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Bank in der Krise

Urs Rohner und die Schuld am CS-Desaster

Die Grossbank ist in einer Existenzkrise. Wie viel ­Verantwortung trägt der langjährige Präsident Urs Rohner?

Dirk Schütz

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Fünf Jahre in der Konzernleitung, zwölf im Präsidium: Urs Rohner, bis April 2021 CS-VR-Präsident.

Keystone

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Es klang wie ein Notsignal. «Unser Ruf hat sehr gelitten», klagte der CS-Schweiz-Chef André Helfenstein jüngst dem Finanzportal «Finews». Und schob dann fast schon resignativ einen speziellen Satz nach: «Am häufigsten interessiert die Kunden, wie es bei der CS zu einer solchen Verkettung von Problemen kommen konnte.»

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Diese Frage stellen sich auch viele der mehr als 51'000 CS-Mitarbeiter: Wie konnte ihre einst so stolze Bank auf eine derartig abschüssige Bahn geraten? Ein Ende des Dramas ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Eine Sanierung ist schon in normaleren Konjunkturphasen höchst komplex, doch die aktuelle Phase ist – milde formuliert –alles andere als normal.

Dass der neue Chef Ulrich Körner mit dem gefühlt zwanzigsten Sparprogramm die jähe Talfahrt stoppen kann, bleibt ein weiteres Experiment mit ungewissem Ausgang. Am 27. Oktober will er die neue Strategie verkünden. Skurrile Ideen wie die Wiederbelebung des Investmentbanking-Labels First Boston zirkulieren, eine angebliche Kapitalerhöhung von mehreren Milliarden Franken drückt den Kurs weiter.

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Doch selbst der kolportierte Stellenabbau von 5000 Stellen wäre wenig revolutionär: Die Bank hätte damit gerade so viele Mitarbeiter wie vor drei Jahren. Das Hauptproblem der CS ist der gigantische Vertrauensverlust, und der lässt sich nicht einfach mit einem weiteren Chef und einem weiteren Umbau lösen. Und bei der Frage, wer dieses Vertrauen verspielt hat, fällt vor allem der Name eines Mannes: Urs Rohner.

Der Ex-Präsident, der die Bank letztes Jahr nach zehn Jahren an der Spitze verliess, ist abgetaucht. «Er ist jetzt eine Privatperson und will sich nicht mehr zur CS äussern», lässt ein Mittelsmann ausrichten. Sein Haus in der Goldküstengemeinde Zumikon, das er nach einem aufwendigen Umbau erst vor vier Jahren bezogen hatte, hat er verlassen, wenn auch nur temporär. Seit letztem Sommer wohnt er im steuermilden Wilen im Kanton Schwyz. Es gilt besonders bei grösseren Zahlungen, etwa der Auszahlung der Pensionskasse, als attraktive Adresse.

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Auf seinem Grundstück in Zumikon wird der Garten umgepflügt, er lässt eine grosse Tiefgarage bauen. Manchmal sieht man ihn im Zürcher Seefeld, wo er an der Färberstrasse ein Büro bezogen hat, direkt angrenzend an die Anwaltskanzlei Wenger Vieli – die dortige Partnerin Bignia Vieli war seine Freundin in Studienzeiten. Seine Beratungsfirma «Urs Rohner & Co. AG» hat er hier eintragen lassen, und ein Anwalt von Wenger Vieli stand auch Pate bei der Gründung des Start-ups «Vega Cyber Associates», das er präsidiert.

Rohners CEOs

Zuerich, 12.2.2015, Inland -  BMK Credit-Suisse, CEO Brady Dougan an der Medienkonferenz der Credit Suisse. (Melanie Duchene/EQ Images)
Tidjane Thiam, CEO of Swiss bank Credit Suisse, waits prior the press conference of the full-year results of 2019 in Zurich, Switzerland, Thursday, Feburary 13, 2020. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Thomas Gottstein, CEO Credit Suisse, Schweiz AG, portraitiert in ein Sitzungzimmer im Hauptsitz an der Paradeplatz in Zuerich am 23. Februar 2017.(KEYSTONE/Gaetan Bally)
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Brady Dougan: Der Amerikaner nahm Rohner nicht wirklich ernst.

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Genaue Aktivität: unklar. Seit letztem Sommer ist er Mitglied des Advisory Boards von Investcorp, einer Private-Equity-Firma aus dem Ölstaat Bahrain, die westliche Manager mit Petrodollars lockt – dabei sind unter anderem der östereichische Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel oder die ehemalige spanische Aussenministerin Ana Palacio. Viel zu tun gibt es bei derartigen Mandaten kaum. Beim britischen Pharmamulti GlaxoSmithKline sitzt er noch im Verwaltungsrat. Doch im April 2024 ist auch dort wegen der Amtszeitlimite Schluss. «Er sucht noch einen Plan», sagt ein Bekannter.

Neuer Look

Auch sozial ist er abgetaucht. Am Spielfeldrand des FC Herrliberg, des Club seines jüngstes Sohns, hat man ihn schon länger nicht mehr gesichtet. Mal zirkulieren Gerüchte, er ziehe nach London, dann ist es Dubai. Doch Weggefährten winken ab. Schon als CS-Präsident konnte er unleidlich werden, wenn ihn Fotografen bei Anlässen wie etwa dem «Zurich Film Festival» mit seiner Partnerin Nadja Schildknecht ablichten wollten.

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Bei der diesjährigen Eröffnung wurde er nicht gesichtet. Als Ende August der Boss-Chef Daniel Grieder am Gardasee heiratete, befand sich das Paar Rohner-Schildknecht zwar unter den Gästen. Doch auf den Fotostrecken von «Blick» oder «Schweizer Illustrierten» war es nicht zu erspähen. Den Hochzeitsgästen fiel der 63-Jährige dennoch besonders auf: Seine Haare, mit ihrem Grau schon in jungen Jahren lange ein Markenzeichen, waren plötzlich dunkel. Neue Freiheit, neuer Look.

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Die CS-Aktionäre darben derweil. Bei mehr als 60 Franken lag der Kurs auf seinem Höchststand im Jahr 2009, dem Eintritt Rohners in den Verwaltungsrat. Bei seinem Abtritt im April letzten Jahres war er unter zehn Franken gefallen, bei Redaktionsschluss kämpfte er mit der Vier-Franken-Marke. Die Horrorunfälle Archegos und Greensill waren das Schlussbouquet von Rohners insgesamt 17-jährigem Wirken bei der Bank. Als er in den Verwaltungsrat eintrat, war die CS der grosse Gewinner der Finanzkrise, und ihre Manager scherzten, sie wollten die UBS nur deshalb nicht übernehmen, weil man nicht auf Krankenwagen schiesse. Heute liegt die CS auf der Intensivstation.

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Die Krise ist das schlimmste Führungsdebakel der Schweiz seit dem Swissair-Grounding. Selbst die UBS-Rettung 2008 war vergleichsweise weniger schlimm, trotz Staatsrettung: Die Finanzkrise war ein Systemkollaps, der viele grosse Häuser in Schieflage brachte. Auch die anderen grossen Bankdramen der letzten Jahrzehnte waren systemisch: Bei dem Hedge-Fund-Pleitier LTCM, der 1998 den UBS-Präsidenten Mathis Cabiallavetta zu Fall brachte, war fast die gesamte Wall Street investiert. Und der CS-Vormann Lukas Mühlemann fiel 2002 vor allem über das Platzen der Dotcom-Blase. Die heutige Krise der CS ist dagegen komplett hausgemacht – keine der internationalen Grossbanken befindet sich in einer vergleichbaren Schieflage.

Beim Swissair-Debakel mussten die verantwortlichen Manager jedoch die Schmach eines öffentlichen Prozesses durchleiden, für den Airline-Chef Mario Corti wurde sogar Gefängnis gefordert (am Ende gingen aber alle straffrei aus). Die gefallenen UBS-Lenker zahlten freiwillig Teile ihrer üppigen Bonuspakete zurück: 22 Millionen waren es bei Präsident Marcel Ospel, 12 Millionen bei CEO Peter Wuffli. Doch bei Rohner? Kein Prozess, keine Zurückzahlung. Allein in seiner VR-Zeit hat er 53 Millionen bezogen, davon aber nur ein Viertel in Aktien – die höchste Barquote im Verwaltungsrat (siehe Grafik auf Seite 39). Dazu kommen noch einmal gegen 30 Millionen aus seiner Zeit in der Konzernleitung. Wird auch er Geld zurückzahlen? Eine Anfrage lässt er unbeantwortet.

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Als junger Anwalt arbeitete Rohner für die renommierte Kanzlei Sullivan & Cromwell in New York, die mit Vorliebe Harvard-Absolventen rekrutiert. Jetzt böte sein Regnum besten Anschauungsunterricht für eine der legendären Harvard-Case-Studies. Arbeitstitel: «The making of a crisis». Es wären vor allem drei Faktoren, die sich als Warnsignale herausarbeiten liessen. Erstens: Ein Präsident, dem das gerade im internationalen Banking zentrale Fachwissen fehlt. Zweitens: Ein unbändiges Selbstvertrauen, das in Selbstüberschätzung mündete. Und drittens: Eine Personalpolitik, die vor allem taktisch ausgerichtet ist.

 

Angst und Gier

Zum ersten Faktor: Es mag einige Firmen geben, für die Quereinsteiger eine gute Wahl sind. Eine globale Bank mit einem starken Investmentbanking gehört sicher nicht dazu. Ein Bankchef reitet immer auf einem Monster – der ewige Zyklus von «Greed and fear» führt dazu, dass die Händlernaturen immer die Limiten austesten. Nur Chefs, die in den Maschinenräumen der Banken gross geworden sind und ein Gespür für die Risikopositionen hatten – Oswald Grübel, Sergio Ermotti, Marcel Ospel –, konnten das Monster halbwegs zähmen. Aber eben auch nicht immer: Selbst J.P.-Morgan-Überbanker Jamie Dimon musste einen Sechs-Milliarden-Dollar-Verlust hinnehmen, Ospel musste gehen, Grübel trat bei der UBS nach einem Milliardenverlust zurück.

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Rohner hatte mehrere Jahre nach dem Jura-Studium als Anwalt gearbeitet, dann war er Chef des Fernsehsenders ProSiebenSat.1. Bankingerfahrung bei seinem Einstieg bei der CS 2004? Null. Der Vorwurf, selbst kein Banker zu sein, war dann auch das einzige Thema, bei dem sich der extrem gedankenschnelle Manager im Gespräch in den roten Bereich locken liess. Wie man das überhaupt definiere, einen «Banker», schoss er dann schnippisch zurück – immerhin habe er kurz nach seinem Eintritt bei der CS als Rechtschef auch die Leitung des Corporate Centers übernommen. Doch einen Kredit vergeben, ein Aktienpaket verkaufen, eine Handelsposition über Nacht offen halten: All das kannte er nur aus der Theorie.

Deshalb wollte man ihn auch nicht als CEO. Als es 2006 um die Nachfolge des Bankchefs Oswald Grübel ging, wurde ihm der erfahrene Investmentbanker Brady Dougan vorgezogen. «Es darf nie wieder passieren, dass ein Nicht-Banker die Bank führt», hatte Grübel nach dem Mühlemann-Absturz verkündet, und er warnte den Verwaltungsrat vor schweren Zeiten, die einen Bankprofi erforderten. Selbst die Finma hatte Zweifel an Rohners Eignung: Als er 2009 in den Verwaltungsrat wechselte, musste er sich erst zwei Jahre als Vize bewähren.
 

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Kardinalfehler

Dass er dann doch Präsident wurde, war ein Kardinalfehler aus dem Lehrbuch: Rohner war Chef einer Person, dessen Job er selbst nicht bekommen hatte. Dass ihn Dougan als Banker nicht ernst nahm, zeigte sich rasch: Der Investmentbanker baute einfach seinen Bereich weiter aus. Rohner liess ihn gewähren, obschon ihn Weggefährten beknieten, Dougan zurückzubinden. Der Amerikaner orientierte sich an den USA, dort boomten die Märkte. Dass die Regulatoren in der Schweiz mit einer Verschärfung der Kapitalvorschriften ernst machten, interessierte ihn nicht wirklich, genauso wenig wie die anderen Bereiche der Bank. Der verpasste Abbau des viel zu kapitalintensiven Geschäfts, von der UBS vorexerziert, ist jetzt die grösste Herausforderung Körners.

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Die CS-Krise ist das schlimmste Führungsdebakel seit dem Swiss-air-Grounding – doch Swissair-Chef Mario Corti musste einen Prozess durchstehen.

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Die CS-Krise ist das schlimmste Führungsdebakel seit dem Swiss-air-Grounding – doch Swissair-Chef Mario Corti musste einen Prozess durchstehen.

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Doch Rohner lehnte sich nicht gegen Dougan auf. Er war ja, wo er hinwollte: ganz oben. Und das führt zum zweiten Faktor der Fehleranalyse: seinem unbändigen Selbstvertrauen. Wie Ospel, Grübel oder Ermotti kam auch er aus einfachen Verhältnissen. Der Vater war Maler und wechselte dann in die Versicherungsbranche, Urs wuchs als Einzelkind in einem Hochhaus am Zollikerberg auf, und in jungen Jahren bewies er seinen Ehrgeiz beim Sport: Er wurde zweimal Schweizer Meister im Hürdenlauf. Doch Rohner durchlebte die prägenden Ausbildungs- und Berufsjahre eben nicht in Handelsräumen, sondern in Jura-Hörsälen und bei der Anwaltskanzlei Lenz  &  Staehelin. Das Selbstbewusstsein wuchs stetig: Top-Kunden, Top-Auftreten, Aufstieg zum Managing Partner vorgezeichnet.

Doch dann kam die erste grosse und vielleicht entscheidende Wende des Dramas: Die Anwaltswelt war ihm nicht genug – er wollte mehr. Einer seiner Kunden bei Lenz  &  Staehelin war der Pay-TV-Sender Teleclub, und Rohner schwärmte dem Chef von seinem Interesse an Drehbüchern vor: Er sei ein begeisterter Sammler und liebe Filme. Wie weit das Koketterie war, ist bis heute nicht klar. Als Autor ist er bislang nicht aufgetreten, die Affinität zur Filmbranche offenbart sich nach aussen vor allem durch seine Beziehung mit der Film-Festival-Co-Gründerin Nadja Schildknecht – für sie verliess er seine Frau, die er bei Lenz  &  Staehelin kennengelernt hatte, und die drei Kinder mitsamt Haus in Herrliberg.

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Teleclub gehörte dem deutschen TV-Magnaten Leo Kirch, es kam zu einem Gespräch, und der Branchenfremde überzeugte den Patron so sehr, dass der ihm den Chefjob seiner Senderfamilie in München anbot. Dort war Rohner stark als Jurist gefragt: Er musste die Fusion der Sender ProSieben und Sat.1 bewerkstelligen. Und das gelang ihm sehr gut, was sein Selbstbewusstsein weiter stärkte – so weit, dass er einen weiteren radikalen Schwenk vornahm: Plötzlich wechselte er zu der Grossbank CS. Enge Wegbegleiter waren einmal mehr extrem überrascht: Hatte er nicht immer von seiner Faszination fürs Filmgeschäft geredet? Rohner hatte noch bei Lenz  &  Staehelin Kontakt mit dem damaligen CS-Patron Rainer E. Gut gehabt, da war das Entrée zum Präsidenten Walter Kielholz einfach. Der versprach ihm höhere Weihen.
 

Leichtgewichtiges Duo

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Sein CEO Grübel war froh über den scharfsinnigen Rechtschef. Doch nach seinen Münchner Erfolgen reichte ihm der Job des General Counsel nicht mehr. Er wollte Grübel beerben und eine globale Grossbank leiten: So viel Selbstbewusstsein hatte er. Nachdem die Wahl auf Dougan gefallen war, konzentrierte sich Rohner auf die Nachfolge des Präsidenten Kielholz, schliesslich hatte der ihm ja mehr versprochen. Doch diese Haltung «Ich kann alles» erwies sich als fatal. «Seine überdurchschnittliche Intelligenz liess ihn glauben, dass er allen überlegen war», befindet ein damaliger Mitstreiter. Ein erfolgreicher Chef braucht eben mehr: Er muss diese Intelligenz mit Fachwissen koppeln und daraus eine Strategie entwickeln, er muss seine Truppen hinter sich scharen, und er muss die Umsetzung hart durchsetzen.

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Der Glaube, dass intellektuell brillante Menschen alles können, galt auch beim wichtigsten und verheerendsten Entscheid seiner Amtszeit: der Wahl des neuen CEO nach Brady Dougan. Auch Tidjane Thiam, Chef des britischen Versicherers Prudential, hatte niemals in einer Bank gearbeitet. Doch das störte Rohner nicht, der gern erzählte, wie er die zweifellos beeindruckende Persönlichkeit in langen Spaziergängen in London und Zürich von der CS begeistert habe. Zumindest musste er – anders als bei Dougan – bei Thiam nicht stets mit dem Vorwurf der fehlenden Bankerfahrung leben: Der Neue hatte ja selbst keine. Und wie Rohner geriet auch Thiam sehr rasch, gleich bei seiner ersten Vorstellung in Zürich, in den roten Bereich, wenn man nach seinen fehlenden Kenntnissen etwa im Investmentbanking fragte: Das würde er schon verstehen, schoss er spitz zurück, schliesslich sei er ja ein guter Mathematiker.

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Bei den Besetzungen ging Loyalität vor Kompetenz – als oberste Risikochefin installierte Thiam etwa die frühere Analystin Lara Warner, die von den komplexen Risikomodellen überfordert war. Rohner und Thiam seien von der Vorstellung ausgegangen, zitierte die «Financial Times» einen CS-Manager, «dass man jeden in jedem Job platzieren könne, solange er einigermassen clever ist». So galten sie schnell als leichtgewichtigstes Führungsduo der Hochfinanz. Die Folge: Eine stetige Qualitätsverschlechterung, die das gesamte internationale Geschäft durchzog und den Nährboden für die Milliardenverluste bei Greensill und Archegos bildete. Als die überforderten Händler dort etwa in Windeseile die Papiere abstossen mussten, blieben sie hinter den Konkurrenten zurück – und am Ende auf dem grössten Verlust sitzen.

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Das grosse Selbstvertrauen zeigte sich auch auf dem Gebiet, auf dem Rohner noch immer als Fachmann galt. Frisch bei der CS hatte er zwei grosse Erfolgserlebnisse: Bei den Verhandlungen über die Pleite des Stromriesen Enron und bei der komplexen Auseinandersetzung um den Versicherer XL willigte er nicht in einen schnellen Deal ein und trieb beide Verfahren so lange weiter, bis er am Ende als Sieger dastand. Das Problem war nur: Wie die Regulatoren in Europa nach der Finanzkrise das Investmentbanking in der bisherigen Form nicht mehr akzeptierten, so waren auch die Gerichte vor allem in den USA gegenüber europäischen Banken deutlich ungnädiger.

Doch die Bank hielt an ihrer Linie fest – der Rohner-Nachfolger Romeo Cerutti trat bei allen Verfahren als Hardliner auf. Mit überschaubarem Erfolg. Im Steuerstreit mit den USA musste die CS 2,6 Milliarden zahlen, fast drei Mal so viel wie die UBS, obwohl sie ein deutlich kleineres Exposure hatte. Die Gesamtrechnung für Rechtskosten unter Rohners Ägide beläuft sich bislang auf fast acht Milliarden, deutlich mehr als bei der grösseren UBS (siehe Seite 40). Doch das ist erst der Anfang: Für Greensill und Archegos drohen nochmals Milliardenbussen. Schon Rohners Kurz-Nachfolger António Horta-Osório kritisierte die zu aggressive Rechtspolitik und war auf Vergleiche aus, auch die neue Spitze um Präsident Axel Lehmann und UBS-Veteran Markus Diethelm geht pragmatisch vor. Das ist das für Rohner wohl unangenehmste Vermächtnis: Selbst auf seinem Fachgebiet hat er den Aktionären geschadet.

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Bleibt der dritte Punkt der Fehleranalyse: die Personalpolitik. Rohner war zwar mehr ein Einzelgänger, doch für den Aufstieg wusste er schon, wen er umgarnen musste, von Rainer E. Gut bis zu Walter Kielholz. Dieses eher taktische Personalverständnis zeigte sich auch bei seiner eigenen Auswahl: Statt auf beschlagene Banker setzte er auf Personen, die kaum zu Widerworten neigten. Der Wirtschaftsprüfer Alexander Gut leitete eine Finanzboutique und war für die Steuerung eines globalen Bankkonzerns wenig hilfreich, was er mit seinem Abgang nach nur vier Jahren selbst demonstrierte. Aber er war der Sohn des CS-Patriarchen. Der Silicon-Valley-Unternehmer Sebastian Thrun, eine Koryphäe für selbstfahrende Autos, aber kaum für marode Bilanzen, blieb sogar nur zwei Jahre. Und wenn schon ein Banker, dann nicht die erste Garde: Andreas Gottschling war Risikochef der von wenig Wall-Street-Flair umwehten Ersten Bank in Österreich, bevor ihm Rohner die Leitung des Risikoausschusses übertrug. Nach den riesigen Verlusten trat er letztes Jahr nach nur vier Jahren fluchtartig ab. Es drohte die Abwahl.
 

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Berufsverbot möglich

Rohners Vize Severin Schwan schaute dem Treiben viel zu lange zu. Erst als es um seine eigene Karriere ging, blitzte bei dem Roche-Lenker die Eiseskälte auf, die einst Rainer E. Gut bei seinem Zögling Mühlemann («eine Enttäuschung») gezeigt hatte. Es war Schwan, der erst Thiam (und später auch Rohners Nachfolger Horta-Osório) entsorgte. Rohner blieb bis zuletzt der zaudernde Taktierer. Da wirkte es schon fast unbeholfen, wenn er nach den ersten Schritten Thiams beim Investmentbanking verkündete, diesen Plan bereits drei Jahre zuvor ausgearbeitet zu haben. Und auch heute lässt er ausrichten, dass er Ulrich Körner zu seinem Nachfolger machen wollte. Dieses stetige Taktieren ist auch der Hauptgrund, warum Rechtschefs an der Bankspitze kaum reüssieren: Charles Prince scheiterte bei der Citigroup dramatisch, Peter Kurer war als Ospel-Nachfolger bei der UBS nur eine kurze Notlösung.

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Das vernichtende Urteil über Rohners Präsidialzeit offenbarten dann zwei Untersuchungsberichte: Der Archegos-Report legte ein totales Versagen der Risikomodelle offen. Der Verwaltungsrat hatte keinen Überblick über das Gesamt-Exposure von mehr als einem Drittel des Eigenkapitals bei einem vorbestraften Finanzjongleur, auch weil der Versicherungsmann Thiam der Bank eine in der Assekuranz sinnvolle, für eine globale Grossbank aber vollkommen untaugliche Regionalisierung verordnet hatte.

Und die Finma-Untersuchung des Anwalts Thomas Werlen von der US-Kanzlei Quinn Emanuel zur Spionageaffäre listete das Fehlverhalten detailliert auf: eine Firmenkultur, in der Profit vor Compliance kommt, ein Verwaltungsrat mit mangelhaftem Kontroll- und Führungsvermögen und eine operative Führung, die zu wenig auf Fachkompetenz achtet. Die Bank versuchte mit fadenscheinigen Argumenten, die Bestellung Werlens als Finma-Mandatsträger zu verhindern. Das gelang zwar nicht, aber immerhin sorgte die Verschleppung dafür, dass die Finma ihr Urteil nicht während Rohners Amtszeit verkündete – ein Berufsverbot wäre möglich gewesen. Als sicher darf gelten: Im Bankgeschäft wird Rohner nicht mehr auftauchen.

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Gewiss: Rohner ist nicht der Alleinschuldige. Er war über seine Gut-Kielholz-Connection ein Geschöpf des Zürcher Establishments, doch dem fehlte die Kraft zur Gegenwehr – mehr als heftige Kritik in kleinem Kreis an seinem einstigen Zögling war von Kielholz nicht zu vernehmen. Die Finma schaute viel zu lange zu, trotz mehrerer Warnsignale. Und die beiden grössten Aktionäre waren ein Trauerspiel: Die Kataris wurden mit üppiger Anleihenrendite ruhiggestellt, David Herro von Harris Associates entpuppte sich als Wirrkopf.
 

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Kaum Vergebung

Doch die These sei gewagt: Mit einem veritablen Bankprofi an der Spitze wäre die CS niemals in eine derartige Krise geschlittert. Es wirkt fast, als habe sich ein Wesenszug Rohners auf die gesamte Bank übertragen. Durch sein taktierendes Verhalten hatte er sich nie eine eigene Truppe aufgebaut, bis zuletzt schlug ihm eine Welle des Misstrauens entgegen. Und jetzt spürt die gesamte Bank, in vielen Bereichen in der Schweiz noch immer stärker unterwegs als die UBS, dieses Misstrauen. «We like you, but we don’t trust you» ist die Botschaft, die sich die Topleute von Analysten und Ratingagenturen anhören müssen. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen, dauert lange. Die Bank wäre ja schon froh, wenn sie erst mal aus der Verlustzone kommt.

Bleibt in der grossen Debatte um Rohners Schuld die Frage nach der Sühne. Die Hauptstrafe ist sozial: Vergebung steht in der kleinräumigen Schweiz bei Geldversagen nicht auf dem Menu. Dass Rohner von der Goldküste weggezogen ist, kann da nicht schaden. Die grosse VR-Anschlusskarriere, wenn er sie denn geplant hat, ist abgehakt. Weggefährten berichten, dass er sich vor allem als Opfer unwirtlicher Umstände sieht. Auch das unterscheidet ihn von Marcel Ospel: Der gab im kleinen Kreis zu, dass er die Kontrolle hatte schleifen lassen.

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Und finanziell? Die Bank behauptet zwar vollmundig, sie habe «starke Malus-Bestimmungen, die in bestimmten Fällen von Fehlverhalten eine Reduzierung oder Annullierung noch nicht übertragener Zuteilungen ermöglichen». Jedoch: Anders als in der Konzernleitung gibt es für den Verwaltungsrat keinerlei Sanktionsmechanismen. Zwar sind die zugeteilten Aktien auf vier Jahre gesperrt, doch sie werden bereits bei der Lohnauszahlung an den Bezieher übertragen. Bei der Konzernleitung bleibt die Übertragung dagegen aufgeschoben und kann einbehalten werden.

Bei Rohner sind laut Geschäftsberichten noch etwa 320 000 CS-Aktien gestaffelt bis 2025 gesperrt. Heute sind sie etwa 1,5 Millionen wert – kein grosser Betrag angesichts der mehr als 80 Millionen, die er all die Jahre bezogen hat. Schon einmal, nach der Einigung im US-Steuerstreit, hat Rohner freiwillig auf die Auszahlung von Aktien verzichtet, der Betrag lag bei 450 000 Franken. Ganz ausgestanden ist das Drama für ihn ohnehin nicht. Die Décharge von seiner letzten Generalversammlung steht noch aus. Ein Verzicht auf die gesperrten Aktien wäre da eine schöne Geste. Wenn auch nur eine kleine.

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Über die Autoren
Dirk Schütz

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