Guten Tag,
Die Verantwortlichen des CS-Debakels taumelten in die Krise. Ab Mitte November bereiteten sie die UBS-Lösung vor – als Notfallszenario.
Die Krisenmanager: Prinzip Hoffnung: Axel Lehmann (CS), Ueli Maurer (Bundesrat), Marlene Amstad (Finma) und Thomas Jordan (Nationalbank; oben v.l.). Teilnehmende Beobachter: Colm Kelleher und Sergio Ermotti (UBS; unten v.l.).
Illustration: Anselm M. Hirschhäuser / Kombinatrotweiss für BILANZWerbung
Die neue Führung unter Axel Lehmann und Ulrich Körner arbeitete fieberhaft an dem neuen Plan. Doch schon die Ankündigung entpuppte sich als strategischer Fehler: Für den rund um die Uhr nach neuen Reizen gierenden globalen Newsfluss war die angekündigte Zeitspanne viel zu lang. Drei Monate – im Social-Media-Zeitalter eine Ewigkeit. Die Chefs, so sollte sich zeigen, hatten sich selbst eine Falle gestellt.
Nach Körners Antritt Ende Juli 2022 häuften sich zwangsläufig die Anfragen der internationalen Leitmedien, von Bloomberg bis zum «Wall Street Journal». Doch der neue Chef lehnte alles ab. Sein einziger Medienauftritt war ein kurzes Gespräch, das er BILANZ gewährte, mit späterem Fototermin. In dem Porträt erfuhr die Leserschaft Persönliches: Er stammte aus einer wohlhabenden deutschen Ärztefamilie, hatte mit dem Eliteinternat Zuoz, der Hochschule St. Gallen und McKinsey einen sehr traditionellen Karrierepfad eingeschlagen, bestritt gerne Rallyes mit eigenen Oldtimer-Preziosen und ging in Österreich in seinem eigenen Wald jagen. So viel Information musste erst mal reichen.
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Doch die Märkte zu beruhigen, Goodwill in den internationalen Finanzmedien für schlechte Zeiten zu schaffen – all das stand nicht auf der Agenda. Körner durchlief auch ein Medientraining und trat später durchaus passabel bei den grossen Finanzmedien wie CNBC auf. Doch am Anfang war er komplett abgetaucht. Dass da Zeit blieb für eine Klage gegen das Zürcher Finanzportal «Inside Paradeplatz», war schon fast bizarr.
Besonders die Verhandlungen mit der Finma verliefen zäh. Die Aufseher zählten es nicht zu ihren Aufgaben, die Strategien der von ihr überwachten Banken festzulegen. Die Pläne, die die CS vorlegte, klopften die Kontrolleure vor allem in Hinblick auf zwei Kennziffern ab: Kapital und Liquidität.
Und da tauchte ein spezielles Problem auf: Das verschachtelte Konstrukt der CS mit einem Stammhaus und verschiedenen Töchtern führte dazu, dass bei einem Verkauf von bestimmten Teilen der Kapitalbedarf stieg. Die Bank wollte etwa ihre Securitized-Products-Sparte komplett an Apollo verkaufen. Doch weil dadurch die Einnahmen im Stammhaus gesunken wären, hätte es mehr Kapital gebraucht.
Lehmann und Körner baten die Finma inständig um eine temporäre Ausnahmebewilligung. Doch die Aufseher blieben hart. Schon für einen Teilverkauf der Sparte und eine Auslagerung von Positionen in Höhe von 35 Milliarden Franken in eine Abwicklungseinheit, so der Entscheid der Berner Aufseher, sei eine Kapitalerhöhung von vier Milliarden Franken nötig.
Doch weil die Aktie an der Börse zu nicht einmal einem Fünftel ihres Buchwerts gehandelt wurde, war schon eine Aufnahme in dieser Höhe eine Kamikaze-Übung. Wenn die Bank wie anfangs geplant noch stärker abgebaut hätte, hätte sie noch mehr Kapital aufnehmen müssen – undenkbar.
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Was weder Finma noch die CS-Oberen genügend in ihr Kalkül einbezogen: die verheerenden Marktreaktionen, die eine derartige Massnahme auslösen würde. Erfahrene Finanzmarktprofis wie die Ex-CS-Chefs Oswald Grübel oder Brady Dougan hätten die Kapitalerhöhung unter diesen Umständen auf keinen Fall durchgezogen. Grübel sollte sie hinterher öffentlich auch heftig kritisieren.
Die Planungen liefen im August und September hinter den Kulissen. Doch weil die CS-Chefs nichts kommunizierten, füllte sich das Vakuum in der medial überhitzten Zeit selbst. Bloomberg brachte am 16. September die Meldung, dass die Bank die Revitalisierung des Markennamens First Boston plane, und berichtete von einem Townhall Meeting in New York, bei dem nicht etwa CEO Körner, sondern die Verwaltungsräte Michael Klein und Blythe Masters den Mitarbeitern von dem Plan der Abspaltung berichteten. Für die Krisenindikatoren Kurs und CDS-Spreads war das nicht relevant. Sie bewegten sich kaum.
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Das änderte sich eine Woche später: «Exclusive: CS is sounding out investors for a capital increase», meldete Reuters am 23. September. Dass die Bank bei Investoren eine Kapitalerhöhung auslotete, war für den Kurs der erwartbare Schock. Er gab um mehr als 20 Prozent nach, die CDS-Spreads schossen in die Höhe. Es war aber auch ein klares Signal an die CS-Lenker: Der Markt will diese Kapitalerhöhung nicht. Doch sie blieben stur.
Es war in diesem Umfeld, als ein Journalist namens David Taylor in Melbourne am Samstag, dem 1. Oktober, einen Tweet absetzte. «Credible source tells me a major international investment bank is on the brink», schrieb er um 19.09 Uhr australischer Zeit. Taylor kommentierte seit mehr als zwanzig Jahren in Australien die Aktualität, seit 2011 arbeitete er für den öffentlichen Nachrichtensender ABC News. Grosse Wellen hatten seine Kommentare bis dahin nicht geworfen. Doch dieses Mal war alles anders. Vor allem in spezialisierten Finanz-Chatrooms brach ein Sturm los.
Besonders bedrohlich für die CS: Obwohl Taylor sie gar nicht erwähnt hatte, wurde sie als Hauptziel ausgemacht. In dem Forum «Wallstreetbets», dem 13,7 Millionen Menschen folgten, wurde die Geschichte gross aufgegriffen. «Credit Suisse is fckd», schrieb ein anonymer Nutzer. Der Bankchef heisse Lehmann – und lautete der Name der Pleitebank von 2008 nicht Lehman Brothers?
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Die Hektik schaukelte sich hoch. Taylors Tweet wurde auf noch mehr Netzwerken verbreitet, zusammen mit zahlreichen weiteren Spekulationen, Gerüchten, Falschmeldungen zur Credit Suisse. Die Zahl der Posts mit dem Hashtag #CreditSuisse vervielfachte sich auf Twitter innert Stunden. Etablierte Finanzplattformen wie Investing.com griffen Taylors Tweet auf, jedoch ohne die Information zu verifizieren. Und Taylor hatte ja die Credit Suisse gar nicht erwähnt.
Einzige mögliche Alternative: die Deutsche Bank. Doch die CS war die einzige Bank, die trotz hochnervöser Märkte eine Restrukturierung angekündigt hatte, und sie hatte durch die Unfälle mit Archegos und Greensill deutlich weniger Glaubwürdigkeit als das Frankfurter Geldhaus, das seine letzte grosse Restrukturierung drei Jahre zuvor verkündet hatte – wohlgemerkt ohne Kapitalerhöhung. Bei Börseneröffnung am Montag fiel die CS-Aktie um 11 Prozent, das Deutsche-Bank-Papier nur um 2,3 Prozent.
Taylor löschte den Tweet am Montagnachmittag, offenbar auf Druck seiner Vorgesetzten, die ihn an die Social-Media-Guidelines erinnerten – was den Schluss nahelegt, dass er diese nicht voll befolgt hatte. Fakt ist: Wer auch immer die angeblich glaubwürdige Quelle des Journalisten gewesen sein soll – sie lag nicht richtig. Denn zu diesem Zeitpunkt stand keine «grosse internationale Investmentbank am Abgrund» – noch nicht.
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Jetzt war die Krise da, und die staatliche Finanzmacht stand zum ersten Mal vor einem realen Stresstest. Erstmals musste sich zeigen, ob die nach der Finanzkrise mit grossem Aufwand verabschiedeten Instrumente funktionierten. Als einziges Land der Welt hatte sich die Schweiz nach der UBS-Rettung eine eigene «Too big to fail»-Regulierung verordnet.
Und auch die Abläufe waren professionalisiert. Finanzdepartement, Finma und Nationalbank hatten ihre Zusammenarbeit in einem «Memorandum of Understanding» sauber definiert, die letzte Fassung stammte aus dem Jahr 2019. Der Lenkungsausschuss bestand aus dem Leiter des Finanzdepartements, damals Ueli Maurer. Dazu kamen die Spitzen von Nationalbank und Finma: Thomas Jordan und Marlene Amstad. Formal war die Hierarchie klar festgelegt: Der Vorsitz lag bei Maurer.
Doch die Ausgangslage war sehr speziell: Jede der drei Behörden trug ihre eigenen Probleme mit sich herum, keine ging wirklich selbstbewusst in die Krise – und jede schaute vor allem auf ihre eigenen Interessen.
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Bei der Finma hatte sich der Bankenprofi Mark Branson, der die Behörde über Jahre dominiert hatte, zur BaFin nach Frankfurt abgesetzt. Sicher ein attraktiver Job, aber dass die neue Präsidentin Amstad etwas zu viel Gestaltungswillen an den Tag legte, dürfte auch eine Rolle gespielt haben.
Amstad war eine Ökonomin mit Doktorat aus St. Gallen und mehrjährigen Aufenthalten in Hongkong und Shenzhen. Während der Finanzkrise hatte sie im Mittelbau der Nationalbank gearbeitet. Sie kannte Jordan gut, gemeinsam hatten sie in Bern Ökonomie studiert. Doch die Schwingungen im Inneren eines globalen Finanzkonzerns hatte sie nie wirklich selbst erlebt – anders als Branson, der 15 Jahre bei CS und UBS verbracht hatte, unter anderem als Finanzchef des Wealth Managements.
Sein Nachfolger Urban Angehrn war 14 Jahre bei der Zürich-Versicherung und hatte ebenfalls nur wenig Bankerfahrung. In der ungeschriebenen Finanzhierarche kamen Versicherungsmanager noch nach Retailbankern, weit entfernt von den Königen des globalen Kapitalmarktgeschäfts. Sein Standing in der Bankenbranche: ausbaufähig. Selbst der Leiter der Bankenaufsicht bei der Finma war neu: Thomas Hirschi war gerade zehn Monate auf seinem Posten. Und dann war da noch das ewige Problem der strukturellen Schieflage, die entsteht, wenn ein Kleinstaat zwei globale Grossbanken beaufsichtigen soll: Die Ressourcen waren schlicht zu dünn. Für eine bissige Überwachung zweier globaler Grossbanken fehlte es an Mitteln und an Personal – Finanzcracks zog die Behörde mit Sitz im kaum als Finanzmekka berüchtigten Bern nicht wirklich an. Die CS machte sich intern dann auch gern über die schlecht verdienenden Aufseher lustig. Sie war über Jahre damit durchgekommen, sie nicht wirklich ernst zu nehmen. Im Verhältnis zur mächtigen Nationalbank war die Finma nur der Juniorpartner.
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Der australische Finanzjournalist löste via Twitter den ersten digitalen Bank Run der Geschichte aus – und löschte seinen Tweet schnell wieder.
PDDer letzte CS-Konzernchef nahm den Bank Run schweigend hin – auf Anraten des scharfen Hausjuristen Markus Diethelm.
AFPDer UBS-Präsident hatte so viel Krisenerfahrung wie niemand sonst in diesen schickalhaften Tagen des Swiss Bankings.
Keystone
Der irische Morgan-Stanley-Banker arbeitete seit Juli im Auftrag Kellehers an einer Analyse zur Übernahme der Credit Suisse.
PDDas Comeback des langjährigen Konzernchefs war im UBS-Verwaltungsrat bereits im Dezember ein Thema.
KeystoneDer UBS-Vizepräsident witzelte schon im Herbst mit Kelleher: Kommt die CS-Übernahme, schicken wir Sergio eine Offerte nach St. Moritz.
Keystone
Doch auch die Währungsbastion hatte ihre Probleme. Durch die dramatische Zinswende standen zahlreiche Positionen ihrer seit Jahren immer stärker angeschwollenen Bilanz vor heftigen Abschreibern. Der Nationalbank drohte der grösste Verlust ihrer Geschichte: Bis dahin unvorstellbare 132 Milliarden sollten es am Jahresende werden. Dass es keinen Aufschrei gab, war vor allem der aussergewöhnlichen Reputation ihres Vormanns Jordan zu verdanken. Aber natürlich war die Situation fragil, die Gewinnausschüttung an die Kantone würde wegfallen. Das würde die Nationalbank wieder stärker in den politischen Raum driften lassen. Jordan hasste das.
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Und auch an der Personalfront hatte es einen Wechsel gegeben: Der neue Vizepräsident Martin Schlegel war als Verantwortlicher für die Finanzstabilität formal der entscheidende Mann, aber erst seit wenigen Wochen im Amt. Bei der UBS-Rettung 2008 war es der Vizepräsident Philipp Hildebrand und nicht dessen Vorgesetzter Jean-Pierre Roth, der die Lösung orchestrierte. Doch jetzt schauten alle auf Jordan. Er war der Einzige der Beteiligten auf Behördenseite, der schon die Finanzkrise an vorderster Front erlebt hatte: Als Leiter des Dritten Departements hatte er damals die Abwicklung des sogenannten Stabilitätsfonds übernommen.
Und auch der formal mächtigste Mann in diesen ersten Krisenmonaten befand sich in einer speziellen Situation. Der Finanzminister Ueli Maurer hatte just am 30. September, einen Tag vor dem Losbrechen des Twitter-Sturms, seinen Rücktritt auf Ende Jahr erklärt. Und Maurer wollte in seinen letzten Wochen das Amt ohne Blessuren verlassen, hinter ihm lagen 13 meist erfolgreiche Jahre im Bundesrat. Sein Hauptziel: bloss kein Drama zum Schluss.
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Mit dem Tweet vom 1. Oktober schaltete die Behörden-Troika in den Krisenmodus: Die Ampel sprang von Grün auf Rot. Die Finma, die den direkten Kontakt zur CS hielt, gründete einen Krisenstab, der von jetzt an praktisch täglich tagte und je nach Problemlage bis zu einem Dutzend Mitarbeiter umfasste. Entscheidende Kenngrösse: die Liquidität. Mindestens einmal, manchmal sogar mehrmals am Tag erreichten die CS-Zahlen Bern. Die Zahlen gingen auch an die Nationalbank.
Einmal pro Woche legte Behördenchef Angehrn die 700 Meter vom Finma-Sitz an der Laupenstrasse in Bern zu dem Gebäude zurück, das sich als Drehscheibe der Rettungsaktion herauskristallisieren sollte: der Bernerhof, Maurers Amtssitz, 200 Meter vom Bundeshaus entfernt. Das ehemalige Luxushotel, erbaut in der Mitte des 19. Jahrhunderts, war 1923 vom Bund übernommen worden und diente seitdem als Sitz des mächtigen Ministeriums. Es strahlte gute Schweizer Bescheidenheit aus: anständig, aber nicht so pompös wie die Finanzburgen in anderen Hauptstädten.
Dort traf Angehrn auf Daniela Stoffel, die als Leiterin des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen ihren Sitz wie ihr Dienstherr Maurer im Bernerhof hatte. Dazu kamen Nationalbank-Vizepräsident Schlegel und als eine Art Kassenwartin die Leiterin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Sabine D’Amelio-Favez. Sie bildeten den Ausschuss für Finanzkrisen – das operative Rettungskommando. Laut Reglement traf man sich «ein- bis zweimal im Jahr», dazu «in Krisenzeiten bei Bedarf». Und das bedeutete jetzt eben: jede Woche.
Der Ausschuss gab auch den Impuls für die Treffen des Lenkungsgremiums, das bislang nur in Notsituationen zusammenkam – seit seiner Gründung fast nie. Doch jetzt wurden die Treffen Routine. Alle zwei bis drei Wochen empfing Maurer seine Mitstreiter Jordan und Amstad im Bernerhof, die vier Ausschussmitglieder waren stets dabei. Die Zürcher Jordan und Schlegel kamen meist physisch, zuweilen schalteten sie sich via Skype zu. Es war der Siebner-Bund der CS-Rettung.
All dies musste unter grosser Geheimhaltung geschehen, darauf drangen besonders Maurer und Jordan. Denn wenn nur die kleinste Information nach draussen drang, konnte dadurch die Abwärtsspirale der CS stark beschleunigt werden. Dass das Nationalbank-Direktoriumsmitglied Andréa Maechler Anfang Oktober bei einem öffentlichen Auftritt zugab, dass die Behörden die Entwicklung bei der CS intensiv verfolgten, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, galt intern schon als Fauxpas.
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Zu Beginn wurde noch offen diskutiert, besonders Maurer drängte auf eine breite Debatte. Sollte man die CS einem starken Ausländer wie J.P. Morgan anbieten? Hatte nicht auch der grosse Vermögensverwalter Blackrock Interesse gezeigt? Könnte die Nationalbank die schlingernde Bank übernehmen? Oder wäre das eher Aufgabe des Staates?
Doch das war kaum mehr als ein Brainstorming, und die Behördenchefs Jordan und Amstad liessen rasch keine Zweifel daran, dass sie an zu wilden Ideen kein Interesse hatten. Einig waren sich alle Teilnehmer: Die bevorzugte Lösung war weiterhin die erfolgreiche Sanierung der CS. Doch sollte das nicht funktionieren, blieben am Schluss nur drei realistische Optionen: Eine Abwicklung gemäss den eigens definierten «Too big to fail»-Regeln. Eine Verstaatlichung. Und drittens: Eine Übernahme durch die UBS. Doch damit hatte es sich auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Jede Behörde schaute für sich.
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Die Hauptmission der Finma im letzten Jahrzehnt war die Schaffung einer Struktur, die eine geordnete Abwicklung einer Bank ermöglichen sollte. Dieses Ziel war zwar schon immer vermessen: Bank Runs gab es, seit es Banken gibt, und da eine Bank immer mehr langfristig verlieh, als sie an kurzfristigen Einlagen hatte, musste jede Bank bankrottgehen, wenn alle Kunden ihr Geld auf einmal abzögen. Lösbar war dieses Dilemma nicht.
Trotzdem hatten die Aufseher die letzte Dekade damit verbracht, die Banken über einen Strauss von «Too big to fail»-Regeln so sicher machen zu wollen, dass Staatshilfe im Falle eines Konkurses nicht mehr benötigt werden sollte. Die Eigenkapitalvorschriften wurden stark verschärft, die Grossbanken mussten ihr Schweiz-Geschäft in eigenständige Einheiten umwandeln, die bei einem Konkursfall des Gesamtkonzerns abgespalten werden sollten. Die Finma zog sich dann auch auf die Position zurück: Wir kümmern uns nur um die mögliche Abwicklung der Bank. Für alles andere sind wir nicht zuständig.
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Das Problem daran: Der starke Mann Jordan signalisierte deutlich, dass diese Lösung aus seiner Sicht nicht praktikabel war. Als das New Yorker Geldhaus Lehman Brothers 2008 in den Konkurs geschickt wurde, hatten die Verantwortlichen den Schritt zunächst als reinigenden marktwirtschaftlichen Akt verkauft. Es war die wohl grösste Fehleinschätzung der Finanzgeschichte: Sie führte zum Fast-Kollaps des globalen Finanzsystems. Diese Bedrohung stand auch 15 Jahre später mit gleicher Schärfe im Raum. Beim ersten Stresstest der so aufwendig installierten «Too big to fail»- Gesetzgebung stellte sich heraus: für die Praxis nicht geeignet. De facto hatten die Aufseher mehr als eine Dekade verloren.
Doch weil sich die Finma dennoch ausschliesslich um das Abwicklungsthema kümmern wollte, trafen sich Jordan und Maurer mehrmals ohne die Finma-Präsidentin Amstad, auch mit Lehmann standen sie in Kontakt. Jordans Position war unmissverständlich: Die Nationalbank agiert nur gemäss ihrem Auftrag. Bei der UBS-Rettung hatte sie mit der Übernahme toxischer Papiere noch eine Lösung angeboten, die über ihre Befugnisse hinausging. Dafür musste sie extra eine eigene Rechtsabklärung vornehmen.
Doch Philipp Hildebrand, der starke Mann der damaligen Retttung, war vom Typ her eben deutlich interventionistischer unterwegs als der konservative Jordan. Diesmal galt, auch angesichts des sich abzeichnenden Rekordverlusts: keine Experimente. Die Nationalbank, so Jordans eindeutige Botschaft, würde nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten Liquidität zur Verfügung stellen, und das hiess: nur gegen Sicherheiten der CS. So legte es Artikel 9 des Nationalbank-Gesetzes eindeutig fest. Ein veritabler «Lender of last resort» mit unbegrenzter Kapitalkraft war sie laut bestehender Gesetzeslage nicht: Ein «Whatever it takes» war mit ihr nicht machbar. Dazu hätte sie schon der Bund via Notrecht verknurren müssen. Und das würde sich niemand trauen, da konnte sich Jordan sicher sein. Seine Autorität war zu gross.
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Auch Maurer hatte seine eigene Optik: Er wollte beide Grossbanken am Leben erhalten. «Für die Schweiz ist es ganz wichtig, dass wir zwei grosse Banken haben für den Schweizer Finanzplatz und den Schweizer Wirtschaftsplatz», sollte er noch Mitte Dezember sagen. Doch auf die konkrete Situation angewendet, wäre im Notfall nur eine Lösung möglich: eine Verstaatlichung der CS.
Und da zuckte Maurer dann doch zurück. Sie wäre nicht nur das Eingeständnis eines kolossalen Scheiterns der Bankenregulierung gewesen. Auch hätte er diese Lösung seiner staatskritischen Partei kaum vermitteln können. Für Jordan hätte sie jedoch einen grossen Vorteil gehabt: Die Nationalbank hätte nicht eingreifen müssen. Denn wenn es zu einer Staatsrettung käme, so stellte Jordan stets klar, müsste die Eidgenossenschaft aktiv werden – die Nationalbank war dazu ja nicht befugt.
Blieb die dritte Lösung, doch auch sie klang nicht sehr verlockend: Die UBS fängt die kollabierende CS auf. Maurer und Jordan waren die einzigen Teilnehmer der Siebner-Runde, die bei den Fusionsverhandlungen von UBS und CS im Frühjahr 2020 dabei gewesen waren und damals die Logik eines Zusammenschlusses durchaus sahen.
Aber natürlich wäre der volkswirtschaftliche Schaden gross. Mehrere tausend Arbeitsplätze würden in der Schweiz verloren gehen, mit allen Multiplikatoreffekten: weniger Steuersubstrat durch den Wegfall hoch dotierter Jobs, schwächerer Wettbewerb im Arbeitsmarkt, heftige Politisierung wegen des Stellenabbaus, ein geschrumpfter Finanzplatz.
Und so galt erst mal: es bloss nicht so weit kommen lassen. Maurer war bald weg, die Ziellinie war nah. «Die Schlafwandler» nannte der australische Historiker Christopher Clark den Titel seines Bestsellers, in dem er eindrucksvoll beschrieb, wie die europäischen Grossmächte 1914 in den Ersten Weltkrieg taumelten. Die Parallelen waren offensichtlich. Silodenken dominierte die Dreiergruppe, niemand übernahm den Helikopterblick. Es regierte das Prinzip Hoffnung, befeuert vom Daueroptimisten Lehmann bei Einzeltreffen mit Jordan und Maurer: Wir schaffen das.
Da war der erste digitale Bank Run der Geschichte Gift.
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In den Tagen nach dem verhängnisvollen Tweet gelang es den Investor-Relations-Verantwortlichen, die Märkte zu beruhigen. Gegen Ende der Woche hatte sich der Kurs erholt, auch die CDS-Spreads waren wieder gesunken. Aber eine Kennzahl verschlechterte sich dramatisch, sie war jedoch im Markt nicht transparent und hatte deshalb keinen unmittelbaren Einfluss auf den Kurs: die Liquidität.
Die Anleger begannen in grossem Stil Geld abzuziehen, vor allem in Asien war der Abfluss dramatisch. Das war das wahre Drama des Tweets: An mangelnder Liquidität waren schon viele Firmen zugrunde gegangen. Bei der Finma blinkten die Alarmlampen tiefrot. Eine Todesspirale begann.
Jeden Tag flossen mehrere Milliarden ab, und jetzt wäre es Chefsache gewesen, markig Gegensteuer zu geben. Doch Ulrich Körner meldete sich nicht. Später sollte er sich rechtfertigen, dass die Anwälte ihm jegliche Kommunikation im Vorfeld der Kapitalerhöhung untersagt hätten. Gewiss, ein öffentliches Gegenhalten wäre heikel gewesen – aber hier ging es fast schon um die Existenzfrage. Sich in solchen Notsituationen über die Bedenkenträger hinwegzusetzen: Dafür waren Chefs da. Doch Körner schwieg.
Hier kam auch eine spezielle Konstellation zum Tragen. Neben Körner und Lehmann war auch der sehr selbstbewusste Jurist Markus Diethelm nach seiner UBS-Zeit zur CS gestossen, und sowohl Körner wie auch Lehmann hatten sich schon früher dessen Vorgaben nicht widersetzt. Körners Unwillen zur Kommunikation erschwerte die Lage. Die CS wurde Opfer des ersten digitalen Bank Run – und liess es einfach geschehen.
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Natürlich registrierte auch die UBS die Notsituation des Konkurrenten, denn ein Teil der von der CS abfliessenden Gelder vor allem in Hongkong und Singapur landeten bei ihr. Der Präsident Colm Kelleher beobachtete die Situation seit seinem Antritt bei der UBS im April 2022 genau.
Kelleher hatte 32 Jahre bei Morgan Stanley verbracht und nie einen grossen Drang an die Öffentlichkeit verspürt. Die Institution, nicht die Person sollte im Vordergrund stehen, betonte er stets und verweigerte sich persönlichen Stories. Diese Wir-Kultur war für ihn zentral – Egoshooter kamen unter seiner Ägide nicht weit. «Faule Äpfel fallen allein vom Stamm», lautete sein Motto bei Morgan Stanley. Dass er nach der Übernahme der CS die dortige geldgetriebene Ich-Kultur integral als «verfault» bezeichnen sollte, war ein deutliches Signal.
Innerhalb der New Yorker Finanzinstitution war er eine Legende – bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden drei Jahre vor dem UBS-Antritt hatte er das operative Geschäft allein geführt. Laut wurde er selten, doch seine engsten Mitarbeiter wussten: Ein Zucken der Augenbraue signalisierte höchste Gefahr. Besonders die Erfahrungen in den dramatischen Tagen im September 2008 hatten ihn geprägt: Er stand als Finanzchef 22 Minuten davor, das Aus seines Geldhauses zu verkünden. Krise konnte er wie kein Zweiter in diesen schicksalhaften Tagen des Schweizer Bankings. Ihn gerade jetzt an der Spitze der Bank zu haben, war ein Glücksfall.
Sein Vorgänger Axel Weber hatte ihm bei der Amtsübergabe auch über die Fusionsverhandlungen mit der CS aus dem Jahr 2020 berichtet, doch mehr als 20 Minuten dauerte das nicht. Die Zahlenbasis hatte sich seit den letzten Verhandlungen so stark verschoben, da war eine detaillierte Betrachtung der veralteten Modellrechnungen wenig sinnvoll. Doch die strategische Logik war auch für ihn unbestritten. Kein europäisches Land leistete sich noch zwei globale Grossbanken. Dass die Konsolidierung auch in der Schweiz schon aus Kostengründen irgendwann kommen musste, war unausweichlich. Und er hatte seine Amtszeit auf zehn Jahre ausgelegt. Sich irgendwann die CS zu schnappen, lag auf der Hand.
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Zudem wusste er selbst um die Kraft von grossen Deals in Notsituationen: Den grossen Sprung hatte sein Haus Morgan Stanley im Zuge der Finanzkrise mit der Übernahme von Smith Barney gemacht – die Citigroup musste den Vermögensverwalter auf staatlichen Druck zu einem Spottpreis abgeben. Das war das Szenario. Eine reguläre Fusion, wie sie Ermotti und Weber noch angestrebt hatten, wäre der viel schlechtere Deal gewesen.
Den Niedergang der CS verfolgte er bereits seit 2015 intensiv. Die sich zuspitzende Krise bei dem heimischen Konkurrenten war kurz nach seinem Antritt bei der UBS offensichtlich. Seine Kontakte zu seinem alten Arbeitgeber waren weiter exzellent. Einen besonders engen Draht pflegte er zu einem Landsmann mit dem gleichen Vornamen. Colm Donlon leitete bei Morgan Stanley das europäische Investmentbanking-Team. Kelleher hatte ihn bereits im Juli um eine Analyse zu einer möglichen CS-Übernahme gebeten, erst mal unverbindlich. Er wollte vorbereitet sein.
Doch jetzt, nach den starken Abflüssen Anfang Oktober, wurde es ernst. Der Verwaltungsrat hatte einen speziellen Ausschuss, das sogenannte «Ad Hoc Strategy Committee», das nur bei Bedarf zusammenkam. Der Vorsitz lag bei Kelleher, die anderen Mitglieder waren die Verwaltungsratsmitglieder William Dudley, Fred Hu, Dieter Wemmer und Julie Richardson.
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Sie baten den CEO Ralph Hamers, der zwei Jahre zuvor den Chefposten von Sergio Ermotti übernommen hatte, um eine Analyse, gleichzeitig erhielt auch Morgan Stanley formal das Mandat. Den Kontrolleuren fiel jedoch auf, dass der Niederländer eher zögerlich reagierte. Angeblich, so seine Begründung, wollte er seine Konzernleitung nicht in grösserem Stil einbinden, um Lecks zu verhindern. Aber vielleicht, so spekulierten manche Verwaltungsräte, spürte er auch schon, dass es für ihn im Fall der CS-Übernahme eng werden könnte.
Der Präsident pflegte ein professionelles Verhalten zu seinem CEO, den er nicht selbst installiert hatte. Jeden Montag traf man sich zum Jour fixe. Doch es waren bereits leichte Risse sichtbar geworden: Den von Hamers organisierten Kauf der US-Firma Wealthfront hatte Kelleher gestoppt – die Klientel der kalifornischen Fintechs war ihm finanziell viel zu schwachbrüstig. Und dass Hamers, der von der holländischen Retailbank ING gekommen war, in den Schlüsseldisziplinen der UBS – Wealth Management und Investmentbanking – nur wenig Erfahrung hatte, war offensichtlich. Kelleher hätte ihn wohl kaum geholt. Aber er musste auch zugestehen: Als Organisationsoptimierer hatte Hamers die Bank nach vorn gebracht.
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Für Präsident Lehmann war die Lage so bedrohlich wie noch nie. Der 27. Oktober hätte sein grosser Tag der Planverkündung werden sollen. Doch der Bank Run hatte alles ins Wanken gebracht: Fast 80 Milliarden Franken waren in den letzten Wochen abgeflossen, ein weltweit einmaliger Vorgang. Eigentlich hätte er den gesamten Umbau abblasen müssen – gewisse Annahmen waren schon durch die Abflüsse überholt, und Kurs sowie CDS-Spreads bewegten sich im roten Bereich. Andererseits: Eine Absage hätte die Unsicherheit noch verschärft, und die Verluste wurden immer bedrohlicher. Gut geschlafen haben soll er nicht in der Nacht vor dem grossen Tag.
Er hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Er war längst ein Getriebener. Er drückte den Knopf.
Doch wenn er noch eine Resthoffnung gehegt hatte, dass der Markt den Plan als Befreiungsschlag ansehen würde, so währte sie nicht lang. Der überfrachtete Umbauplan floppte an der Börse – ein Minus von acht Prozent. Er gab der Sanierung eine massive Schieflage: Durch die grosse mediale Aufmerksamkeit für die Wiedergeburt der Marke First Boston war es die von Lehmann propagierte «New Credit Suisse», die fast als Resterampe dastand – verkehrte Welt.
Der Verkauf der Securitized-Products-Sparte an Apollo wurde nur angekündigt, die Umsetzung stand aber noch aus. Damit gab Lehmann Verhandlungsmacht aus der Hand. Und das Endziel von sechs Prozent Kapitalrendite war schlicht zu wenig. Es war das unfreiwillige Eingeständnis des fehlenden Geschäftsmodells der Bank: Wenn nach drei Jahren Umbau nur eine derart tiefe Profitabilität herauskommen sollte – wer wollte da in die Bank investieren?
Besonders die Kapitalerhöhung war das voraussehbare Kursgift. Investoren, die die Aktie noch für 20 Franken und mehr gekauft hatten, mussten mit ansehen, wie das Papier jetzt für 2.72 Franken in den Markt gehen sollte – weniger als ein Fünftel des ausgewiesenen Eigenkapitals.
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Der SNB-Lenker hielt sich streng ans Nationalbankgesetz. Und das bedeutete: keine Experimente – und keine CS-Rettung.
Der scheidende Finanzminister beriet sich mit Ex-UBS-Präsident Axel Weber – und setzte auf die Notübernahme der CS durch die UBS.
Die Finma-Präsidentin wies Lehmann unmissverständlich an: Wir brauchen einen Plan B – finde einen Käufer für die Bank.
Der CS-Präsident stemmte sich gegen einen Verkauf und stützte sich dabei auf die New Yorker Konkursexperten Sullivan & Cromwell.
keystone-sda.chDennoch demonstrierten die Behörden nach aussen Zuversicht. «Die SNB begrüsst die jüngst angekündigten Schritte zur strategischen Transformation der Credit Suisse», befand der neue Nationalbank-Vize Martin Schlegel in seinem ersten Interview in seiner neuen Funktion gegenüber dem Börsenblatt «Finanz und Wirtschaft»: «Die neue Ausrichtung des Geschäftsmodells führt zu einer Reduktion der Risiken. Gleichzeitig stärkt Credit Suisse ihre Kapitalbasis.»
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Doch die Wahrheit lautete: Es brannte. Anfang November sprach Thomas Jordan beim Bundesrat vor. Man traf sich im barocken Salon de la présidence im Bundeshaus. Ueli Maurer führte Jordan ein, und der Nationalbank-Chef berichtete Ungeheuerliches: Die CS befinde sich in einer dramatischen Schieflage, die SNB müsse umgehend 50 Milliarden an Liquidität einschiessen. Und dann müsse auch der Bundesrat Garantien liefern: Der sogenannte Public Liquidity Backstop, kurz PLB, ein Liquiditätsinstrument für Notfälle, mit dessen Einführung die Regierung im Verzug war, müsse schnell installiert werden, um der CS weitere Mittel zukommen zu lassen.
Maurer hatte zwar die anderen Mitglieder des bundesrätlichen Finanzausschusses, Infrastrukturministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, über die Probleme informiert, doch nur rudimentär. Für den Gesamtbundesrat war es das erste Mal, dass er von der Dramatik der CS-Lage erfuhr. Es war ein Schock, die Teilnehmer waren konsterniert. Und es kamen Zweifel: Wenn sich die gesamte Bank in Schieflage befand – wie sollten da 50 Milliarden reichen?
Nach dem Treffen mit Jordan zogen sich die sieben Regierungsmitglieder ins Bundesratszimmer zurück. Die Sitzung wurde hitzig: Warum er die Dramatik der Situation so lange verschwiegen habe, wurde Maurer gefragt. Bislang hätten die verantwortlichen Behörden alles im Griff gehabt, so der Tenor seiner Antworten, aber jetzt handle es sich eben um eine Notsituation. Karin Keller-Sutter, damals noch Justizministerin, kündigte eine Abklärung an, ob ein Vorziehen des PLB möglich wäre. Und alle waren erstaunt, wie zurückhaltend die Frankenautorität Jordan aufgetreten war. Seine Haltung, so der Eindruck aller Beteiligten: minimalinvasiv.
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So ging das Siebner-Gremium erhitzt auseinander. Angesichts der Notsituation wurde eine ausserordentliche Bundesratssitzung für den Freitag angesetzt. Doch Maurer sagte sie kurzfristig ab. Bei der nächsten Bundesratssitzung gab er sich dann optimistischer: Die Lage habe sich stabilisiert, die angekündigte Kapitalerhöhung würde die Finanzkraft stärken.
Die Bundesräte glaubten das. Dass jedoch gerade die Kapitalerhöhung die Talfahrt an der Börse verstärken sollte, war ihnen nicht bewusst – sie erfuhren es später durch die öffentlichen Aussagen von Ex-CS-Chef Grübel. Der Grund für Maurers Optimismus: Die Abflüsse hatten sich verlangsamt. Maurer bekam den schriftlichen Auftrag, den Bundesrat über das CS-Dossier zu informieren, das wurde sogar protokolliert. Doch die Information blieb aus.
Dabei spitzte sich die Lage sogar weiter zu. Spätestens ab dem 15. November hätte allen bewusst sein müssen, dass der Plan nicht funktionierte: Der Kurs rauschte von ohnehin schon katastrophalen 4.25 auf 2.75 Franken. Und die CDS-Spreads lagen wieder deutlich über 300. Auf der gleichen Höhe: die italienische Krisenbank Monte dei Paschi di Siena, die bereits vom Staat gerettet worden war. Die Finanzverantwortlichen von vielen CS-Firmenkunden hatten Guidelines über die Kreditwürdigkeit einer Bank als Gegenpartei, und die hohen CDS-Spreads wurden zu einem Signal zum Geldabziehen.
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Wieder stand Jordan kurz davor, die Liquiditätshilfe zu ziehen, in Absprache mit Lehmann. Dieses Mal wusste der Bundesrat nichts davon. Doch Jordans Befürchtung war: Allein die Ankündigung der Liquiditätshilfe ohne einen überzeugenden Rettungsplan würde als Signal für den Notfall angesehen werden – und den Niedergang noch beschleunigen. Das teilte er auch Maurer mit, nachdem der Finanzminister ihn zum Eingreifen gedrängt hatte. Dieser hatte sich auch mit Vertrauten beraten, etwa mit Ex-UBS-Präsident Axel Weber, mit dem er auch nach dessen Abgang noch Kontakt hielt. Doch auch wenn er formal Dienstherr von Finma und Nationalbank war: Er konnte den Behörden keine Anweisungen erteilen. Sie beharrten auf ihrer Unabhängigkeit. Und Jordan war der starke Mann.
Spätestens jetzt war offensichtlich, dass die Bank nicht überleben würde. Andere Bankhäuser in Europa wie die Deutsche Bank hatten das Dossier schon lange im Blick und hätten jetzt die Bank zu einem Schnäppchenpreis von acht Milliarden Franken übernehmen können. Doch niemand traute sich. Die Furcht vor dem toxischen Investmentbanking war zu gross, die Transparenz über die Abflüsse zu schwach, zudem glaubte niemand wirklich an die Chance einer Übernahme. «Wir gingen alle davon aus, dass in einer Notsituation die Schweiz AG die Bank rettet, mit der UBS im Lead», sagte der Chef einer europäischen Grossbank.
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Auch bei der Finma schoss die Nervosität hoch. «Wir brauchen einen Plan B.» Die Aufseher wiesen Lehmann unmissverständlich an: Finde einen Käufer für die Bank. Für Lehmann war das allerdings einmal mehr der Beweis, dass er es mit fachfremden Theoretikern zu tun hatte, die vom Kapitalmarktgeschäft zu wenig verstanden. Denn in der aktuellen Notsituation wäre ein Verkauf, so seine Argumentation, gar nicht regulär abzuwickeln gewesen: Es hätte die Zustimmung von Verwaltungsräten, Aktionären und Wettbewerbsbehörden gebraucht. Und wenn der Käufer ein Ausländer gewesen wäre, hätte die juristische Komplexität nochmals stark zugenommen. Selbst die Übernahme durch die heimische UBS wäre in der aktuellen Panikstimmung nicht kontrolliert umsetzbar gewesen.
Hier fand er Unterstützung bei Jordan. Eine reguläre Fusion mit der UBS mit allen rechtlichen Etappen wäre vielleicht ein Jahr zuvor noch möglich gewesen – aber jetzt praktisch ausgeschlossen, befand auch der Nationalbank-Chef. Das stimmte sicher alles, war aber auch eine Schutzbehauptung. Denn natürlich klammerten sich alle Beteiligten an die Hoffnung, dass der Umbauplan doch noch funktionieren würde, vorneweg Lehmann, aber auch Jordan und Maurer. Sie wurden Gefangene eines schwachen Plans, den sie nicht verhindert hatten – weil es, so ihre Begründung, nicht in ihrem Mandat gelegen habe.
Lehmann engagierte die renommierte amerikanische Anwaltskanzlei Sullivan & Cromwell, die sich auf Abwicklung bei Konkursen spezialisiert hatte. Die Analyse war eindeutig: Entweder schaffen wir doch mit viel Glück unseren Turnaround – oder es wird wie bei der Finanzkrise in den USA zu einem Wochenende der langen Messer kommen, bei dem alle rechtlichen Standardetappen via Notrecht ausgehebelt werden.
Dann würde eine der beiden Optionen zur Anwendung kommen: Notverkauf an die UBS oder, falls das nicht funktionieren sollte, Verstaatlichung. Das war der Plan, der Maurer, Jordan und Lehmann verband. Der CS-Präsident bekam dann auch von Jordan einen klaren Auftrag: Bereite dich auf diese Notsituation vor – richte deinen Datenraum so ein, dass die UBS im Notfall eine Schnellprüfung machen könnte.
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Und auch die UBS bekam Signale, dass die Behörden die Zwangsheirat als die beste Variante ansahen. Maurer und Jordan trafen sich im November mit Kelleher, um ihn über das Notfallszenario zu informieren. Noch war alles sehr informell. Maurer hatte bis dahin stets von seiner Präferenz für die Zwei-Banken-Lösung geredet. Das hätte für einen ausländischen Käufer gesprochen, und Kelleher brachte diese Option gegenüber seinen Verwaltungsräten weiterhin ins Spiel. Dass ihre Umsetzung jedoch kaum praktikabel war, wussten auch die UBS-Oberen. Sie hatten alle Trümpfe in der Hand.
Anfang Dezember erstellte die Konzernleitung auf Geheiss Kellehers eine detaillierte Analyse, in Zusammenarbeit mit Morgan Stanley und der Zürcher Grosskanzlei Bär & Karrer. Drei Tage vor Weihnachten sprach sich der zwölfköpfige Verwaltungsrat formal gegen die Übernahme aus, gab allerdings seine Bereitschaft zu Protokoll, in einer Notsituation zur Verfügung zu stehen.
Die Einschätzung war wenig umstritten, nur die Schweizer Fraktion um den Duftstofferben Patrick Firmenich und die Roche-Rechtschefin Claudia Böckstiegel zeigte sich aus patriotischen Gründen etwas offener für eine Unterstützung des taumelnden Rivalen. Die Bank wollte vermeiden, in irgendeiner Form als Profiteur dazustehen, und zudem war der Zustand der CS nach all den Abflüssen schlicht nicht einzuschätzen. Aber natürlich wusste der gewiefte Verhandler Kelleher nur zu gut: Nie bekäme er die CS so billig wie bei einem Notverkauf.
Mit seinem Vizepräsidenten Lukas Gähwiler hielt der Ire in diesen Tagen besonders engen Kontakt. Beide waren ähnliche Charaktere: Auch Gähwiler suchte das Rampenlicht nicht und redete lieber vom «Wir» als vom «Ich». Er wohnte auch nicht an der standesgemässen Goldküste, sondern im bodenständigen Langnau am Albis, 15 Kilometer von Zürich entfernt. Der einstige UBS-Schweiz-Chef verfügte über beste Kontakte zu Politikern und Behörden. Besonders zu einem Mann war der Draht eng: zu Ex-Chef Sergio Ermotti.
Beide hatten eine Wohnung in St. Moritz, man traf sich zum Skifahren. Kelleher und Gähwiler machten untereinander seit Oktober Witze, und die erreichten auch Ermotti, der Kelleher ohnehin regelmässig bei Branchenanlässen traf: Wenn wir die CS übernehmen, müssen wir Sergio ein DHL-Einschreiben nach St. Moritz mit dem neuen Arbeitsvertrag schicken. Auch im Verwaltungsrat hatte das Duo den Namen Ermotti als alten und neuen CEO bereits lanciert.
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Denn für sie war unbestritten: Kommt die Grossfusion, wäre es eine vollkommen andere Sportart – hartes Mergermanagement statt Organisationsoptimierung. Von Softfaktoren wollte Kelleher ohnehin nicht viel hören: Er hatte Hamers signalisiert, nicht zu stark über «Purpose» oder «Ecosystems» zu sprechen. Für den Präsidenten und seinen Vize stand fest: Im Fall der Übernahme würden sie den Mann als CEO brauchen, der schon sieben Jahre zuvor mit seinem «Projekt Signal» die ersten Planspiele zur CS- Übernahme angestossen hatte.
Die CS-Verantwortlichen setzten derweil auf Schönreden. Am 1. Dezember hatte Lehmann in einem Interview mit der «Financial Times» gesagt, dass die Geldabflüsse nach dem starken Anstieg im Oktober «völlig abgeflacht» seien und «sich teilweise umgekehrt» hätten. Einen Tag später erklärte er gegenüber Bloomberg Television, die Geldabflüsse seien «im Wesentlichen gestoppt». Die Aktien der Credit Suisse stiegen daraufhin am 2. Dezember um 9,3 Prozent.
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Am 5. Dezember wiederholte der CS-Präsident seine Aussage auch gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Bei der Finma, die in diesen Tagen mehrmals die Liquiditätsberichte der CS erhielt, war die Verwunderung gross: Zwar hatten sich die Abflüsse verlangsamt, aber von einer Umkehr konnte keine Rede sein. Bis Ende Jahr sollten insgesamt 130 Milliarden Franken abfliessen – ein Schmelzprozess für die Geschichtsbücher.
Und auch Maurer spielte das Spiel mit. Am 13. Dezember ging er zum grossen Abschiedsinterview in die TV-Sendung «Eco». Dort behauptete er ernsthaft, man habe zuletzt von der CS «eigentlich gute Nachrichten gehört». Sie habe eine klare, neue Strategie verabschiedet. Es war auch ein Gruss an seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter, die drei Tage zuvor als neue Finanzministerin nominiert worden war. «Ich bin der Meinung, dass die CS die Kurve schaffen wird», sagte Maurer sprachlich ausbaufähig.
Und wenn das nicht gelinge: Wäre es dann denkbar, dass der Bund nach der UBS eine zweite Schweizer Grossbank rette? «Das ist im Moment keine Perspektive, und es gibt keinen Diskussionsgrund.» Sein Auftritt gipfelte in der Feststellung: Man müsse die CS «jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen».
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Und so ging er in seine letzten Weihnachtsferien als Bundesrat. Die Abflüsse setzten sich bis Ende Jahr fort, bei der Finma blinkten die Lampen weiter tiefrot. Der damalige Bundespräsident Ignazio Cassis fragte Maurer noch, ob der Bundesrat über die Ferientage in Alarmstimmung sein müsse. Nein, alles gut, signalisierte Maurer.
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