohstoffen, Edelmetallen oder Aktien. In Rohstoffe und damit die Preistreiber selbst zu investieren, macht zur Absicherung grundsätzlich Sinn. Mitunter hohe Schwankungen müssen jedoch ertragen werden. Gold hat sich als sehr langfristiger Inflationsschutz bewährt. Für eine Unze Gold bekam man im römischen Reich eine Tunika, heute einen Anzug.

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Vermehrt wird Gold durch Bitcoin ersetzt. Die Verfügbarkeit ist begrenzt, die Schwankungen sind aber enorm. In den 1970er Jahren waren Goldminenaktien noch stärker gefragt als Gold selbst. «Goldminenaktien sind ein wenig wie ein Optionsschein. Die Produktionskosten stellen den Basiswert dar», sagt Stefan Risse. Aktien fallen unter die Kategorie Sachwerte und bieten trotz ihrer Schwankungen Inflationsschutz. Das gilt vor allem für Unternehmen, die in der Lage sind, höhere Kosten an ihre Kunden weiterzureichen.

Die jüngste Aktienhausse stand wohl bereits im Zusammenhang mit den höheren Inflationsraten. Weltweit sucht immer mehr Geld nach einer beschränkten Zahl von Anlagen. Während sich die Geldmenge in den USA seit 2000 verfünffachte, ging die Zahl der börsenkotierten US-Firmen in dieser Zeit von über 7000 auf unter 5000 zurück. Selbst die kotierten Firmen haben die Zahl der Aktien durch Rückkäufe verknappt.

Obligationen sind bei steigenden Zinsen ein schlechtes Geschäft. In den Kursen inflationsgeschützter Anleihen sind höhere, aber noch nicht sehr hohe Teuerungsraten eingepreist. Liegen die Notenbanken falsch, machen Investoren zumindest mit dieser Anlage ein gutes Geschäft.

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Erich Gerbl

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